Parlamentskorrespondenz Nr. 289 vom 04.04.2006

Verfassungsausschuss für EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens

Heftige Debatte über zukünftige Erweiterungsschritte

Wien (PK) - Der Verfassungsausschuss des Nationalrats gibt grünes Licht für den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union. Nach einer ausführlichen und teilweise kontroversiellen Debatte über eine darüber hinausgehende Erweiterung der Union

fassten die Abgeordneten einhellig den Beschluss, dem Plenum des Nationalrats eine Ratifikation des Beitrittsvertrags zu empfehlen. Der Vertrag sieht den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union mit 1. Jänner 2007 vor, eröffnet jedoch die Möglichkeit, das Beitrittsdatum um ein Jahr zu verschieben, sollten die beiden Länder mit den im Vorfeld des EU-Beitritts vereinbarten Reformen im Rückstand sein. (1389 d.B.)

Die Abgeordneten räumten zwar noch bestehende Defizite in beiden Ländern, insbesondere hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung und Kriminalitätsbekämpfung ein, vertraten aber die Auffassung, dass es leichter sein werde, einem Mitgliedsstaat bei den Reformen unter die Arme zu greifen. Große Skepsis hinsichtlich der Erfüllung der Beitrittskriterien wurde insbesondere von Abgeordnetem Herbert Scheibner (F) geäußert. Abgeordneter Michael Spindelegger (V) betonte wiederum, dass Österreich in dieser Region der Investor Nummer eins ist. Durch die Übergangsbestimmungen sei auch sicher gestellt, dass der österreichische Arbeitsmarkt für rumänische und bulgarische Staatsbürger nicht sofort offen sein wird.

Eine heftige Debatte entspann sich zwischen Abgeordnetem Josef Cap (S) und Abgeordneter Terezija Stoisits (G). Seitens der SPÖ lehnte Cap einen nächsten Erweiterungsschritt nach der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens ab, da die Union seiner Meinung nach das europäische Sozialmodell gefährden würde. Daraufhin warf ihm Abgeordnete Stoisits "populistische Drohgebärden" vor und kritisierte scharf sein Europaverständnis, vor allem in Bezug auf Kroatien und Mazedonien. 

Bulgarien und Rumänien: Weitere Reformen notwendig

Soll die Erweiterung der EU fortgesetzt werden ?

Abgeordneter Michael Spindelegger (V) hielt fest, dass sowohl Rumänien als auch Bulgarien zweifellos zu Europa gehörten und Österreich größtes Interesse an beiden Ländern habe. Die oft geäußerten Ängste, dass nach einem Beitritt beider Länder zu viele Arbeitskräfte nach Österreich strömen könnten, seien aufgrund der aufgeschobenen Freizügigkeit unberechtigt, unterstrich der VP-Abgeordnete. Der von der Europäischen Kommission zu erstellende Monitoring-Bericht, der für den 17. Mai erwartet wird, solle nur klären, ob ein Beitritt bereits 2007 oder erst 2008 erfolgen soll. Ähnlich äußerte sich sein Klubkollege Abgeordneter Roderich Regler, der auch auf die Länder des Westbalkans einging, denen man aus seiner Sicht eine EU-Perspektive geben müsse. Das Problem bei diesen Ländern liege im Gegensatz zur Türkei nicht in der großen Bevölkerungszahl, sondern in der Zahl der Einzelstaaten. Die EU sei daher aufgefordert, eine Lösung zu finden, die das Funktionieren der EU-Organe auch bei größerer Mitgliederzahl gewährleiste.

Kritischer nahm Abgeordneter Herbert Scheibner (F) Stellung, der aus seiner Sicht festhielt, dass die EU, im Grunde genommen, bereits für diese Erweiterung nicht reif sei. Die Verfassung sei gescheitert, die Finanzierung noch nicht beschlossen und für die Kompetenzverteilung und das Verwaltungsgefüge habe man noch keine Lösung gefunden. Er bezweifelte auch stark, dass Rumänien und Bulgarien die Kriterien erreicht haben. Trotzdem werde seine Fraktion der Ratifizierung zustimmen, da beide Länder ein wichtiger Teil Europas seien und Österreich wirtschaftliche Interessen verfolge. Aus seiner Sicht würden die Vorteile die Nachteile überwiegen. Für eine zusätzliche Erweiterung sah Scheibner jedoch aus derzeitiger Sicht keine Chancen, obwohl er dies bedauerte, da Europa mehr sei, als die derzeit 25 und nun bald 27 Mitglieder der EU.

Auch Abgeordnetem Josef Cap (S) geht die Erweiterung der EU zu rasch. Dahinter stünden in erster Linie wirtschaftliche Interessen, sagte er, die Kopenhagener Kriterien als Aufnahmevoraussetzung würden kaum eine Rolle spielen. Cap sah darin auch einen der wesentlichen Gründe für die verbreitete EU-Skepsis der EU-Bürgerinnen und –Bürger. Dennoch werde seine Fraktion der Ratifizierung zustimmen, da bereits ein Rechtsanspruch bestehe und er es als vernünftig ansehe, den Druck zu verstärken, die Kriterien zu erfüllen. Cap sprach sich jedoch vehement gegen einen nächsten Erweiterungsschritt aus, da die Politik des Lohn- und Sozialdumpings und eines ungeregelten Binnenmarktsystems ein Ende haben müsse. Die aktuelle Entwicklung komme denen entgegen, die kein vertieftes Europa wollen, merkte er an.

Daraufhin wurde Cap von Abgeordneter Terezija Stoisits (G) wegen seines Europaverständnisses scharf angegriffen. Sein Nein zu einer Erweiterung um die Staaten des Westbalkans, insbesondere um Kroatien und Mazedonien, konnte sie nicht nachvollziehen, zumal es zwischen Österreich und den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und der Monarchie enge bevölkerungsmäßige und wirtschaftliche Verflechtungen gebe. Sie warf ihm in diesem Zusammenhang "populistische Drohgebärden" vor. Auch sie räumte Defizite bei den Reformen in beiden Staaten ein und meinte, dass selbstverständlich das Justizsystem wie auch andere Bereiche nicht an EU-Niveau herankämen. Auch bei den Minderheitenrechten sei noch viel zu tun, aber damit habe man ja auch in Kärnten Schwierigkeiten, so Stoisits mit einem Hinweis auf die Kärntner Ortstafeln. Jedenfalls müsse man nun Druck ausüben, damit die ausstehenden Reformen in Angriff genommen werden.

Grundsätzlich stelle Stoisits fest, dass sich die Grünen immer klar für den Beitritt Rumäniens und Bulgariens ausgesprochen haben. Da der Fortschrittsbericht der Kommission noch fehlt, gehe sie davon aus, dass darüber im EU-Ausschuss zu gegebener Zeit diskutiert wird. Auch die Ratifizierung des Vertrages sollte ihrer Auffassung nach an prominenter Stelle der Tagesordnung der kommenden Nationalratssitzungen stehen.   

Der Beitrittsvertrag

Der Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf der einen Seite und Bulgarien und Rumänien auf der anderen Seite über den EU-Beitritt dieser beiden Länder war im April 2005 unterzeichnet worden und muss nun bis Ende dieses Jahres von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden.

Inhaltlich orientiert sich der Vertrag weitgehend an jenem, der mit Ungarn, Slowenien, Tschechien, der Slowakei, Polen, Zypern, Malta und den drei baltischen Staaten abgeschlossen wurde. So wird Österreich auch im Falle Bulgariens und Rumäniens die Möglichkeit eingeräumt, den Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt bis zu sieben Jahre zu beschränken. Ebenso sind in bestimmten Dienstleistungsbereichen - u.a. für das Baugewerbe, die Hauskrankenpflege, das Sozialwesen, gärtnerische Dienstleistungen, Steinmetzarbeiten und die Gebäudereinigung - sowie hinsichtlich der Kabotage im Güterverkehr, also für Beförderungen zwischen zwei Orten innerhalb eines Mitgliedstaates, Übergangsfristen vorgesehen.

Auf die Mitwirkungsmöglichkeiten Österreichs auf EU-Ebene hat der Beitrittsvertrag insofern Auswirkungen, als Österreich ab der nächsten Wahlperiode (2009-2014) nur noch mit 17 statt bisher 18 Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten sein wird. Im Rat behält Österreich weiterhin zehn Stimmen; für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen sind dort künftig 255 von 345 Stimmen erforderlich (bisher 232 von 321).

Im Hinblick auf Österreichs Anti-Atom-Politik von Bedeutung ist die Verpflichtung Bulgariens, im Jahr 2006 auch die Blöcke 3 und 4 des Kernkraftwerks Kosloduj abzuschalten, nachdem die Reaktoren 1 und 2 bereits im Jahr 2003 stillgelegt worden waren.

Bulgarien und Rumänien werden u.a. Übergangsregelungen hinsichtlich des Erwerbs von Zweitwohnsitzen und von land- und forstwirtschaftlichen Flächen, hinsichtlich der Einhebung von Mindestverbrauchssteuern auf Zigaretten, unverbleites Benzin und Elektrizität sowie in Bezug auf eine Reihe von Umweltauflagen gewährt. Zudem betont Bulgarien in einer Erklärung zum Beitrittsvertrag ausdrücklich, dass mit dem EU-Beitritt Bulgariens das kyrillische Alphabet neben dem lateinischen und dem griechischen Alphabet zu einer offiziell verwendeten Schrift der EU wird.

Für Strukturfondsmaßnahmen erhalten Bulgarien und Rumänien in den ersten drei Jahren nach dem EU-Beitritt eine Gesamtsumme in der Höhe von etwa 8,274 Mrd. €, für Agrarförderungen sind bis zu 5,473 Mill. € vorgesehen.

In den Erläuterungen zum Beitrittsvertrag weist die Regierung darauf hin, dass sich die "Ostöffnung" bisher positiv auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich ausgewirkt habe. Sie erwartet sich in diesem Sinn auch vom EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens eine Fortsetzung und Festigung dieses Prozesses. Die Erweiterungskosten für Österreich werden für die Periode 2007 bis 2009 mit insgesamt rund 200 Mill. € beziffert, davon entfallen 166 Mill. € auf den Bund und 34 Mill. € auf die Länder. Für eine Ratifikation des Vertrages ist sowohl im Nationalrat als auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. (Fortsetzung)