Parlamentskorrespondenz Nr. 290 vom 04.04.2006

Diskussion über Kärntner Ortstafelstreit im Verfassungsausschuss

Koalition vertagt Anträge der Grünen

Wien (PK) - Der Konflikt um die Aufstellung zusätzlicher zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten beschäftigte auch den Verfassungsausschuss des Nationalrats. Anlass dafür waren zwei an die Adresse der Bundesregierung gerichtete Entschließungsanträge der Grünen (732/A[E] und 791/A[E]). Zum einen regen Abgeordnete Terezija Stoisits und ihre FraktionskollegInnen darin an, eine Anklage des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider beim Verfassungsgerichtshof wegen Gesetzesverletzung zu prüfen, zum anderen fordern sie die Regierung auf, die neuerliche Aufstellung einsprachiger Ortstafeln in Bleiburg und Bleiburg-Ebersdorf beim Verfassungsgerichtshof anzufechten.

Beide Anträge wurden mit den Stimmen der Koalitionsparteien mehrheitlich vertagt. Die Abgeordneten von ÖVP und F argumentierten, der Verfassungsgerichtshof habe zur Umsetzung des Erkenntnisses eine Frist bis zum 30. Juni 2006 gesetzt, weshalb derzeit keine ausreichende Begründung für die beiden Anträge vorliege. So wies Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) darauf hin, dass es eine Vielzahl informeller Gespräche gebe und man um eine gemeinsame Vorgangsweise der Betroffenen bemüht sei, eine konsensuale Lösung herbeizuführen.

Uneinigkeit zwischen Opposition und Regierungsfraktionen gab es vor allem in der Frage der Zuständigkeiten. Während die Abgeordneten des Freiheitlichen Parlamentsklubs in der aktuellen Causa eine Frage des Straßenverkehrs und damit eine Landeszuständigkeit in der mittelbaren Bundesverwaltung sahen, vertraten Grüne und SPÖ die Auffassung, dass es hier um Minderheitenfragen und damit um eine Bundeskompetenz gehe. 

Abgeordneter Josef Bucher (F) hielt fest, dass laut Kärntner Verfassung Landesrat Dörfler für den Verkehr zuständig sei und Landeshauptmann Haider formalrechtlich nichts damit zu tun habe. Dieser habe daher auch keine Verordnung erlassen oder Weisungen erteilt, er habe lediglich das VfGH-Erkenntnis im Landesgesetzblatt veröffentlicht. Die mit gravierenden Mängeln behaftete Verordnung aus dem Jahr 1998 gebe es nicht mehr, denn Landesrat Dörfler habe in der Zwischenzeit eine neue Verordnung erlassen. Bucher sah daher für die vorliegenden Anträge keine rechtliche Grundlage, da seiner Rechtsauffassung nach Landeszuständigkeit vorliegt.

Auch F-Klubobmann Herbert Scheibner schloss sich dieser Meinung an und erinnerte daran, dass der Anlass für das Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis eine Verkehrsübertretung gewesen war. Das Erkenntnis sei auch seitens der Wissenschaft kritisiert worden, fügte er mit einer Randbemerkung hinzu. Er zeigte auch kein Verständnis dafür, die Ortstafelfrage aufgrund von Geschwindigkeitsübertretungen zu lösen, und warf dem Kläger vor, die Ortstafelfrage wieder emotionalisiert zu haben. Er, Scheibner, trete für einen emotionsfreien Zugang ein und wolle an die Fortschritte in der Minderheitenpolitik der letzten Jahre erinnern. Die Konsenskonferenz sei auch nicht am Landeshauptmann gescheitert, sondern an anderen Gruppierungen. Scheibner kritisierte die beiden Anträge der Grünen als "Politaktionen", bei denen er nicht mitspielen wolle. Er hoffe noch immer auf eine einvernehmliche Lösung bei den noch ausstehenden Verhandlungen und Gesprächen.

Dem konnten sich weder Abgeordneter Walter Posch (S) noch Terezija Stoisits anschließen. Es sei bekannt, wer "zündelt", sagte Posch und warf Kärntner Politikern eine nationalistische Politik vor. Seine Vorredner machten es sich allzu einfach, meinte er. Es gehe nicht um Topographie oder Schnellfahren, sondern um kulturelle Rechte; es gehe um die Grundsatzfrage, wie sich Minderheiten, die endlich ihr Recht bekommen wollen, wehren können. Die Kärntner Landesregierung habe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes kundgemacht und damit anerkannt. Deshalb sei aus seiner Sicht eine Ministeranklage möglich. Auch Abgeordnete Stoisits (G) unterstrich, dass es hier in keiner Weise um Straßenverkehrskompetenzen und damit um mittelbare Bundesverwaltung gehe, sondern um die Minderheitenfrage, die allein in der Kompetenz des Bundes liege. Zweisprachige Ortstafeln seien keine Angelegenheit des Verkehrs, sondern eine Angelegenheit des Minderheitenwesens, weshalb eine Anklage gegen den Landeshauptmann zulässig sei, und ihr Antrag ziele darauf ab, eine Anklage zu prüfen.

Die Stellungnahmen der Abgeordneten von ÖVP und F veranlassten Abgeordnete Terezija Stoisits zur Frage, was denn nun gelte: gehe es darum, die Frist bis Ende Juni abzuwarten, dann vertrete man doch offensichtlich die Meinung, dass Landeshauptmann Haider Unrecht habe und dann müsse man dem Antrag der Grünen zustimmen; oder man vertrete die Auffassung, dass mit der Versetzung der Ortstafeln dem Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis Rechnung getragen worden sei.

Jedenfalls hätten die Grünen die Anregung des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes aufgegriffen, denn man wolle nicht untätig zusehen, wie der Verfassungsgerichtshof und der Rechtsstaat mit Füßen getreten werden. Das demokratische System baue auf dem Vertrauensgrundsatz auf, und das sei die Verfassung. Rüttle man an deren Grundfesten, so untergrabe man die Demokratie, konstatierte Abgeordnete Stoisits.

Staatssekretär Franz Morak warnte in einer kurzen Stellungnahme vor der Zuspitzung der Situation und sprach sich für eine politische Lösung aus.

Sektionschef Georg Lienbacher nahm aus der Sicht des Verfassungsdienstes zu den beiden Anträgen Stellung und vertrat in Hinblick auf den darin zitierten Artikel 142 Abs. 2 lit. e B-VG die Rechtsauffassung, dass dieser auf diese Frage nicht angewendet werden könne, weil es sich bei der Erlassung von Verordnungen zur Aufstellung von Ortstafeln um eine selbständige Vollzugskompetenz der Länder handle. Damit liege keine mittelbare Bundesverwaltung vor, weshalb seitens der Bundesregierung keine Anklage gegen den Landeshauptmann erhoben werden könne. Hinsichtlich der nun erlassenen Verordnung bestehe die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle durch Antragstellung der Bundesregierung oder der Volksanwaltschaft beim Verfassungsgerichtshof.

SPÖ will Kompetenzänderung für Eisenbahn-Hochleistungsstrecken

Bereits ein zweites Mal vertagt wurde ein Antrag der SPÖ auf Änderung der Bundesverfassung. Die SPÖ spricht sich dafür aus, dass Hochleistungsstrecken für Eisenbahnen künftig zur Gänze in die Kompetenz des Bundes fallen, auch was Belange des Natur- und des Landschaftsschutzes betrifft. Damit will die SPÖ ausschließen, dass - wie etwa im Falle des Semmering-Basistunnels - ein Bundesland überregionale Bahn-Projekte verzögern kann, die für andere Bundesländer von großer wirtschafts- und verkehrspolitischer Bedeutung sind.

In der Debatte bekräftigte Abgeordneter Günther Kräuter die Forderung der SPÖ und zeigte sich wie Ausschussvorsitzender Peter Wittmann enttäuscht, dass der Antrag neuerlich vertagt werde. Er sprach im Zusammenhang mit dem Semmering-Basistunnel von "fortgesetzter Rechtsbeugung" durch das Land Niederösterreich und gab zu bedenken, dass Niederösterreich hier "ein uneingeschränktes Zeitverzögerungspotential" habe. Wenn man nicht wolle, dass weitere Planungsmillionen "sinnlos verschleudert" würden, müsse man dem Antrag der SPÖ zustimmen, mahnte er.

SPÖ-Abgeordneter Peter Marizzi brachte ergänzend vor, dass die Bevölkerung im südlichen Niederösterreich die Politiker in dieser Frage nicht mehr ernst nehme, und forderte eine rasche Entscheidung ein.

Seitens der Koalitionsparteien äußerten Abgeordneter Roderich Regler (V) und F-Klubobmann Herbert Scheibner Verständnis für das Anliegen der SPÖ. Eine entsprechende Kompetenzänderung könne aber nur im Konsens mit allen Ländern erfolgen, betonten sie und sprachen sich daher für eine Vertagung des Antrags aus. Kein Bundesland würde einen Beschluss des Antrags akzeptieren, sagte Scheibner, auch wenn er selbst die "zehnjährige Geldvernichtung" nicht verstehe. Scheibner trat generell dafür ein, die gesamte Gesetzgebung dem Bund und die Vollziehung den Ländern zu übertragen, mit einer entsprechenden Kontrolle der Landesregierungen durch die Landtage und einer wirksamen Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung durch den Bundesrat.

Abgeordnete Terezija Stoisits (G) bezeichnete den Bau des Semmering-Basistunnels als "leidige Kaugummigeschichte", zeigte sich jedoch gegenüber einer naturschutzrechtlichen Sonderregelung für bestimmte Verkehrsprojekte skeptisch. Sie sieht als einzige Möglichkeit ein konzentriertes Verfahren nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz. Den Ländern die gesamte Kompetenz für den Naturschutz wegzunehmen hält Stoisits, wie sie sagte, für völlig unrealistisch. (Schluss)