Parlamentskorrespondenz Nr. 358 vom 26.04.2006

50 Jahre Mitgliedschaft Österreichs beim Europarat

Europadiskussion im Nationalrat

Wien (PK) – "50 Jahre Mitgliedschaft Österreichs beim Europarat" waren das erste große Thema der 145. Sitzung des Nationalrats. Auf der Tagesordnung stand eine Erklärung von Außenministerin Dr. Plassnik mit anschließender Debatte. Die Abgeordneten nutzten die Gelegenheit nicht nur zu Aussagen zum Jubiläum, sondern darüber hinaus allgemein zum Thema Europa und europäische Einigung. Ein Entschließungsantrag, der auf auf eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten und der Europäischen Union und dem Europarat abzielt, fand die Mehrheit der Regierungsfraktionen und der SPÖ.

Vor Eingang in die Tagesordnung gab Präsident Khol bekannt, dass die Sozialdemokraten beantragt haben, ihre schriftliche Anfrage 4165/J betreffend "Postenschacher bis zur letzten Sekunde" an den Bundeskanzler dringlich zu behandeln. V und F stellten zudem den Antrag, dem Wissenschaftsausschuss bezüglich des Einspruchs des Bundesrats hinsichtlich der Novelle des Universitätsgesetzes 2002 eine Frist zu setzen und darüber eine kurze Debatte abzuführen. Weitere Fristsetzungsanträge von V und F betrafen den Finanzausschuss und den Justizausschuss, wo es jeweils um Einsprüche des Bundesrats bezüglich des ÖIAG-Gesetzes bzw. des Übernahmerechtsänderungsgesetz geht.

Präsident Dr. KHOL erinnerte daran, dass Österreich genau heute vor 50 Jahren dem Europarat beigetreten sei, was ein wichtiger Schritt für Österreich gewesen sei. Aus diesem Grunde freue er sich, eine Reihe namhafter ehemaliger österreichischer Politiker, die an der Arbeit des Europarats aktiv mitgewirkt hätten, als Gäste bei dieser Sitzung begrüßen zu dürfen.

Der Europarat sei die Wiege der europäischen Integration, alle anderen europäischen Institutionen, von der EWG und der EFTA bis heute zur EU, seien aus dem Schoß des Europarats hervorgegangen. Der Europarat wurde seinerzeit gegründet zum Schutz unserer freiheitlich geordneten, auf der sozialen Marktwirtschaft beruhenden parlamentarischen Demokratie, als Bollwerk gegen Unfreiheit, vor allem vor der Bedrohung des Kommunismus.

Der Europarat habe sich zu einem unersetzlichen Schutzwerk für die Menschenrechte entwickelt, die durch die Tätigkeit des Europarats zu einem Teil der europäischen internationalen öffentlichen Ordnung geworden seien. Der Schutz der Menschenrechte sei ein ganz entscheidender Teil des europäischen Lebensmodells, betonte der Präsident, das man gegen alle anderen auch als das Beste zu verteidigen wisse.

Der Präsident erinnerte zudem daran, dass die Europafahne ursprünglich die des Europarats war, und dass Österreich auch zur Europahymne seinen Beitrag geleistet habe. Die Idee dazu stamme von Lujo Toncic-Sorinj, umgesetzt wurde sie nach Noten von Herbert von Karajan, so Khol.

Besonders sei das Engagement Österreichs in dieser Organisation hervorzuheben. So hätten drei Generalsekretäre – Lujo Toncic-Sorinj, Franz Karasek und Walter Schwimmer – sowie zwei Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung – Karl Czernetz und Peter Schieder – sowie ein Präsident des Kongresses der Gemeinden und Regionen (Herwig van Staa) an führender Stelle an der Arbeit des Europarats mitgewirkt, erinnerte der Präsident.

Bundesministerin Dr. PLASSNIK erinnerte gleichfalls an das Jubiläum und meinte, Österreich konnte sich durch diesen Schritt aktiv an der Gestaltung der Wertegemeinschaft beteiligen und leistete dazu, nicht zuletzt durch führende Vertreter wie die Generalsekretäre des Europarats Toncic-Sorinj, Karasek und Schwimmer, durch die Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung Czernetz und Schieder sowie durch viele andere einen bedeutenden Beitrag zu den Aktivitäten des Europarats leisten. Auch eine Vielzahl österreichischer Abgeordneter, Botschafter, Diplomaten und Beamten habe sich engagiert, wofür ihnen herzlich zu danken sei, denn Europa sei das größte Friedensprojekt unserer Zeit.

Besonderen Fokus legte die Rednerin auf die inhaltliche Programmatik des Europarats, so vor allem auf die Menschenrechte und die Rolle des Gerichtshofes für Menschenrechte. Die politische Relevanz des Europarats werden uns auch heute deutlich vor Augen geführt, zeige sich doch in der Verteidigung der humanitären Standards die europäische Grundhaltung, dass es in der Bekämpfung des Terrorismus keine rechtsfreien Räume geben dürfe.

Dem Europarat sei das heutige Europa wesentlich geschuldet, habe dieser doch einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung der Teilung Europas geleistet. Heute habe man mit diesem Staatenbund von 46 Mitgliedern inklusive der Russischen Föderation die dauerhafte Grundlage für Stabilität und demokratischer Sicherheit, wobei der Europarat sich besondere Verdienste um die Heranführung der jungen Demokratien an die europäischen Rechtsstandards erworben habe. Besonders würdigte die Rednerin in diesem Zusammenhang die Parlamentarische Versammlung des Europarats, wobei sie den Vertretern Österreichs in diesem Gremium für ihr Wirken dankte.

Die Rednerin ging in der Folge auf die mannigfachen Aufgaben und Tätigkeiten des Europarats ein und kennzeichnete den Europarat als das demokratische und soziale Gewissen Europas, der sich neben den Menschenrechten auch mit anderen wichtigen Fragen wie die Bekämpfung des Menschenhandels, mit Gesundheitsthemen, Aspekten sozialer Sicherheit, den Anliegen der Minderheiten, den interkulturellen und religiösen Dialog sowie mit Flüchtlings- und Migrationsfragen befasse.

Auf vielen dieser Felder bewirke der Europarat Pionierleistungen, die weltweit beispielgebend seien. Der Europarat habe mit seinen Strukturen und Aufgaben Zukunft in den europäischen Institutionen, sie, Plassnik, sei davon überzeugt, dass der Europarat auch in Zukunft eine tragende Rolle im europäischen Gefüge spielen werde, wofür Österreich auch in Zukunft seinen Beitrag leisten werde.

Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) schloss an seine beiden Vorredner an und würdigte die Verdienste der heimischen Politiker am Wirken des Europarats. Österreichs Engagement im Europarat werde europaweit geschätzt, es habe auch Spuren hinterlassen. Von diesem Wirken lasse sich auch die heutige österreichische Delegation leiten, wobei über alle Parteigrenzen hinweg ein gemeinsamer Wille zur Mitgestaltung im Sinne Österreichs herrsche, wofür er allen seinen Dank ausspreche. Der Redner schloss mit dem Bekenntnis, wir bräuchten auch in Zukunft einen Europarat.

Abgeordneter SCHIEDER (S) sagte, es sei die EU, die sich gerne als Synonym für Europa begreife. Sie sei zweifellos die treibende Kraft in Europa, vertrete aber dennoch nicht das ganze Europa. Das ganze Europa, das sei der Europarat. Gerade deshalb müsse der Europarat gestärkt und betont werden. Je mehr dieser in seiner Arbeit unterstützt werde, umso mehr Fortschritte würden die potenziellen EU-Mitglieder bereits im Vorfeld eines Beitrittsprozesses erzielen.

Deshalb gelte es, die mit dem Europarat verbundenen Chancen noch besser zu nützen. Besonderes Augenmerk legte Schieder auf die soziale Dimension der Arbeit des Europarats, wobei er die seinerzeitige Tätigkeit Peter Strassers würdigte. Auch andere österreichische Parlamentarier wie Ludwig Steiner, Alfred Gusenbauer und Andreas Khol hätten im Europarat bedeutende Arbeit geleistet. Das Wesentliche des Europarats sei es, dass er einen fortgeschrittenen Parlamentarismus habe, der ein Modell für Europa und für die EU sei. Auch die Dimension der Menschenrechte müsse weiterhin gestärkt werden. Man habe es hier mit einem Gut zu tun, dass nicht hoch genug eingeschätzt werden könne, weshalb man mit Recht sagen könne, der Europarat habe auch eine Zukunft.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) nannte den Europarat eine wichtige Institution. Er habe während seiner aktiven Zeit im Europarat die Überzeugung gewonnen, dass die Vertreter Österreichs im Interesse des Landes gearbeitet und sich quer durch die Parteien nachhaltige Verdienste erworben hätten. Er sei damals in einer sehr spannenden Phase des Europarats involviert gewesen, und damals seien wichtige Signale gesetzt und bedeutende Fortschritte erzielt worden.

Dennoch gäbe es auch Punkte, bei denen Optimierung möglich wäre, und dies sei auch im Lichte der Zukunft des Europarats Themen, über die eine entsprechende Diskussion erforderlich sein werde. Der Europarat werde auch in Zukunft seine bedeutsame Rolle haben, als wichtige Ergänzung für diesen gemeinsamen Kontinent.

Abgeordnete Mag. STOISITS (G) betonte die Polyphonie des Europarats, der zeige, dass Europa eben viel mehr sei als nur Deutsch, Englisch, Französisch und vielleicht noch ein wenig Spanisch. Rund 40 Sprachen gebe es im Europarat, ein vielfältiges Mosaik, das eben den Kontinent entsprechend widerspiegle.

Besondere Relevanz komme dabei dem Engagement des Europarats für die Anliegen der Minderheiten zu. Dies umso mehr, als dies zumeist Themen seien, die in den nationalen Parlamenten oftmals zu kurz kämen. Umso bedeutsamer sei das diesbezügliche Wirken des Europarats. Stoisits thematisierte zudem die Lage in Weißrussland und ersuchte die Bundesministerin, sich auch weiterhin für die Grundlagen des Europarats einzusetzen.

Abgeordneter DONABAUER (V) ging auf den Aufbauaspekt Europas ein und unterstrich die Verdienste der damaligen Politiker, die europäische Wertegemeinschaft geschaffen, vertieft und ausgebaut zu haben. Auch Donabauer würdigte das Wirken des Europarats und das Engagement österreichischer Vertreter in den Gremien des Europarats. Der Europarat habe fraglos Zukunft, Österreich werde auch weiterhin seinen Beitrag dazu leisten.

Abgeordnete Mag. WURM (S) meinte, die Parlamentarische Versammlung verstehe sich als Hüter der Satzung des Europarats und der in ihr verankerten Grundwerte einer Gemeinschaft europäischer Staaten, denen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechtsschutz und parlamentarische Demokratie gemeinsam sind. Die Rolle des Europarats als politisches Gewissen Europas sei vor allem die eines unermüdlichen Mahners, die gemeinsamen Grundwerte zu wahren und zu fördern. Gerade in den letzten Monaten habe sich dieses Gewissen wieder Gehör verschafft. Die Rednerin erinnerte in diesem Zusammenhang an die CIA-Flüge, mit denen Gefangene durch den europäischen Luftraum transportiert wurden. Bei der letzten parlamentarischen Session des Europarats sei die Frage des Menschenhandels im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft und der Zwangsprostitution dringlich diskutiert worden. 60.000 Frauen sollen zur Weltmeisterschaft nach Deutschland verbracht und der Zwangsprostitution zugeführt werden.

Abgeordneter WITTAUER (F) erklärte, Österreich sei das Gewissen Europas. Er sei stolz, in einem Land zu leben, das Menschenrechte und Grundwerte in der Verfassung verankert hat. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof sei "einmalig", dies deshalb, weil die Bürger eines Mitgliedsstaates die Verletzung von Grundrechten anklagen können. Als "erschreckend" bezeichnete der Redner, wie viel Unrecht in diesem Europa noch passiere. Der Europarat sei zwar gelegentlich "verstaubt" in seiner Funktion, weil er alte Regeln hat, aber als Bürger möchte man ihn nicht missen, so Wittauer. Der Europarat sei unabhängig vom Europäischen Parlament und von der Europäischen Union und habe eine wichtige Funktion in Europa zu erfüllen. Der Redner verwies auch auf Tendenzen, den Europarat aufzulösen, und würde es begrüßen, würde man den Europarat als eine den 25 EU-Mitgliedstaaten übergeordnete Institution ansehen.

Abgeordnete Mag. WEINZINGER (G) sprach davon, dass der Europarat kritischer und bemühter ist, jene Interessen zu vertreten, die im normalen politischen Geschäft zu kurz kommen wie die Menschenrechte, als manch andere politische Institution. Er stelle ein wichtiges und unverzichtbares Gegengewicht zur Alltagspolitik der Europäischen Union dar, so Weinzinger. In den letzten Jahren registriere man innerhalb der Europäischen Union, und somit auch in Österreich, politische Entwicklungen, die gegen das Gewissen des Europarats laufen. Bezüglich des Menschenhandels gebe es eine Konvention des Europarats, die noch von keinem einzigen Mitgliedsstaat ratifiziert wurde. Daher sollte man laut Weinzinger nicht nur "das Gewissen Europas" an seinen Geburtstagen abfeiern, sondern es auch als Anleitung für das politische Handeln in Österreich und in Europa nehmen.

Abgeordnete Mag. HAKL (V) wies darauf hin, dass die wenigsten Menschen wissen, dass es neben der EU auch den Europarat gibt, und appellierte an die Medien, die wichtige Arbeit des Europarats medial den Menschen in Österreich näher zu bringen. Als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung mache es sie betroffen zu wissen, dass in Europa noch immer Menschen dafür sterben müssen, dass sie für die Demokratie in ihrem Land kämpfen. Die Rednerin plädierte dafür, im Hinblick auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen Europaparlament und Europarat einen Weg zu überlegen, wie auch Abgeordnete zum Europäischen Parlament Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung werden können. Ein von ihr eingebrachter Entschließungsantrag zielt auf eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten und der Europäischen Union und dem Europarat ab.

Abgeordnete Mag. MUTTONEN (S) strich heraus, dass eine der wichtigsten Säulen des Europarats die Europäische Menschenrechtskonvention sei. Sie sei "einzigartig", weil die EU bis jetzt noch keinen eigenen Menschenrechtskatalog herausgebracht habe. Auch andere Konventionen wie die Europäische Sozialcharta oder die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten oder die Konvention gegen Rassismus und Intoleranz seien "einzigartig". Das "Herzstück" des Europarats sei die Parlamentarische Versammlung, die aus 630 Mitgliedern aus 46 Nationen besteht. Der Europarat sei prädestiniert, eine gemeinsame politische Kultur zu entwickeln, sagte sie.

Abgeordneter DI HOFMANN (F) machte darauf aufmerksam, dass alle Mitgliedsländer der EU Mitglieder des Europarats seien, darüber hinaus gehören dem Europarat auch andere Länder an, begonnen von Albanien über die Türkei bis hin zu Russland. Der Europarat sei – geographisch gesprochen – umfassender als die Europäische Union. Ziel des Europarats sei es, den Abschluss völkerrechtlicher Verträge vorzubereiten und zu unterstützen. Besonders hob der Redner die Menschenrechtskonvention hervor, die in Österreich ein Grundpfeiler des Rechtssystems sei, und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der die einzige internationale Instanz ist, an die sich Bürger mit ihrer Beschwerde wenden können. Der Europarat sei auch wichtig für den Aus- und Aufbau der Demokratie in manchen Ländern. Österreicher haben daran gestaltend mitgewirkt, merkte er stolz an. 

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) unterstrich, dass der Europarat Geschichte geschrieben habe, und führte als weitere Beispiele die ethnischen Minderheiten und die Rechte für Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung an. Der Europarat habe sich in letzter Zeit auch mit der Frage befasst, in welchen europäischen Ländern die CIA illegale Gefangenenlager unterhalten habe. Zu dieser Frage und zu den illegalen Überflügen gebe es eine Untersuchungskommission, in der Peter Schieder aktiv sei. Laut einer Feststellung des Leiters der Kommission habe kein Mitgliedsland des Europarats effektive legislative und verwaltungstechnische Maßnahmen, um Menschen wirksam vor Menschenrechtsverletzungen durch Agenten ausländischer Geheimdienste zu schützen.

Der Entschließungsantrag fand die Zustimmung der Regierungsparteien und der SPÖ. (Schluss Europadebatte/Forts. NR)