Parlamentskorrespondenz Nr. 542 vom 06.06.2006

Österreich ist frei

Am 7. Juni 1955 ratifizierte der Nationalrat den Staatsvertrag

Wien (PK) – Lebhaft war ganz Österreich noch der Jubeltag vom Belvedere in Erinnerung, als die Außenminister der vier alliierten Mächte – John Foster Dulles für die USA, Harold MacMillan für Großbritannien, Antoine Pinay für Frankreich und Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow für die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken – im Marmorsaal des ehemaligen Sommerpalais von Prinz Eugen den Staatsvertrag unterzeichnet hatten. Zuletzt setzte auch Österreichs Außenminister Leopold Figl seine Unterschrift unter das Dokument, um daraufhin feierlich zu erklären: "Österreich ist frei." Dann trat die festliche Gemeinde auf den Balkon des Schlosses, um der im Park wartenden Menge das unterfertigte Vertragswerk zu präsentieren.

Damit freilich war dem Staatsvertrag noch nicht Gesetzeskraft erwachsen. Vielmehr musste dieser erst im Parlament behandelt und dort ratifiziert werden. Am 7. Juni 1955, in der 69. Sitzung der VII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates der Republik Österreich wurde der Vertrag in Verhandlung genommen. Lujo Toncic-Sorinj (V) übernahm dabei die Berichterstattung. Toncic-Sorinj (1915-2005) gehörte dem Nationalrat seit 1949 an, in der ÖVP-Alleinregierung sollte er 1966 zum Außenminister avancieren, ehe er 1969 bis 1974 als Generalsekretär des Europarates fungierte. In der Debatte ergriffen dann Franz Gschnitzer (ÖVP), Viktor Reimann (VdU), Fritz Stüber (o.F.), Johann Koplenig (KPÖ), Ernst Koref (SPÖ) und Franz Prinke (ÖVP) das Wort.

Toncic-Sorinj: Ein Volk, das zu sich selbst gefunden hat

Toncic-Sorinj rekapitulierte zunächst jene zehn Jahre, die zur Unterzeichnung des Dokuments geführt hatten und ging dann auf den konkreten Inhalt des Vertrages ein: "Der Vertrag heißt Staatsvertrag und nicht Friedensvertrag. Daraus wird ersichtlich, dass der Vertrag auf der Basis der Rechtskontinuität Österreichs steht." Der Zweck des Vertrages sei ganz klar ersichtlich: "Die Unabhängigkeit des Landes und der Schutz der Demokratie sind die beiden Grundtendenzen, der Hauptzweck dieses Vertrages, und zwar die Unabhängigkeit in politischer, in militärischer und in wirtschaftlicher Hinsicht." Es gehe also darum, so Toncic-Sorinj, festzustellen, inwieweit der Vertrag diese Postulate erfülle.

Nahe liegender Weise kam der Redner zu einer positiven Bilanz und empfahl die Annahme des Vertrages: "Der Staatsvertrag als Ganzes macht schon Österreich freier und unabhängiger als je seit dem Entstehen der Republik. Auch die geistige Situation des heutigen Österreich und vor allem des heutigen Österreichers ist eine andere als 1918. Nichts mehr vom Staat wider Willen, nichts mehr vom Provisorium, nichts mehr von nationalem Minderwertigkeitskomplex der Zwischenkriegszeit. Hier steht ein Volk, das zu sich selbst gefunden, seine Werte und seine europäische Mission erkannt hat. Wir, die Abgeordneten dieses Hauses, haben doch immer gewünscht, dass es uns vergönnt sein möge, diesen Tag zu erleben, diesen Tag, der uns manchmal sehr weit entfernt schien, aber auf den wir immer gehofft und an den wir immer geglaubt haben. Nun endlich ist die ersehnte Stunde gekommen!"

Franz Gschnitzer: Magna Charta für Österreichs Freiheit

Als erster Debattenredner ergriff sodann Franz Gschnitzer (V) aus Innsbruck das Wort. Gschnitzer (1899-1968) gehörte dem Nationalrat schon seit 1945 an. Seit 1928 war er Rechtsprofessor an der Innsbrucker Universität gewesen, dazu Mitglied des OLG Innsbruck und sogar Präsident des Obersten Gerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein. 1956 sollte er zum Staatssekretär im BKA avancieren, ehe er 1959 bis 1961 als Staatssekretär unter Außenminister Kreisky im Außenamt amtierte. Hernach wechselte er in den Bundesrat, wo er 1963 den Vorsitz übernahm, weshalb er auch der 8. Bundesversammlung vorsaß, in der Bundespräsident Schärf für eine zweite Amtszeit angelobt wurde.

Der Redner erklärte zu Beginn seiner Ausführungen, die zu beratende Regierungsvorlage sei keine "wie alle anderen", sie sei vielmehr "die Magna Charta für Österreichs Freiheit und Unabhängigkeit". Wenn er nun die Ehre habe, bei diesem so wichtigen Anlass seine Partei zu vertreten, dann wisse er die ÖVP mit dem Kanzler und dem Außenminister an der Spitze "in der Frage des Staatsvertrages eins mit dem ganzen österreichischen Volk". Dieses habe seine Zustimmung schon vielfach stürmisch bekundet, und so "obliegt es heute nur, diese Zustimmung in der verfassungsmäßigen Form zu bekräftigen".

Bitter beklagte sich Gschnitzer sodann, dass man Österreich zehn Jahre lang der Freiheit beraubt habe: "Unsere Appelle an Freiheit, an Gerechtigkeit und Recht verhallten vergebens, und als man sich endlich entschloss, uns das so lange Vorenthaltene zu geben, geschah es keineswegs aus Recht und Gerechtigkeit, sondern aus Erwägungen politischer Zweckmäßigkeit."

Auch verwahrte er sich gegen alle Behauptungen, Österreich trage eine Verantwortung für die Kriegsereignisse: "Österreich hat man unschuldig zum Kriegsverbrecher gestempelt. Zehn Jahre lang hat man die These aufrechterhalten, dass Österreich am Kriege teilgenommen und sich dadurch verantwortlich gemacht habe. Man widersprach damit den Tatsachen, denn damals hat Österreich nicht existiert. Wenn man der überwiegend angenommenen Okkupationstheorie folgt, war es seines Willens beraubt und völkerrechtlich nicht handlungsfähig. Wie konnte es sich da verantwortlich machen?"

Die Alliierten hätten mit dieser Handlungsweise ihren eigenen Thesen widersprochen, betonte der Abgeordnete, hätte doch die Moskauer Deklaration klar festgehalten, dass Österreich das erste freie Land gewesen sei, dass der Angriffspolitik Hitlers zum Opfer gefallen sei: "Wie kann dann das Opfer des Verbrechens zugleich der Verbrecher sein, wie kann der Ermordete zugleich der Mörder sein!"

Diese These von Österreichs Mitschuld sei jedoch nur deswegen aufrechterhalten worden, weil sich darauf all die Lasten begründet hätten, die man Österreich all die Jahre aufgebürdet habe, hielt der Mandatar fest, der sich glücklich darüber zeigte, dass es nun doch noch gelungen sei, "diese Diskriminierungen zu Fall zu bringen".

Das Agieren der Alliierten habe dem Gefühl der Befreiung bald Ernüchterung folgen lassen, erinnerte Gschnitzer: "1945, als mit der Stunde des Friedens auch die Stunde der Freiheit für uns zu kommen schien, da waren wir den Alliierten ehrlich dankbar. Aber wir sind bald schlimm enttäuscht worden. Erst jetzt, zehn Jahre später, soll nun wirklich die Stunde des Friedens und der Freiheit uns schlagen." Das Volk habe ob dieser Nachricht getanzt, denn: "Ist es ein Wunder, wenn sich die Erleichterung Luft macht? Denn froh und erleichtert sind wir alle. Aber dankbar? Das, glaube ich, wäre zuviel verlangt."

Immerhin aber sei der Staatsvertrag, so Gschnitzer weiter, die Basis für eine eigenständige Entwicklung Österreichs, mit dem "das richtige Leben erst" anfange. Dennoch enthalte das Dokument einige Punkte, die keinen Anlass zu Freude böten. Doch diese müsse man in Kauf nehmen, gehe es doch diesmal "wirklich ums Ganze": "Wir können im einzelnen manches auszusetzen finden, das Ganze aber müssen wir unbedingt bejahen. Es geht um Sein oder Nichtsein unseres Landes." Und wenn der Vertrag nun in Kraft trete, dann könne man sagen, Österreich ist "ungeteilt und frei".

Viktor Reimann: Zwar nicht frei, aber immerhin auf freiem Fuß

Seitens des VdU ergriff nun Viktor Reimann das Wort. Reimann (1915-1996) war bereits mit 30 Jahren stellvertretender Chefredakteur der "Salzburger Nachrichten" geworden und zog im Zuge der Neuformierung des "dritten Lagers" 1949 für den VdU in den Nationalrat ein. Ein Jahr später hatte er die Chefredaktion des Parteiorgans "Neue Front" übernommen, später sollte er Kolumnist für die "Kronen-Zeitung" werden.

Reimann ging pragmatisch an die Dinge heran: "Wir stimmen dem Staatsvertrag zu, nicht, weil wir ihn für einen guten oder gerechten Vertrag halten, sondern einfach deshalb, weil er besser als gar keiner ist und weil der Zustand, den er herbeiführt, vorteilhafter ist als der, in dem wir uns bis jetzt befunden haben."

Der Abzug der Besatzungstruppen, die Befreiung der Bevölkerung von der Angst, das Land könnte geteilt werden und sie "eines Morgens in Sibirien" aufwachen, die Heimkehr der Kriegsgefangenen und das "Aufbrechen der Kerkerpforten" seien, so Reimann, "große Opfer wert". Man sei mit diesem Vertrag zwar nicht wirklich frei, aber wenigstens auf freiem Fuß.

Dennoch, so betonte Reimann, müsse man bei all dem Jubel sehen, dass dieser Vertrag ein schlechter sei. Er setze sich vielfach über als verbindlich angesehenen Grundsätze wie Rechtsgleichheit, Selbstbestimmungsrecht, Souveränität und Unantastbarkeit des Privateigentums hinweg. Österreich müsse auf Südtirol verzichten, verliere das österreichische Eigentum in Jugoslawien und falle durch diesen Vertrag unter angelsächsisches "Beuterecht", wiewohl dieses der Haager Landkriegsordnung widerspreche: "Dieses angelsächsische Recht aber, dessen Wurzeln, wie Rechtskundige behaupten, im Piratenwesen liegen sollen, bedeutet für unsere Zeit nichts anderes als einen Rückfall in die Barbarei."

Mit diesen Worten beklagte der Redner massive Eingriffe in private Besitzrechte, verzichte Österreich doch auf alle Werte, die ihm 1938 genommen wurden: "Es verzichtet sogar auf die Forderungen, die Privatpersonen zu stellen haben." Deshalb, so Reimann, müsse schnellstens ein Gesetz beschlossen werden, das die Entschädigungspflicht der Regierung regle. Punkt für Punkt ging Reimann sodann auf einzelne Vertragskapitel ein, die Österreich und seiner Bevölkerung seiner Meinung nach zum Nachteil gereichten.

Österreich müsste daher nach dieser Sachlage den Staatsvertrag wie im Jahre 1919 den Vertrag von St. Germain nur unter Protest annehmen: "Die Politik ist jedoch nichts Starres und ein Vertragswerk nichts Ewiges. Lebendige Entwicklungen setzen oftmals von selbst Buchstaben außer Kraft. Gegenüber Jalta, Potsdam und Berlin bedeuten jedoch die Vereinbarungen von Wien zweifellos einen Fortschritt. Wir können nur hoffen, dass sich in der weltpolitischen Entwicklung die Erkenntnis durchsetzt, dass besser als alle Neutralitätsgürtel freie Völker den Frieden sichern."

Und so schloss Reimann optimistisch: "Die Tatsache, dass scheinbar unlösbare Probleme – und als solches wurde Österreich durch die Jahre hindurch angesehen – doch gelöst werden können, berechtigt zu dem Glauben, dass der Friede dieser Welt und die Freiheit der Völker doch noch zu erreichen sind und dass wir das Land unserer Hoffnung, das vereinte Europa, noch erleben werden."

Fritz Stüber: Schwere Bedenken gegenüber dem Staatsvertrag

Gleich nach Reimann meldete sich sein ehemaliger Fraktionskollege Fritz Stüber zu Wort, der als ausgewiesener Gegner des Vertragswerks bekannt war. Stüber (1903-1978) war frühzeitig in das Umfeld des Nationalsozialismus gekommen und hatte die Kriegsjahre als Journalist diverser NS-Gazetten zugebracht. Bei der Formierung des VdU stand er an dessen rechtem Rand, und so war er 1953 aus dem Klub des VdU ausgetreten, da dieser ihm zu wenig "national" erschienen war.

Stüber ließ denn auch kein gutes Haar an dem Vertragswerk. Der Vertrag nutze nur den Sowjets, beraube Österreich wichtigster Grundrechte und prolongiere die Unsicherheit, in der das Volk leben müsse, "solange unsere Hauptstadt im Feuerbereich der sowjetischen Feldartillerie von der ungarischen Grenze her liegt."

Der Vertrag stelle vielleicht keine Absage an Europa dar, aber auch hier "kann ich mich des beklemmenden Gefühls nicht erwehren, dass wir etwas vorschnell einen Weg beschreiten, von dem es kein Zurück mehr gibt und der leicht zu einem Abenteuer führen kann."

Realiter stieß sich Stüber aber vor allem am "Anschlussverbot", denn, so Stüber, "als Angehörige desselben Volkstums" sei die Trübung eines solchen Verhältnisses "weder im österreichischen noch im deutschen und schon gar nicht im europäischen Interesse gelegen". Auch in Hinkunft dürfe österreichisches Staatsbewusstsein und deutsches Volksbewusstsein kein Gegensatz sein, meinte der Redner, welcher der "These, dass die Österreicher keine Deutschen, sondern ein Mischvolk sui generis seien", eine klare Absage erteilte. In diesem Zusammenhang sei auch die Zustimmung zum Verlust Südtirols ein Vertragsartikel, den er nicht akzeptieren könne. Schließlich kritisierte er auch die Auflagen, die Österreich hinsichtlich seiner militärischen Bewaffnung auferlegt wurden.

Er könne aus all diesen Gründen diesem Vertrag die Zustimmung nicht geben, erklärte Stüber. Dennoch wolle er dem Nationalrat nicht die Möglichkeit nehmen, "einen einstimmigen Ratifizierungsbeschluss zu fassen. Ich werde mich daher bei der Abstimmung aus dem Saale entfernen."

Johann Koplenig: Ein neuer Abschnitt in der Entwicklung Österreichs

Für die KPÖ ergriff nun Johann Koplenig das Wort. Koplenig (1891-1968) war seit 1924 Vorsitzender dieser Partei und hatte 1945 als Vizekanzler amtiert. Der Klubobmann der Kommunisten sprach der Sitzung des Nationalrates eine historischen Bedeutung zu: "Mit der Ratifizierung des Staatsvertrages beginnt ein neuer Abschnitt in der Entwicklung unseres Landes. Für Österreich eröffnen sich jetzt neue große Möglichkeiten seines wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufstieges."

Auf Grund der in Moskau getroffenen Vereinbarungen, denen sich auch die Westmächte angeschlossen hätten, werde Österreich eine Politik der strikten Neutralität führen. Diese werde es ermöglichen, das Land aus internationalen Konflikten und Auseinandersetzungen herauszuhalten: "Ein unabhängiges und demokratisches Österreich kann und wird wesentlich dazu beitragen, die Sache des Friedens in Europa zu festigen und zu stärken."

Im Gegensatz zu seinen Vorrednern sah Koplenig in den einschränkenden Formulierungen des Staatsvertrages für Österreich einen Vorteil. Die Bestimmungen über die Entfaltung des demokratischen Österreich seien Ausdruck dafür, dass man aus der politischen Entwicklung der Ersten Republik Schlüsse gezogen habe. Durch den Weg in die Diktatur habe man die Unabhängigkeit Österreich untergraben und den Feinden des Landes den Weg geebnet: "Unter Berücksichtigung dieser Erfahrungen besteht kein Zweifel, dass das österreichische Volk diese Bestimmungen des Staatsvertrages über die Sicherung der Demokratie als eine zusätzliche Garantie für die Unabhängigkeit des Landes begrüßen wird." Dazu zähle auch, so Koplenig, das Verbot eines Anschlusses an Deutschland.

Die Ratifizierung des Vertrags bedeute vor diesem Hintergrund "die entscheidende Willensäußerung des Parlaments, dass Österreich auch immer unabhängig von Deutschland wie auch von allen anderen Ländern sein will, dass es als selbständiger Staat seinen eigenen Weg gehen will." So gesehen sei dieser Vertrag auch eine eindeutige Absage an die Begehrlichkeiten der "westdeutschen Militaristen und der Ruhrkapitalisten", denen es nur darum gehe, "entscheidende Teile der österreichischen Wirtschaft unter ihre Kontrolle zu bringen". Umso mehr begrüße seine Fraktion daher "die klare und eindeutige Stellungnahme der Deutschen Demokratischen Republik, die die Wiederherstellung eines demokratischen und unabhängigen Österreich durch den Staatsvertrag begrüßt und immer erklärt hat, dass sie keinerlei wirtschaftliche Forderungen an Österreich habe".

Wirtschaftliche Themen waren es denn auch, denen Koplenig sodann sein Augenmerk widmete. Er zog eine durchwegs positive Bilanz der in dem Vertrag enthaltenen Bestimmungen und sah damit die Grundlagen zu einer gedeihlichen und prosperierenden Entwicklung der heimischen Volkswirtschaft gelegt. Diese günstigen Perspektiven enthielten aber auch eine Verpflichtung: "Den Arbeitern und Angestellten darf nun nicht mehr länger ihr gebührender Anteil an der gestiegenen Produktion vorenthalten werden." Der Hebung des Lebensstandards der werktätigen Bevölkerung, auch durch "menschenwürdige Renten", müsse nunmehr oberste Priorität eingeräumt werden, forderte der Redner, der auch eine adäquate Bodenreform einmahnte.

Nachdem Koplenig sich gegen eine Wiederbewaffnung ausgesprochen und zur Frage, ob Österreich ein Bundesheer installieren solle, eine Volksabstimmung verlangt hatte, schloss er seine Rede mit einem optimistischen Resümee. Mit dem Staatsvertrag werde "eine neue Atmosphäre in unserem Land geschaffen, die unser Volk mit neuem Optimismus und neuer Zuversicht erfüllt. Wir wünschen und wir hoffen, dass der österreichische Staatsvertrag eine neue Ära der friedlichen Entwicklung in Europa einleiten wird."

Ernst Koref: Eine neue Ära in der Geschichte Österreichs

Nun trat Ernst Koref für die SPÖ ans Rednerpult. Koref (1891-1988) hatte als einer der wenigen Abgeordneten schon in der Ersten Republik dem Nationalrat angehört. Seit 1945 war er zudem Bürgermeister von Linz und Parteichef der oberösterreichischen Sozialdemokraten. Für seine Partei signalisierte er vorbehaltlose Zustimmung zu dem Vertragswerk. Die Freude über die wiedererlangte Souveränität "soll nur gepaart sein mit dem ernsten Bewusstsein, dass mit dem heutigen Tage eine neue Ära in der Geschichte Österreichs anhebt."

Koref ging auf die vergangenen 17 Jahre ein, die dem Volk Krieg, Not und Leid gebracht hätten. Man müsse aus der Geschichte lernen, müsse Lehren ziehen aus dem, was man falsch gemacht habe. Dann stehe einer Wendung zum Guten nichts im Wege: "Der Weg in die Zukunft ist nicht nur frei, er muss klar vor unseren Augen stehen."

Der Redner setzte sich sodann mit den einzelnen Abschnitten des Vertrages auseinander und sah gleich seinem Vorredner Grund zu Zuversicht und Optimismus: "So werden sich also unsere Hoffnungen bald erfüllen, und damit wird Österreich seine alte Mission als Brücke und Mittler zwischen Ost und West wieder aufnehmen können."

Der Staatsvertrag sei das zweifellos wichtigste Ereignis seit 1945. Von St. Germain bis vor die Tore des Belvederes habe ein Leidensweg, ein Golgatha, geführt, eine ereignisreiche, bewegte Geschichte mit manchen bitteren, traurigen Episoden. Der Staatsvertrag sei die Beendigung der Tragödie und ein Vertrag unter Gleichen: "Lernen wir nunmehr aus der Geschichte! Wir wissen nun, dass Österreich lebensfähig ist und dass für Kleinmut, Lethargie und Verzweiflung kein Anlass besteht, dass wir wirklich imstande sind, unsere Zukunft selbst zu gestalten."

Die Neutralität sei dabei gewisslich kein Hindernis, zumal die wirtschaftlichen Voraussetzungen Österreichs noch "günstiger sind als für die Schweiz", nach deren Vorbild man die Neutralität gestaltet habe. Man wolle in der Völkerfamilie den gebührenden Platz einnehmen, um an einer konstruktiven Friedenspolitik mitwirken zu können. So sei es ihm "Ehre und Auszeichnung", in dieser "wahrhaft historischen, denkwürdigen Sitzung" die Zustimmung seiner Fraktion zur Ratifikation des Vertrages erklären zu können: "In aufrichtiger innerer Bewegtheit spreche ich den Wunsch aus: es lebe das freie Österreich in einer friedlichen Welt."

Staatsvertrag vom Nationalrat einstimmig genehmigt

Nachdem schließlich noch Abgeordneter Franz Prinke (1898-1969) als zweiter Redner der ÖVP das Wort genommen hatte, war die Debatte geschlossen, und der Präsident schritt zur Abstimmung. Er verwies darauf, dass nur über das gesamte Vertragskonvolut en bloc abgestimmt werden könne, wozu verfassungsgemäß eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sei. Wenig später konnte der Präsident verkünden: "Ich stelle fest, dass die Genehmigung des Staatsvertrages einstimmig erfolgt ist." Das Protokoll hielt an dieser Stelle "starken Beifall bei ÖVP, SPÖ und KPÖ" fest.

Der Staatsvertrag hatte die parlamentarische Hürde genommen, Leopold Figls Worte galten nun auch im rechtlichen Sinne. Österreich war frei. (Schluss)