Parlamentskorrespondenz Nr. 590 vom 21.06.2006

Deregulierung und Klassenschüler-Höchstzahl

Nationalrat setzt Gesetze außer Kraft

Wien (PK) – Die Debatte über das Deregulierungsgesetz 2006 in der Sitzung des Nationalrats geriet über weite Strecken zu einer Diskussion über Schulfragen, insbesondere über die Frage der Klassenschüler-Höchstzahl. Gleich zu Beginn legte Abgeordneter AMON (V) einen Entschließungsantrag der Regierungsparteien vor, mit dem die Bundesregierung ersucht wird, mit den Ländern und Gemeinden über eine Neuregelung der Methode zur Berechnung der Lehrerplanstellen im Pflichtschulbereich zu sprechen. Dabei soll auf Basis gesicherter Ressourcen die Möglichkeit erörtert werden, die Klassenschülerhöchstzahl auf einen Richtwert von 25 abzusenken. Bauliche Gegebenheiten, bestehende Klassenverbände und autonome Entscheidungsmöglichkeiten über die Organisation von Klassen- und Gruppengrößen sollen berücksichtigt werden.

Die SPÖ, die eine Änderung des Schulorganisationsgesetzes beantrage, erinnerte Amon daran, dass auch sozialdemokratische Landeshauptleute den geltenden Finanzausgleich unterschrieben haben. Es wäre unfair, würde man diese Vereinbarung jetzt aufschnüren. Es sei vielmehr notwendig, gemeinsam eine dauerhafte Lösung mit den Ländern und Gemeinden herbeizuführen, schloss Amon.

Abgeordneter DDr. NIEDERWIESER (S) brachte seinerseits einen Entschließungsantrag mit dem Ziel einer Senkung der Klassenschülerhöchstzahl auf maximal 25 SchülerInnen pro Klasse in allen Schularten ein und forderte die Bildungsministern auf, die dafür notwendigen LehrerInnen-Dienstposten zur Verfügung zu stellen sowie ein adaptiertes Schulentwicklungs- und Bauprogramm für die Allgemeinbildenden und Berufsbildenden Höheren Schulen zu erarbeiten. Für Sonderschulen und integrativ geführte Klassen seien Reduzierungen im Ausmaß von 20 % vorzunehmen.

Der Bildungssprecher der SPÖ begründete seinen Antrag mit dem Argument, die Schüler könnten in Klassen mit mehr als 30 Schülern nicht optimal gefördert werden. Der von den Regierungsparteien vorgelegte Antrag könne das Ziel einer Senkung der Klassenschülerhöchstzahl nicht erreichen, weil er lediglich auf Gespräche, nicht einmal auf Verhandlungen ausgerichtet sei.

Abgeordnete ROSSMANN (F) nannte die Ausführungen ihres Vorredners nicht überzeugend und warf der SPÖ vor, Oppositionspolitik auf Biegen und Brechen zu betreiben, selbst dann, wenn gute Vorschläge der Koalitionsparteien vorliegen. Der Antrag der SPÖ gelte nicht für Wien, hielt Rossmann fest und betonte, dass es notwendig sei, Maßnahmen gegen die Überschreitung der Klassenschülerhöchstzahlen im urbanen Bereich sowie in vielen AHS und BHS zu setzen, weil dort das Gewaltpotential unter den Schülern zunehme. Solche Maßnahmen brauchten aber Zeit, weil auf bauliche Maßnahmen Rücksicht zu nehmen sei.

Abgeordneter BROSZ (G) thematisierte nochmals den Finanzausgleich und meinte, auf den Landeshauptleuten wäre ein großer Druck gelegen, Einsparungen zu erzielen. Da sie diese Einsparungen weder bei der Wohnbauförderung noch im Gesundheitswesen durchführen wollten, seien die Pflichtschulen übrig geblieben. Dieses schwere Versäumnis der SPÖ-Landeshauptleute hätten die Grünen immer wieder scharf kritisiert. Brosz warf der Bundesregierung vor, die Verantwortung fälschlicherweise auf die Länder abschieben zu wollen, obwohl seit Jahrzehnten das Budget für die Personalkosten der Pflichtschulen im Bundesbudget verankert ist. Im Jahr 2004 seien für die Pflichtschulen 2,68 Mrd. € budgetiert gewesen, 2006 nur mehr 2, 58 Mrd. €. Jahr für Jahr würden 4 % der LehrerInnenposten gestrichen. Daher sei eine Budgeterhöhung notwendig. Durch die geringen SchülerInnenzahlen wäre eine generelle Senkung der KlassenschülerInnenhöchstzahlen ohne allzu viele Mehrausgaben möglich meinte Brosz und brachte in diesem Zusammenhang einen Entschließungsantrag betreffend Senkung der KlassenschülerInnenhöchstzahl auf 25 ein.

Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V) wandte sich dem Deregulierungsgesetz 2006 zu, das er als ein wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort Österreich bezeichnete. Für die Wirtschaft sei es wesentlich, nicht nur Steuern zu senken, sondern auch unnötige Regulierungen aufzuheben. Damit stehe man im Gleichklang mit der EU, wo man den Verwaltungsaufwand um 25 % zu senken beabsichtigt. Peile man diese Senkung um 25 % auch in Österreich an, entstünden um 2 Mrd. € weniger Kosten, rechnete Stummvoll vor, es würde zu einem Wachstumsschub von 1,5 % des BIP kommen und die Arbeitsproduktivität würde um 1,7 % steigen.

Abgeordneter PRÄHAUSER (S) äußerte die Vermutung, dass die Regierungsfraktionen die Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen eigentlich nicht umsetzen wollen. Dies sei aus dem Antrag herauszulesen, weshalb die SPÖ diesen nicht mittragen könne. Die SPÖ hingegen wolle die Senkung sofort wirksam machen und alles tun, um die Bildungsergebnisse endlich erkennbar zu bessern. Er sah in dieser Frage Gefahr in Verzug, vermisste aber den politischen Willen der Regierung.

Abgeordneter BUCHER (F) meinte, die Regierung beweise mit dem Deregulierungsgesetz, dass sie alles daran setze, die Gesetze modern und zukunftsorientiert zu gestalten. Dieses Prinzip der "less and better regulations" komme der Wirtschaft zugute.

Abgeordnete Dr. MOSER (G) kündigte die Zustimmung der Grünen zum Deregulierungsgesetz in dritter Lesung an, sie urgierte jedoch eine Novellierung des Postgesetzes. Dieses hat der Verfassungsgerichtshof in Bezug auf die Kostentragung für die neuen Hausbrieffachanlagen wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben. Moser brachte daher einen Entschließungsantrag ein, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, ehebaldigst eine verfassungskonforme und gerechte Neuregelung der Kostentragung für neue Hausbrieffachanlagen vorzulegen, die die nutznießenden neuen Post-Marktteilnehmer anstelle der bisher verfassungswidrig zur Kasse gebetenen Hauseigentümer in die Pflicht nimmt. Die Grünen sprechen sich auch dafür aus, dass die bereits entstandenen Kosten für Hauseigentümer rückerstattet werden.

Abgeordnete TAMANDL (V) sah in der Globalisierung nicht nur enorme Chancen, sondern auch neue Herausforderungen, denen der Staat durch ein gesundes Budget, eine schlanke Verwaltung und die Konzentration auf soziale Kernbereiche begegnen müsse. In diesem Sinn sei auch das vorliegende Deregulierungsgesetz zu sehen. Die Rechtsbereinigung sei eng verknüpft mit einer besseren Gesetzgebung, der Zweck der Deregulierung könne nicht nur die Aufhebung von Gesetzen sein, sagte sie, Deregulierung müsse auch in einem qualitativen Sinn verstanden werden.

Abgeordneter Mag. DONNERBAUER (V) betrachtete das vorliegende Gesetz als eine Zwischenetappe und sprach sich für eine weitere systematische Durchforstung aus. Wichtig wäre ihm aber, die Gesetzesfolgenabschätzung weiter zu entwickeln, da hier ein großes Potenzial an Einsparungen für die Volkswirtschaft sowie eine bessere Entwicklung des Wirtschaftsstandortes liege.

Auch Abgeordneter SCHEIBNER (F) maß der Gesetzesfolgenabschätzung einen hohen Stellenwert bei. Er bedauerte, dass es weder im Verfassungskonvent noch im Besonderen Ausschuss gelungen sei, eine Einigung über die Rechtsbereinigung zu erzielen. Er nannte in diesem Zusammenhang rund 1.400 Verfassungsbestimmungen, die obsolet sind.

Abgeordneter DONABAUER (V) merkte an, dass mit dem vorliegenden Deregulierungsgesetz die im Jahr 2000 eingeleiteten Maßnahmen fortgesetzt werden. Sein Anliegen sei es, in Zukunft eine bessere Abstimmung mit den Gebietskörperschaften vorzunehmen und auch mit der EU besser zu koordinieren. Die bald zu Ende gehende EU-Ratspräsidentschaft bezeichnete er als gelungen, weil es Mut zu Lösungen gegeben und die Regie gut funktioniert habe. Besonders hob er die Subsidiaritätskonferenz in St. Pölten hervor, von der gute Botschaften ausgegangen seien.

Abgeordneter SIEBER (V) thematisierte das Richtwertgesetz. Dieses genieße allgemeine Anerkennung. Die Richtwerte hätten sich bewährt, weshalb sich der Beirat erübrigt habe.

Abgeordneter BROUKAL (S) wies darauf hin, dass sich vier Landesorganisationen der ÖVP für eine Senkung der KlassenschülerInnenhöchstzahlen ausgesprochen haben. Er lud daher die ÖVP-Abgeordneten aus den Bundesländern Steiermark, Niederösterreich, Wien und Burgenland ein, dem SPÖ-Antrag zuzustimmen.

Das Deregulierungsgesetz 2006 wurde in dritter Lesung einstimmig angenommen. Die Abstimmung in zweiter Lesung erfolgte teils einstimmig, teils mit V-F-Mehrheit.

Der V-F-Entschließungsantrag der Abgeordneten Werner Amon und Mares Rossmann betreffend Evaluierung des Finanzausgleichs für den Bereich des Lehrerpersonals an Pflichtschulen sowie darüber hinaus eine Evaluierung für alle weiteren Schularten mit dem Ziel legistischer Maßnahmen zu einer Absenkung der Klassenschülerhöchstzahlen auf einen Richtwert von 25 auf Basis gesicherter Ressourcen wurde nach einer namentlichen Abstimmung mit 91 Ja-Stimmen und 82 Nein-Stimmen mehrheitlich angenommen.

Der S-Entschließungsantrag des Abgeordneten Erwin Niederwieser betreffend Senkung der KlassenschülerInnen-Höchstzahl wurde nach einer namentlichen Abstimmung mit 81 Ja-Stimmen und 93 Nein-Stimmen mehrheitlich abgelehnt.

Der G-Entschließungsantrag des Abgeordneten Dieter Brosz betreffend Senkung der KlassenschülerInnenhöchstzahl auf 25 wurde mit den Stimmen von ÖVP und F mehrheitlich abgelehnt.

Der G-Entschließungsantrag der Abgeordneten Gabriela Moser betreffend verfassungskonforme und gerechte Neuregelung der Kostentragung für neue Hausbrieffachanlagen wurde mit V-F-Mehrheit abgelehnt.

(Schluss Deregulierung/Forts. NR)