Parlamentskorrespondenz Nr. 640 vom 04.07.2006

EU-Unterausschuss diskutiert Subsidiaritätsprüfungsverfahren

Derzeit keine Chance für europaweite Volksabstimmungen

Wien (PK) – Die Schlussfolgerungen der COSAC (Konferenz der Europaausschüsse der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments) zur Subsidiarität, der Monitoring-Bericht der EU-Kommission über den Stand der Beitrittsvorbereitungen in Bulgarien und Rumänien sowie die erfolgte Einigung über die Dienstleistungsrichtlinie standen heute auf der Tagesordnung des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union unter Vorsitzführung von Abgeordnetem Werner Fasslabend. Erstmals waren auch die Vorsitzenden der Europa-Ausschüsse der Landtage eingeladen.

Zur Frage des Subsidiaritäts- und Proportionalitätsprüfungsverfahrens gab es zwar von allen Seiten grundsätzliche Zustimmung. SPÖ und Grüne wandten jedoch ein, derzeit gebe es für das Parlament im Rahmen des Hauptausschusses ohnehin Möglichkeiten, an der EU-Gesetzgebung mitzuwirken. Diese Instrumente würden jedoch nicht genützt. Demgegenüber hielt Abgeordneter Werner Fasslabend aus seiner Sicht fest, die systematische frühe Befassung der nationalen Parlamente und die Selbstverpflichtung der Kommission, bei geäußerten Bedenken eine begründete Antwort zu geben, bringe einen großen Fortschritt hin zum gemeinsamen Projekt Europa.

Subsidiaritätsprüfung – mehr Aufgaben für nationale Parlamente

Die Diskussion zu diesem Thema wurde durch ein Statement von Staatssekretär Hans Winkler eingeleitet. Subsidiarität sei ein für die Bürgerinnen und Bürger wichtiges Instrument, sagte er, zugleich aber auch ein "sperriges Thema", das man nur schwer vermitteln könne. Das Subsidiaritätsprinzip durchzusetzen, sei ein jahreslanges Anliegen und gehe auf den Vertrag von Maastricht zurück. Die Protokolle zum Amsterdamer Vertrag hätten weitere Verbesserungen gebracht. Österreich habe unter dem Aspekt des Verfassungsvertrags, der Bürgernähe und der Notwendigkeit von better regulations die Frage der Subsidiarität zu einem Schwerpunktthema seiner Ratspräsidentschaft gemacht und zur Konferenz nach St. Pölten eingeladen, wo nach einer intensiven Befassung mit dem Thema sehr brauchbare Vorschläge gemacht worden seien.

Winkler wandte sich gegen den Vorwurf, man wolle aus dem Entwurf für eine EU-Verfassung die Rosinen herauspicken. Vielmehr beabsichtige man, praktische Verbesserungen im Rahmen der geltenden Verträge zu erzielen. Dies sei durch die Selbstverpflichtung der Kommission gelungen, auf Grund des Artikel 9 des Amsterdamer Vertrages, die nationalen Parlamente sofort und direkt über Gesetzesvorhaben zu informieren und bei Bedenken der nationalen Parlamente begründete Antworten zu übermitteln. Damit erreiche man mehr Transparenz, betonte Winkler.

Abgeordneter Caspar Einem (S) zeigte sich in seiner Beurteilung des Subsidiaritäts- und Proportionalitätsprüfungsverfahrens weniger überzeugt. Schon jetzt stünde es der Regierung im Rat frei, Bedenken zu artikulieren. Das Verfahren sei kein wirklicher Fortschritt, da es nur gegen die EU gehen könne, meinte Einem, und damit bringe es auch gewisse Gefahren mit sich. Außerdem werde das Verfahren, wenn man es ernst nimmt, außerordentlich viel Arbeit bedeuten, und man könne das Parlament damit auch völlig "zudecken". Dennoch stimme er dem Verfahren zu, weil es die Türen dafür öffne, "dort etwas zu sagen, wo es etwas zu sagen gibt".

Ähnlich argumentierte Abgeordnete Ulrike Lunacek (G). Solange man die Instrumente, die man ohnehin habe, in der angemessenen Form nicht nütze, halte sie den direkten Weg zur Kommission für einen Umweg, da der Ansprechpartner für das Parlament immer noch die Bundesregierung bleibe. Für sie ist es auch fraglich, ob man dadurch den Interessen der Bundesländer und der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich näher komme. Sie befürchtete auch, dass in Hinkunft zu wenig Druck vorhanden sei, an der Verfassung weiterzuarbeiten, wenn man Teile der Verfassung herauspickt.

Demgegenüber begrüßte Abgeordneter Werner Fasslabend (V) das anlässlich der letzten COSAC-Konferenz einstimmig verabschiedete Schlussdokument sowie die Beschlüsse des Europäischen Rats und der Kommission zur Durchführung der Subsidiaritäts- und Proportionalitätsprüfung. Damit bestehe eine Chance, eine enge und intensive Diskussion zwischen nationaler und europäischer Ebene herbeizuführen. Fasslabend erinnerte in diesem Zusammenhang nochmals an die Subsidiaritätskonferenz in St. Pölten, die international ein äußerst positives Echo hervorgerufen hatte und deren Ergebnisse auch im Abschlussdokument des Europäischen Rats Eingang gefunden haben.

Auch sein Klubkollege Karl-Heinz Dernoscheg bezeichnete die Frage der Subsidiarität und Proportionalität als wesentlich für jeden, der Europa weiterbringen möchte. Dabei sollte man auch nicht den psychologischen Aspekt der Politik für die Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung unterschätzen, merkte er an.

Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) bedauerte den mangelnden Fortschritt in der, wie er sagte, entscheidenden Zukunftsfrage des Verfassungsvertrags. Das Frühwarnsystem wäre ein Fortschritt gewesen, aber kein entscheidender, so seine Auffassung. Die Versuche, auch die Bundesländer mit einzubeziehen, seien leider chancenlos gewesen, deshalb müsste man nun den Bundesrat entsprechend umgestalten. Trotz Frühwarnsystem bleibe die entscheidende Ebene der Rat der EU, und man müsse darauf achten, so Bösch, dass dort das Einstimmigkeitsprinzip bei wichtigen Punkten auch in Zukunft Geltung hat.

In der weiteren Diskussion sprach LAbg. Michael Neureiter (Salzburg) die Einbindung der Landtage in das Subsidiaritätsprüfungsverfahren an und äußerte Zweifel, ob der Begriff "Frühwarnsystem" glücklich gewählt sei.

LAbg. Peter Kaiser (Kärnten) sicherte die Mitwirkung des Kärntner Landtages in der Pilotphase zu, um zu überprüfen, inwieweit man in der Lage sein wird, nicht nur die Quantität zu bewältigen, sondern auch die geforderte Qualität zu erbringen. Dafür seien wahrscheinlich die vorhandenen Ressourcen zu gering, bemerkte er.

LAbg. Hans Kohler (Vorarlberg) berichtete über die Erfahrungen des Vorarlberger Landtages aus der Mitwirkung am ersten Testlauf zum Thema Luftreinhaltung. Man habe daraus ebenfalls die Erkenntnis gewonnen, dass die Ressourcen nicht ausreichen werden. In Vorarlberg überlege man sich auch, den Europa-Ausschuss zu einem ständigen Ausschuss zu erklären. Kohler hielt es auch für falsch, im geplanten Subsidiaritäts- und Proportionalitätsprüfungsverfahren zehn verschiedene Stellungnahmen, nämlich aus den neun Bundesländern und aus dem Nationalrat, zu erarbeiten. Vielmehr brauche man ein innerstaatliches Koordinationsgremium, sagte er, und diese Rolle sollte der Bundesrat übernehmen. Dafür müsste man ihn aber auch stärken. Grundsätzlich hielt er es für notwendig, möglichst früh jene Ebenen einzubinden, die für die Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften verantwortlich sind, um überschießende Regelungen zu verhindern.

LAbg. Kurt Stürzenbecher (Wien) äußerte sich zwar positiv zur Subsidiarität, meinte aber, dass die geplanten Verfahren auf Grund ihrer "Relativität und Nebulosität" nichts Substantielles ändern werden.

Staatssekretär Hans Winkler unterstrich abschließend die Wichtigkeit der Einbindung der regionalen und lokalen Ebene. Abgeordneter Werner Fasslabend (V) ging nochmals auf das Subsidiaritätsprüfungsverfahren ein und gab bekannt, dass man während der finnischen Präsidentschaft beabsichtige, zwei Prüfungsverfahren vorzunehmen, und zwar zum Thema Postliberalisierung und zum Scheidungsrecht. Dies hänge aber vom Zeitpunkt der Vorlage ab, sagte er, wobei nach Informationen die Scheidungsrichtlinie im Juli zu erwarten ist, die Vorlagen zur Post aber erst am Jahresende fertig gestellt werden könnten.

Europaweite Volksabstimmung – die Zeit ist noch nicht reif

Eine kurze Diskussion entwickelte sich auch über die Frage einer europaweiten Volksabstimmung, nachdem sich Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) nach Vorlage eines neuen Verfassungsvertrags für 25 nationale Volksabstimmungen ausgesprochen hatte. Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) lehnte dies ab und trat für eine europaweite Volksabstimmung ein. Sie erinnerte daran, dass ein solches europaweites Referendum im Konventsentwurf enthalten gewesen war, die Passage jedoch vom Europäischen Rat entfernt worden sei.    Abgeordneter Karl-Heinz Dernoscheg (V) wiederum bemerkte, Bundeskanzler Schüssel habe sich bereits mehrmals für eine solche europaweite Abstimmung ausgesprochen. Gegen Volksabstimmungen in jedem einzelnen Mitgliedstaat war auch LAbg. Kurt Stürzenbecher (Wien). Eine gesamteuropäische Volksabstimmung könnte man durchaus mit dem Erfordernis der doppelten Mehrheit, der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger und der Mehrheit der Staaten versehen, sagte er.

Staatssekretär Hans Winkler machte darauf aufmerksam, dass für eine europaweite Volksabstimmung eine Änderung des Primärrechts notwendig wäre, was wahrscheinlich allein für diese Novellierung in einigen Staaten eigene Volksabstimmungen erforderlich machte. Es werde daher in nächster Zeit kaum gelingen, ein solches europaweites Referendum zu verankern, zumal man sich nicht einmal darauf habe einigen können, die Volksabstimmungen über den Verfassungsvertrag an einem Tag durchzuführen. Irgendwann werde die Zeit einmal reif sein, dies sei aber heute nicht der Fall, bedauerte der Staatssekretär. (Fortsetzung)