Parlamentskorrespondenz Nr. 643 vom 04.07.2006

EU-Unterausschuss diskutiert Dienstleistungsrichtlinie

Regierung begrüßt Erfolg - Opposition bleibt skeptisch

Wien (PK) – Letztes Thema des heutigen EU-Unterausschusses betraf die Einigung über die Dienstleistungsrichtlinie im Europäischen Parlament und im Rat der EU. Während Abgeordneter Werner Fasslabend (V) die Einigung über die Dienstleistungsrichtlinie als den größten Erfolg der österreichischen Präsidentschaft bezeichnete, äußerten die Abgeordneten Caspar Einem (S) und Ulrike Lunacek (G) Befürchtungen, die Kontrollinstrumente könnten aufgeweicht werden. Sie gaben aus ihrer Sicht zu bedenken, dass das Herkunftslandprinzip nicht klar zugunsten des Ziellandprinzips gefallen sei. Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) erwartete sich eine Belebung des Arbeitsmarktes und der mittelständischen Wirtschaft, forderte aber eine Verbesserung der Kontrolle und der Rechtsdurchsetzungen.

Bartenstein mahnt Europäisches Übereinkommen zur Verfolgung von Verwaltungsstraftaten ein

Die Dienstleistungsrichtlinie, wie sie nun vorliege, müsse man in ursächlichem Zusammenhang mit der Mitteilung der Kommission sehen, sagte Bundesminister Martin Bartenstein. Sie sei ein politischer Austausch zu den Artikeln 24 und 25, die aus der Dienstleistungsrichtlinie letztlich heraus gefallen sind. Dabei ging es darum, die Bedenken der neuen Mitgliedstaaten hinsichtlich der restriktiven Umsetzung der Entsenderichtlinie durch die alten Mitgliedstaaten zu zerstreuen. Die Mitteilung der Kommission sei ein Kompromiss. Sie sei nicht rechtsetzend, widerspiegle aber die Rechtsmeinung, die in der Praxis in Zukunft vom EuGH bei seinen Entscheidungen herangezogen wird. Damit stünden für die Mitgliedstaaten kurzfristig konkrete Handlungsanleitungen zur Verfügung.

Die Richtlinie betreffe einerseits die Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus EU-Mitgliedstaaten und andererseits die Entsendung von Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern aus Drittländern, die in Unternehmen mit Sitz in der EU arbeiten. Österreich könne mit der Mitteilung der Kommission ganz gut leben, bekräftigte Bartenstein, wies aber auf derzeit laufende Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich bezüglich der Umsetzung der Entsenderichtlinie hin. Man sei zum Schutz der österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis an die Grenze gegangen, merkte er an. Der Minister räumte jedoch ein, dass zur effizienten Rechtsverfolgung von Verwaltungsstraftaten ein europäisches Übereinkommen fehle.

Bartenstein erläuterte anfangs kurz den Werdegang der Dienstleistungsrichtlinie, wobei er Kritik an der ersten Vorlage durch Kommissar Bolkestein unter Kommissionspräsident Romano Prodi übte. Dieser Entwurf sei zum Symbol für Neoliberalismus und Lohndumping geworden. Die neue Kommission habe sich zunächst gescheut, die heiße Kartoffel aufzugreifen, und es sei einer Gruppe von sechs Abgeordneten des Europäischen Parlaments, darunter die österreichischen Abgeordneten Hannes Swoboda und Othmar Karas, zu verdanken, im Rahmen einer High-Level-Gruppe einen Weg aus der Sackgasse gesucht und gefunden zu haben. Die von ihnen erarbeitete Lösung habe sich auf eine breite Mehrheit im Europäischen Parlament stützen können, wobei die Abgeordneten der neuen Mitgliedsländer nicht zugestimmt hätten. Bundeskanzler Schüssel habe daraufhin die Sozialpartnerspitzen eingebunden und nach großen Schwierigkeiten den Text des Europäischen Parlaments am Frühjahrsgipfel vorlegen können. Auch beim informellen EU-Ministerrat in Graz habe es noch massive Versuche gegeben, die Richtlinie aufzuweichen, es sei aber am 29. Mai gelungen, einen Konsens zu erzielen.

Einem: Effiziente Kontrollen werden schwierig

Abgeordneter Caspar Einem (S) zeigte sich skeptisch in Bezug auf die genannte Mitteilung der Kommission. Durch sie sei zwar eine Beschlussfassung der Richtlinie möglich geworden, sie signalisiere aber den neuen Mitgliedsländern, dass es ohnehin nicht so viele Hindernisse gebe. Er habe den Eindruck, die Kommission sei bei diesem Papier tendenziös vorgegangen, denn ex-ante-Kontrollen seien weitestgehend ausgeschlossen. Damit werde eine effiziente Kontrolle überaus schwierig, sagte Einem und sah dahinter den Versuch, das Herkunftslandprinzip wieder durchzusetzen. Einem fragte sich auch, wie man in Zukunft die österreichischen Rechtsvorschriften vollziehen werde können, sofern sie vor dem EuGh standhalten. Er übte auch Kritik an der seiner Meinung nach zu starken Einzelfallorientierung in der Mitteilung. Ähnlich argumentierte seine Klubkollegin Marianne Hagenhofer, die konkrete Beispiele für die restriktive Handhabung der Entsenderichtlinie durch Deutschland vorbrachte.

Lunacek: Herkunftslandprinzip nicht klar genug eliminiert

Kritische Anmerkungen zum vorliegenden Beschluss kamen auch von Abgeordneter Ulrike Lunacek (G). Die Grünen im Europäischen Parlament hätten dem Kompromiss nicht zugestimmt, weil er weiter Rechtsunsicherheit bringe und das Herkunftslandprinzip nicht deutlich genug eliminiert worden sei. Das Europäische Parlament habe aus den genannten Befürchtungen die Artikel 24 und 25 aus der Richtlinie herausgenommen, nun liege die Mitteilung der Kommission vor, die als Ersatz dafür anzusehen sei. Damit würden die Kontrollinstrumente der Mitgliedstaaten geschwächt, sodass die Einhaltung des ArbeitnehmerInnenschutzes nicht mehr voll gewährleistet sei. Außerdem sollte dieser auf der Höhe der ArbeitgeberInnen verankert sein und nicht bei den VorarbeiterInnen. Die Informationspflicht über die Art der Unternehmenstätigkeit habe vor Beginn der Arbeitsaufnahme zu erfolgen, so die Auffassung Lunaceks, und die Nachweispflicht der Leistungen für die Sozialversicherung dürfe keineswegs eingeschränkt werden. Wenn auch seitens des Ministers betont werde, die nationalen Kontrollinstrumentarien beibehalten zu können, so müsse erst die Meinung des EuGh abgewartet werden.

Fasslabend und Kopf: Dienstleistungsrichtlinie war größter Erfolg der österreichischen Präsidentschaft

Selbstverständlich müsse man dem Missbrauch konsequent begegnen, bekräftigte auch Abgeordneter Werner Fasslabend (V). Dennoch sei mit der Einigung über die Dienstleistungsrichtlinie etwas geglückt, was Offenheit und Sicherheit bringe. Sie stelle eine der wichtigsten Maßnahmen zur Vollendung des Binnenmarkts dar und bedeute einen Durchbruch für Wachstum und mehr Beschäftigung. Die Diskussion über die Richtlinie der vergangenen Jahre habe die Probleme der Erweiterung und die Ängste der Bevölkerung widergespiegelt.

Abgeordneter Karlheinz Kopf (V) begrüßte die Dienstleistungsrichtlinie trotz aller Unvollkommenheit. Alles andere als die ex-post-Kontrolle hätte nicht zum Ziel geführt, zeigte er sich überzeugt. Die Schaffung möglichst barrierefreier und administrationsarmer Bedingungen sei ein enormes Wachstumspotential für die gesamteuropäische Wirtschaft. Kopf hielt grundsätzlich das Herkunftslandprinzip für gut, auf Grund der unterschiedlichen Systeme innerhalb der EU hätte es aber zu großen Wettbewerbsverzerrungen und Lohndumping geführt, räumte er ein.

Barteinstein: Derzeit kein Anpassungsbedarf österreichischer Rechtsvorschriften

In seiner Reaktion auf die Wortmeldungen der Abgeordneten wies Bundesminister Martin Bartenstein darauf hin, dass 70 % des österreichischen BIP von Dienstleistungen erbracht werden. Im Dienstleistungsbereich werde daher ein guter Teil des Wachstums erwirtschaftet und Dienstleistungen seien nicht so stark abwanderungsgefährdet wie andere Produktionsbereiche. Österreich sei auch als Dienstleistungsexporteur im Weltmarkt doppelt so stark wie in anderen Bereichen.

Der Minister ging auch auf die Ambivalenz der Dienstleistungsrichtlinie durch die mittelständische Wirtschaft ein. Diese hätten derzeit die Wahl, entweder nicht über die Grenze zu gehen oder den langfristigen und teuren Weg zum EuGh zu wählen. Dies sollte sich in Zukunft positiv ändern. Dem gegenüber bestünden in der mittelständischen Wirtschaft aber auch große Sorgen.

Zur Mitteilung der Kommission meinte Bartenstein, diese interpretiere das Recht und er erwarte sich auf Basis dieser Mitteilung konkrete Entscheidungen des EuGh. Die Mitteilung interpretiere beispielsweise die Bestimmungen zur Bestellung eines Vertreters eines ausländischen Arbeitgebers, die Registrierung vor der Dienstleistungserbringung, die Meldung von der Entsendung, die Bereithaltung von Unterlagen sowie die Kontrolle für entsendete Drittstaatsangehörige. Im großen und ganzen sah Bartenstein keine Notwendigkeit zur Anpassung österreichischer Gesetze an die Richtlinie, jedoch mit dem Vorbehalt kommender EuGh-Judikatur. Er nehme an, die gelebte Praxis beibehalten zu können. Die Mitteilung der Kommission bestärke ihn auch in der Auffassung, dass Österreich zu Unrecht wegen der Entsenderichtlinie beim EuGh angeklagt worden sei. Nach seiner Interpretation stärke die Kommission nun die österreichische Position.

Zur geäußerten Vermutung, durch die Mitteilung komme das Herkunftslandprinzip wieder herein, betonte Bartenstein, die Entsenderichtlinie basiere auf dem Ziellandprinzip. Die Mitteilung der Kommission als Ersatz für die Artikel 24 und 25 der Dienstleistungsrichtlinie sei ein Kompromiss gewesen und man müsse es als einen Erfolg ansehen, dass es schlussendlich keine einzige Gegenstimme gegeben hat. Hinsichtlich der geäußerten Befürchtungen meinte Bartenstein, es gebe ein gutes Netz, um Lohndumping auszuschließen. Bei den Kammern gebe es die Pflichtmitgliedschaft und überall dort, wo Kollektivverträge vorhanden sind, könnten die Unternehmen diese nicht unterschreiten. Darüber hinaus gebe es ortsübliche Löhne.

Zu konkreten Punkten in der Mitteilung meinte der Minister, dass Österreich die Meinung der Kommission vertrete, eine Registrierung vor der Dienstleistungserbringung sei unverhältnismäßig. Die Anmeldung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus der EU sei spätestens bei Arbeitsaufnahme gefordert und er sei davon überzeugt, dass die österreichische Praxis mit einer Woche vor Arbeitsaufnahme akzeptabel sei. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Drittstaaten müsse jedes Land das Recht haben, zu überprüfen, ob diese auch rechtmäßig beschäftigt sind. Bartenstein unterstrich abermals die Notwendigkeit, ein europaweites Abkommen über die Zustellung von Verwaltungsstrafen zu erarbeiten. (Schluss)