Parlamentskorrespondenz Nr. 646 vom 04.07.2006

Verfassungsreform: Besonderer Ausschuss beendet Arbeit

Bericht des Österreich-Konvents einhellig zur Kenntnis genommen

Wien (PK) - Der zur Vorberatung einer Verfassungsreform eingesetzte Besondere Ausschuss des Nationalrats hat seine Arbeit abgeschlossen. In insgesamt zehn Sitzungen haben sich die Abgeordneten unter Beiziehung von Expertinnen und Experten unter anderem mit den Themen Verfassungsbereinigung, Grundrechtsschutz, Verwaltungsstruktur, sicherheitspolitische Grundsätze, Kompetenzverteilung, Bundesrat und demokratische Kontrolle befasst. Grundsätzliche Einigkeit konnte dabei etwa über die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten, die Beibehaltung des Neutralitätsgesetzes und über den Themenkomplex Verfassungsbereinigung erzielt werden, andere Fragen wie die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, die mögliche Einklagbarkeit von Grundrechten und der Ausbau von Kontrollrechten blieben hingegen offen. Nationalratspräsident Andreas Khol zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass in der nächsten Legislaturperiode zumindest in Teilbereichen eine Reform zustande kommen werde.

Von den Abgeordneten wurde die Arbeit des Ausschusses unterschiedlich bewertet, wobei insbesondere F-Klubobmann Herbert Scheibner und Grün-Abgeordnete Terezija Stoisits heftige Kritik übten und von einem "Scheitern des Ausschusses" bzw. einem "Begräbnis erster Klasse" sprachen. Es sei schade, dass 19 Monate intensiver Arbeit im Österreich-Konvent in ein solches Ergebnis mündeten und es nicht einmal gelungen sei, eine Verfassungsbereinigung durchzuführen, meinte etwa Scheibner. Die Chance, eine moderne Verfassung zu beschließen, sei verpasst worden. Er hoffe nun, dass es nach der Wahl noch einmal die Möglichkeit gebe, aus der Arbeit des Österreich-Konvents und aus den Ausschussberatungen mehr zu machen, sagte der Klubobmann.

Abgeordnete Stoisits hielt fest, das, was der Besondere Ausschuss gemacht habe, sei das Gegenteil dessen gewesen, was der Konvent versucht habe. Ihrer Ansicht nach sind sich die Fraktionen in den letzten Monaten nicht näher gekommen, vielmehr seien die Meinungen noch weiter auseinandergedriftet. Letztendlich sei nicht einmal eine Verfassungsbereinigung zustande gebracht worden, wovon sie bis zuletzt überzeugt gewesen sei.

Positiver wurde die Ausschussarbeit hingegen von Abgeordnetem Peter Wittmann (S), Abgeordneter Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V), dem Vorarlberger Landeshauptmann Herbert Sausgruber und Nationalratspräsident Andreas Khol bewertet. So wies Abgeordneter Wittmann darauf hin, dass nunmehr die Positionen der einzelnen Fraktionen klar "auf dem Tisch liegen". Ein Kompromiss sei schließlich nur dann erzielbar, wenn man wisse, was jeder wolle, konstatierte er. Überdies habe aus den vorliegenden Positionen heraus eine immer weiter gehende Annäherung stattgefunden. In manchen Bereichen wie der Rechtsbereinigung und der Einrichtung von Verwaltungsgerichtshöfen gebe es grundsätzliche Einigkeit.

Abgeordnete Baumgartner-Gabitzer bedauerte zwar, dass kein konkreten Ergebnisse vorliegen, es sei aber "viel Verhandlungsmaterial da". Ihr zufolge könnte es schon in naher Zukunft zu einem "großen Wurf" kommen. Als positiv hob Baumgartner-Gabitzer zudem hervor, dass die Ausschussberatungen fair und sachlich gewesen seien.

Landeshauptmann Herbert Sausgruber erklärte, er sei mit dem Ergebnis etwas zufriedener als mancher Vorredner, seine Erwartungen seien aber auch bescheidener gewesen. Er selbst sieht hinsichtlich der Verfassung keinen dringenden Änderungsbedarf. Österreich habe sich mit der bestehenden Verfassung in den letzten Jahrzehnten gut entwickelt, skizzierte Sausgruber, auch wenn es einen gewissen Modernisierungsbedarf gebe. Insofern ist seiner Meinung nach "die Sammlung guter Ideen" positiv, jetzt gehe es darum, dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat und eine Mehrheit im Bundesrat zu finden. Noch am leichtesten lösbar erachtet Sausgruber die angestrebte Verfassungsbereinigung, die Frage der Grundrechte und manche Fragen der Verwaltungsorganisation.

Nationalratspräsident Andreas Khol gab zu bedenken, dass die Arbeit im Österreich-Konvent die "mühselige" politische Konsenssuche nicht ersetzen habe können. Ihm zufolge konnte der Besondere Ausschuss aber in einigen Gebieten eine Einigung erzielen. So sei die Verfassungsbereinigung "fast beschlussfertig", betonte er, und auch im Grundrechtsbereich, bei der Justiz und in weiten Bereichen der weisungsfreien Verwaltung gebe es "gute Zwischenergebnisse". Insofern zeigte sich Khol zuversichtlich, dass in der nächsten Legislaturperiode eine Teilreform oder eine Gesamtreform zustande kommen werde. "Wir müssen uns Zeit nehmen", unterstrich er, es gebe keinen Notstand, der dringend eine neue Verfassung erfordere.

Volksanwaltschaft urgiert Ausweitung ihrer Prüfungsbefugnisse

Vor den Schlussberatungen setzte sich der Besondere Ausschuss nochmals mit dem Themenbereich Demokratische Kontrolle auseinander, wobei es heute um die Kompetenzen der Volksanwaltschaft ging. Die Volksanwaltschaft tritt unter anderem für eine Ausweitung ihrer Prüfkompetenzen auf ausgegliederte Rechtsträger ein, wie Volksanwältin Rosemarie Bauer und Volksanwalt Peter Kostelka erklärten. Überdies will sie im Zusammenhang mit anhängigen Beschwerdefällen Gesetze beim Verfassungsgerichtshof anfechten und im Falle überlanger Gerichtsverfahren Fristsetzungen einbringen können.

Im Rahmen der Debatte wies Volksanwältin Bauer darauf hin, dass sich die Volksanwaltschaft seit mehr als zehn Jahren um eine Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen bemühe. Vergleichsstudien zeigten, dass Österreich in dieser Frage den internationalen Anschluss verliere, sagte sie.

Bauer und Kostelka erachten insbesondere eine Ausweitung ihrer Prüfungsbefugnisse auf ausgegliederte Rechtsträger für erforderlich. In diesem Zusammenhang erinnerte Kostelka daran, dass in den letzten Jahren vermehrt AGs und GmbHs mit der Erfüllung genuiner staatlicher Aufgaben betraut worden seien, und wies etwa auf die kürzlich gegründete Familie & Beruf Management GmbH hin, deren einzige Aufgabe es sei, Förderungen zu verteilen. Auch die Landeskrankenhäuser stünden etwa außerhalb der Landesverwaltung.

Zum Thema Verfahrensbeschleunigung merkte Kostelka an, der Volksanwaltschaft gehe es nicht darum, in die Freiheit der richterlichen Entscheidung einzugreifen, sondern um die Möglichkeit, Fristsetzungsanträge einzubringen. Die Volksanwaltschaft habe in keinem anderen Bereich so viele Beschwerden wie im Bereich der Justiz, wobei dies vor allem Bezirksgerichte betreffe. Generell regte Kostelka an, eine organisatorische Bündelung verschiedener Kontrolleinrichtungen - etwa Volksanwaltschaft, Menschenrechtsbeirat, Umweltanwalt und Tierschutzanwalt - in Erwägung zu ziehen.

Abgeordneter Peter Wittmann (S) betonte, die SPÖ unterstütze grundsätzlich die Forderungen der Volksanwaltschaft. Auch seine Partei habe feststellen müssen, dass "eine Flucht aus der Verwaltung" erfolge und immer häufiger AGs und GmbHs mit hoheitlichen Aufgaben betraut würden.

Der langjährige Vorsitzende der FPÖ-Bundesratsfraktion Peter Böhm sprach sich ebenfalls dafür aus, ausgegliederte Rechtsträger, die hoheitliche Aufgaben vollziehen, der Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft zu unterwerfen. Ausgliederungen dürften nicht dazu dienen, Kontrollmöglichkeiten und den Rechtsschutz der Bürger einzuschränken, mahnte er. Bei ausgegliederten Unternehmen muss man seiner Ansicht nach aber auf die Wettbewerbsfähigkeit Rücksicht nehmen.

Unterstützt wurde von Böhm auch der Wunsch der Volksanwaltschaft nach einem Fristsetzungsrecht bei Gerichtsverfahren. Er teile die Meinung nicht, dass damit die Gewaltenteilung in Frage gestellt würde, bekräftigte er.

Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S) machte darauf aufmerksam, dass die Volksanwaltschaft bei ihrer Gründung eine internationale Vorbildfunktion gehabt habe. Mittlerweile hinke Österreich der internationalen Entwicklung aber hinterher, bedauerte sie. Grossmann zufolge ist es notwendig, die Prüfkompetenz der Volksanwaltschaft auf ausgegliederte Rechtsträger wie Verkehrsbetriebe, Krankenanstalten, die GIS, die Familie & Beruf Management GmbH und die Gesundheit GmbH auszudehnen.

F-Klubobmann Herbert Scheibner hielt fest, seine Fraktion sei durchaus gesprächsbereit, was die Ausweitung der Kontrollrechte der Volksanwaltschaft betrifft. Er will die Kontrolle bei ausgegliederten Rechtsträgern aber auf hoheitliche Aufgaben beschränkt wissen.

Generell sprach sich Scheibner gegen eine Reduzierung der Zahl der Volksanwälte aus und plädierte demgegenüber "eher für eine Ausweitung". Gleichzeitig sprach er sich für die Möglichkeit der Abberufung von Volksanwälten mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat aus. Vorstellen kann sich Scheibner überdies, verschiedene Anwaltschaften wie den Kinderanwalt oder den Patientenanwalt in einer "Volksanwaltschaft neu" zusammenzufassen. 

Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) stand im Gegensatz zu ihren Vorrednern einer Ausweitung der Kompetenzen der Volksanwaltschaft eher skeptisch gegenüber. Ihrer Einschätzung nach hinkt die Volksanwaltschaft international nicht nach. Es habe einen gewissen Sinn, dass die Prüfkompetenz der Volksanwaltschaft nur die Kernbereiche der Verwaltung umfasse, sagte Baumgartner-Gabitzer, schließlich könne man einen anderen Marktanbieter wählen. wenn man mit einem ausgegliederten Unternehmen wie beispielsweise der Telekom nicht zufrieden sei. Die Unabsetzbarkeit der Volksanwälte solle, so die Abgeordnete, deren Unabhängigkeit garantieren, sie könne sich aber in diesem Bereich Änderungen vorstellen.

Abgeordnete Terezija Stoisits (G) übte massive Kritik an der Haltung der ÖVP und warf ihr vor, die Arbeit der Volksanwaltschaft zwar stets zu loben, deren Tätigkeit aber immer weiter einzuschränken. Was die Möglichkeit der Einbringung von Fristsetzungsanträgen anlangt, gehe es nicht darum, in die Unabhängigkeit der Gerichte einzugreifen, betonte sie, sondern lediglich um die Beschleunigung von Verfahren. Allgemein treten die Grünen dafür ein, Volksanwälte mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat abberufen zu können.

Abgeordneter Erwin Niederwieser (S) sprach sich ebenfalls für eine mögliche Abberufung der Volksanwälte mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat aus. Als Beispiel für die Notwendigkeit, die Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft auszuweiten, nannte er die Arbeit der "Mautsheriffs" der ASFINAG, von denen sich manche Bürger ungerecht behandelt fühlten.

Volksanwalt Peter Kostelka bekräftigte nochmals den Wunsch nach Ausweitung der Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft und machte geltend, dass sich in erster Linie "kleine Leute" an die Volksanwaltschaft wenden würden. Jemand, der sein "Essen auf Rädern" jeden Tag um 15 Uhr kalt erhalte, habe beispielsweise keine Alternativen, skizzierte er.

Grundlage für die Beratungen im Besonderen Ausschuss bildete der rund 1.200 Seiten starke Bericht des Österreich-Konvents, der von den Abgeordneten einhellig zur Kenntnis genommen wurde. (Schluss)