Parlamentskorrespondenz Nr. 54 vom 31.01.2007

Erklärung der Bundesregierung in der Länderkammer

Ortstafelkonflikt: Politische Lösung im Konsens mit Bevölkerung

Wien (PK) - Ganz im Zeichen der Regierungserklärung stand die 741. Sitzung des Bundesrates, die nach der Vorsitzübernahme Salzburgs in der Länderkammer zu Anfang dieses Jahres erstmals von Bundesratspräsident Manfred GRUBER eröffnet wurde. Gruber präsentierte den Mitgliedern des Bundesrats einen überdimensionierten Schlüssel, den er von seinem Amtsvorgänger Gottfried Kneifel erhalten hat, und betonte, dieser Schlüssel werde in Hinkunft an jeden neuen Präsidenten des Bundesrats weitergereicht. Eine Erklärung anlässlich des Vorsitzwechsels will Gruber, wie er ankündigte, erst bei der nächsten Sitzung am 16. Februar abgeben, zu dieser wird auch die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller erwartet. Sichtbares Zeichen der Vorsitzführung Salzburgs im Bundesrat sei, so Gruber, die am Parlamentsdach gehisste Landesfahne.

Vor Beginn der Regierungserklärung wurden noch zwei neue BundesrätInnen angelobt. Peter FLORIANSCHÜTZ (S) wurde an Stelle von Gabriele Mörk in den Bundesrat entsandt, Renate SEITNER (S) an Stelle von Adelheid Ebner.

In einer Trauerminute wurde der verstorbenen Innenministerin Liese Prokop gedacht.

Bei der Regierungserklärung anwesend waren neben Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Vizekanzler Wilhelm Molterer auch die Minister Johannes Hahn, Norbert Darabos und Andrea Kdolsky sowie der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. Gusenbauer erhielt vor Beginn seiner Rede von Bundesratspräsident Gruber einen Kräuterlikör aus Salzburg überreicht, der den Namen "Kanzlerlikör" trägt.

Bundeskanzler Dr. GUSENBAUER leitete die Regierungserklärung mit der Bemerkung ein, es sei eine große Freude, in den Bundesrat zurückzukehren, nachdem er sich hier zwei Jahre lang seine ersten parlamentarischen Sporen verdienen habe können. Als große Vorhaben für die nächsten vier Jahre nannte er u.a. die Senkung der Arbeitslosigkeit, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs, die Verbesserung des Bildungssystems, die Erhöhung der Forschungsquote, ein gut geknüpftes soziales Netz zur Armutsbekämpfung und einen stabilen Finanzkurs.

Hauptziel der Regierung sei es, die Arbeitslosenrate in Österreich um 25 % zu senken, betonte Gusenbauer. Sie soll vom derzeitigen Jahresdurchschnitt in der Höhe von 4,8 % auf unter 4 % gedrückt werden. Trotz guter Konjunktur gehe das, so der Kanzler, nicht von selbst, vielmehr sei eine Reihe von Maßnahmen notwendig.

Unter anderem haben sich die Koalitionsparteien in diesem Zusammenhang Gusenbauer zufolge auf eine Ausbildungsgarantie bis zum 18. Lebensjahr geeinigt. Kein Jugendlicher im Alter von 15 Jahren dürfe auf der Straße stehen, mahnte er. Überdies soll der Lehrberuf durch die Einführung einer Berufsmatura, die über die Berufsreifeprüfung hinausgehe, attraktiviert werden.

Allgemein gehe es, so Gusenbauer, darum, die Qualität des Bildungssystems zu verbessern. Durch eine verstärkte Frühpädagogik, eine Senkung der Klassenschülerhöchstzahl und ein verstärktes Angebot an Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung will er erreichen, dass die Risikogruppe der 15-jährigen, die nicht richtig schreiben, lesen und rechnen könne, deutlich reduziert wird.

"Oft sehr schwer am Arbeitsmarkt" haben es laut Bundeskanzler aber auch Frauen, die eine längere Babypause gemacht haben. Dem will er durch eine Flexibilisierung des Kinderbetreuungsgeldes begegnen. Frauen sollen die Möglichkeit erhalten, nur die halbe Zeit zu Hause zu bleiben, und in dieser Zeit ein erhöhtes Kinderbetreuungsgeld beziehen. Gleichzeitig sei eine 100-prozentige Versorgung in Österreich mit Kinderbetreuungseinrichtungen das Ziel.

Was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft, sieht Gusenbauer die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs aufgrund der Globalisierung und des harten internationalen Wettbewerb jeden Tag am Prüfstand. In diesem Sinn nannte er als einen der wesentlichsten Eckpunkte der Wachstumsstrategie, die Mittel für Forschung und Entwicklung zu erhöhen. Österreich habe zwar eine relativ hohe öffentliche Forschungsquote, skizzierte der Kanzler, die private Forschungsquote sei im internationalen Vergleich aber gering. Überdies wolle die Regierung in den kommenden Jahren 10,5 Mrd. € in Infrastrukturprojekte investieren.

Mit den Sozialpartnern habe man sich, so Gusenbauer, auf eine "maßvolle Liberalisierung und Flexibilisierung" und einen effizienten Kampf gegen Schwarzunternehmertum geeinigt.

Zum Thema bedarfsorientierte Mindestsicherung merkte Gusenbauer an, "wir bekennen uns zur individuellen Leistungsbereitschaft". Gleichzeitig sei es aber notwendig, die soziale Balance in Österreich zu verbessern. Je rauer die Welt und die Wirtschaft, desto wichtiger sei es, ein soziales Auffangbecken anzubieten. Für Gusenbauer ist ein gut geknüpftes soziales Netz Voraussetzung für Risikobereitschaft und Engagement der Menschen. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung sei keine "soziale Hängematte", sondern ein Sprungbrett zurück in den Arbeitsmarkt, bekräftigte er.

Zu sehen ist das Konzept der bedarfsorientierten Mindestsicherung laut Gusenbauer im Zusammenhang mit der angepeilten Einführung eines Mindestlohns von 1.000 € für Vollzeitarbeit in Form eines Generalkollektivvertrags. Sowohl die Mindestsicherung als auch der Mindestlohn sowie die bereits erfolgte Anhebung der Ausgleichszulage für Pensionistinnen und Pensionisten auf 726 € wertet er als wirksame Mittel gegen die Armutsbekämpfung.

Gusenbauer kündigte darüber hinaus an, der in der letzten Legislaturperiode beschlossenen Pensionsreform "einige Giftzähne zu ziehen". Er verwies etwa auf die Verlängerung der so genannten Hacklerregelung, die 60.000 Menschen, die zwischen 2008 und 2010 in Pension gehen, eine monatliche Pensionserhöhung von 50 bis 180 € bringen werde, und die Abschaffung der Doppelabschläge bei der Korridorpension.

Alle Projekte würden, unterstrich Gusenbauer, vor dem Hintergrund eines stabilen Finanzkurses verfolgt. Die Regierung wolle die Staatsschulden nicht erhöhen, sondern verkleinern, versicherte er und wies darauf hin, dass bis zum Ende der Legislaturperiode ein Budgetüberschuss im Ausmaß von 0,3 % bis 0,4 % des BIP angestrebt werde. Dieser Budgetüberschuss soll ihm zufolge in Form einer Steuerreform an die Bevölkerung wieder zurückgegeben werden. Einsparungen bei den Ausgaben erwartet er sich insbesondere durch eine Reduktion der Verwaltungskosten und die Senkung der Arbeitslosigkeit.

Zum Abschluss bekräftigte Gusenbauer, das Regierungsprogramm sei ein guter Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Ansätzen und Vorstellungen der beiden Regierungsparteien. Die Menschen sollten im Jahr 2010 nicht nur den Eindruck haben, dass es mehr Chancen auf Arbeit und eine bessere Bildung gibt und dass ihnen mehr von ihren Löhnen und Gehältern bleibt, sondern sie sollten, wünscht sich Gusenbauer, vor allem auch den Eindruck haben, dass Österreich fairer, gerechter und sozialer geworden sei.

Vizekanzler Mag. MOLTERER bekundete den Bundesräten einleitend seinen Respekt für ihre Arbeit und zeigte sich stolz auf die Leistungen des österreichischen Föderalismus. Dabei erinnerte Molterer daran, dass die Verhandlungen zur Bildung der neuen Bundesregierung nicht nur von Vertretern der beiden Koalitionsparteien geführt wurden, sondern auch Landeshauptleute darin eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden soll Österreich auch in Zukunft weiter voranbringen, sagte der Vizekanzler mit Nachdruck.

Die Ausgangslage der neuen Bundesregierung ist laut Molterer sehr gut: Österreich hat 2006 mit 3,2 % Wirtschaftswachstum viele Länder überholt, zu denen es noch vor wenigen Jahren aufgeblickt hat, es ist zu einem der erfolgreichsten Länder Europas geworden, zeigt bei der Arbeitslosigkeit mit einer Rate von 4,9 % einen exzellenten europäischen Vergleichswert, hat eines der besten Pensionssystem der Welt, genießt hohe Sicherheit und verfügt über Stabilität in den Staatsfinanzen.

Diesen Weg will die Bundesregierung fortsetzen und hat sich das Ziel gesetzt, über eine Stärkung des Wachstums Vollbeschäftigung zu erreichen. Diese Zielsetzung erlaube es nicht, sich auf erreichten Erfolgen auszuruhen, zumal die europäische Integration für eine offene Volkswirtschaft mehr Wettbewerb für Unternehmer und Arbeitnehmer bringen wird. Auch die zunehmenden globalen Herausforderungen verlangen nach europäischen und österreichischen Antworten.

Für eine stabile Haushaltspolitik dürfe sich nicht nur der Bund, sondern müssen sich gemeinsam mit ihm auch Länder und Gemeinden verpflichtet fühlen - nur gemeinsam sei der angestrebte Budgetüberschuss bis 2010 zu erreichen. Bei den in der laufenden Gesetzgebungsperiode zu führenden Verhandlungen für einen neuen Finanzausgleich werde das gemeinsame Bekenntnis zu Stabilität und Wachstum auf dem Prüfstein stehen, sagte der Vizekanzler und Finanzminister.

Wichtig sei auch die richtige Investitionspolitik, sagte Molterer und wies auf die Absicht der Bundesregierung hin, 800 Mill. € zusätzlich in der laufenden Gesetzgebungsperiode in Forschung und Entwicklung zu investieren und 575 Mill. € zusätzlich in die Bildung, weil die Zukunftsfähigkeit jedes einzelnen Menschen eine Investition in die Zukunftsfähigkeit des Standortes ist. Dazu kommen Investitionen in die Bahn- und Straßeninfrastruktur, wobei es der Finanzminister als verantwortbar bezeichnete, im Interesse dieser Investitionen die Mineralölsteuer ein wenig anzuheben.

In seinen weiteren Ausführungen bezeichnete der Vizekanzler Maßnahmen zum Klimaschutz als bedeutsam für Österreich, das ein Vorreiter bei der Nutzung erneuerbarer Energieträger in Europa ist. Als ein wesentliches Reformprojekt nannte Molterer sodann die Staats- und Verfassungsreform. Die Regierung wird mit ihrer Verfassungsmehrheit sensibel umgehen, kündigte Molterer an, sie will aber eine bestmögliche Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erreichen. Dies sei nicht nur eine juristische Frage, diese Reform soll dem Bürger ein besseres Service bieten und die Unternehmen entlasten. Über diese Staats- und Verwaltungsreform will der Vizekanzler einen offenen Dialog auch mit dem Bundesrat führen. Zu der oft an ihn gestellten Frage, wie hoch die geplante Steuerentlastung im Jahr 2010 ausfallen werde, sagte der Vizekanzler, der Spielraum für diese Entlastung werde umso größer sein, je erfolgreicher die Verwaltungsreform umgesetzt werde.

Die BürgerInnen haben Anspruch auf bestmögliche Sicherheit, zeigte sich Molterer überzeugt. Beim Thema Integration unterstrich Molterer die Toleranz, bezeichnete aber zugleich die Kenntnis der deutschen Sprache als eine unverzichtbare Voraussetzung und sah ein gutes Zusammenleben durch das gemeinsame Bekenntnis zu klaren Spielregeln gewährleistet. Außerdem bekannte sich Molterer zur Landesverteidigung und zur Luftraumüberwachung aus eigener Kraft.

Der Vizekanzler unterstrich auch die Verpflichtung zum sozialen Zusammenhalt, dazu gehöre es, den Menschen Arbeit zu geben. Die Vollbeschäftigungspolitik sei daher Teil des sozialen Zusammenhalts. Wesentlich ist Molterer auch die Hilfe für Familien mit mehreren Kindern und die Förderung der Mitarbeiterbeteiligung.

In Hinblick auf die Anwesenheit des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider im Bundesrat sprach Vizekanzler Molterer abschließend auch die Ortstafelfrage in Kärnten an und plädierte dabei für eine Lösung im Konsens mit der Kärntner Bevölkerung.

Der Kärntner Landeshauptmann Dr. HAIDER, der vom Rederecht der Landeshauptleute in der Länderkammer Gebrauch machte, forderte einen gerechten Anteil seines Bundeslandes am gesamtösterreichischen Entwicklungsprozess und ging dabei zunächst ausführlich auf das Projekt Koralmbahn/Koralmtunnel ein. Haider stellte das Projekt in einen Zusammenhang mit dem Semmeringtunnel und dem Wiener Zentralbahnhof: Dadurch würde eine transeuropäische Achse von Dresden über Wien nach Bologna entstehen. Das Koralm-Projekt dürfe weder in Frage gestellt noch verschoben werden, betonte Haider, und erinnerte an eine Weisung des früheren Vizekanzlers, das Projekt bis zum Jahr 2016 umzusetzen.

Zum Thema zweisprachiger Ortstafeln übergehend, begrüßte der Kärntner Landeshauptmann die Absicht der Regierung, eine politische Lösung auch im Konsens mit der Kärntner Bevölkerung anzustreben. Dies bedeute eine Absage an einen "Konsens nur der politischen Eliten", sagte Haider. Nach einem historischen Exkurs in die siebziger Jahre kam Haider auf die aktuelle Situation zu sprechen. Das Land Kärnten habe die entsprechenden Verordnungen "zu 100 Prozent eingehalten". Derzeit gehe es um 16 Tafeln, die in die Kompetenz der Gemeinden fielen, die zudem von SP-Bürgermeistern regiert würden. Der VfGH habe ein nach einer " Schnellfahreraktion eines nationalslowenischen Anwalts" ergangenes Erkenntnis aus dem Jahr 2001 aufgehoben, Entscheidungen in weiteren Schnellfahr-Verfahren seien auf "dem alten Rechtsbestand" erfolgt.

Eine offene Diskussion gebe es bezüglich der Stadt Bleiburg; hier sei ein Erkenntnis des VfGH ergangen, man sei jetzt in der Kundmachungsphase. Wenn aber alles erfüllt sei, könne man auch kein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn machen, betonte Haider.

Das Volksgruppengesetz, das Ortstafeln bei einem Minderheitsanteil von 25 % vorgesehen habe, sei vom VfGH aufgehoben worden. Der VfGH sei der Meinung, der Minderheitsanteil müsse über einen längeren Zeitraum 10 % betragen; dies sei aber – weil kein Spruch des Gerichtshofs – nicht verbindlich. Zudem habe der VfGH Doppelnennungen automatisch der Minderheit zugerechnet. Dies sei "absolut unzulässig und menschenrechtswidrig", weil das Rahmenübereinkommen zum Schutz der nationalen Minderheiten vorsehe, dass Minderheiten selbst entscheiden, ob sie als Minderheit angesehen werden möchten oder nicht. Niemand könne gegen seinen Willen einer Minderheit zugerechnet werden. Sprachliche Befähigung genüge nicht, es gehe um muttersprachliche Eignung und um ein Zugehörigkeitsbekenntnis. Es bedürfe also einer muttersprachlichen Erhebung oder einer geheimen Erhebung der Zugehörigkeit zur Minderheit, betonte der Kärntner Landeshauptmann.

Kritisch wandte sich Haider dann gegen einen "Nationalismus, der im 21. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß" sei. So würden in Slowenien noch heute Schulatlanten verwendet, in denen halb Kärnten als slowenisches Hoheitsgebiet aufscheine, und auf der slowenischen Cent-Münze sei der Kärntner Fürstenstein – das älteste Rechtssymbol Österreichs – abgebildet. Dies sei weder fair noch im Sinne guter Nachbarschaft, sagte Haider, und forderte von Slowenien Toleranz gegenüber Österreich und Kärnten ein, zumal Slowenien auch hinsichtlich der Erfüllung des Kulturabkommens seit vielen Jahren säumig sei.

Den "Pferdefuß" der 2006 bereits gefundenen Lösung sieht Haider in der Öffnungsklausel, die vorsehe, dass bei einem Minderheitenanteil von 10 % Gemeinden und Land nicht mehr mitreden könnten. Prof. Ermacora sei von einem Minderheitsanteil von 25 % ausgegangen; zwischen 5 und 25 % liege jedenfalls die Gestaltungsfreiheit des Parlaments, und dort müsse der politische Konsens erarbeitet werden, betonte der Landeshauptmann. 2003 sei in Slowenien eine entsprechende Erhebung durchgeführt worden – und das müsse auch in Kärnten und in Österreich möglich sein. (Fortsetzung)


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