Parlamentskorrespondenz Nr. 63 vom 06.02.2007

Zwischen Reform- und Identitätsfragen

Bericht über die Autonomieentwicklung Südtirols 2003 - 2006

Wien (PK) – Nach wie vor besitze Südtirol einen besonderen Stellenwert für die österreichische Außenpolitik und stehe international als positives Beispiel für die Lösung eines Minderheitenkonflikts, wobei die Schutzfunktion Österreichs weiterhin ernst genommen werde. In einigen Kernanliegen sei es nun gelungen, letztlich zufriedenstellende Regelungen für die Südtirolautonomie zu finden. Dies geht aus einem Bericht hervor, den die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten dieser Tage dem Hohen Haus zuleitete. (III-20 d.B.)

Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung

Die Italien drohende Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens aufgrund der Untätigkeit Roms in Folge einer Beschwerde des Vereins CONVIVIA bei der Europäischen Kommission (EK) bzgl. Datenschutzrecht und Verhältnismäßigkeit der 10-jährigen Bindungswirkung der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung konnte nach wiederholten Interventionen Österreichs abgewendet werden. So wurde am 26. April 2005 ein für beide Seiten zufriedenstellender Kompromiss erzielt, den der italienische Ministerrat sodann verabschiedete.

Italienische Verfassungsreform

Am 16. November 2005 billigte der Senat in Rom ein Reformpaket, das die Befugnisse des Ministerpräsidenten gestärkt und die Kompetenzen der Regionen (u.a. hätten die Regionen exklusive Kompetenzen in den Bereichen lokale öffentliche Sicherheit, Gesundheits- und Schulwesen sowie partielle Steuerhoheit erhalten) erweitert hätte. Die drei Senatoren der Südtiroler Volkspartei enthielten sich bei der Schlussabstimmung der Stimme. Das Verfassungsgesetz wurde nicht mit der erforderlichen 2/3 Mehrheit verabschiedet, sodass es am 25./26. Juni 2006 einem Referendum zu unterziehen war. Im Rahmen dieses Referendums sprach sich die Bevölkerungsmehrheit (mit 61,4%) deutlich gegen die Verfassungsreform aus. Die Auswirkungen dieser Reform wären für Südtirol trotz einiger Nachbesserungen in einer neueren Fassung tiefgreifend gewesen.

Wahlrechtsreform

Die italienische Abgeordnetenkammer beschloss im Oktober 2005 mit den Stimmen der Regierungsmehrheit eine Wahlrechtsreform, die eine Rückkehr zum 1993 abgeschafften Proportionalsystem vorsieht. Im Dezember 2005 stimmte der Senat der Änderung zu, die in Bezug auf Südtirols Anliegen als durchaus akzeptabel anzusehen ist. Die Südtiroler Vertretung in der Kammer wurde von den nationalen 2 % bzw. 4 %-Schwellen ausgenommen, andererseits blieb für die Vertretung im Senat (der Region Trentino-Südtirol) das bisherige Mehrheitswahlrecht aufrecht. Auf diese Weise kann Südtirol weiterhin jedenfalls mit mindestens 3 Abgeordneten in der Kammer und 2 Abgeordneten im Senat rechnen.

Gegenseitige Anerkennung von akademischen Graden

Der Notenwechsel aus 1999 über die gegenseitige Anerkennung von akademischen Graden und Titeln fand 2003 mittels Ergänzungen an die modifizierten Inhalte von Studiengängen Anpassung. Im Rahmen einer Expertentagung im Mai 2003 in Wien wurde der Text eines weiteren Notenwechsels paraphiert, und im Februar 2006 erneut in Rom begutachtet. Am 11. Dezember konnte eine definitive Einigung über den Text erzielt werden, die Unterzeichnung von österreichischer Seite ist bereits erfolgt. In einem weiteren Zusammentreffen soll die Liste um die neu eingerichteten Bakkalaureats- und Magisterstudien Ergänzung finden.

Schutzfunktion Österreichs – Debatte zur Verankerung in der Bundesverfassung

Für Österreich steht die Schutzfunktion für Südtirol außer Frage, obgleich die Auffassung von italienischer Seite nicht explizit geteilt, derzeit jedoch stillschweigend hingenommen wird. Im Jahre 2004 sprach sich die italienische Regierung gegen eine Verankerung dieser Schutzfunktion in einer allenfalls überarbeiteten österreichischen Verfassung aus. Ein Entschließungsantrag vom 21. September 2006 durch ÖVP, SPÖ, FPÖ und BZÖ spricht sich hingegen für die Aufnahme dieser in eine neue Bundesverfassung aus. Dieser Antrag fußte auf einer Petition der Tiroler und Südtiroler Schützen, die im Jänner 2006 Nationalratspräsidenten Khol überreicht worden war.

Toponomastik – die Frage der Ortsnamen

Der im Rahmen der abgelaufenen Legislaturperiode im Südtiroler Landtag gescheiterte Vorschlag Landeshauptmann Durnwalders zur Regelung der Frage wurde im Frühjahr 2004 erneut als Gesetzesantrag beim Landtag eingebracht. Kern der Vorschläge ist die Teilung der Frage in "Makro- und Mikrotoponomastik". 8.200 alte "italienisierte" Namen in Gemeinden über 100 Einwohnern sollten demnach zweisprachig geführt werden. Im Falle von Gemeinden unter 100 Einwohnern solle die Zuständigkeit nicht beim Landtag, sondern bei diesen selbst liegen. Die italienischen Mitglieder der paritätischen Kommission haben dem Vorschlag bereits eine Absage erteilt.

Innenpolitik – Wahlen

Im Rahmen der am 26. Oktober 2003 stattgefundenen Landtagswahlen konnte die Südtiroler Volkspartei (SVP) trotz Stimmenverlusts die absolute Mehrheit (mit 55,6 % und 21 Mandaten) erzielen. Die Alleanza Nationale (AN) musste ebenfalls Stimmeneinbußen in Kauf nehmen (nunmehr 8,4 % und 3 Mandate), blieb allerdings stimmenstärkste italienische Partei. Ihr rechter Ableger Unitalia - Movimiento per l´Alto Adige schaffte mit 1,5 % den Wiedereinzug, die Grünen erhielten 7,9 % und sind nunmehr mit drei Mandaten vertreten. Die Union für Südtirol (6,8 %) erreichte trotz Stimmengewinns kein weiteres Mandat. Die Freiheitlichen verdoppelten ihren Stimmenanteil auf 5 % und haben nun 2 Mandate, das Mitte-Link-Bündnis Unione autonomista (3,7 %) und das Projekt "Frieden und Gerechtigkeit – gemeinsam links" (3,8 %) sind ebenso mit je einem Mandat vertreten wie die Forza Italia (3,4 %). Den Einzug verfehlt haben die Rosa Alternative und die Ladins.

Bei den am 8. Mai 2005 abgehaltenen Gemeinderatswahlen erreichte die SVP 58,8 % der Stimmen, was einen Verlust von 3,7 Prozentpunkten bedeutet, allerdings nicht zum Verlust der Position als beherrschende Kraft führte. Nach einer Stichwahl in der Stadt Bozen gewann der Kandidat der Mitte-Rechts-Parteien, Giovanni Benussi, die Bürgermeisterwahl, obgleich dessen Regierungsmannschaft keine Mehrheit fand. In der Folge kam es im November 2005 zu Neuwahlen, die der Mitte-Links-Kandidat, Luigi Spagnolli, im ersten Durchgang für sich entschied. In Meran und Brixen errangen die SVP-Kandidaten den Sieg.

Bei den nochmals durchgeführten Bozener Gemeinderatswahlen kam es zum überraschenden abermaligen Erhalt der relativen Stimmenmehrheit der SVP im Stadtrat. AN blieb zwar stärkste italienische Partei, musste jedoch den Verlust eines Mandats hinnehmen.

Die am 9./10. April 2006 stattgefundenen italienischen Parlamentswahlen führten zu Stimmenverlusten der SVP, die dennoch ihre sechs Mandate in den beiden Häusern des Parlaments halten konnte.  Die drei Südtiroler Senatoren stellen aufgrund der dünnen Mehrheit der italienischen Regierung ein Zünglein an der Waage dar. (Schluss)