Parlamentskorrespondenz Nr. 140 vom 07.03.2007

Nationalrat debattiert Programm der deutschen EU-Präsidentschaft

Abgeordnete für verbindliche Zielsetzungen beim Klimaschutz

Wien (PK) - Am Beginn der heutigen (13.) Sitzung des Nationalrates nahm Nationalratspräsidentin Mag. PRAMMER zunächst die Angelobung neuer Abgeordneter vor. Das frei gewordene Mandat der ausgeschiedenen Erika Scharer übernahm Abgeordnete Mag. Rosa Lohfeyer (S). Abgeordneter Dr. Johann Georg Schelling (V) folgte auf Herta Mikesch, der das Mandat von Bundesministerin Ursula Plassnik zugewiesen wurde, und das Mandat von Abgeordnetem Werner Fasslabend übernahm Abgeordnete Dorothea Schittenhelm (V).

Auf der Tagesordnung der EU-Sitzung, die von zahlreichen Diplomaten auf der Galerie mit verfolgt wurde, stand das Arbeitsprogramm des deutschen Ratsvorsitzes. Bundeskanzler Dr. GUSENBAUER leitete die Debatte mit einer Erklärung ein, in der er von außerordentlich wichtigen Fragen für das Zusammenleben der Menschen in Europa sprach, die auf dem kommenden Europäischen Frühjahrsgipfel behandelt werden sollen. Zwar sei die wirtschaftliche Situation in Europa derzeit sehr gut, es gebe aber keinen Anlass, die Hände in den Schoß zu legen: Die Lissabon-Ziele sind konsequent umzusetzen. Aus österreichischer Sicht steht dabei mehr Bildung zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents als Schlüsselfrage im Zentrum. Dazu komme die soziale Kohäsion, die es zu verstärken gelte, um die Distanz zwischen den Bürgern Europas und den EU-Institutionen zu verringern. Es geht in Europa nicht nur um abstrakte Ziele, sondern um das Wohlbefinden der Menschen. Zudem ist Österreich an der Verwirklichung des Verfassungsvertrages interessiert, den das österreichische Parlament bereits ratifiziert hat, Europa wird mit diesem Vertrag besser sein als ohne ihn, zeigte sich der Bundeskanzler überzeugt.

Der Klimaschutz sei eine europäische und zugleich globale Aufgabe. Europa ist für 14 % des Treibhausgas-Ausstoßes in der Welt verantwortlich und will diesen Wert auf 10 % senken. Am kommenden Europäischen Rat sollen verbindliche Ziele festgeschrieben werden, berichtete der Bundeskanzler. Es gebe aber auch Fehlentwicklungen, etwa die Renaissance der Atomkraft, auf die viele Staaten setzten, um ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Österreich zähle weiterhin zu den wenigen Ländern, für die Atomkraft eine außerordentlich riskante Form der Energiegewinnung darstellt und weist darauf hin, dass die Frage der langfristigen Endlagerung atomarer Abfälle nach wie vor ungeklärt sei. Österreich unterstützt daher die deutsche EU-Präsidentschaft in ihrem Ziel, verbindliche Ziele für den Einsatz erneuerbarer Energieträger festzuschreiben. Als wichtig für den Klimaschutz bezeichnete Gusenbauer auch die Frage der Besteuerung fossiler Energieträger. Wenn jeder Kilometer Autofahrt besteuert wird, sei es unverständlich, dass Kerosin oder Schiffsdiesel unbesteuert bleiben sollen.

Schließlich erinnerte Gusenbauer daran, dass Österreich durch die EU-Erweiterung in das Zentrum Europas gerückt und ein wichtiger Ansprechpartner für die Zukunft des Westbalkan geworden ist. Der Bundeskanzler sprach sich für eine europäische Perspektive für den Westbalkan aus, weil dies die Stabilität Europas weiter erhöhen wird.

SP-Klubobmann Dr. CAP sah den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römer Verträge als einen guten Anlass, inne zu halten und sich kritisch mit der Frage auseinanderzusetzen, wie sich das europäische Integrationsprojekt entwickelt habe. Cap klagte über "Sand im Getriebe der EU" sowie darüber, dass die Bürokratie zunehmend die Rolle der Politik übernehme. Europa zeige sich in der Frage der sozialen Mindeststandards gespalten und fragmentiert in EU-Länder, die der Euro-Zone angehören, und Nicht-Euro-Länder oder in NATO-Mitglieder und Nicht-NATO-Mitglieder. Während Cap zu einem EU-Beitritt der Türkei klar nein sagt, hält er eine EU-Erweiterung am Westbalkan für sinnvoll, weil diese Region ein Zielgebiet österreichischer Unternehmen und wichtig für die Arbeitsplatzsicherheit sei. Eine wichtige Zukunftsfrage Europas laute, ob sich Europa in Richtung eines europäischen Modells, eines Euro-asiatischen oder eines Euro-mediterranen Modells entwickeln soll. Für ihn, Cap, gehe es jedenfalls um eine Europäische Union.

In der Debatte um den Klimaschutz erinnerte Cap an den Kampf Österreichs gegen die Nutzung der Atomenergie und warnte vor dem Missbrauch des Klimaschutz-Arguments durch die Atomlobby. Atomkraft sei die teuerste Energieform, wenn man die öffentlichen Subventionen, die Sicherheitsrisken und die Kosten der Endlagerung für atomare Abfälle berücksichtigt.

In der Diskussion um den Verfassungsvertrag gehe es laut Cap nicht um eine Verfassung der EU, sondern darum, die Union im Zuge des Erweiterungsprozesses handlungsfähig zu erhalten. Die Abstimmungsniederlage in Frankreich und den Niederlanden führte der SP-Klubobmann auf die Angst der jungen Menschen um ihre Arbeitsplätze zurück. Caps Aufforderung an die Bundesregierung lautete daher, sich um die Ankurbelung der Wirtschaft, um Beschäftigung und Wachstum zu kümmern sowie für die Sicherheit in der Energieentwicklung einzutreten. Die EU hat die Aufgabe, die Menschen vor globalem Druck und vor der Auflösung sozialer Strukturen zu schützen.

ÖVP-Klubobmann Dr. SCHÜSSEL hielt mit Blick auf seinen Vorredner ein wenig mehr Optimismus im Vorfeld des kommenden Europäischen Gipfels angebracht. Immerhin diskutiere dieser jährliche Gipfel alle wichtigen wirtschaftspolitischen Fragen Europas mit einer Intensität wie auf keinem anderen Kontinent.

Die Lissabon-Strategie hatte anfangs einen starken "Hänger", räumte Schüssel ein, seit 2005/2006 sei sie mit der Schaffung von sechs Millionen neuen Arbeitsplätzen aber in Fahrt gekommen und eröffne die Aussicht auf weitere sieben Millionen neue Jobs im Zeitraum 2007/2008. In Österreich boomt die Exportwirtschaft, was einmal mehr belegt, wie sehr Österreich von der Osterweiterung profitiert.

Das europäische Lebensmodell verbindet die soziale Dimension mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Umweltverantwortung und finde bei den europäischen Bürgern zunehmend Zustimmung, sagte Schüssel unter Bezugnahme auf jüngste Daten des Euro-Barometers.

Beim geplanten gemeinsamen Aktionsplan für den Klimaschutz hob Klubobmann Schüssel die Notwendigkeit zur Verringerung der Energieimporte hervor und machte auf die enormen Energieeinsparungspotentiale etwa bei der Beleuchtung oder in den Kraftwerken aufmerksam. Europa könne ohne Wohlstandsverlust 50 % seines Energieverbrauchs einsparen, sagte Schüssel und bekannte sich dazu, den Flug- und Schiffsverkehr gerecht zu besteuern.

Einen wichtigen Beitrag leistet die EU bei den Anstrengungen für eine friedliche Entwicklung der Welt. In diesem Zusammenhang unterstützte Schüssel die Außenministerin, die kürzlich die geplanten Raketenstationierungen in Tschechien und Polen angesprochen hat. "Wir wollen kein neues Wettrüsten", stellte der VP-Klubobmann klar.

Der Verfassungsvertrag gibt für Klubobmann Schüssel viele Antworten auf wichtige europäische Fragen. Er ermöglicht eine gemeinsame europäische Energiepolitik auf der Grundlage qualifizierter Mehrheiten und macht den Weg frei zu einem europäischen Außenminister, der in der Welt mit einer Stimme für Europa spricht. Gestärkt werden sowohl die nationalen Parlamente als auch das europäische Parlament. Der Vertrag sei kein Wunderwerk, aber ein kluges Instrument zur Weiterentwicklung Europas.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) begrüßte die Schwerpunktsetzung des Europäischen Gipfels für den Klimaschutz und machte darauf aufmerksam, welch wesentlicher Beitrag die Ökoindustrien für Wachstum, Beschäftigung und Klimaschutz leisten. Van der Bellen unterstützte nachdrücklich das Ziel der deutschen Präsidentschaft, verbindliche Ziele für die Reduktion der Treibhausgase festzuschreiben. Eine neue Energiepolitik sei notwendig, weil es gar keine Alternative dazu gebe. Fossile Brennstoffe müssen durch erneuerbare Energieträger ersetzt werden, unterstrich Van der Bellen, der sich überzeugt zeigte, dass dies ohne Komfortverlust für die Menschen möglich sei. Die Kosten für einen wirksamen Klimaschutz seien jedenfalls wesentlich geringer als der wirtschaftliche Schaden, den Versäumnisse beim Klimaschutz nach sich ziehen würden. In diesem Zusammenhang lobte der Klubobmann der Grünen Vorarlberg für dessen vorbildliche Wohnbauförderung, die dazu führe, dass in diesem Bundesland nur noch Passivhäuser gebaut werden, die man im Winter kaum beheizen und im Sommer nicht kühlen müsse. Die Zielsetzung der Bundesregierung, Passivhäuser bis 2015 einzuführen, hielt Van der Bellen für zu wenig ambitioniert.

Kritik übte Van der Bellen auch daran, dass Österreich das jüngst von neun europäischen Arbeitsministern unterschriebene Papier zur sozialen Dimension Europas nicht unterzeichnete, was Van der Bellen darauf zurückführte, dass nicht Sozialminister Buchinger der österreichische Arbeitsminister sei, sondern Wirtschaftsminister Bartenstein.

F-Klubobmann STRACHE wandte sich gegen den "Schönsprech" der EU-Bürokratie, mit dem sie den europäischen Bürgern vorgaukeln wolle, die Union sei ein Paradies für die Menschen. Tatsächlich seien die Menschen besorgt über die Entwicklung Europas, und darauf ist für Strache die sinkende Zustimmung zur Europäischen Union zurückzuführen. Es sei richtig, dass die Wirtschaft wachse, gleichzeitig nehme aber auch die Arbeitslosigkeit zu. Der Euro habe sich als ein "Teuro" herausgestellt, der das Leben der Menschen verteuere. Vor diesem Hintergrund warnte Klubobmann Strache davor, soziale Verantwortung in Österreich nach Brüssel abzuschieben. Österreichische Politiker müssen soziale Verantwortung für die Menschen in Österreich wahrnehmen.

Eine Wiederbelebung des EU-Verfassungsvertrages hielt Strache für einen falschen Weg. Die Unionslobby sollte der Bevölkerung nichts aufzwingen dürfen. Kommt es daher zu einer neuen Entscheidung über den Verfassungsvertrag, verlangte Klubobmann Strache die Einbindung der Bevölkerung und legte dazu einen Entschließungsantrag seiner Fraktion für eine zwingende Volksabstimmung vor.

Als eine Hauptursache für die steigende EU-Skepsis der europäischen Bürger identifizierte Strache die mangelnde Mitsprache der Bürger in der Europäischen Union. Man müsste wieder zu der ursprünglichen demokratischen Auffassung zurückfinden, auf die Meinung der Menschen hören und sie ernst nehmen.

Scharfe Kritik übte der F-Klubobmann schließlich an Umweltminister Pröll, der den Menschen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz verbieten wolle, Flugreisen zu unternehmen. Es gehe nicht an, dem Normalbürger Flugreisen verbieten zu wollen oder sie so teuer zu machen, dass sie sich nur noch Reiche leisten können.

B-Klubobmann WESTENTHALER illustrierte die Entwicklung der Europäischen Union, indem er von einem "Geisterzug" sprach, in dem die Schaffner noch ihren Dienst tun, aber immer weniger Menschen mitfahren, weil sie von der Richtung, in die sich der Zug bewegt, nicht mehr überzeugt sind. Neue Steuern und neue Belastungen für die Menschen können keine erfolgreiche Politik für Europa sein. Die EU befinde sich in einer Krise, resümierte Westenthaler. Er konnte auch den Optimismus seiner Vorredner für verbindliche Entscheidungen zu Gunsten erneuerbarer Energieträger auf dem kommenden Europäischen Gipfel nicht teilen. Das Ziel eines 20 %-Anteils werde nämlich von den EU-Wirtschaftsministern abgelehnt.

Scharfe Worte fand Westenthaler gegenüber der neuen EU-Verbotspolitik. Die Menschen sollen, gehe es nach der EU, zwar das ganze Jahr hart arbeiten, dann aber nicht mehr auf Urlaub fahren dürfen. Auch ein Rauchverbot in Lokalen gehe an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Eingriffe in das Freizeitverhalten der Bürger lehnt Westenthaler ab. Beim Thema "Kerosin-Steuer" wollte der B-Klubobmann jede Wette annehmen, dass diese neue EU-Finanzierung die Beiträge der Nettozahler nicht senken werde. Dieser EU-Steuer hänge man das Umweltmäntelchen nur um, um sie den Menschen schmackhaft zu machen, sagte Westenthaler.

"Heilloses Chaos" lasse die Regierung beim Thema Mobilität erkennen. Während Pläne zur Erhöhung der Mineralölsteuer und der Autobahnvignette geschmiedet würden, wolle man zugleich eine Mobilitätsprämie für Arbeitnehmer einführen. Das ist keine seriöse Politik, kritisierte Westenthaler.

Peinlich sei der Staatsbesuch des Bundeskanzlers in Prag verlaufen, sagte der B-Klubobmann und erinnerte daran, dass Gusenbauer nicht über einen Störfall im AKW Temelin informiert wurde. "Die nehmen uns nicht ernst", stellte er fest und forderte die Bundesregierung auf, das AKW Temelin zu bekämpfen und für seine Abschaltung einzutreten.

Wenn die Kriminalität zunehme, könne die Lösung für die überfüllten Gefängnisse nicht lauten, Häftlinge freizulassen, formulierte Westenthaler weiter und lehnte die langjährige Übergangsfrist ab, die Polen bei der Vereinbarung über Haftstrafen für Ausländer in ihren Heimatländern gewährt werden soll.

Vizekanzler Mag. MOLTERER ging zunächst auf den am Wochenende in Brüssel stattfindenden EU-Gipfel ein. Es sei sehr zu begrüßen, dass er auf eine längerfristige Perspektive hin ausgerichtet ist und drei Präsidentschaften intensiv zusammenarbeiten. Dieses Modell werde seiner Ansicht nach Schule machen, da es eine bessere Verlässlichkeit der europäischen Politik garantiere, war Molterer überzeugt. Ein wichtiges Thema bei diesem Treffen werde die Zukunft des Verfassungsvertrages sein. Zu Recht erwarten die Bürgerinnen und Bürger, dass Europa auf Lebensfragen der Menschen, wie etwa die Daseinsvorsorge, die richtigen Antworten gibt. In Richtung des Abgeordneten Strache gab Molterer zu bedenken, dass der Verfassungsvertrag für viele Fragen, die auch von den Freiheitlichen gestellt werden, die Lösung sei und nicht das Problem.

Weitere wichtige Zukunftsthemen seien der Klimaschutz und die Energie, führte der Vizekanzler weiter aus. Österreich trete dabei für verpflichtende Zielsetzungen, z.B. bei der erneuerbaren Energie, ein. Also ein klares Ja zum Ausbau der Wasserkraft, überall dort, wo dies ökologisch verantwortbar ist, unterstrich Molterer. Es reiche nämlich nicht, einen Konsens hinsichtlich der Ablehnung der Atomenergie zu haben, sondern es müsse dann auch ein klares Bekenntnis zu den erneuerbaren Energieformen geben. Es gehe auch darum, die sich dadurch ergebenden Chancen für Wachstum und Beschäftigung noch viel besser zu nutzen.

Was die Beschäftigungssituation in Europa angeht, das dritte große Thema, so stimme die Richtung, meinte der Vizekanzler. Er unterstütze dezidiert die Initiative der deutschen Präsidentschaft, die auf die Qualität der öffentlichen Finanzen abzielt. Dabei stehe nicht nur die Konsolidierung der Haushalte im Mittelpunkt, sondern auch die Frage, wo soll richtig investiert werden. Bezüglich der Schaffung einer eigenen Finanzbasis für die EU erklärte Molterer, dass er für eine Kerosin- oder Schiffsdieselbesteuerung oder eine Tobin-Tax eintrete. Weiters befürworte man eine Stärkung des Binnenmarktes (z.B. in der Frage der Finanzdienstleister) sowie des Arbeitsmarktes, wobei Österreich ein Modell der Mitarbeiterbeteiligung präsentieren wird. Außerdem werde man sich für eine Reduktion der Bürokratie – Ziel ist minus 25 % - nicht nur auf europäischer, sondern auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten einsetzen.

Auch wenn die Kritik der Opposition, dass Europa noch nicht das leiste, was es leisten könne, richtig sei, so müsse man bedenken, dass die Lissabonstrategie zu greifen beginne, meinte Abgeordneter Dr. EINEM (S). Von besonderer Bedeutung sei dabei die Annahme des europäischen Verfassungsvertrages, um Europa handlungsfähiger zu machen. Erst dann könne die EU den konkreten Nutzen, den sie für die Bürgerinnen und Bürger hat, unter Beweis stellen. Aus diesem Grund trete er auch für eine Änderung der Regeln ein, damit in mehr Bereichen eine qualifizierte Mehrheit ausreichend ist, um effiziente Schritte einzuleiten. Die Bürger wünschen sich eine gemeinsame, kohärente europäische Außenpolitik im Interesse des Friedens oder eine wirksame Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, betonte Einem. Was die Kerosin-Besteuerung in der EU angeht, so halte er dies für eine sehr wirksame und sinnvolle Maßnahme. Beim Strommarkt müsse man sicherstellen, betonte der Redner, dass nicht immer weniger und große Lieferanten, die eine sehr große Macht haben, entstehen, sondern dass eine Vielfalt von Produzenten gefördert wird.

Die deutsche Präsidentschaft habe sich sehr viele wichtige Ziele gesetzt, erklärte Abgeordnete RAUCH-KALLAT (V), wobei im Vordergrund stehe, dass die Union zu einem Europa der Menschen gemacht und der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft gestärkt wird. Nicht nur die Erweiterung der Union auf mittlerweile 27 Mitgliedstaaten, sondern auch die demographische Entwicklung verlangen große Anstrengungen, denn ein "Krieg zwischen Jungen und Alten" müsse auf jeden Fall verhindert werden. Im Bereich der Gesundheit setzte die deutsche Präsidentschaft vor allem auf Vorsorge- und Präventionsmaßnahmen, was Rauch-Kallat als sehr wichtig erachtete. Erfreulich sei zudem, dass auch der Gleichstellung von Frauen und Männern eine große Bedeutung zugemessen wird. Die von der Kommission vorgelegte Road-map für die Gleichstellung von Frauen und Männern für die Jahre 2006 bis 2010 müsse auf nationaler und internationaler Ebene konsequent umgesetzt werden, forderte die Rednerin, und hier gebe es noch sehr viel zu tun. Weitere wichtige Themen seien die Bekämpfung der traditionsbedingten Gewalt an Frauen sowie der Schutz von Menschenrechtsaktivistinnen in allen Ländern der Welt.

Die deutschen EU-Präsidentschaft habe sich vor allem zwei Ziele vorgenommen, und zwar die Wiederbelebung der Verfassungsdebatte sowie die Entwicklung einer europaweiten Strategie gegen den Klimawandel, erläuterte Abgeordnete Mag. LUNACEK (G). Von Österreich erwarte sie sich, dass es sich nicht nur für die Verbindlichkeit der Klimaziele einsetzt, sondern auch für die Reduktion der Treibhausgase in Europa bis 2020 um 30 %. In Bezug auf die Verfassungsfrage müsse auf dem Gipfel klar gemacht werden, dass es einen neuen Konvent mit einer ganz starken Beteiligung der Parlamente sowie der Zivilgesellschaft geben soll, forderte Lunacek. Die Grünen waren schon immer der Auffassung, dass keine nationale, sondern eine europaweite Volksabstimmung durchgeführt werden soll. Ein neuer Verfassungsvertrag habe aber nur dann eine Chance, wenn auch die Sozialrechte verankert werden. Sie brachte schließlich noch einen Entschließungsantrag ein, in dem u.a. die Regierung und insbesondere Bundesminister Bartenstein aufgefordert wird, der Initiative von neun europäischen Arbeitsministern und -ministerinnen "Enhancing social Europe" beizutreten. Außerdem forderte sie die Außenministerin auf, auf europäischer Ebene gegen die gestrige Verhaftung von Frauenaktivistinnen im Iran zu protestieren.

Abgeordnete ROSENKRANZ (F) kritisierte, dass in Österreich keine Volksabstimmung über die europäische Verfassung geplant sei. Die Bürger seien daher zu Recht verdrossen, da es keine offene, vorbehaltslose und redliche Debatte über dieses Thema gebe. Die Freiheitlichen gehen genau den gegenteiligen Weg, betonte die F-Mandatarin, sie fordern eine offene Diskussion und eine Zustimmung auf Ratsebene mit Vorbehalt. Dies bedeutet, dass in entscheidenden Fragen, wie etwa dem möglichen Türkeibeitritt, eine Volksabstimmung durchgeführt werden muss. Negativ beurteilte Rosenkranz in diesem Zusammenhang, dass die Außenministerin den Verhandlungen für einen Vollbeitritt der Türkei zugestimmt hat und dass bereits 1,3 Mrd. € an Heranführungsbeihilfe ausbezahlt wurden. Die Annahme der derzeitigen Version der europäischen Verfassung würde zudem bedeuten, dass es mit der österreichischen Neutralität vorbei sei, da eine Bestandspflicht im Kriegsfall vorgesehen sei. Rosenkranz brachte noch einen Entschließungsantrag betreffend den sofortigen Abbruch der Verhandlungen über einen Vollbeitritt der Türkei zur EU ein.

Abgeordneter SCHEIBNER (B) befürchtete, dass auch während der aktuellen EU-Präsidentschaft keine adäquaten Antworten auf die brennenden und wichtigen Fragen in Europa gefunden werden. Es brauche daher niemanden zu wundern, wenn in der Bevölkerung keine Europa-Euphorie zu finden ist. Er glaube, dass man am Verfassungsvertrag nicht mehr "herumdoktern" könne und stattdessen neue Ideen gefragt sind. Seine Fraktion präferiere das Modell Kerneuropa, führte Scheibner aus, da es aus seiner Sicht nicht sinnvoll sei, Länder wie Rumänien oder Bulgarien gleich zu behandeln wie Deutschland oder Österreich. Per Volksabstimmung sollte jedes Land für sich entscheiden, ob es den gesamten Bereich der europäischen Integration mittragen möchte oder nur einzelne Module. Außerdem sollte es noch ein Modell "Partnerschaft für Europa" geben, für jene Länder, die aus den verschiedensten Gründen nicht EU-Mitglied werden können oder wollen. Dies wäre auch eine Lösung für die Türkeifrage, schlug Scheibner vor. Beim Klimaschutz müsste man sich fragen, wo wirklich die großen Verschmutzer sind, und das sind nun einmal China und Indien. Diese Länder stellen unter Missachtung aller Umweltstandards Produkte zu Preisen her, die absolut wettbewerbsverzerrend sind. Eine weitere europäische Zielsetzung müsste es sein, die Legalisierungsprogramme von Spanien, Italien und Griechenland, die eine Einladung an afrikanische Einwanderer darstellen, zu unterbinden.

Bundesministerin Dr. PLASSNIK stellte die Frage, was unter europäischem Denken und Handeln zu verstehen sei. Die letzten Wochen zeigen ganz deutlich, welche Komponenten darunter fallen, und zwar Nachhaltigkeit, Wertefundament, sozialer Zusammenhalt und europäisches Lebensmodell. Gerade beim Klimawandel sehe man, dass nur ein gemeinsames Vorgehen erfolgreich sein könne. Es habe bereits eine Bewusstseinsveränderung stattgefunden, war Plassnik überzeugt, Europa sei nun offenbar bereit für eine "Energiediät". Es gehe darum, die heikle Balance zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Umweltschutz zu finden. Sie sei zutiefst davon überzeugt, dass die europäische und österreichische Wirtschaft in der Lage ist, Wegbereiter und globaler Trendsetter im Bereich der Umwelttechnologie zu werden.

Europa werde sich auch weiterhin für die sozial Schwächeren in der Gesellschaft einsetzen, führte Plassnik weiter aus. In Richtung der Freiheitlichen merkte die Außenministerin an, dass sie sich dagegen verwehre, wenn die soziale Realität in Österreich schlecht gemacht wird. Eine Euro-Barometer-Umfrage habe ergeben, dass gerade die Österreicher sehr zufrieden mit ihrer Lebensqualität, den Schulen, dem Lebensstandard oder der medizinischen Versorgung sind. Auch der europäische Verfassungsvertrag beschränke sich nicht nur auf Institutionenregelungen, sondern befasse sich sehr intensiv mit der europäischen Identität und den Werten, gab die Ministerin zu bedenken. Sie traue der deutschen Präsidentschaft zu, dass sie die Eckpunkte und den Fahrplan in den nächsten Monaten entwickeln wird.

Abgeordnete Mag. WURM (S) sah die Notwendigkeit einer sozialen Weiterentwicklung der EU, die auch die Akzeptanz bei den BürgerInnen fördern würde. Die Sozialdemokraten hätten immer einen sozialeren Kurs eingefordert, und die SP-geführte Regierung werde diesen Kurs fortsetzen. Die Zielsetzungen der deutschen Präsidentschaft bezüglich Jugendbeschäftigung und Arbeitsmarkt gelte es auch in den Nationalstaaten durchzusetzen, meinte Wurm und betonte die Bedeutung der Bildung für die Beschäftigungschancen. "Hier müssen wir ansetzen", sagte sie. Einiges sei auch bezüglich Chancengleichheit für Frauen zu tun, etwa die Schaffung von Betreuungsplätzen für Kinder.

Die EU habe sich klare Ziele gesetzt, um den Arbeitsmarkt auszubauen und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, betonte Abgeordneter GRILLITSCH (V). Es brauche in der Energiepolitik und in den internationalen Handelsfragen wie bezüglich Klimawandel klare Antworten. Die Mittel seien knapp, aber bei offenen Märkten und knappen Mitteln brauche es weniger Bürokratie auch für die Bauern. Grillitsch zeigte sich froh über die öffentliche Debatte zum Thema Klimawandel; die Bauern hätten, weil sie "ihre Werkstätte in der freien Natur haben", als erste den Schaden, wenn es ein paar Wochen 40 Grad habe. Grillitsch brachte einen Entschließungsantrag bezüglich steuerlicher Maßnahmen im Rahmen der EU – z.B. auf Kerosin – ein, zu prüfen, wobei es zu keiner Mehrbelastung der Bürger kommen dürfe.

Abgeordnete Dr. LICHTENECKER (G) sah Europa als einen "Kontinent der Chancen" und ging auf das Thema Klimawandel und dessen katastrophale Auswirkungen weltweit ein. Die Debattenredner hätten gefordert, dass Österreich an der Spitze der Klimaschutzmaßnahmen stehen sollte, tatsächlich sei Österreich aber Schlusslicht. Diskutieren sei zu wenig, es gelte zu handeln. Die Treibhausgas-Emissionen müssten reduziert werden, und das sei nur mit Konsequenz machbar. Bis 2010 müsste daher der Einsatz der erneuerbaren Energieträger um 20 % gesteigert werden. Die Menschen seien in Europa bereit, ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, zumal damit auch Arbeitsplätze geschaffen würden. Sie forderte den Bundeskanzler auf, beim bevorstehenden EU-Rat für ein "Raus aus Öl und Atom" einzutreten, und brachte einen entsprechenden Entschließungsantrag ein.

F-Abgeordneter Dr. BÖSCH warf dem Bundeskanzler "abgehobenes Schönreden" vor und thematisierte im Zusammenhang mit Gusenbauers Besuch in Tschechien die Benes-Dekrete. Es gebe hier einstimmige Beschlüsse, unterstrich Bösch, und legte einen Entschließungsantrag vor, die kroatischen Entschädigungsgesetze für Österreicher im Gefolge des 2. Weltkriegs zu ratifizieren. In einem weiteren Antrag wird die Regierung aufgefordert, sich für eine gleichwertige Verwendung des Deutschen als Verfahrenssprache neben Englisch und Französisch einzubringen. Kritisch wandte sich Bösch gegen die in der Vorwoche gegründete Menschenrechtsagentur, zumal die Aufgaben der Agentur vom Europarat seit Jahren wahrgenommen würden. Erneut forderte Bösch eine österreichische Volksabstimmung über den EU-Beitritt der Türkei.

Abgeordneter Mag. DARMANN (B) zitierte eingangs aus dem deutschen Programm der Präsidentschaft betreffend Freiheit und Sicherheit. Er frage sich, wie diese Ideen mit den Ideen eines Haftentlassungsprogramms der Justizministerin vereinbar sei. "Mit uns wird es das nicht geben", hielt der Abgeordnete fest und wandte sich dagegen, ausländische Straftäter nach Verbüßung der halben Haftstrafe zu entlassen. Ein entsprechendes Aufenthaltsverbot gelte zudem nur für das österreichische Staatsgebiet. Darmann forderte in diesem Zusammenhang mehr Personal für die Justiz.

Sozialminister Dr. BUCHINGER sagte, die Regierung habe sich von ihrem Start weg zu einem starken und sozialen Europa bekannt, etwa für Mindeststandards bei Beschäftigung und Sozialem. Es gehe um Sicherung und Ausbau der Lebensqualität in Europa, betonte Buchinger, und nannte drei Kennzahlen: Die Arbeitslosigkeit sei auch auf europäischer Ebene in den letzten Monaten zurückgegangen – aber immer noch seien 17 Mill. Menschen ohne Arbeit. 67 Mill. seien von Armut bedroht. Bis zum Jahr 2050 würde die Zahl der über 80-jährigen um 172 % zunehmen. Diese Herausforderungen könnten nur durch enge Kooperation gemeistert werden. Buchinger zog drei Schlussfolgerungen: Die Bewältigung dieser Herausforderungen müsse ins Zentrum gerückt werden – Barroso liege in diesem Punkt richtig. Alle Politikfelder müssten aufeinander abgestimmt werden, und der Primat der Politik müsse wiedergewonnen werden. Das Eintreten für europäische Mindeststandards und der Einbau solcher Standards in den internatiolen Handel seien daher nötig, ebenso die Sicherung entsprechender Löhne. Wo Mindeststandards noch nicht durchsetzbar sind, müsse Konvergenz angestrebt werden. Schließlich gehe es um integrierte Unterstützung der Lissabon-Strategie.

Auch Abgeordnete CSÖRGITS (S) zeigte sich froh über die Betonung des sozialen Aspekts in Europa und ging auf die entsprechenden Absichten der Regierung ein. Die Qualität der Arbeit habe zuletzt in den Mitgliedsstaaten an Bedeutung gewonnen, das bedeute auch die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Chancengleichheit für Frauen in allen Bereichen. Csörgits sprach sich für mehr Betreuungseinrichtungen sowohl für Kinder als auch für pflegebedürftige Personen aus.

Abgeordneter NEUGEBAUER (V) würdigte zunächst die Leistungen der österreichischen Präsidentschaft vor einem Jahr. Die Distanz zwischen den BürgerInnen und den europäischen Institutionen müsse verkürzt werden; in der Verfassungsdebatte gelte es die Substanz zu erhalten; die österreichische Form der Mitarbeiterbeteiligung könne in die EU eingebracht werden. Es seien nicht "gigantische Fortschritte" zu erwarten, aber "Optimismus ist der Schwimmgürtel für den Strom des Lebens", auch in Bezug auf Europa.

Abgeordnete Dr. MOSER (G) sieht den Ausbau der sozialen Dimension wie der Sozialminister ebenso als wichtig an – aber 300 Mrd. € an Verkehrssubventionen seien dem nicht förderlich. Moser forderte in diesem Zusammenhang Kostenwahrheit und eine europäische Steuerpolitik. Die Hälfte der österreichischen Bevölkerung würde infolge der Emissionen des Verkehrs ein Jahr kürzer leben, es brauche daher Kostenwahrheit "für ein soziales Europa".

Die SPÖ habe nicht, wie Cap gesagt habe, "Zwentendorf verhindert", sondern "hingebaut", eröffnete Abgeordneter VILIMSKY (F) seine Rede. Die Regierungsfraktionen hätten von Europa ein rosiges Bild gezeichnet; dagegen spräche ein realer Einkommensverlust, der die Pensionisten besonders getroffen habe. Er habe den Eindruck, dass die SPÖ ihr soziales Gewissen abgegeben habe. Einen Entschließungsantrag konnte Vilimsky nicht mehr einbringen, weil seine Redezeit erschöpft war.

Abgeordnete HAUBNER (B) erinnerte daran, dass Sozialpolitik nationale Aufgabe sei. Die V-B-Regierung habe entsprechend gehandelt, und Österreich sei ein "Vorzeigeland" in der Sozial- und in der Familienpolitik, betonte die frühere Sozialministerin. Sie sei froh, dass die neue Regierung das von der früheren Regierung geschnürte Paket nicht aufschnüre, weil es dabei um die Zukunft der Familien gehe. Bezüglich gleichen Zugangs zur Gesundheit und Pflege forderte sie die Regierung auf, aktiv zu werden. Das individuelle Pflegegeld dürfe nicht angetastet werden, schloss Haubner.

Sämtliche Anträge der Oppositionsfraktionen blieben bei der Abstimmung in der Minderheit und wurden abgelehnt. Der Antrag der Regierungsfraktionen wurde mit Mehrheit angenommen. (Schluss)