Parlamentskorrespondenz Nr. 332 vom 04.05.2007

Gruber: Wir verneigen uns vor den VertreterInnen des Widerstands

Wortlaut der Rede bei der Gedenkveranstaltung im Parlament

Wien (PK) – Wortlaut der Rede von Bundesratspräsident Manfred Gruber bei der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Fast ein Jahrzehnt schon ist es gute Tradition, den Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus zu begehen. Wenn wir heute der Opfer des Nationalsozialismus gedenken, dann ist dies mehr als eine Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit und Zukunft.

Es ist mehr als eine bloße Deklaration unserer demokratischen Grundeinstellung. Bekunden wir doch damit, dass von uns – der österreichischen Gesellschaft – nicht nur die Verantwortung für unsere Geschichte in ihrer Gesamtheit übernommen wurde, sondern dass wir uns auch verpflichtet fühlen, dem alltäglichen Vergessen genauso entgegenzutreten, wie den alltäglichen Unachtsamkeiten, die nur zu schnell zu Diskriminierung, Herabsetzung und Entwertung von Anderen führen.

Dieses Selbstverständnis hat sich erst ab 1980 zu verändern begonnen. Die Erklärung von Bundeskanzler VRANITZKY über die "moralische Mitverantwortung für unsere Bürger" hat zum Durchbruch und zu einem neuen Selbstverständnis Österreichs geführt, dessen Ausdruck dieser Gedenktag heute ist.

Wir verneigen uns vor jenen Vertreterinnen und Vertretern des Österreichischen Widerstands, die hochbetagt, den Weg und die Mühe nicht gescheut haben, in unserer Mitte den Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus zu begehen.

Wir verneigen uns aber auch vor all jenen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern, die nicht mehr unter uns weilen.

Wir gedenken ihrer in Hochachtung.

Wenn wir heute derer gedenken, die sich in einer unmenschlichen Zeit das Gefühl für Gerechtigkeit und Menschlichkeit bewahrt haben, darf der Name Rosa JOCHMANN nicht fehlen.

Sie war eine der mutigsten Streiterinnen für Gerechtigkeit und Demokratie – und sie kämpfte auch noch nach 1945 als Nationalratsabgeordnete "für die Versöhnung" für die Opfer des Nationalsozialismus – und gegen das Vergessen.

Allein in meinem Heimatbundesland Salzburg sind nach den Akten etwa 2000 Menschen von der Gestapo als Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer verfolgt worden. Unter ihnen waren Arbeiter und Bauern, Intellektuelle und Soldaten, Studenten und Geistliche – Menschen aller Berufs- und Altersgruppen – Menschen ganz unterschiedlicher politischer Überzeugungen.

Erlauben Sie mir zwei konkrete Beispiele aus Salzburg anzuführen:

Es war die Ordensschwester Anna Bertha KÖNIGSEGG, die nachweislich mit großem Mut gegen die staatlich angeordnete Ermordung geistig Behinderter eingetreten ist.

Aber auch Agnes PRIMOCICS – vor wenigen Tagen 102jährig in Hallein verstorben – war ein Symbol für den Widerstand.

Legendär war ihre Befreiungsaktion für 17 zum Tode verurteilte Gefangene aus dem KZ Außenlager Hallein in den letzten Apriltagen des Jahres 1945.

Unüberhörbar ihre Worte mit denen sie zur Zivilcourage mahnte "nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht"!

Widerstand bedeutet nicht allein bewaffneten Widerstand.

Der Widerstand des Wortes, der Widerstand der Haltung, der Widerstand des Gewissens ist nicht weniger mächtig.

Wir nennen diese Form des Widerstandes "Zivilcourage", sie steht für Mut und Bereitschaft, eigene Gewissensüberzeugungen zu vertreten.

Zivilcourage kann viel bewirken: Das Ende der kommunistischen Diktaturen ist der Zivilcourage all jener zu verdanken, die im Jahr 1989 auf die Straße gegangen sind.

Zivilcourage ist mehr: wir bedürfen ihrer täglich, auch in der Demokratie. Jede Bürgerin, jeder Bürger ist aufgerufen, Zivilcourage zu leben.

Die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer vergangener Tage, sind uns Vorbild und sie werden uns Vorbild bleiben!

Ich danke Ihnen.

(Schluss)