Parlamentskorrespondenz Nr. 446 vom 06.06.2007

Breite Mehrheit im Nationalrat für Jugendwohlfahrtsgesetz

Kdolsky plant modernes Jugendchancengesetz

Wien (PK) - Nationalratspräsidentin Mag. PRAMMER ging nach der Fragestunde in die Behandlung der Tagesordnung ein und erteilte Abgeordneter ZWERSCHITZ (G) das Wort zur Debatte über die Jugendwohlfahrtsgesetz-Novelle 2007.

Die Rednerin erinnerte daran, dass es sich bei der vorliegenden Gesetzesänderung um eine Reaktion auf die tragischen Vorfälle in Oberösterreich handle, und meldete Zweifel an, dass derartige Fälle mit einer Verpflichtung für Lehrer, Kindergärtner und Horterzieher, Verdachtsmomente an die Jugendwohlfahrtsbehörde zu melden, vermieden werden können. Die Möglichkeit einer Meldung habe schon bisher bestanden, in erster Linie habe man Problemfälle aber im Team besprochen und nach Lösungen gesucht. Dafür brauche man Menschen mit Zivilcourage. Die Meldepflicht sei problematisch, weil sie das Vertrauen der Betreuer zu den Jugendlichen zerstören könne. Das zweite Argument, das die Grünen veranlasse, der Novelle nicht zuzustimmen, seien die ungeklärten finanziellen Auswirkungen. Wirke das Gesetz, komme es zu mehr Meldungen und erhöhtem Aufwand der Jugendwohlfahrtsbehörde, diesem Aufwand sei aber budgetär nicht Rechnung getragen worden.

Abgeordnete Mag. GROSSMANN (S) sah große Lücken in der Jugendwohlfahrt, das sei durch die tragischen Fälle vernachlässigter Kinder in Oberösterreich drastisch vor Augen geführt worden. Da es sich nur um die Spitze eines Eisbergs handle, sei die Novelle und die neue Meldepflicht für Schulen, Kindergärten und Betreuungseinrichtungen notwendig und sinnvoll. Viele Fälle vernachlässigter Kinder würden zu spät aufgedeckt, was jahrelanges Kindesleid und gravierende Spätfolgen nach sich ziehe. Um eine Überlastung der Behörden durch Fehlmeldungen zu vermeiden, werde die Familienministerin die Schulen unterstützen. Es sei auch sichergestellt, dass die Schulen nicht zu Vollzugsorganen der Jugendwohlfahrt werden. Sollte sich ein erhöhter Aufwand ergeben, werden Bundesmittel zugeschossen, auch das habe die Bundesministerin zugesagt, erklärte Abgeordnete Grossmann, die die Novelle als einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden Modernisierung des Jugendwohlfahrtsgesetzes sah.

Abgeordnete MANDAK (G) unterstrich die Bedeutung des Vertrauens zwischen Kindern und LehrerInnen, eine Vertrauensbasis, die durch die geplante Meldepflicht gefährdet sei. Eine Meldung könne gut gehen, es bestehe aber auch die Gefahr, dass dadurch mehr Schaden als Nutzen angerichtet werde. Wenn das Gesetz einen Sinn haben soll, werde es zu mehr Meldungen und zu einem erheblichen Mehraufwand der Jugendwohlfahrtsbehörden führen. Da keine zusätzlichen Mittel vorgesehen seien, könnten die Grünen der Novelle nicht zustimmen.

Abgeordnete FUHRMANN (V) unterstrich die Verpflichtung, Kinder und Jugendliche zu schützen, eine Verpflichtung, der die Politik durch die vorliegende Novelle nachkomme. Sie verbessere den Informationsfluss zwischen Behörden und etabliere ein Frühwarnsystem durch Einbeziehung der Schulen und Betreuungseinrichtungen in die Mitteilungspflicht gegenüber der Jugendwohlfahrtsbehörde. Auf die Zivilcourage, von der die Grünen träumten, so die Abgeordnete, wollte sich Fuhrmann nicht verlassen müssen. Kinder verdienen es, in einem glücklichen Umfeld aufzuwachsen. Die Novellierung sei auch für sie ein erster Schritt in Richtung Modernisierung des Jugendwohlfahrtsgesetzes.

Auch Abgeordnete Dr. BELAKOWITSCH-JENEWEIN (F) sah den vorliegenden Schritt als ein kleines Steinchen, dem die Freiheitlichen zustimmen. Es sei zwar zu befürchten, dass viele zusätzliche Fehlmeldungen bei der Jugendwohlfahrtsbehörde eingehen werden, was man aber in Kauf nehmen sollte, weil die Chance, Kindern zu helfen, größer werde. Die Freiheitlichen hätten es auch gerne gesehen, wenn Lehrer und Eltern stärker in die Diskussion einbezogen worden wären, sagte die Abgeordnete und rief dazu auf, an diesem Thema dranzubleiben und die nächste Novelle als einen großen Wurf zu gestalten.

Abgeordnete HAUBNER (B) sah Handlungsbedarf im Bereich der Jugendwohlfahrt und wertete unisono mit ihren Vorrednerinnen die vorliegende Novelle als einen ersten kleinen Schritt. Ihr Vorschlag für die weitere Vorgangsweise lautete auf Abhaltung eines Gipfels mit den Bundesländern unter Einbeziehung von Lehrern, Sozialarbeitern und Eltern; eine große Novelle sei vorzubereiten.

Konkrete Vorschläge ihrer Fraktion für ein Maßnahmenpaket zur Beseitigung bestehender Mängel in der staatlichen Sorge um das Kindeswohl sowie zur Bekämpfung des Komatrinkens bei Jugendlichen, legte die Abgeordnete in Form zweier B-Entschließungsanträge vor. Darin forderte Haubner ein bundeseinheitliches Jugendschutzgesetz, einen effektiveren Schutz gefährdeter Kinder, ein Informationsvernetzungssystem zur Aufdeckung von Gewaltfällen, verstärkte Aufklärung, Elternbildung, altersgerechte Informationskampagnen und die finanzielle Absicherung der Besuchsbegleitung von Scheidungskindern.

Gegen das Komatrinken will das BZÖ die Umsatzsteuer auf alkoholfreie Getränke senken, Aufklärungskampagnen starten, die Gastronomie strenger kontrollieren und eine Jugend-Chipkarte einführen.

Bundesministerin Dr. KDOLSKY unterstrich ihr Eintreten für ein modernes Jugendwohlfahrtsrecht und argumentierte für die vorliegende Novelle, indem sie festhielt, der Schutz von Kindern und Jugendlichen setze eine funktionierende Kommunikation zwischen den Fachleuten der Jugendbetreuung und den Lehrern voraus. Daher werde ein Frühwarnsystem etabliert, um in Fällen, in denen das Kindeswohl gefährdet sei, rasch reagieren zu können. Die Ausdehnung der Mitteilungspflicht auf die Schulen werde zu mehr Fehlmeldungen führen, zeigte sich auch die Ministerin überzeugt, dies müsse man aber in Kauf nehmen, um bei gravierenden Fällen rasch eingreifen zu können. Vertrauenspersonen müssen die Möglichkeit haben, Schritte zu setzen; sie werde gemeinsam mit den Schulen dafür sorgen, die Zahl der Fehlmeldungen so gering wie möglich zu halten. Die Novelle stelle auch für sie einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer großen Novelle des Jugendwohlfahrtsgesetzes dar, sagte Kdolsky, ein "Jugendchancengesetz", so ihr Titelvorschlag, sollte präventive Maßnahmen vorsehen, Jugendlichen mit Entwicklungsstörungen Hilfe bieten und auch die Frage beantworten: 18 Jahre - und aus?

Beim Thema Kinder und Alkohol plane sie nicht nur die Einführung farbiger Ausweise, sondern Informationskampagnen und bereite Angebote für Eltern vor. Den Jugendlichen müsse klargemacht werden, dass Alkohol kein Problemlöser sei.

Abgeordnete Mag. MUTTONEN (S) bekannte sich zur Absicht, den Informationsfluss zwischen Betreuern und Behörden zu verbessern und sah das neue Frühwarnsystem positiv. Es blieben aber eine Reihe von Fragen offen, sagte Muttonen, die dafür eintrat, das Netz der Jugendwohlfahrt enger zu knüpfen, die Kriterien, wann Fälle gemeldet werden müssen, präziser zu fassen und die Ressourcenfrage zu klären.

In der von Abgeordneter Muttonen aufgeworfenen Frage nach niedrigschwelliger Sozialarbeit sah Abgeordnete STEIBL (V) die Bundesländer gefordert. Steibl sprach von einem wichtigen Schritt, zeigte sich zugleich aber verwundert über die Entschließungsanträge der ehemaligen Bundesministerin Haubner, die sich fragen lassen müsse, warum sie in ihrer Amtszeit in der Jugendwohlfahrt nicht mehr getan habe. Große Bedeutung maß Steibl dem Ausbau der Eltern- und Partnerbildung zu, weil die Entwicklung zeige, dass man Eltern bei Erziehungsproblemen nicht länger allein lassen dürfe.

Für Abgeordneten NEUBAUER (F) ging die Debatte am Thema vorbei. Denn bei einem der Anlassfälle sei ein eklatantes Behördenversagen festzustellen. Diese hätte drei Jahre lang von dem Fall gewusst und nicht gehandelt, nachdem in "unverschämter Weise" zum Nachteil der Kinder interveniert worden sei. Für die zuständigen MitarbeiterInnen habe es jedoch keinerlei Konsequenzen gegeben. Andere Fälle hätten wiederum offen gelegt, dass Behörden die Hände gebunden sind, vor allem, wenn die Kinder zu Hause unterrichtet werden. Auch wenn die Schulpflicht vorbei ist, hätten die Behörden keine Handhabe mehr, einzuschreiten. Diese Fragen würden von der Novelle nicht gelöst, weshalb Neubauer hoffte, dass die Ministerin ihre Ankündigung, ein Gesamtpaket zur Neuerung der Jugendwohlfahrt vorzulegen, einlösen werde. Da der F-Abgeordnete die nun zu beschließenden Maßnahmen dennoch für richtig und wichtig hielt, stellte er die Zustimmung seiner Fraktion in Aussicht.

Abgeordneter RIEPL (S) wies darauf hin, dass die Melde- und Mitteilungspflicht für LehrerInnen, ErzieherInnen und Behörden eine große Herausforderung darstellen werde. Es sei nämlich nicht immer leicht, eine richtige Grenzlinie zu finden, sagte Riepl. Dennoch sei ihm eine Meldung zuviel lieber als eine zuwenig. Notwendig sei die Prävention, denn die Verantwortung liege bei den Eltern. Auch Riepl vertrat die Auffassung, dass der Heimunterricht ein wichtiges Thema sei, das noch nicht gelöst ist. Abschließend thematisierte Riepl kurz die "Betreuten Einrichtungen" und plädierte für ein ausreichendes Angebot. Seiner Auffassung nach sollte den Jugendlichen auch über das 18. Lebensjahr hinaus die Möglichkeit geboten werden, dort zu bleiben, wenn sie es brauchen.  

Abgeordnete HÖLLERER (V) begrüßte den Plan der Ministerin, mit einer umfassenden Reform ein so genanntes "Jugendchancengesetz" schaffen zu wollen. Die vorliegenden Änderungen brächten durch den besseren Informationsfluss zwischen den Behörden ein wichtiges Frühwarnsystem im Interesse der Jugendwohlfahrt. Das Vertrauen zu den Bezugspersonen sollte genützt werden, um in einem frühen Stadium Kinder und Jugendliche vor Verwahrlosung zu schützen. Wichtig schien es ihr auch, das Image der Jugendwohlfahrtsbehörden zu heben. 

Abgeordnete BINDER-MAIER (S) bezeichnete die Vorlage ebenfalls als einen Schritt in die richtige Richtung und sprach die Erwartung aus, bald über eine umfassende Reform der Jugendwohlfahrt diskutieren zu können. Die Ausdehnung der Mitteilungspflicht hielt sie für eine notwendige Maßnahme, dann aber gehe es vor allem darum, zu handeln, damit Leid, Ängste, Einsamkeit und Verzweiflung von Kindern gemildert oder beseitigt werden können. Die Einrichtungen müssten stärker vernetzt und die Handlungsabläufe transparenter gestaltet werden. Es gehe um Hinschauen statt Wegschauen, so Binder-Maier.

Abgeordneter PACK (V) begrüßte die Novelle als eine rasche Reaktion auf Anlassfälle. Auch er sah einer noch umfassenderen Novelle mit großem Interesse entgegen. Pack sprach weiters das Koma-Trinken an und hob die Verantwortung der Familie für die Kinder hervor. Wenn die Familie diese Aufgabe nicht wahrnehme, müsse eben die Jugendwohlfahrt einschreiten, sagte Pack. Als großes Problem sah er aber auch die Alkoholsucht von Eltern.

Abgeordnete SCHÖNPASS (S) bewertete die rasche Reaktion der Ministerin auf die Anlassfälle positiv und als ersten richtigen Schritt. Wie ihre VorrednerInnen forderte sie aber eine umfassende Novelle der Jugendwohlfahrt ein. Dazu müsste jedoch finanziell Vorsorge getroffen werden, meinte sie, wobei Bund, Länder und Gemeinden ihren Beitrag zu leisten hätten.

Abgeordnete Dr. EDER-GITSCHTHALER (V) unterstrich, dass die Sensibilisierung aller wichtig sei. Sie regte an, die schulärztlichen Untersuchungen auch auf jene Kinder auszudehnen, die zu Hause unterrichtet werden.

Abgeordnete FÜRNTRATH (V) rief dazu auf, selbstkritischer zu werden, denn, so die Abgeordnete, wer hat denn die Zivilcourage und traut sich hinschauen? Bei der umfassenden Reform der Jugendwohlfahrt sollten unbedingt Eltern, NGOs und Behörden mit einbezogen werden. Was den Alkoholkonsum bei Jugendlichen betrifft, so läge die Verantwortung in erster Linie bei den Eltern und nicht nur bei den Wirten und Handelsbetrieben, merkte sie an.

Abgeordneter PRASSL (V) unterstützte die nun gesetzlichen Maßnahmen zur Installierung eines Frühwarnsystems, um die Sicherheit für Kinder und Jugendliche zu verbessern. Jede Gefährdung müsse so früh wie möglich erkannt werden, weshalb eine Frühinformation besonders wichtig sei. Auch er sprach sich für eine umfassende Reform des Jugendwohlfahrtsrechts aus.

Abgeordnete RIENER (V) richtete die Bitte an die Öffentlichkeit, in die MitarbeiterInnen der Jugendwohlfahrt sowie in die SozialarbeiterInnen Vertrauen zu haben. Wenn diese Informationen erhielten, so ginge sie sehr sensibel und behutsam vor und würden nicht sofort die betreffende Familie vor den Kopf stoßen. Bei einer frühen Information, wie sie das Gesetz nun vorsieht, könne man zu den Eltern viel leichter ein gute Vertrauensgrundlage aufbauen, als wenn die Behörde später eingeschaltet wird und dann zum Einschreiten gezwungen ist.

Bei der Abstimmung wurde die Jugendwohlfahrtsgesetz-Novelle 2007 mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ mehrheitlich angenommen. Die beiden von Abgeordneter Haubner (B) eingebrachten Entschließungsanträge wurden nur vom BZÖ unterstützt und blieben somit in der Minderheit. (Forts./SRÄG)