Parlamentskorrespondenz Nr. 484 vom 19.06.2007

Lostag für EU-Verfassungsvertrag

Hauptausschuss diskutiert über kommenden EU-Rat in Brüssel

Wien (PK) – Im Mittelpunkt der heutigen Sitzung des Hauptausschusses, die im Vorfeld des Europäischen Rates am 21. und 22. Juni abgehalten wurde, standen die Themen EU-Verfassungsvertrag und Migrationspolitik.

Der Europäische Rat beabsichtigt bei seiner kommenden Tagung, zur Lösung der offenen Fragen um den Entwurf eines EU-Verfassungsvertrags ein Mandat für die geplante Regierungskonferenz unter portugiesischem Vorsitz zu formulieren. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer stellte dazu fest, dass es das Anliegen Österreichs sei, so viel wie möglich von der Substanz des Vertragsentwurfs zu erhalten und zentrale Punkte abzusichern. Dazu zähle ein rechtsverbindlicher Grundrechtskatalog mit subjektiven Rechten der UnionsbürgerInnen gegenüber den Institutionen sowie eine klare soziale Dimension, damit die EU ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen kann. Diese soziale Dimension müsste durch die Wirtschaftspolitik der schlagkräftigen Euro-Gruppe abgestützt werden, sagte er. Weiters hielt der Bundeskanzler eine klare Kompetenzordnung für notwendig, um den Regionen und Kommunen Raum zur politischen Selbstverwaltung zu bieten. Die EU-Institutionen müssten effizient und demokratisch legitimiert sein, die EU sollte eine einheitliche Rechtspersönlichkeit erhalten und einheitliche Verfahren sollten die Handlungsfähigkeit der EU nach innen und außen stärken.

Die Chancen für eine Einigung schätzte Gusenbauer 50:50 ein. Bundesministerin Ursula Plassnik wies darauf hin, dass man vom Wort "Verfassungsvertrag" abgehen werde und man ein klassisches Vertragsveränderungsverfahren anstrebe.

Die Absicht, die nationalen Parlamente stärker einzubinden, wurde von allen begrüßt, man sprach sich aber gegen ein absolutes Vetorecht, eine so genannte "Rote Karte", aus. Vielmehr werde eine "Gelbe Karte" bevorzugt, denn Aufgabe der nationalen Parlamente sei es in erster Linie, die eigene Regierung zu kontrollieren und zu unterstützen, selbstverständlich aber auch inhaltliche Positionierungen vorzubringen.

In der Diskussion wurde auch das Verhalten der polnischen und britischen Regierung beleuchtet, wobei überwiegend für die polnische Haltung mehr Verständnis gezeigt wurde als für die britische. Schließlich, so der allgemeine Tenor, habe Großbritannien den Vertragsentwurf unterschrieben, nachdem man mit Vehemenz durchgesetzt hatte, dass die Integration nicht so weit geht, wie es von vielen gewünscht worden war. Dann habe es Großbritannien jedoch verabsäumt, den Ratifikationsprozess einzuleiten und jetzt setze es eine "red line" nach der anderen. Mit kritischem Unterton wurde der Vorschlag von US-Präsident Bush kommentiert, den britischen Premier Tony Blair zum ersten EU-Präsidenten zu küren.

Die Linie der Bundesregierung wurde von SPÖ und ÖVP unterstützt. Abgeordneter Caspar Einem (S) unterstrich die Notwendigkeit, den Prozess, eine neue Rechtsgrundlage für die EU zu schaffen, zum Abschluss zu bringen. Damit könnte sich die EU wieder vermehrt inhaltlichen Fragen widmen, die für die Menschen von Bedeutung sind. Klubobmann Wolfgang Schüssel (V) meinte, dass sich die oftmals übertriebene Rhetorik so mancher Staatenvertreter in der Vergangenheit als nicht hilfreich erwiesen habe.

Auch die Grünen befürworteten das geplante Vorgehen von Bundeskanzler und Außenministerin, sie brachten jedoch einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem unter anderem die Aufnahme der Grundrechte-Charta und ihrer Rechtsverbindlichkeit, die Erweiterung der Handlungsfähigkeit der Union durch die doppelte Mehrheit, die Rechtspersönlichkeit, die Ausdehnung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit und die Stärkung der Außenpolitik gefordert wird.

Dieser Antrag auf Stellungnahme wurde ebenso abgelehnt wie die beiden Anträge von FPÖ und BZÖ. Die Regierungsparteien argumentierten, man wolle den österreichischen Regierungsmitgliedern im Rat keine "Handfesseln" anlegen.

Seitens der FPÖ bekräftigte Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch abermals, der Verfassungsvertrag sei gescheitert, man müsse daher von Neuem beginnen. Im Falle einer auch nur minimal geänderten Neuauflage eines Vertrages fordert die FPÖ in ihrem Antrag, einen neuerlichen Ratifizierungsprozess in Gang zu setzen und eine nationale Volksabstimmung darüber abzuhalten.

Abgeordneter Herbert Scheibner (B) erläuterte den Antrag seiner Fraktion und trat für die Schaffung eines Kerneuropa unter Teilnahme Österreichs ein. Auch darüber müsste eine Volksabstimmung nach Auffassung des BZÖ abgehalten werden. Der weitere Aufbau könnte nach Auffassung Scheibners in einem Modulsystem erfolgen, wobei ein so genannter "mittlerer Ring" für jene EU-Mitgliedsstaaten da sein sollte, die nur partiell an einzelnen Politikbereichen teilnehmen wollen. Und schließlich sollte ein "äußerster Ring" den Rahmen für eine Partnerschaft für Europa darstellen. Dies könnte, so Scheibner, ein Modell für die Türkei sein.

Europäische Migrationspolitik und Bleiberecht

Das zweite zentrale Thema des Hauptausschusses war die Frage der Migration. Hier habe es große Fortschritte gegeben, berichtete Bundesministerin Plassnik, vor allem in Richtung einer umfassenden europäischen Migrationspolitik, einer engen Vernetzung und des Kampfes gegen illegale Migration. Die Grünen legten auch zu diesem Thema einen Antrag auf Stellungnahme vor, in dem insbesondere Maßnahmen zur Vereinheitlichung von Regularisierungs- bzw. Bleiberechtsregelungen gefordert werden. Die FPÖ wiederum verlangte in ihrem Antrag, sich dafür einzusetzen, dass einerseits illegale Migranten nicht auf die EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden und dass andererseits in Zukunft europäische Entwicklungshilfe an Drittstaaten an entsprechende Migrantenrückführungsabkommen gekoppelt werden. Beide Anträge blieben in der Minderheit.

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer warnte davor, von Aktionen aus humanitären Gründen ein Recht abzuleiten. Dies könnte zu einer Aushebelung der Asylverfahren führen, daher müsse man hier eine klare Trennung vornehmen. (Fortsetzung)

Am Beginn des Hauptausschusses gingen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Ursula Plassnik auf die Themen des kommenden EU-Gipfels – EU-Verfassungsvertrag, Migrationspolitik,  Erweiterung der Schengenzone, Kosovo, naher Osten - ein.

EU-Verfassung: Der alte Schaltplan hat seine Grenzen erreicht

Wie Gusenbauer betonte, werde im Zentrum der Diskussion der Verfassungsvertrag stehen. Österreichs Interesse liege darin, so viel wie möglich von der Substanz zu erhalten. Der Bundeskanzler zeigte jedoch wenig Verständnis für jene Mitgliedsstaaten der EU, die den Entwurf unterschrieben, jedoch dann kein Ratifizierungsverfahren eingeleitet haben und nun mit größeren Änderungswünschen kommen. Neben Frankreich und den Niederlanden, wo es negative Volksabstimmungen gegeben habe, würden von Großbritannien, Tschechien und Polen größere Bedenken geäußert. Was Polen betrifft, so stehe jedoch die Mehrheit der Bevölkerung positiv zu Europa, sagte Gusenbauer. Alle anderen Mitgliedsstaaten hätten große Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Der Vertrag werde sicherlich nicht unverändert bleiben, und Österreich sei bereit, inhaltlich sinnvollen Veränderungen und Ergänzungen, etwa im Bereich der Klima- und Energiepolitik oder der Migrationspolitik, zuzustimmen.

Die Solidarität dürfe jedoch keine Einbahnstraße sein, unterstrich der Kanzler. Er teile auch die Auffassung der Niederländer, dass bei zukünftigen Erweiterungen die Kopenhagener Kriterien strikter ausgelegt werden und vor allem auf die Aufnahmefähigkeit der EU mehr Rücksicht genommen wird.

Bundesministerin Ursula Plassnik erläuterte, dass man nicht mehr von einem Verfassungsvertrag sprechen werde, da das Wort "Verfassung" in Zusammenhang mit staatlichen Symbolen beziehungsweise mit Superstaat gebracht werde, was jedoch niemand wolle. Man strebe daher ein klassisches Vertragsänderungsverfahren an, wobei der kommende EU-Rat einen präzisen Reparaturauftrag formulieren soll. Die letzten drei Jahre seien keine verlorene Zeit gewesen, hielt die Ministerin fest, denn man habe gesehen, wo der Schuh drücke, wo Nachbesserungen erforderlich seien – etwa bei Energie, Klimaschutz und Sicherheit – und wo man zeitgemäße Werkzeuge brauche. Der "alte Schaltplan" habe eben seine Grenzen erreicht, sagte sie.

Auf jeden Fall wolle man vor der Europawahl 2009 eine klare Rechtsgrundlage schaffen. Als einen der wichtigsten Punkte des so genannten Lösungskorridors bezeichnete Plassnik die Rückkehr zum klassischen Vertragsänderungsverfahren. Da von einigen Staaten die Hymne sowie die Flagge wieder thematisiert worden seien, meinte Plassnik, es werde nichts daran ändern, ob wir diese Symbolik in den Vertrag hineinschreiben oder nicht. Vehement widersprach sie jenen zwei Staaten, die den Vorrang des Gemeinschaftsrechts wieder massiv in Frage stellen. Plassnik hält eine eigenständige Rechtspersönlichkeit der EU für notwendig, um internationalen Organisationen beitreten zu können. Auch werde die Abschaffung der Säulenstruktur von den Mitgliedern nicht grundsätzlich in Frage gestellt, berichtete sie, wobei aufgrund ihrer speziellen Situation die zweite Säule in einzelnen Teilen erhalten bleiben sollte. Was die Energiesolidarität betrifft, so könnte man aus Sicht Österreichs Polen entgegenkommen. Frankreich wiederum stört die Festschreibung der Preisstabilität.

Gusenbauer und Plassnik sprachen auch die Rolle der nationalen Parlamente an, wobei der Bundeskanzler für die "Gelbe Karte" als richtiges Instrument plädierte und die "Rote Karte" ablehnte. Er sei bereit, die weitere Stärkung der Parlamente zu prüfen, dies dürfe jedoch nicht auf Kosten des Integrationsprozesses gehen, sagte er.

Die Erweiterung der Euro-Zone um Malta und Zypern werde von Österreich begrüßt, so Gusenbauer weiter, wenn diese die Konvergenz-Kriterien erfüllen.

Als Erfolg im Bereich Wirtschaft und Umwelt wertete der Bundeskanzler die Neudefinition einer nachhaltigen Verkehrspolitik im Rahmen der Wegekostenrichtlinie, wo die Internalisierung externer Kosten stärker verankert werden soll. Das sei der Schlüssel für eine effektive Klimapolitik, stellte er fest.

SPÖ, ÖVP, Grüne: Substantielle Teile des Verfassungsvertrags retten

Eingeleitet wurde die Diskussion über den Verfassungsvertrag von Abgeordnetem Caspar Einem (S). Es sei notwendig, alles zu versuchen, um das Thema vom Tisch zu bekommen, um sich wieder jenen Politikbereichen zuwenden zu können, die für die Menschen von Bedeutung sind, betonte er. Die EU habe an Komplexität gewonnen, die kaum mehr erklärbar sei. Wenn es darum geht, etwas einfacher zu machen, dann dürfe man nicht gleich von einem Superstaat reden, bemerkte er kritisch. Was die Rolle der nationalen Parlamente betrifft, so ist für ihn die Debatte über die Subsidiarität nicht besonders glücklich verlaufen, da sie signalisiert habe, man müsse die Bevölkerung vor der EU schützen. Dies sei falsch, denn es gehe in erster Linie darum, die nationalen Regierungen zu kontrollieren und zu unterstützen. Außerdem sollten sich die nationalen Parlamente nicht nur auf die Frage der Subsidiarität und der Proportionalität beschränken, sondern es müsste auch ihr Anliegen sein, sich wesentlich stärker inhaltlich an der europäischen Debatte zu beteiligen.

Ähnlich argumentierte sein Klubkollege Andreas Schieder, der insbesondere die Subsidiaritätsprüfung für Regionen und Kommunen mit Klagerecht einforderte. Auch er sprach sich für den Erhalt substantieller Teile des Verfassungsvertrags aus, zumal die Skepsis vieler EU-BürgerInnen sich auf die mangelnde Handlungsfähigkeit der EU gründet. Die EU brauche daher den Vertrag, um handlungsfähiger zu werden und die Effizienz zu steigern.

Klubobmann Wolfgang Schüssel (V) stimmte Einem zu, der bemerkt hatte, ihn rege die Position Polens weniger auf als jene von Großbritannien, wiewohl er beide Positionen im Gegensatz zum Völkerrecht sehe. Auch Schüssel betrachtete die "red lines" der Briten viel kritischer als jene der Polen. Ihm zufolge sollte man insbesondere auf das Element der Solidarität achten.

Schüssel ging dann insbesondere auf die Verbesserungen der Wegekostenrichtlinie und die Beschlüsse von Heiligendamm ein, die er als besonders wichtig für die internationale Klimapolitik bezeichnete. Außerdem unterstrich er die Bedeutung der rechtlichen Grundlage für das europäische "Institute of Science and Technology", für das sich auch Österreich als Standort bewirbt.

Der Zweite Präsident des Nationalrats Michael Spindelegger (V) sah in der Bewältigung der offenen Frage des Verfassungsvertrags eine Symbolkraft, ob die Union in der Lage ist, die Krise zu überwinden. Ein Scheitern würde für die Integration einen Rückschlag für viele  Jahre bedeuten, befürchtete er.

Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) beleuchtete die Gründe für die Entwicklung in Bezug auf den Verfassungsvertrag aus ihrer Sicht. Für sie war es ein großer Fehler, bei der damaligen Regierungskonferenz die Zivilgesellschaft nicht eingebunden und eine europaweite Volksabstimmung verhindert zu haben. Als wesentlich erachtete sie nun die Verankerung der Grundrechte-Charta und eine Stärkung der Außenpolitik. Eine Vetokarte für die nationalen Parlamente lehnte auch Lunacek ab, indem sie auf die Kontrolle der eigenen Regierung als Hauptaufgabe der nationalen Parlamente hinwies.

Jede Unterstützung, wenn es darum geht, die Substanz des Vertrags zu erhalten, kam auch von Grünen-Klubobmann Alexander van der Bellen. Er sprach sich dagegen aus, einer "Ruine" zuzustimmen, denn dann sei man gescheitert. Als frustrierend empfand er es, dass jene Staaten, die den Vertrag bereits ratifiziert haben und zwei Drittel der EU-Bevölkerung repräsentieren, nicht mit einer Stimme sprechen. Auch für ihn schneiden die "roten Linien" der Briten tief, er äußerte sich jedoch auch besorgt über die neuen Misstöne aus Polen. Denn seiner Einschätzung nach sind diese in erster Linie gegen Deutschland gerichtet.

FPÖ, BZÖ: Verfassungsvertrag ist gescheitert

Seitens der FPÖ stellte Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch abermals fest, dass der Verfassungsentwurf gescheitert ist. Die Strukturen seien für die Menschen nicht verständlich gewesen, man habe die Thematik übereilt präsentiert und daher die Bevölkerung überfordert. Nach Ansicht von Bösch müsse man nun von Neuem beginnen, was einen neuerlichen Ratifizierungsvorgang nach sich zieht. Unabdingbar ist für Bösch eine nationale Volksabstimmung. Diese entspreche auch dem Prinzip der vielbeschworenen Bürgernähe, sagte er. Die EU müsse sich neue Strukturen geben und in die Lage versetzt werden, Politik im Sinne der BürgerInnen zu machen. Wörtlich sprach Bösch von einer realistischeren Politik der EU mit mehr Hausverstand. Insbesondere müsste seiner Ansicht nach in vielen Bereichen das Einstimmigkeitsprinzip erhalten bleiben. Dezidiert wandte er sich gegen eine Vergemeinschaftung der Außen- und Justizpolitik. Auch trat er für die Beibehaltung der halbjährlich wechselnden EU-Präsidentschaft ein. Bösch kritisierte die Regierung, da diese keine Schritte gegen die Vollbeitrittsverhandlungen mit der Türkei setze und forderte den Bundeskanzler auf, einer Änderung des Vertragsentwurfs nicht ohne EU-weite Volksabstimmung zuzustimmen.

Auch Klubobmann Heinz-Christian Strache (F) übte Kritik am gegenwärtigen Vertragsentwurf, weil dieser in Richtung Bundesstaat gehe und verlangte eine Volksabstimmung. Er erwähnte auch, dass neun Länder nicht ratifiziert haben und aufgrund einer Klage beim Verfassungsgericht in Karlsruhe der deutsche Bundespräsident noch nicht unterschrieben habe.

Sein Klubkollege Peter Fichtenbauer meinte, in der EU werde keine Krise ausbrechen, wenn man beim kommenden EU-Gipfel scheitere. Die soziale Falle der Vergemeinschaftung und Vertiefung sei einfach nicht lösbar. Konkret sprach Fichtenbauer den Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit an und vermutete dahinter eine Tür zur Einführung eines "Gesinnungsstrafrechts". Die Abschiebung Illegaler könnte in Zukunft als Verstoß dagegen interpretiert werden, so seine Befürchtung.

Für einen völlig neuen Aufbau der EU in Form eines Modulsystems plädierte Abgeordneter Herbert Scheibner (B). Danach sollte es ein Kerneuropa, einen "mittleren Ring" für Mitglieder, die nur an Teilbereichen teilnehmen, und besondere Partnerschaftsabkommen geben. Es wäre in den letzten drei Jahren Zeit gewesen, eine Grundsatzdebatte über eine Neuordnung zu führen. Jetzt versuche man "herumzudoktorn", was zu größeren Problemen führe. Scheibner war auch gegen einen Vollbeitritt der Türkei zur EU und meinte, für die Türkei sowie für einige Balkan-Länder sollte man maßgeschneiderte Kooperationen schaffen.

Gusenbauer: Substantielle Teile des Verfassungsvertrags retten

In einer Replik auf die vorangegangene Diskussion meinte Bundeskanzler Gusenbauer, aufgrund der massiven Unzufriedenheit mit dem Vertrag von Nizza habe man einen großen Entwurf vorlegen wollen. Es sei ein großer Fehler gewesen, den "Abstimmungsfleckerlteppich" zuzulassen, und keine europaweite Abstimmung abzuhalten. Als falsch empfinde er es auch, dass man den Ratifizierungsprozess auf Eis gelegt hat, denn damit hätten jene, die schon immer mit großer Skepsis an das Thema herangegangen sind, Oberwasser bekommen. Somit habe sich das politische Kräfteverhältnis verändert. Der Umstand, dass man nun schon so lange diskutiere, lähme die politische Handlungsfähigkeit, weshalb es notwendig sei, einen Abschluss zu erreichen. Er widersprach daher Abgeordnetem Van der Bellen und meinte, ein kleiner Fortschritt sei noch immer besser als keiner. Die Bundesregierung agiere jedenfalls aufgrund des Beschlusses des Nationalrats und versuche ein Maximum an Substanz herauszuholen. Zusammenfassend unterstrich er, es gehe nun um ein klares und eng formuliertes Mandat für die Regierungskonferenz unter portugiesischem Vorsitz, dann müsse ein neuer Ratifikationsprozess eingeleitet werden.

Auch der Bundeskanzler zeigte für die Haltung der neuen Mitgliedsstaaten Verständnis, wies jedoch darauf hin, dass man immer darum bemüht gewesen sei, alle mit einzubeziehen. Bundesministerin Plassnik betonte eindringlich, man müsse die Bedenken Polens ernst nehmen und konzedierte Bundeskanzlerin Merkel einen hohen Grad an Sensibilität in dieser Frage. In Bezug auf die Energiesicherheit konnte sich Plassnik vorstellen, Polen insoweit entgegenzukommen, als man im Kontext des Energieartikels den Krisen-Reaktionsmechanismus noch besser sichtbar macht als bisher.

Fortschritte bei Inneres und Justiz – Divergenz bei Bleiberecht

Bundesministerin Ursula Plassnik ging in ihrer einleitenden Stellungnahme auch auf die Fortschritte im Bereich Inneres und Justiz ein. Man sei auf gutem Weg eine umfassende europäische Migrationspolitik und entsprechender Vernetzung zu schaffen, um im Kampf gegen illegale Migration erfolgreich zu sein. Neben Afrika werde auch Ost- und Südost-Europa in Bezug auf Entwicklungspolitik großes Augenmerk geschenkt, sagte sie. Für sie steht Integration und kultureller Dialog im Vordergrund und man dürfe sich nicht allein auf radikale Gruppen beschränken. Die Vorbereitungen auf die Erweiterung von Schengen mit Beginn 2008 laufen laut Plassnik auf Hochdruck. Die Erweiterung betreffe vier Nachbarländer Österreichs, erläuterte sie. Plassnik hob auch hervor, dass nun der Prümer-Vertrag in den Schlussfolgerungen erwähnt wird.

Klubobmann Wolfgang Schüssel (V) knüpfte daran an und meinte, dass damit ein Durchbruch gelungen sei. Nun werde eine enge Zusammenarbeit einiger Mitgliedsstaaten (Benelux-Staaten, Deutschland, Frankreich, Spanien und Österreich) im Bereich der Justiz und der Polizei erstmals von einer informellen Ebene auf eine europäische Ebene gehoben. Die bevorstehende Erweiterung der Schengen-Zone bezeichnete Schüssel als wesentliche Erleichterung für die BürgerInnen, sie hänge allerdings noch von den Beschlüssen und der Evaluierung ab. Die Erweiterung sollte auch mit Begleitmaßnahmen verbunden sein, wie zum Beispiel der Beibehaltung des Assistenzeinsatzes des Bundesheeres in der Übergangszeit und die Schleierfahndung.

Ähnlich argumentierte Präsident Michael Spindelegger (V), der von einer wichtigen Weichenstellung sprach. Insbesondere betonte er die Notwendigkeit, neben Afrika auch die ost- und südosteuropäischen Nachbarn der EU in die Strategie aufzunehmen. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Bürgerinnen und Bürger durch die Ausweitung der Schengen-Grenzen ein Ansteigen der Kriminalität befürchten, drängte Spindelegger ebenfalls auf die Beibehaltung des Assistenzeinsatzes und auf der Schleierfahndung. Seitens der EU müssten bestimmte Qualitätskriterien auf Dauer gewährleistet werden. Hinsichtlich des europäischen Asylsystems plädierte Spindelegger für die Aufteilung der Lasten und wandte sich gegen ein Bleiberecht, zumal dieses ein falsches Signal sei und eine Einladung an die Schlepper darstellen würde, so Spindelegger.

Im Gegensatz dazu setzte sich Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) dafür ein, ein Bleiberecht zu gewähren, zumal auch die UNO dies als Teil einer umfassenden Migrationspolitik betrachtet.

Eine völlig andere Meinung vertrat dazu Abgeordneter Herbert Scheibner (B), der das Bleiberecht als Legalisierungsaktion mit Einladung an alle Schlepperorganisationen dieser Welt umschrieb. Die Vereinheitlichung der Asylpolitik auf EU-Ebene sei notwendig, sagte Scheibner, und bei der Erweiterung der Schengen-Zone erwarte er sich, dass die neuen Länder die Sicherheitsstandards auch zu hundert Prozent erfüllen. Ein Augenzwinkern oder gar die Erteilung von Auflagen für die Zukunft dürfe es nicht geben, sagte er.

Für Abgeordneten Heinz-Christian Strache (F) läuft die Diskussion um die Migrationspolitik in eine völlig falsche Richtung. Es könne nicht sein, dass man die illegale Einwanderung stärke, so Strache.

Abgeordnete Elisabeth Hlavac (S) fragte, ob die Ausweitung der Schengen-Zone im März 2008 realistisch sei und in welchem Ausmaß die Wiederaufnahme der Grenzkontrollen in Zusammenhang mit der EURO 2008 zu verstehen sind.

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hielt dazu fest, dass man auf Grund der Initiative von Bundesministerin Plassnik in die Strategie nicht nur Afrika, sondern auch die östlichen und südöstlichen Regionen Europas mit einbeziehe. Der Rat der EU werde sich speziell mit dieser Frage befassen.

Was das Bleiberecht betreffe, so habe auch Österreich für Flüchtlinge nach großen politischen Veränderungen in Nachbarländern ein Bleiberecht ausgesprochen. Dies seien aber Aktionen aus humanitären Gründen gewesen. Würde man daraus ein Recht ableiten, so würden daraus insofern Probleme entstehen, da Asylverfahren damit ad absurdum geführt würden. Außerdem hätten derartige Einzelstaat-Entscheidungen auch Auswirkungen auf andere Staaten im Schengen-Raum. Die Agentur "FRONTEX" stelle für Österreich ein wichtiges Anliegen dar, erläuterte Gusenbauer, und sie erhalte nun von den Mitgliedsstaaten die entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen.

Der Bundeskanzler versicherte, dass nur jene Staaten, die die Bedingungen erfüllen, in den Schengen-Raum aufgenommen werden. So sei beispielsweise die Slowakei unterstützt worden, ihre Außengrenzen Schengen-fähig zu machen. Die Slowakei befinde sich nun auf gutem Weg und er gehe davon aus, dass sie die Bedingungen erfülle, ohne der Bewertungskommission vorgreifen zu wollen. Was die Wiederaufnahme der Grenzkontrollen während der EURO 2008 betrifft, so würde dies alle Grenzen betreffen und nicht nur jene zu den neuen Mitgliedsstaaten, betonte er.

Kosovo und Naher Osten

Die Mitglieder des Hauptausschusses diskutierten auch außenpolitische Kernthemen, wie den Kosovo und die aktuelle Situation im Nahen Osten. Bundesministerin Ursula Plassnik unterstützte den Plan von Marti Ahtisaari und betonte, man brauche nun rasch eine UNO-Resolution, auch für die EU-Präsenz im Kosovo. Sie unterstrich die Notwendigkeit seitens der EU, hier vereint aufzutreten. Ein großes Anliegen Österreichs sei die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Serbien gewesen. Dem Ziel, eine vertragliche Beziehung mit Serbien zu schaffen, sei man einen wichtigen Schritt näher gekommen, sagte Plassnik. Auch die Kommission arbeite intensiv in der Frage der Visa- und Sicherheitspolitik.

Dies wurde von Abgeordnetem Caspar Einem (S) begrüßt, der jedoch eine kohärente EU-Position vermisste. Sein Klubkollege Andreas Schieder ergänzte, gerade die Außenpolitik zeige, wie dringend die EU hier gestärkt auftreten und handlungsfähig sein müsse.

Abgeordneter Wolfgang Großruck (V) erachtete einen Stufenplan zur Integration der Balkan-Staaten als einen Schlüssel zur Befriedung des Konflikts.

Abgeordneter Heinz-Christian Strache (F) wiederum meinte, man dürfe nicht glauben, dass man hier etwas verordnen könne. Wichtig wäre, die Zustimmung beider Seiten zu erhalten.

Für Abgeordneten Herbert Scheibner (B) war die Wiedervereinigung des Kosovo mit Serbien von vornherein eine Utopie. Schon allein wegen des kulturellen Hintergrunds wäre der Friede gefährdet. Man habe hier wichtige Jahre versäumt und er, Scheibner, hoffe nun, dass man mit dem Vorschlag Ahtisaaris weiterkomme.

Auch die Außenministerin unterstrich die Notwendigkeit eines einheitlichen Auftretens der EU in der Kosovo-Frage. Österreich tue alles, um Serbien zu unterstützen, stellte sie fest. Eines werde aber nicht gehen, nämlich auf die Zustimmung Serbiens zu warten. Die Ungewissheit für die Bevölkerung sollte bald beendet werden, denn diese führe nur zu Unruhen.

Was den Nahen Osten betrifft, so hätten sich die EU-Außenminister auf eine massive Unterstützung von Präsidenten Mahmud Abbas geeinigt. Diese sei aber mit der Beachtung des palästinensischen Grundgesetzes verbunden. Für die Bevölkerung im Gaza-Streifen werde es weiterhin humanitäre Unterstützung geben. Der Trend nach einer dauerhaften Zweiteilung der palästinensischen Gebiete wurde von Plassnik mit großer Sorge betrachtet. Sie sprach die Hoffnung aus, mit internationaler Unterstützung doch zu einem positiven Ergebnis kommen zu können.

Auch Abgeordneter Caspar Einem (S) zeigte sich besorgt darüber, mit welchem Eifer insbesondere die USA und Israel nun das Westjordanland als Palästina ansehen. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass die Hamas die Wahlen gewonnen hat, und diese nicht in die Gespräche einzubeziehen, werde man auf die Dauer nicht halten können, sagte er. Abgeordneter Andreas Schieder (S) meinte, Europa könnte gerade in diesem Konflikt als fairer Verhandler auftreten.

Für Klubobmann Wolfgang Schüssel (V) war es sinnvoll, Mahmud Abbas zu unterstützen, auch wenn man mit ihm mehr Hoffnung verbunden habe als dieser dann eingehalten hat. Auf keinen Fall dürfe man nun Gaza beiseitelegen, bemerkte Schüssel. Neben der Unterstützung von Abbas und seiner Übergangsregierung sei es notwendig, humanitäre Hilfe in Gaza zu leisten, wobei sichergestellt werden müsste, dass das Geld nicht wieder in falsche Kanäle kommt. Er halte auch Versuche für sinnvoll, mit vernünftigen Leuten der Hamas ins Gespräch zu kommen.

Dazu meinte Abgeordnete Ulrike Lunacek (G), es wäre von vornherein richtig gewesen, mit der gesamten Einheitsregierung Gespräche zu führen. Grundsätzlich plädierte sie für die Aufgabe israelischer Siedlungen im Westjordanland.

Abgeordneter Herbert Scheibner (B) sah das Machtvakuum in Palästina als Ursache für die Probleme. Man sollte jetzt die Zeit nützen, so Scheibner, verschiedene offene Fragen, wie die Grenze zwischen Syrien und Israel, zu klären, und mit gemäßigten arabischen Ländern Kontakt aufzunehmen.

Auch Bundesministerin Plassnik vertrat die Auffassung, eine Spaltung zwischen Gaza und Westjordanland könne auf Dauer nicht hingenommen werden. Die Hamas mache es jedoch der EU nicht leicht, stellte sie fest. Sie habe sich bei ihren AmtskollegInnen dafür eingesetzt, enger mit der Arabischen Liga zusammenzuarbeiten, sie sei jedoch nicht durchgekommen. Man hätte sich auf das Mekka-Agreement berufen können, so ihr Vorschlag. Jedenfalls sei die EU bemüht, Syrien mit einzubeziehen, und die EU habe Israel auch zu einem Siedlungsstopp in den palästinensischen Gebieten aufgefordert. Schließlich versicherte Plassnik, dass Kommissarin Ferrero-Waldner genau darauf achte, dass die Gelder nicht in dunkle Kanäle fließen. (Schluss)