Parlamentskorrespondenz Nr. 524 vom 27.06.2007

Liebscher berichtet über geld- und währungspolitische Maßnahmen

Aussprache im Finanzausschuss mit dem Nationalbank-Direktorium

Wien (PK) - Nationalbank-Gouverneur Klaus Liebscher und Vizegouverneur Wolfgang Duchatczek informierten heute Nachmittag die Mitglieder des Finanzausschusses über die allgemeine geldpolitische Lage und über aktuelle Entwicklungen in der Fiskalpolitik. Die Ausführungen bezogen sich schwerpunktmäßig auf folgende drei Themenbereiche: die geldpolitische Lage unter besonderer Berücksichtigung der konjunkturellen Situation im Euroraum sowie vor dem Hintergrund der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Entwicklungen in der europäischen Fiskal- und Strukturpolitik sowie die konjunkturelle Lage in Österreich.

Aktuelle Entwicklungen in der Weltwirtschaft und im Euro-Raum

Zunächst ging Liebscher auf schrittweise Erhöhung der Leitzinsen durch die EZB ein. Diese Entscheidung reflektiere die auf Grundlage der regelmäßigen Analyse der wirtschaftlichen und monetären Entwicklung identifizierten mittelfristigen Aufwärtsrisiken der Preisstabilität und werde dazu beitragen, dass die mittel- bis längerfristigen Inflationserwartungen im Euro-Währungsgebiet fest auf einem Niveau verankert bleiben, das mit Preisstabilität im Einklang stehe. Auch nach dieser Erhöhung bleibe die Geldpolitik angesichts des günstigen wirtschaftlichen Umfelds im Euro-Währungsgebiet eher akkomodierend. Mit Blick auf die Zukunft sei ein entschlossenes und rechtzeitiges Handeln zur Gewährleistung von Preisstabilität auf mittlere Sicht geboten.

Trotz der Wachstumsschwäche in den USA entwickle sich das weltwirtschaftliche Umfeld robust, da als Wachstumsmotoren insbesondere die asiatischen Volkswirtschaften agieren. Verursacht wurde die Wachstumsschwäche in Amerika zu Jahresbeginn 2007 insbesondere durch den massiven Abschwung auf dem US-Immobilienmarkt sowie die schwache Exportentwicklung.

In den neuen (großen) EU-Mitgliedstaaten entwickle sich das konjunkturelle Wachstum robust. In Russland und den GUS kam es zu Jahresbeginn 2007 vor dem Hintergrund des ungewöhnlich milden Winters zu einem besonders dynamischen Konjunkturverlauf. Japan dürfte sich weiter auf einem moderanten Wachstumspfad bewegen. In den Ländern in Asien ohne Japan entwickelte sich die Konjunktur ungebrochen.

Das BIP-Wachstum im Euroraum betrug gemäß einer ersten Schätzung von Eurostat im 1. Quartal 2007 0,6 % gegenüber dem Vorquartal, führte der OeNB-Gouverneuer aus. Gegenüber dem Vorjahresquartal habe die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2007 um 3,0 % zugenommen. Im Gesamtjahr 2006 sei das BIP mit 2,7 % stärker gestiegen, als die meisten Prognosen hatten erwarten lassen. Die Konjunktur im Euroraum sei primär auf ein kräftiges Investitionswachstum gestützt. Im 1. Quartal bildeten die Bruttoanlageinvestitionen die Hauptstütze des Wachstums, während die privaten Konsumausgaben leicht sanken.

Die Vertrauens- und Vorlaufindikatoren für den Euroraum deuten ebenso wie nationale Indikatoren weiterhin auf eine Erholung im Euroraum im Laufe des Jahres 2007 hin.

Die von Experten der EZB erstellten gesamtwirtschaftlichen Projektionen vom 6. Juni 2007 gehen für die Jahre 2007 und 2008 von einem durchschnittlichen Jahreswachstum des realen BIP im Euroraum zwischen 2,3 % und 2,9 % bzw. 1,8 % und 2,8 % aus. Dieser Erwartung liegen Annahmen einer nachhaltig kräftigen Auslandsnachfrage aufgrund eines robusten Weltwirtschaftswachstums zugrunde, sowie günstige Finanzierungsbedingungen und wachsende Gewinne. Zudem verbessern gestiegene Realeinkommen und die Arbeitsmarktsituation die Aussichten der Konsumnachfrage. Nach HVPI-Teuerungsraten (Harmonisierter Verbraucherpreisindex) im Euroraum von 1,8 % im Jänner liegen die Zuwachsraten seit Februar bei etwa 1,9 % (im Vergleich zum Vorjahr). Laut den Projektionen der Experten des Eurosystems von Anfang Juni wird die HVPI-Inflationsrate im Euroraum im Jahr 2007 zwischen 1,8 % und 2,2 % und im Jahr 2008 zwischen 1,4 % und 2,6 % liegen.

Die monetäre Analyse deute auf zunehmende Aufwärtsrisken für die Preisstabilität auf mittlere bis längere Sicht hin, weil alle relevanten Messgrößen im Euroraum nach wie vor eine reichliche Liquiditätsausstattung anzeigen. Die Zunahme der Buchkredite an Privathaushalte stabilisierte sich auf dem hohen Niveau von über 10 %. Über beide Säulen – die wirtschaftliche und die monetäre – gemeinsam betrachtet, ergebe sich somit die Notwendigkeit großer Wachsamkeit, um die Inflationserwartungen mit Preisstabilität im Einklang zu halten.

Die Fiskalpolitik im Euroraum

Die weitere Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bleibe eine der wesentlichen Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik Europas, erklärte Liebscher. Das gesamtstaatliche Budgetdefizit und die Schuldenquoten in den Euro-Ländern seien 2006 günstiger ausgefallen als erwartet. Das Budgetdefizit im Euroraum sank von 2,5 % im Jahr 2005 auf 1,6 % im Jahr 2006 und blieb damit deutlich unter der 3 %-Grenze. 2007 wird das Defizit laut Prognose der Europäischen Kommission vom 7. Mai 2007 1,0 % und 2008 0,8 % betragen.

Die derzeit günstige Konjunkturlage sollte genutzt werden, um die verbleibenden Haushaltsungleichgewichte in den Euro-Ländern rasch auszugleichen und die Anpassung an deren mittelfristiges Ziel einer soliden Haushaltsposition unter besonderer Berücksichtigung der Ausgabenbeschränkung zu beschleunigen. Wie von den Finanzministern des Euro-Währungsgebiets beim Treffen der Eurogruppe am 20. April ins Auge gefasst, würde die günstige Konjunktur es den meisten Mitgliedsstaaten ermöglichen, 2008 oder 2009 ihre mittelfristigen Ziele zu erreichen.

Konjunkturelle Entwicklung und Arbeitsmarkt in Österreich

Das Wirtschaftswachstum betrug im Jahr 2006 3,2 %, nach einer bereits guten Wachstumsrate von 2,0 % im Jahr 2005. Die OeNB erwartet in ihrer jüngsten Prognose vom Juni für das Jahr 2007 eine Zunahme des realen BIP von 3,2 %. Für die Jahre 2008 und 2009 werden Wachstumsraten von 2,7 % und 2,3 % prognostiziert. Im Vergleich zur Prognose vom Dezember 2006 wurde das Wachstum für 2007 um 0,4 Prozentpunkte und für 2008 um 0,3 Prozentpunkte nach oben revidiert. Ausschlaggebend dafür ist neben der günstigeren Entwicklung im Euroraum vor allem eine optimistischere Einschätzung der Inlandskonjunktur. Gleichzeitig mit der Konjunkturerholung belebte sich die Konsumnachfrage der privaten Haushalte etwas und verzeichnete +1,9 % Zuwachs 2006. Vor allem wurde dies durch das verbesserte Konsumentenvertrauen begünstigt. Heuer und in den kommenden beiden Jahren rechnet die OeNB mit realen Wachstumsraten des privaten Konsums von durchwegs etwas über 2 %.

Die im Jahr 2006 äußerst lebhafte österreichische Exportkonjunktur (+8,7 % im Vergleich zum Vorjahr) werde sich 2007 laut OeNB-Prognose nur geringfügig abschwächen (auf +7,2 %) und weiterhin eine tragende Säule der Konjunktur darstellen. Der im Jahr 2006 erzielte Leistungsbilanzüberschuss von 3,2 % des BIP werde sich infolge weiterer Verbesserungen in der Güter- und Dienstleistungsbilanz weiter erhöhen.

Weiters ging Liebscher auf die sehr erfreuliche Entwicklung am österreichischen Arbeitsmarkt ein. Gestützt vor allem durch die Wachstums- und Beschäftigungspakete sei die Beschäftigung im Jahr 2006 um 1,6 % gestiegen. Nach fünf Jahren steigender Arbeitslosigkeit wurde 2006 somit erstmals ein deutlicher Rückgang verzeichnet. Das starke Beschäftigungswachstum verbessere auch die Einkommenssituation der privaten Haushalte deutlich.

Budgetentwicklung in Österreich

Was die Budgetentwicklung betrifft, so schneide Österreich im Vergleich zum EU- bzw. Euroraum-Durchschnitt deutlich besser ab, unterstrich der Nationalbank-Gouverneur. Das gesamtstaatliche Budgetdefizit laut Maastricht-Definition fiel 2006 mit -1,1 % niedriger aus als im Jahr 2005. Für die Jahre 2008 und 2009 werde mit einer weiteren Verbesserung auf -0,5 % bzw. -0,2 % gerechnet. Die Staatsschuld erreiche Ende 2006 62,2 % des BIP und dürfte laut OeNB-Prognose 2008 erstmals die 60 %-Grenze unterschreiten. Mit Blick auf das Doppelbudget für die Jahre 2007/8 sind vor allem die darin vorgesehenen Investitionen in Zukunftsbereiche wie Forschung und Entwicklung, Bildung und Infrastruktur sowie die Weiterführung von Strukturreformen positiv hervorzuheben.

Die OeNB sei der Auffassung, dass im Budgetvollzug alle konjunkturellen Möglichkeiten genutzt und das Ziel eines ausgeglichenen Budgets konsequent verfolgt werden soll. Unerwartete Steuereinnahmen sollten nicht für neue Ausgaben, sondern zur Budgetkonsolidierung genutzt werden. Die Fortsetzung der Verwaltungsreform sehe er als einen sehr wichtigen Schritt an.

Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex stieg 2006 mit +1,7 % deutlich langsamer als in den Vorjahren. Die Ausgabengruppen Wohnen, Wasser, Energie und Verkehr trugen am stärksten zum Preisauftrieb bei. Die Inflationsrate betrug im Mai 2007 2,1 %. In der jüngsten OeNB-Prognose werde von einer HVPI-Inflation von 1,7 % für 2007, 1,8 % für 2008 und 1,9 % für 2009 ausgegangen.

  

Duchatczek: Noch immer hoher Anteil an Fremdwährungskrediten

Vizegouverneur Duchatczek ging sodann auf weitere Kernkompetenzen der OeNB ein, und zwar auf die Bereiche Finanzmarktstabilität sowie auf die Entwicklungen im Zahlungsverkehr. Er wies unter anderem darauf hin, dass die konsolidierte Bilanzsumme der österreichischen Banken 928 Mrd. € betrage, wobei ein wesentlicher Anteil der Geschäftstätigkeiten in Zentral- und Osteuropa (rund 40 %) abgewickelt werde. Bei einer Untersuchung hinsichtlich der Quantifizierung der Risken wurde festgestellt, dass die österreichischen Banken "stressresistent" sind, da sie genügend Eigenkapital aufweisen. Ein Problembereich, auf den die OeNB immer wieder hingewiesen habe, seien die Fremdwährungskredite, erklärte Duchatczek, die zwar weniger stark wachsen, aber dennoch einen sehr hohen Anteil ausmachen (ca. ein Drittel des Kreditvolumens). "Wir warnen vor den erhöhten Risiken", meinte der Vizegouverneur, da bei Währungsentwicklungen durchaus Gegenbewegungen eintreten können. Weiters informierte Duchatczek über die Situation am Kapitalmarkt, die sich nach den Turbulenzen im Frühjahr wieder beruhigt habe; es gebe nun wieder steigende Tendenzen sowohl bei den Aktien als auch bei den Anleihen. 

Im Bargeldbereich sei aus der Sicht der OeNB die Diskrepanz zwischen der "gefühlten Inflation und der tatsächlichen" kleiner geworden. Die Einführung des Euro sei ein Erfolg gewesen, betonte Duchatczek, so habe sich etwa der Bargeldumlauf seit 2002 verdoppelt. Nach wie vor toure der Eurobus der Nationalbank durch Österreich, zumal noch immer 10 Mrd. Schilling fehlen.

Diskussion über die Lohnpolitik und die Zinserhöhungen der EZB

Abgeordneter Bruno Rossmann (G) beurteilte die jüngsten Zinserhöhungen der EZB kritisch, da es dafür seiner Meinung nach angesichts der moderaten Inflationsraten keine zwingende Notwendigkeit gegeben hat. Er gab zu bedenken, dass die Zuwächse beim privaten Konsum nicht ausreichen würden, um ein langfristiges und nachhaltiges Wachstum abzusichern; außerdem gebe es in vielen EU-Ländern eine viel zu hohe Arbeitslosenrate. Eine weitere Frage galt der von Liebscher angesprochenen Lohnmoderation. Er würde gerne wissen, was er darunter versteht. Schließlich sprach Rossmann auch noch den Bankenuntersuchungsausschuss an, der seiner Ansicht nach noch länger tagen müsste, um so wichtige Themen wie organisierte Kriminalität oder Geldwäsche zu behandeln. Er glaube auch nicht, dass der Ausschuss dem Finanzplatz Österreich schaden würde, zumal sich alle einig sind, dass eine Weiterentwicklung der Finanzmarktaufsicht, die wirklich Topstandards entspricht, notwendig ist.

Auch Abgeordneter Hannes Bauer (S) sprach die Zinserhöhungen der EZB unter einem kritischen Gesichtspunkt an. Was die Lohnentwicklung angeht, so dürfe diese nicht zu gering ausfallen, weil es sonst keine entsprechende Inlandsnachfrage gibt, warnte er. Außerdem müsse man bedenken, dass derzeit 12,3 - 12,5 % der Österreicher armutsgefährdet sind; zieht man die Transferleistungen ab, komme man sogar zu einem Wert von 45 %.

Abgeordneter Martin Graf (F) wollte unter Hinweis auf die Geschäftsordnung auch über andere Themen, die den Arbeitsbereich des Finanzausschusses betreffen, diskutieren. So verwies er u.a. auf ein Interview von Bankdirektor Andreas Treichl in der Presse, der gemeint habe, dass der Staat kein geeigneter Eigentümer einer Bank ist, da dieser Umstand der "Misswirtschaft und korruptem Verhalten" Tür und Tor öffne.

Der Ausschussobmann Günter Stummvoll (V) wies ebenfalls unter Hinweis auf die Geschäftsordnung darauf hin, dass vor Eingang in die Tagesordnung keine allgemeine Aussprache verlangt wurde und es dem Nationalbankgouverneur daher frei stehe, auf die Fragen zu antworten oder nicht.

Nationalbankgouverneur Klaus Liebscher machte darauf aufmerksam, dass er einzig und allein dem Paragraphen 32 des Nationalbankgesetzes verpflichtet sei und dem Finanzausschuss mindestens zweimal jährlich einen Bericht über die erfolgten geld- und währungspolitischen Maßnahmen erstatten müsse. Was die Zinserhöhungen der EZB angeht, so kenne er die Kritik, er gab aber zu bedenken, dass die Zustimmung zu diesen Maßnahmen überwiege. Er sei auch der Auffassung, dass man den Konsumenten am meisten diene, wenn ein preisstabiles Umfeld geschaffen und eine hohe Kaufkraft gewährleistet wird. Man solle auch in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass im Zeitraum der Währungsunion, also innerhalb von 8 Jahren, 12 Millionen Arbeitsplätze geschaffen wurden; vorher waren es nur 3 Millionen. Dies sei unter anderem auf das Zusammenwirken der Geldpolitik mit einer moderaten Fiskalpolitik und enormen strukturpolitischen Anstrengungen zurückzuführen. Dem Abgeordneten Rossmann gegenüber führte er aus, dass die österreichische Sozialpartnerschaft ein Paradebeispiel sei, da sie durch eine moderate Lohnpolitik die Entwicklung einer Lohn-Preis-Spirale verhindert habe. Generell sollte sich die Lohnentwicklung an dem Produktivitätswachstum, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der Situation am Arbeitsmarkt orientieren. Liebscher betonte noch, dass die Geldpolitik kein Ersatz für eine Konjunktur- und Arbeitsmarktpolitik sein könne.

Staatssekretär Christoph Matznetter kam auf den von Graf angesprochenen Einstieg der Bayrischen Landesbank bei der Hypo Alpe-Adria Bank zu sprechen und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es die Aufgabe der Kontrollorgane des Rechtsstaates sei, die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften zu prüfen. Er persönlich halte es für völlig absurd, zu sagen, dass die Gemeinschaft aller Österreicher per se ein schlechter Eigentümer sei; unser Land blühe und gedeihe.

Im Anschluss an diese Sitzung fand eine weitere Sitzung des Ausschusses statt. (Fortsetzung)