Parlamentskorrespondenz Nr. 748 vom 17.10.2007

EU-Reformvertrag in der Zielgeraden

Pro und Contra der Parteien im Hauptausschuss

Wien (PK) – Der EU-Reformvertrag, der beim kommenden Europäischen Rat am 18./19. Oktober 2007 in Lissabon diskutiert wird und beschlossen werden soll, stand heute auch im Mittelpunkt der Sitzung des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer sowie Bundesministerin Ursula Plassnik verliehen ihrer Zuversicht Ausdruck, dass eine politische Einigung erzielt wird. Damit könne ein lange offenes Kapitel der EU geschlossen werden, sagte Gusenbauer und unterstrich die aus seiner Sicht wesentlichen Elemente des Vertrags. Dazu zählen unter anderem die Rechtsverbindlichkeit der Grunderechte-Charta, wodurch die Rechtstellung der EU-BürgerInnen verbessert wird, klare Kompetenzregelungen und die Aufwertung der nationalen Parlamente. Die Außenministerin sprach von einem Ergebnis, das die EU demokratischer und handlungsfähiger machen werde.

Den KritikerInnen des Vertrags hielt der Bundeskanzler entgegen, ein weiteres Warten würde zu einer Verwässerung des Vertrages führen. Das unbefriedigende Ergebnis von Nizza habe damals die EU-Mitglieder wach gerüttelt. Die zu diesem Zeitpunkt hohe Integrationsbereitschaft habe jedoch in der Zwischenzeit wieder stark abgenommen. Was vorliege, sei ein Maximum dessen, was derzeit an Zusammenarbeit und Integration möglich ist. Der Vertrag biete eine gute Grundlage für weitere Reformbemühungen, unterstrich Gusenbauer.

Was den Universitätszugang in Österreich betrifft, insbesondere hinsichtlich der Medizin-Universitäten, informierte Bundeskanzler Gusenbauer die Abgeordneten über einen Brief des Kommissionspräsidenten, in dem dieser in Aussicht stellt, das Verfahren gegen Österreich für fünf Jahre auszusetzen.

Seitens der Regierungsfraktionen SPÖ und ÖVP wurde das vorliegende Ergebnis zur EU-Reform begrüßt. Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S) meinte, es bestehe nun die historische Chance, ein weiteres Kapitel der EU-Erfolgsgeschichte zu schreiben. Sie zeigte sich zufrieden, dass das Reformwerk offensichtlich breiten Konsens finde. Damit, so Grossmann, schaffe man ein Instrumentarium, womit eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Gang gesetzt werden könne, die auch weltweite Standards setze.

ÖVP-Klubobmann Wolfgang Schüssel sah das Mandat, das die Staats- und Regierungschefs beim Gipfel im Juni formuliert hatten, vollinhaltlich erfüllt und bezeichnete dies als ein kleines Wunder. Der Prozess sei während der österreichischen Präsidentschaft beim informellen Treffen in Klosterneuburg beschleunigt und von Deutschland dynamisch weiterverfolgt worden. Die nun zur Diskussion stehenden Vertragsänderungen beinhalten gegenüber dem ursprünglichen Verfassungsvertrag wesentliche Änderungen, und man könne mit gutem Grund zustimmen, sagte Schüssel.

Die Grünen äußerten sich grundsätzlich positiv zum Reformvertrag, auch wenn nicht alles, wie Abgeordnete Ulrike Lunacek betonte, realisiert werde, was man sich gewünscht habe. In einem Antrag auf Stellungnahme fordern sie den Bundeskanzler und die Mitglieder der Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass der Schutz personenbezogener Daten in allen Fällen in parlamentarischer Verantwortung und der justiziellen Kontrolle des EuGH unterworfen bleibt. Sie sprechen sich auch gegen die Möglichkeit eines jederzeitigen Austritts Großbritanniens aus dem Schengenbestand bei gleichzeitiger politischer Mitwirkung sowie gegen die Übernahme der so genannten Ioannina-Klausel aus, die Polen bei missliebigen Mehrheitsentscheidungen ein Aufschubrecht gewährt. Schließlich unterstreichen sie in dem Antrag das Interesse Österreichs an einer Umsetzung der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte-Charta auf den gesamten Raum der Europäischen Union. Dieser Antrag wurde von den anderen Parteien abgelehnt und blieb somit in der Minderheit.

Auch die Freiheitlichen brachten zwei Anträge auf Stellungnahme ein. Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch begründete die Initiativen damit, dass die Bundesregierung seiner Auffassung nach in erster Linie die Interessen der EU vertrete und nicht die Österreichs. Ein Antrag listet daher zahlreiche Probleme auf, ohne deren Lösung die Regierungsmitglieder beim kommenden Europäischen Rat dem Reformvertrag nicht zustimmen sollten. In diesem Zusammenhang nennen sie unter anderem eine endgültige Lösung der Uni-Qotenregelung, des Transitproblems, des Verbots der Gentechnik, eines europäischen  Ausstiegs aus der Atomwirtschaft, die Abschaffung der Benes-Dekrete und der Avnoij-Beschlüsse, den sofortigen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und eine restriktive europäische Migrationspolitik. Dieser Antrag fand ebenso wenig die Zustimmung der anderen Fraktionen wie der Antrag auf eine zwingende Volksabstimmung in Österreich über den Reformvertrag.

Als einen Rückschritt in grundlegenden Fragen bezeichnete Abgeordneter Herbert Scheibner (B) das vorliegende Reformvertragswerk. Die Defizite ortete er insbesondere in der Außenpolitik. Der Antrag des BZÖ zielt daher darauf ab, den Vertrag für Europa neu zu verhandeln und auf eine völlig neue institutionelle und kompetenzrechtliche Basis zu stellen, mit dem Ziel der Schaffung eines Bundes Europäischer Staaten, ein Kerneuropa der Nettozahler, unter Teilnahme Österreichs. Abhängig vom Grad der Erfüllbarkeit festgelegter Ziele und Mindeststandards für einzelne Politikbereiche sollten die Länder Europas in Form eines Modulsystems eingebunden sein. Neben dem Kernbereich sollte es die Möglichkeit zu Assoziationsabkommen geben, den äußersten Kreis sollten Länder mit besonderer Partnerschaft bilden. Außerdem verlangen die BZÖ-Abgeordneten die räumlichen, finanziellen und kulturellen Grenzen Europas und eine davon abgeleitete Definition des Begriffs Aufnahmefähigkeit der EU als Voraussetzung für künftige Erweiterungen festzuschreiben. Auch dieser Antrag fand bei den anderen Fraktionen keine Zustimmung.

Einstimmig beschlossen die Mitglieder des Hautpausschusses jedoch, ein so genanntes Feuerwehrkomitee gemäß § 31e Abs.3 einzusetzen, um zwischen Bundesregierung und Parlament während des informellen Gipfels allfällig auftretende wichtige Fragen abklären zu können. Dem Komitee werden der Zweite Präsident des Nationalrats, Michael Spindelegger (V), sowie die Abgeordneten Caspar Einem (S), Ulrike Lunacek (G), Barbara Rosenkranz (F) und Herbert Scheibner (B) angehören.

Gusenbauer: EU soll sich wieder auf globale Herausforderungen konzentrieren können

In seinem Einleitungsstatement betonte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, ein Funktionieren der EU sei für Österreich von besonderer Bedeutung, da es ökonomisch und politisch ungeheuer von der Union profitiere. Sollte es zu einer Einigung über den Reformvertrag kommen, dann könne sich die EU wieder auf die globalen Herausforderungen wie Klimaschutzpolitik, Durchsetzung europäischer Interessen beim Welthandel und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konzentrieren.

Er gehe davon aus, dass trotz einiger offener Punkte beim kommenden Europäischen Rat eine Einigung erzielt werden könne. In der Substanz sei das im Juni formulierte Mandat nun in juristische Form umgesetzt worden. Von Italien gebe es den Wunsch nach mehr Sitzen im Europäischen Parlament und die polnische Seite moniere, die so genannte Ioannina-Klausel als Teil des Vertrags zu verankern. Die bulgarische Delegation wiederum möchte die Schreibweise des Euro auf Evro verändern.

Uni-Quoten: EU-Kommission setzt Vertragsverletzungsverfahren aus

Österreich habe in der Vergangenheit mit Vehemenz das Problem des Hochschulzugangs insbesondere in Bezug auf die Medizinuniversitäten thematisiert, berichtete Gusenbauer weiter. Ohne Quoten müsste Österreich damit rechnen, über kurz oder lang keine ausreichende Anzahl junger MedizinerInnen mehr ausbilden zu können. In den letzten Wochen habe sich gezeigt, dass der österreichische Versuch, ein eigenes Protokoll zustande zu bringen und somit die Quotenregelung ins Primärrecht zu übernehmen, wenig Zustimmung bei den anderen findet, obwohl man inhaltlich auf großes Verständnis gestoßen sei.

Nun habe Kommissionspräsident Barroso ihm in einem Schreiben signalisiert, dass die zentralen Argumente Österreichs zur Kenntnis genommen worden seien; die Kommission stelle daher in Aussicht, das Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich auf fünf Jahre auszusetzen. Damit habe Österreich Zeit, die vorgebrachten Argumente auch zu dokumentieren. Die Aussetzung des Verfahrens sei mit der Perspektive einer dauerhaften Regelung verbunden, sobald es gelungen ist, die von Österreich vorgebrachten Begründungen auch zu untermauern. Dies sei ein erster Schritt in die richtige Richtung, sagte Gusenbauer. Bundesministerin Ursula Plassnik ergänzte, sie habe bei jeder Gelegenheit um das Verständnis für Österreichs Position geworben. Außerdem biete der Reformvertrag eine Gelegenheit, die Frage zu diskutieren, zumal es sich auch hier um Kompetenzregelungen handle.

Plassnik: EU-Reformvertrag bringt Vorteile

Grundsätzlich warb die Ministerin für den Reformvertrag, indem sie mehrere Vorteile anführte: mehr Sicherheit für die BürgerInnen durch eine bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden; mehr Energiesicherheit durch die rechtliche Grundlage für mehr Solidarität in diesem Bereich; eine genauere Verteilung der Kompetenzen; erstmalige Verankerung der Möglichkeit, Kompetenzen der EU auf die nationale Ebene wieder rückführen zu können; neue Rechte für die nationalen Parlamente im Rahmen der Subsidiaritätskontrolle; genauere Definition der Grenzen des Binnenmarktes, wobei festgelegt wird, dass hinsichtlich der Dienste von allgemeinem Interesse (Daseinsvorsorge) die Verantwortung weiterhin bei den nationalen, regionalen und lokalen Gebietskörperschaften liegt. Außerdem gebe es erstmals die Möglichkeit eines europäischen Volksbegehrens.

Dass der Reformvertrag nun im Rahmen des üblichen Vertragsänderungsverfahrens beschlossen werden soll, bezeichnete Plassnik als eine tragbare Lösung, auch wenn man damit der Lesbarkeit keinen guten Dienst erweise. Trotz der genannten offenen Punkte sei sie zuversichtlich, dass man sich beim Europäischen Rat wird einigen können, da sie ein gewisses Ausmaß an Verständnis für die Anliegen bemerke und nicht alles im Vertrag fixiert werden müsse. Auch das Problem der Ioannina-Klausel hält Plassnik für nicht unlösbar. Bei der Frage der doppelten Mehrheit im Rat wird es noch einer detaillierten Betrachtung bedürfen, ob man bei der Berechnung auf die Wohnbevölkerung oder auf die Staatsbürgerschaft abstellt.

Die Diskussion über den Reformvertrag verlief kontroversiell. Während SPÖ, ÖVP und Grüne den Vertrag als einen Fortschritt begrüßten, kam seitens der FPÖ und des BZÖ Kritik.

SPÖ: Handlungsfähigkeit der EU sichern ohne nationale Handlungsfähigkeit einzuengen

Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S) wies auf die Herausforderungen hin, die nur grenzüberschreitend und damit europaweit gelöst werden können. Dazu gehörten Themen wie Klimapolitik, Sicherheit und Migration. Aber auch die Globalisierung der Wirtschaft habe sich bereits vollzogen und nun gelte es diese Globalisierung so zu gestalten, dass soziale Standards, Umweltschutzstandards und Konsumentenschutzstandards festgelegt werden. Erst dann würden die Menschen das Gefühl haben, dass die Globalisierung nicht über sie hereinbricht. Wenn man die Eigendynamik der Globalisierung nicht kanalisiere, dann werde der erworbene Wohlstand in Europa nicht zu halten sein, meinte Grossmann. Die Handlungsfähigkeit der EU müsse nach innen und nach außen sicher gestellt werden ohne die nationalen Handlungsspielräume einzuengen. Sie unterstützte daher das Instrument der Subsidiaritätskontrolle als eine bürgernahe Lösung. Grossmann plädierte auch dafür, die europapolitische Diskussion auf eine breite Basis zu stellen und die Bevölkerung einzubinden, um den Negativkampagnen entgegenzuwirken. Wenn es nicht gelingt, bei der Bevölkerung Verständnis und Akzeptanz des Vertrags zu erreichen, drohe ein Auseinanderdriften der Union und die neuerliche Bildung von Blöcken auf EU-Ebene.

Abgeordneter Caspar Einem (S) thematisierte die Problematik des opting-out. Jene Staaten, die ein opting-out in einem bestimmten Bereich anstreben, sollten diese nicht mitverhandeln können, sagte Einem und meinte insbesondere Großbritannien, das bei Schengen mitreden, aber nicht mitmachen möchte. Was die von der FPÖ geforderte nationale Volksabstimmung betrifft, so sah er dafür keine Notwendigkeit. Wenn man den Antrag der FPÖ analysiere, so müsse man zu dem Schluss kommen, dass sie aus der EU aussteigen wolle, urteilte er. Im Hinblick auf den Antrag des BZÖ stellte Einem die Frage, ob es nicht sinnvoller sei, konkrete Schritte zur Verbesserung zu setzen als von vorne beginnen zu wollen. Einen Neustart hielt er für unrealistisch.

Wie Abgeordneter Josef Broukal (S) äußerte sich Einem auch zum Unizugang und sprach sich gegen eine Vetodrohung aus. Broukal freute sich darüber, dass seitens der EU-Kommission die Argumente von Bundesminister Hahn gewürdigt werden. Er rechnete vor, dass man aufgrund der großen Anzahl von Pensionierungen ab 2015 bereits heute ca. 2.000 StudienabsolventInnen benötige. Derzeit seien dies aber nur 1.400, weshalb ein krasser Ärztemangel zu befürchten sei.

ÖVP: Entscheidende Veränderungen gegenüber Verfassungsvertrag

Klubobmann Wolfgang Schüssel (V) würdigte den vorliegenden Entwurf und betonte, dass dieser ganz entscheidende Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen Verfassungsvertrag vorweise. So seien vor allem jene Passagen weggefallen, die auf eine Staatlichkeit hinweisen, wie beispielsweise der Name Verfassungsvertrag, wie die Symbole Hymne und Flagge, und auch die Terminologie bleibe beim Status-quo und führe nicht Wortbezeichnungen wie Gesetz ein. Es werde auch der Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht fixiert; die Charta der Grundrechte sei zwar rechtlich bindend aber nicht Teil des formellen Vertrags. Der europäische Außenminister wird nicht mehr unter dieser Bezeichnung fungieren und erstmals eröffne der Vertrag auch die Möglichkeit, Kompetenzen rückzuverlagern. Im Bereich Energie und Klima bringe der Vertrag Präzisierungen und schreibe den Geist der Solidarität fest. Hinsichtlich der Dienstleistungen sei nicht mehr nur das wirtschaftliche Interesse ausschlaggebend, und was die Außen- und Sicherheitspolitik betrifft, so bleibe der Status-quo der Neutralen und Bündnisfreien aufrecht. Es werde auch weiterhin dem österreichischen Parlament freistehen zu entscheiden, an welchen Missionen und in welcher Art und Weise man teilnehme. Die klare Solidaritätsverpflichtung bewertete Schüssel jedoch positiv. Abschließend sprach er sich als ein Anhänger der repräsentativen Demokratie dezidiert gegen eine Volksabstimmung über den Vertrag aus.

Große Hoffnung auf eine Einigung äußerte auch der Zweite Präsident des Nationalrats, Michael Spindelegger (V), zumal er positive Signale auf der Tagung der COSAC aufgenommen hatte. Was den Universitätszugang betrifft, so berichtete Spindelegger ebenfalls über weitgehendes Verständnis aus den anderen Ländern, dennoch fragte er, warum die Kommission nochmals eine Verzögerung vornimmt, zumal die Fakten auf dem Tisch liegen. Die vage Zusage, das Vertragsverletzungsverfahren auszusetzen, sei weit entfernt von der Aufnahme ins Primärrecht.

EU-Abgeordneter Reinhard Rack (V) meinte dazu, es sei erfreulich, dass endlich Bewegung in die Sache gekommen sei. Er nahm auch zur neuen Sitzverteilung im Europäischen Parlament Stellung und begrüßte die Lösung, da es keine Kategorien von Staaten mehr geben soll, sondern man bei der Zuteilung von Sitzen nach der Maßgabe der einzelnen Länder vorgehen wird.

Grüne: Reformvertrag bringt viel Positives, aber viele Wünsche offen

Seitens der Grünen stellte Abgeordnete Ulrike Lunacek klar, die Grünen seien froh, dass der Reformvertrag vorliege, zumal die Grundrechtecharta, die Aufwertung des Europäischen Parlaments, die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen und die verbesserte Grundlage für die europäische Außenpolitik mit einem gemeinsamen diplomatischen Dienst wesentliche Verbesserungen darstellen. Besonders kritisch sah sie die Möglichkeit des opting-out für Großbritannien und Polen beim Grundrechtevertrag. Lunacek war zwar gegen eine nationale Volksabstimmung, trat aber grundsätzlich für Volksabstimmungen und Volksbefragungen auf europäischer Ebene ein.

Die Dritte Präsidenten des Nationalrats Eva Glawischnig-Piesczek (G) thematisierte ebenfalls die Grundrechtecharta und fragte nach deren Auswirkung für die einzelnen BürgerInnen. Glawischnig fehlten auch Initiativen der Regierung zur Änderung des EURATOM-Vertrags. Besonders kritisch betrachte sie die ihrer Meinung nach fortschreitende Militarisierung der EU im Zusammenhang mit der strukturierten Zusammenarbeit. Darauf reagierte Abgeordneter Caspar Einem mit dem Hinweis, dass es besser sei, eine derartige Zusammenarbeit im Vertrag zu regeln, denn die Staaten, die dieses Ziel verfolgen, würden dies ohnehin tun. Die Alternative wäre daher, dass es neben der EU ein weiteres europäisches Projekt gibt, wo andere nur zuschauen können. Die Dinge müssten daher in das EU-System eingegliedert werden, damit alle mitbestimmen können, wenn es um Entscheidungen geht. Er appellierte daher an die Grünen, keine Panikmache zu betreiben und plädierte für eine nüchterne Aufklärung. Es gehe in erster Linie bei der strukturierten Zusammenarbeit um die Erweiterung der Instrumente, die im Krisenfall notwendig sind.

FPÖ verlangt Volksabstimmung über EU-Reformvertrag

Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) machte seine Ablehnung des Reformvertrags deutlich. Er sei deshalb für eine nationale Volksabstimmung, weil der Vertrag grundsätzliche Änderungen zum Inhalt und damit eine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung zur Folge habe. In Reaktion auf Klubobmann Wolfgang Schüssel merkte er an, dass der Vorrang des Unionsrechts im Vertrag zwar nicht enthalten sei, aber dies ändere nichts am Grundsatz des Vorrangs, zumal die Entscheidungen des EuGH sich an diesem Vorrang orientieren. Daher stelle der Vertrag in diesem Punkt einen Etikettenschwindel dar. Er erwarte sich vom Bundeskanzler und der Außenministerin, dass sie wichtige Punkte, wie die FPÖ sie in ihrem Antrag formuliert habe, zur Sprache bringen, denn das Druckmittel sei ja das Einstimmigkeitsprinzip bei einer Vertragsänderung.

Ähnlich äußerte sich FPÖ-Klubobmann Heinz Christian Strache, der nochmals jene Punkte umriss, die seiner Meinung nach eine Volksabstimmung in Österreich notwendig machen. Durch ein Inkrafttreten des EU-Reformvertrags, so Strache, würden grundlegende Bausteine der Bundesverfassung geändert, so etwa durch das vereinfachte Änderungsverfahren, durch eine Generalermächtigung zur Mittelbeschaffung, durch die Flexibilitätsklausel, durch den Vorrang des Unionsrechts und nicht zuletzt durch die Defacto-Abschaffung der immerwährenden Neutralität Österreichs. Seit der Mitgliedschaft Österreichs bei der EU sei es zu einer Teilaushöhlung der Neutralität gekommen, und nun lasse der weitreichende Staatenbund die Neutralität völlig verschwinden, bemerkte Strache.

Auch Abgeordnete Barbara Rosenkranz (F) bestand auf einer nationalen Volksabstimmung und kritisierte EU-Kommissarin Ferrero-Waldner, die eine solche Volksabstimmung mit dem Argument abgelehnt hatte, die Bevölkerung verstehe das Reformwerk nicht. Das offenbare die eigenartige Haltung der Regierung und der Kommission, die den KritikerInnen des Reformvertrags keine rationalen Gründe zubilligen, sagte Rosenkranz. Eine solche Haltung entspreche aber in keiner Weise dem demokratischen Prinzip.

Die Abgeordneten Herbert Scheibner (B) und Caspar Einem (S) machten darauf aufmerksam, dass das Neutralitätsgesetz kein Bauprinzip des Bundes-Verfassungsgesetzes sei. Scheibner fügte dem noch hinzu, dass durch Art. 23f B-VG das Neutralitätsgesetz bereits weitgehend aufgehoben sei.

BZÖ: EU-Reformvertrag ist Rückschritt gegenüber Verfassungsvertrag

Aus der Sicht des BZÖ übte Herbert Scheibner Kritik am vorliegenden Vertrag, da er darin einen Rückschritt in grundlegenden Fragen erblickt. Er bezeichnete es als "schauerlich", wie wenig der EU zu Konfliktherden wie in Darfur oder in Myanmar einfällt. Er glaube nicht, dass die EU auf die konkreten Herausforderungen der Globalisierung, der Migrationspolitik und der Außenpolitik im Stande ist, zu entsprechend zu reagieren. Er sehe daher keinen Sinn darin, an dem, was nicht mehr belebbar ist, noch herumzudoktern. Scheibner artikulierte auch seine Zweifel daran, dass alle Länder im Endeffekt auch tatsächlich ratifizieren. In diesem Zusammenhang ortete er auch ein Glaubwürdigkeitsdefizit insofern, als in jenen Ländern, wo bereits der Verfassungsvertrag ratifiziert wurde, verkündet werde, der Reformvertrag ändere gegenüber dem Verfassungsvertrag kaum etwas. Wo der Verfassungsvertrag durch Volksabstimmungen gescheitert ist, werde im Gegensatz dazu behauptet, es lägen grundlegende Änderungen vor. Außerdem sei die Lesbarkeit des Reformvertrags sehr schlecht, sagte Scheibner. Es sei daher an der Zeit, über neue Modelle nachzudenken, denn Ungleiches gleich zu behandeln funktioniere nicht mehr. Es müssten alle Bemühungen unterstützt werden, die auf eine Differenzierung hinauslaufen. Scheibner ging in diesem Zusammenhang näher auf das im BZÖ-Antrag auf Stellungsnahme formulierte Modell eines Kerneuropas ein, das durch konzentrische Kreise in Form von Assoziierungsabkommen und Partnerschaftsabkommen ergänzt wird. Auch er hält eine europaweite Volksabstimmung für sinnvoll.

Renaissance der Atomenergie in Europa befürchtet

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (S) unterstrich nochmals, dass er das Schreiben des Kommissionspräsidenten zu den Uni-Quoten als eine gute Grundlage für eine positive Lösung betrachte. Auch seitens des Verfassungsdienstes bewerte man das Schreiben dahingehend, dass Österreich nun die Möglichkeit gegeben werde, die vorgebrachten Argumente noch deutlicher zu dokumentieren. Sollte es beim EuGH eine Vorabentscheidung geben, werde Österreichs Position von der Kommission unterstützt.

Die Grundrechtecharta sei einklagbar, stellte der Kanzler klar, und könne von jedem in einem Verfahren vor dem EuGH geltend gemacht werden. Was den EURATOM-Vertrag betrifft, so forderte der Kanzler Realitätssinn ein. Zum Bedauern Österreichs sei eine Renaissance der Atomenergie in Europa festzustellen, weil diese von einzelnen Staaten als wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz angesehen werde. Man werde sich daher in nächster Zukunft auf einiges einstellen müssen, meinte der Kanzler.

Auch gegenüber Abgeordnetem Scheibner ersuchte Gusenbauer die Sache realistisch zu sehen. Mehr sei einfach nicht möglich gewesen, und wenn man die Diskussion neu aufrollen wolle, dann würde das Ganze in eine Richtung gehen, die Österreich nicht haben wolle. Es sei gegenüber dem Verfassungsvertrag vieles geändert worden, die Substanz sei aber erhalten geblieben.

Gusenbauer vertrat auch die Auffassung, dass jene Staaten, die in bestimmten Bereichen nicht mitmachen wollen, auch nicht mitreden sollten. Die Argumente für eine Ratifikation durch das österreichische Parlament hielt er für stichhältig.

In den nächsten Monaten werde es eine wichtige Aufgabe sein, die Bevölkerung umfassend über den Reformvertrag zu informieren, sagte Bundesministerin Ursula Plassnik. In Bezug auf die Außenpolitik, die Entwicklungszusammenarbeit und den Außenhandel verwies sie auf die Artikel 155ff des Vertrags und führte weiter aus, dass der Hohe Vertreter bzw. die Hohe Vertreterin auch eine entsprechende Stellung in der Außenpolitik der EU einnehmen werde. Es gehe um einen aktiven Mitgestaltungswillen, aber auch um ein Mitgestaltungsbewusstsein, so Plassnik. Das opting-out sollte nur eine temporäre Asymmetrie sein, skizzierte sie die Grundphilosophie dieser Bestimmungen. Plassnik widersprach auch heftig der Dritten Präsidentin des Nationalrats, Glawischnig-Piesczek, und wies den Vorwurf der Militarisierung der EU zurück. Es gehe lediglich um eine Verbesserung der Instrumente, sagte sie, die Verfahren und Zustimmungsmodalitäten blieben aber gleich. (Schluss)