Parlamentskorrespondenz Nr. 896 vom 22.11.2007

Justizausschuss: Haftentlastungspaket plenumsreif

Auch Suchtmittelgesetznovelle passiert Ausschuss

Wien (PK) - Mehr Sicherheit erwartet das Justizressort durch Maßnahmen des so genannten Haftentlastungspakets. Der entsprechende Gesetzentwurf (302 d.B.) wurde heute im Justizausschuss in Gestalt eines gesamtändernden Abänderungsantrags mit dem Strafrechtsänderungsgesetz (285 d.B.), mit dem zum einen die Normen im Kampf gegen die Korruption weiter entwickelt und an internationale Vorgaben angenähert, zum anderen Anpassungen an neue technische Gegebenheiten im Computerstrafrecht vorgenommen werden, zu einer Vorlage vereint, sodass das Strafrechtsänderungsgesetz als miterledigt gilt.

Die Vorlage wurde mit Mehrheit dem Nationalratsplenum zur Annahme empfohlen. Gleichfalls mit Mehrheit wurde ein S-V-Entschließungsantrag betreffend Evaluierung von Kronzeugenregelungen angenommen. Auch eine auf Initiative der Grünen formulierte Ausschussfeststellung fand die Zustimmung der Mehrheit des Ausschusses; sie hält fest, dass die Erbringung gemeinnütziger Leistungen anstelle von Ersatzfreiheitsstrafen nicht der vom AlVG geforderten Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt entgegensteht. Die Suchtmittelgesetznovelle (301 d.B.) passierte den Ausschuss in der Fassung eines Abänderungsantrags gleichfalls mit Mehrheit. Ein Antrag der Grünen für die Ausweitung der bedingten Entlassung (141/A) und ein G-Antrag auf Schaffung einer eigenen Strafvollzugskommission (147/A[E)) blieben in der Minderheit. Ein F-Antrag auf Maßnahmen zur wirksameren Bekämpfung von Zwangsehen (291/A) sowie ein Antrag des BZÖ auf Verschärfung des Strafrechts, speziell was den sexuellen Missbrauch von Kindern betrifft (413/A), wurde jeweils vertagt.

Im einzelnen sind im "Haftentlastungspaket" bei der bedingten Entlassung folgende Änderungen vorgesehen: Möglichkeit der bedingten Entlassung auch aus dem nicht bedingt nachgesehenen Teil einer unbedingten Freiheitsstrafe; teilweiser Verzicht auf generalpräventive Überlegungen; Neuformulierung der Entlassungskriterien; Erweiterung der bedingten bzw. obligatorischen Bewährungshilfe; amtswegige Überprüfung der weiteren Notwendigkeit der Bewährungshilfe. Der Modellversuch "gemeinnützige Leistungen statt Ersatzfreiheitsstrafe" wird auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet und auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Außerdem wird die Möglichkeit geschaffen, nicht "aufenthaltsverfestigte" ausländische Verurteilte, gegen die ein Aufenthaltsverbot besteht, nach Verbüßung der Hälfte der Strafe "zur Ausreise zu verhalten". In die Entscheidung über den Freigang soll gegebenenfalls die Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter in die Beurteilung der Voraussetzungen einbezogen werden. Zur Vermeidung des Missbrauchs von Vollzugslockerungen soll eine Rechtsgrundlage für die "elektronische Fußfessel" geschaffen werden.

Die Debatte im Ausschuss war um zwei Themen zentriert. Zum einen um das Sicherheits- bzw. Haftenlastungspaket, dabei vor allem um die Frage vorzeitiger Entlassung, zum anderen um die Suchtmittelthematik.

Debatte zum Haftentlastungspaket

Abgeordneter Johannes Jarolim (S) zeigte auf, dass in Deutschland und in der Schweiz das Instrument der vorzeitigen Entlassung häufiger als in Österreich eingesetzt werde. Die Maßnahme sei zwar "nicht spektakulär", doch komme man damit ein Stück weiter auf dem Weg im Kampf gegen die Kriminalität.

Genau dies wurde von Abgeordnetem Peter Fichtenbauer (F) angezweifelt, der einen "Kriminalreisetourismus" befürchtete – eine Befürchtung, die von S-Abgeorndeter Gisela Wurm unter Hinweis auf Schengen zurückgewiesen wurde.

Für die Grünen sah Abgeordneter Albert Steinhauser im Haftentlastungspaket ebenfalls einen Schritt in die richtige Richtung, wobei er allerdings kritisierte, dass in der Regierungsvorlage einzelne Punkte gegenüber dem Ministerialentwurf zurückgenommen worden seien. Kritisch äußerte sich der Abgeordnete bezüglich der Zeitvorgabe von zehn Wochenstunden für gemeinnützige Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafen. Auch sein Fraktionskollege Wolfgang Zinggl befürwortete die Linie des Entwurfs "eingliedern statt wegsperren" und begrüßte die Möglichkeit, statt Ersatzfreiheitsstrafen gemeinnützige Leistungen zu erbringen.

Umfassende Kritik am Haftentlassungspaket übte hingegen B-Abgeordneter Gernot Darmann. Es sei zu fragen, ob die vorzeitige Entlassung ausländischer Straftäter mit der EU abgesprochen bzw. EU-Rechts-konform sei; die Schwere der Tat sei nicht definiert; es werde nicht nach Deliktarten differenziert; auch eine elektronische Fußfessel könne eine Straftat nicht verhindern. Er sprach sich dafür aus, unterstützende Maßnahmen wie Bewährungshilfe auch nach Verbüßung der gesamten Strafe vorzusehen und richtete an Justizministerin Maria Berger die Frage, weshalb keine neuen Haftanstalten gebaut würden. F-Abgeordneter Fichtenbauer wollte wissen, wie die Regelung im Falle von Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft aussehe.

Während Mandatarinnen der ÖVP (Barbara Riener, Gertrude Brinek) auf einzelne Details eingingen bzw. Detailfragen an die Justizministerin richteten, wiesen die Abgeordneten der SPÖ (Bettina Stadlbauer, Otto Pendl, Sonja Ablinger) die Kritik des Abgeordneten Darmann ebenso zurück wie G-Mandatar Albert Steinhauser.

Justizministerin Maria Berger stellte zunächst grundsätzlich fest, dass Österreich führend bei der Verhängung von Freiheitsstrafen sei; es sei daher über Alternativen nachzudenken. Abgeordnetem Steinhauser gab die Ministerin zu bedenken, dass die gemeinnützigen Arbeiten in der Freiheit geleistet werden müssten; die zehn Stunden seien als Durchschnitt und vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich die Maßnahme auch nicht zu lange hinziehen solle. Die Vermittelbarkeit auf den Arbeitsmarkt solle dadurch jedenfalls nicht beeinträchtigt werden, betonte Berger. Ein Ausbau der Gerichtshilfe sei geplant. Für EU-Bürger gebe es in zwei Jahren den Vollzug im jeweiligen Heimatstaat. Die vorgesehene Regelung – Ausreise nach der Hälfte der Strafe und Verbot der Wiedereinreise - richte sich an Personen, die nicht aufenthaltsverfestigt seien.

Abgeordneten Darmann teilte die Justizministerin mit, dass derzeit eine neue Haftanstalt gebaut würde, die über 450 Haftplätze verfügen werde. Schon jetzt seien auch nach Verbüßung der vollen Haftstrafe begleitende Maßnahmen möglich, allerdings auf freiwilliger Basis.

Debatte zum Suchtmittelgesetz

Abgeordnete Karin Hakl (V) bemängelte den Entfall des Begriffs der "geringen Menge" in der Novelle zum Suchtmittelgesetz, zumal dadurch die Gefahr bestehe, die Straflosigkeit könnte bis zu der – weit höheren – "Grenzmenge" ansteigen, was die Verfolgung von Dealern erschwere oder gar verunmögliche. Sollte dies in der Novelle so bleiben, werde sie die Zustimmung verweigern, sagte Hakl. Ihre Fraktionskollegin Barbara Riener problematisierte die Kumulierung von verschiedenen Stoffen. Abgeordneter Gernot Darmann (B) sah eine Aufweichung des Suchtmittelgesetzes.

Abgeordneter Johann Maier (S) fragte nach einem nationalen Drogenaktionsplan, während seine Fraktionskollegin Gisela Wurm daran erinnerte, dass mit der Novelle EU-Vorgaben umgesetzt würden. Der österreichische Weg  der Trennung von Süchtigen und Dealern sowie "Therapie statt Strafe" sei richtig, zudem bringe die Novelle keine "Aufweichung", sondern in einzelnen Punkten sogar eine Verschärfung, betonte Wurm.

Abgeordneter Maier (S) sprach schließlich, ausgehend vom jüngsten Fall von Datendiebstahl in Großbritannien, das Thema Computerkriminalität an. Es sei zu fragen, ob die Strafdrohung in diesem Punkt reiche und ob nicht an eine Schadenersatzpflicht des Verarbeiters zu denken sei.

FPÖ-Abgeordneter Peter Fichtenbauer stimmte in diesem Punkt Abgeordnetem Maier zu, schloss sich hingegen in Punkto Suchtmittelgesetz der Meinung der ÖVP-Abgeordneten Hakl an.

Justizministerin Maria Berger stellte fest, in der Praxis gehe man schon jetzt bei den individuellen Drogenmengen bis zur Grenzmenge. Im neuen Gesetz werde es in mehr Fällen als bisher die Möglichkeit der Diversion geben, zum Teil aber seien massive Verschärfungen für Drogendealer vorgesehen.

Strafprozessreform führt zu zahlreichen Gesetzesanpassungen

Der Justizausschuss beschloss weiters mit S-V-F-G-Mehrheit ein so genanntes Strafprozessreformbegleitgesetz II (299 d.B.), durch das insgesamt 24 Gesetze an die mit dem Strafprozessreformgesetz geschaffene neue Systematik des einheitlichen Ermittlungsverfahrens angepasst werden. Darüber hinaus will das Gesetz aber auch die Effizienz der Strafverfolgung im Bereich von Korruptionsdelikten durch Einrichtung einer zentralen Korruptionsstaatsanwaltschaft verstärken, die bundesweit für die Leitung des Ermittlungsverfahrens bei einem speziellen Katalog von Straftaten zuständig ist.

Weiterer Reformschritt durch Exekutionsordnungs-Novelle

Einstimmig verabschiedete der Ausschuss eine Exekutionsordnungs-Novelle 2008 (295 d.B.) als weiteren Reformschritt auf dem Gebiet des Exekutionsrechts bei der Zwangsverwaltung von Liegenschaften das Verfahren moderner und schlanker gestaltet, den Einsatz der EDV ausweitet und die Entlastung der Gerichte vorantreibt.

Anpassung der Rechtsanwaltsordnung und der Notariatsordnung

Mit dem Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 (303 d.B.) wiederum, das den Ausschuss mit S-V-F-G-Mehrheit passierte, werden österreichische Normen der europäischen Entwicklung angepasst. Dies betrifft u.a. die Regelungen der für den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts bzw. des Notars vorzusehenden Studienabschluss bis hin zur Einführung von Bachelor- und Masterstudien. Außerdem  wird im Gebührenrecht für Gerichtssachverständige und Gerichtsdolmetscher durch die Einführung einer gestaffelten Rahmengebühr Transparenz hergestellt. Darüber hinaus wird im Notariatsaktgesetz die unabdingbare Notariatsaktpflicht für die Rechtsgeschäfte behinderter Personen aufgehoben.

Ein Entschließungsantrag der Regierungsparteien, in dem eine Evaluierung der juristischen Studiengänge hinsichtlich des Zugangs zu den praktischen Rechtsberufen gefordert wurde, erhielt einhellige Zustimmung.

In der Minderheit blieb hingegen ein Abänderungsantrag des Abgeordneten Gernot Darmann (B) auf Aufrechterhaltung der notariellen Vertretungsmöglichkeit im Strafverfahren vor den Landesgerichten.

Justizministerin Maria Berger meinte zur Frage der Zukunft der Gerichtsmedizin, die vom Abgeordnetem Darmann aufgeworfen wurde, sie habe großes Interesse an einer qualitativ hochstehenden gerichtsmedizinischen Versorgung und hoffe noch auf eine Lösung, sei sich aber klar darüber, dass über die Gebühren allein die Grundfinanzierung der gerichtsmedizinischen Institute nicht sicher gestellt werden könne. (Schluss)