Parlamentskorrespondenz Nr. 952 vom 04.12.2007

Aktuelle Stunde zum EU-Reformvertrag im Nationalrat

FPÖ drängt mit Nachdruck auf eine Volksabstimmung

Wien (PK) - Zweiter Nationalratspräsident Michael SPINDELEGGER eröffnete die 40. Sitzung des Nationalrates mit einer Aktuellen Stunde zu dem von der FPÖ gewählten Thema "Damit Österreich souverän und neutral bleibt - kein Abschluss des EU-Reformvertrages".

Abgeordneter STRACHE (F) begründete die Ablehnung des EU-Reformvertrages durch seine Fraktion mit der Ablehnung des Konzepts eines europäischen Bundesstaates und warf den anderen Fraktionen vor, der österreichischen Bevölkerung das Recht auf eine Volksabstimmung vorenthalten zu wollen, wenn es darum gehe, Eigenstaatlichkeit, Souveränität und Neutralität zu bewahren. Werde dieser Vertrag ratifiziert, hätten Demokratie und die Republik Österreich ausgedient, formuliert Karlheinz Strache. Ziel seiner Fraktion sei hingegen die Eigenstaatlichkeit Österreichs in einem europäischen Staatsverband, sagte der FPÖ-Klubobmann und forderte Bundeskanzler Gusenbauer auf, den EU-Reformvertrag beim Europäischen Gipfel am 13. Dezember 2007 in Lissabon nicht zu unterschreiben. Bundesregierung und Nationalratspräsidentin Prammer sollten das Recht der österreichischen Bevölkerung auf eine Volksabstimmung in dieser Frage sichern.

Trete der EU-Reformvertrag in Kraft, hätten in unserem Land nur noch die EU-Kommissare das Sagen, befürchtete Abgeordneter Strache und warnte vor ausländischem Zugriff auf das österreichische Wasser, vor Umweltdiktaten und Gentechnikzwangsverordnungen. Schon jetzt müsse Österreich eine Verdoppelung der Fördermittel nach dem Euratom-Vertrag akzeptieren und zulassen, dass seine Sozialkassen von Nichtösterreichern in Anspruch genommen werden. Strache kritisierte einmal mehr auch den "Kampfeinsatz" des Bundesheeres im Tschad und machte darauf aufmerksam, dass die EU unter dem Titel "Terrorbekämpfung" auch Angriffskriege vorsehe.

Bundeskanzler Dr. GUSENBAUER sagte, es sei ihm "angst und bang" geworden bei den Ausführungen seines Vorredners. Ganz anders als die eingefrorene Posthorntöne der FPÖ seit dem EU-Beitritt glauben machen wollen, erlebe Österreich als EU-Mitglied einen der größten wirtschaftlichen Aufstiege seiner Geschichte und sei zum viertreichsten Land der EU geworden. Österreich profitiere als Zentrum des erweiterten Europa und könne in diesen Tagen seine Wachstumserwartungen nach oben korrigieren, obwohl die Eurozone weniger Wachstum erwarte. Man könne nicht vom Untergang der Republik sprechen, wenn die Menschen von guten Gehaltsabschlüssen und sinkender Arbeitslosigkeit profitierten.

Das bedeute freilich nicht, auf Kritik an einzelnen EU-Projekten zu verzichten, und manchmal sei es auch notwendig, Gegenpositionen innerhalb der EU zu beziehen, führte der Bundeskanzler aus. Gusenbauer warnte aber davor, das Projekt der europäischen Einigung insgesamt in Frage zu stellen und die Menschen zu verunsichern. Der EU-Reformvertrag soll dem vorgesehenen verfassungsmäßigen Procedere unterzogen werden. Die Behauptung, dieser Vertrag stelle eine fundamentale Änderung der Bundesverfassung dar, wies der Bundeskanzler zurück. Er sei vielmehr Ausdruck der geteilten Souveränität zwischen Österreich und der Europäischen Union, ein Prinzip, über das die Österreicher bereits beim EU-Beitritt abgestimmt haben. Neutralität und Solidarität würden nicht verändert, der Vertrag werde aber zu einem besseren Funktionieren der EU beitragen und die Kluft zwischen der Union und den Bürgern Europas verringern. "Dazu sagen wir ja, weil Österreich von der EU profitiert, die eine gute Grundlage für die Zukunft Österreichs darstellt", schloss Bundeskanzler Gusenbauer.

Abgeordneter Dr. CAP (S) warf der FPÖ vor, ihre Kritik an der EU zu übertreiben und mit keinem Wort auf die Frage einzugehen, wie ihre Alternative zur Europäischen Union und zur Mitgliedschaft Österreichs in der EU aussehe. Es sei die unbestreitbare Leistung der Europäischen Union, Nationenstreit und religiöse Konflikte in Europa durch Jahrzehnte verhindert zu haben. Die EU sei nicht mehr als die Summe der Beschlüsse nationaler Regierungen und nationaler Parlamente. Die EU schütze ihre Mitgliedstaaten gegen den Globalisierungsdruck, sagte Cap und bekannte sich nachdrücklich dazu, gemeinsam alles zu unternehmen, chinesische Löhne oder russische Sicherheitsverhältnisse in Europa einzuführen. Demgegenüber gelte es, die politischen und demokratischen Traditionen Europas fortzuführen und das Niveau der Sozialsysteme zu erhalten.

Abgeordneter Dr. SCHÜSSEL (V) erinnerte, dass die österreichische Wirtschaft seit dem EU-Beitritt schneller wachse als die deutsche und seit der Euro-Einführung schneller als der Durchschnitt der Eurozone. Österreichs Exportwachstum sei doppelt so stark wie jenes der Schweiz; die Österreicher profitieren von der europäischen Einigung durch mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit.

Der EU-Reformvertrag schreibt den Klimaschutz verbindlich fest, bringt eine gemeinsame europäische Energiepolitik, macht die EU demokratischer, indem er das Subsidiaritätsprinzip verankert und bringt eine verbindliche Grundrechtscharta. "Das ist ein großer Schritt nach vorne, den wir der österreichischen Bevölkerung nicht vorenthalten sollten", sagte der ÖVP-Klubobmann. Der Schutz des Wassers, die Sicherung der Neutralität und die Daseinsvorsorge seien weitere Pluspunkte des Vertrages, sagte Schüssel, der festhielt, dass die österreichische Neutralität auch weiterhin von niemand anderem definiert werde als von Österreich selbst. Eine Volksabstimmung über diesen Vertrag wäre nur in Form einer gesamteuropäischen Volksabstimmung sinnvoll.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) entnahm den Ausführungen des FPÖ-Klubobmanns de facto die Absicht, aus der EU auszutreten. Eine Absicht, vor der man im Hinblick auf das Beispiel des Nicht-EU-Mitglieds Schweiz nur warnen könne. Dort stagniere die Wirtschaft, wenn auch auf hohem Niveau, dort müsse man EU-Entscheidungen mühsam nachvollziehen, ohne über das automatische Mitspracherecht eines Mitgliedslandes zu verfügen. Gäbe es die Union nicht, müsste man sie als Gegengewicht zur Globalisierung erfinden, meinte Abgeordneter Van der Bellen.

Abgeordneter Strache habe kein Wort über die Demokratisierung der EU durch den EU-Vertrag verloren, konstatierete Van der Bellen. Die Gewaltenteilung in der Union werde verbessert und ihre Handlungsfähigkeit durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen verbessert. Eine Volksabstimmung hätte auch für Abgeordneten Van der Bellen nur Sinn, wenn es eine gesamteuropäische Abstimmung wäre.

Für Abgeordnete ROSENKRANZ (F) ist der Reformvertrag nur "der alte Brief in einem neuen Umschlag". Die Rednerin registrierte eine tiefe Kluft zwischen der Europäischen Union und der Bevölkerung Europas und zeigte sich verwundert darüber, dass die vier anderen Parteien den Menschen eine Volksabstimmung vorenthalten wollten. Aussagen, die Menschen würden den Vertrag nicht verstehen, bezeichnete die Rednerin als arrogant und warf der Regierung vor, die Bevölkerung nicht ausreichend zu informieren. Die Menschen würden aber ohnehin verstehen, was es bedeute, wenn die Kommission sich auf Vorschlag des Rates neue Befugnisse geben dürfe, was es für die Mitsprache Österreichs bedeute, wenn Einstimmigkeit durch Mehrstimmigkeit ersetzt werde und was die Europäische Verteidigungspolitik für die Neutralität bedeute - das Kraftzentrum gehe von Wien nach Brüssel. "Das kann man wollen - wir wollen es nicht - der Bürger hat aber auf jeden Fall das Recht, darüber in einer Volksabstimmung zu entscheiden", schloss Barbara Rosenkranz.

Abgeordneter WESTENTHALTER (B) zitierte den slowakischen EU-Kommissar mit der Aussage, die Menschen in den neuen Beitrittsländern sagten, "was früher aus Moskau kam, kommt heute aus Brüssel". Die EU fahre als ein Zug mit hoch bezahlten Schaffnern, aber ohne Passagiere durch Europa, sagte Westenthaler pointiert. Dem gegenüber gehe es um ein Europa der Völker, nicht um ein Europa der Zentralisten. Gegenüber der FPÖ schlage das BZÖ aber nicht eine Volksabstimmung, sondern eine Volksbefragung vor. Das sei das richtige Instrument, denn eine Volksbefragung könne sofort durchgeführt werden. Darüber hinaus verlangt der BZÖ-Klubobmann, Österreichs Nettobeitrag einzufrieren und die so gewonnen Mittel für sozial schwache Österreicher einzusetzen.

Außenministerin Dr. PLASSNIK bemühte sich um "Nüchternheit in einer emotionsgeladenen Debatte" und klärte darüber auf, dass der EU-Reformvertrag Anpassungen enthalte, die auf das bessere Funktionieren der Union gerichtet sind. Außerdem erinnerte die Ministerin daran, dass viele Abgeordnete, die jetzt Kritik am Reformvertrag üben, einst dem - weitergehenden - Verfassungsvertrag durchaus zugestimmt haben. Der EU-Reformvertrag bringe mehr Demokratie, klarere Kompetenzen, straffere Verfahren und mehr Sicherheit in der Union. Die Rechte des EU-Parlaments und jene der nationalen Parlamente würden gestärkt und es werde ein neues Instrument, die europäische Bürgerinitiative, eingeführt. Gestärkt werden auch die Rechte der Länder und Gemeinden und das Prinzip der Subsidiarität. Dazu kommt ein Grundrechtskatalog, die Konzentration der außenpolitischen Kapazitäten des Rates und der Kommission. Die Neutralität Österreichs werde sich nicht ändern, Österreich werde seine Sicherheitspolitik auch künftig aus Eigenem bestimmen können, hielt die Außenministerin fest.

Für Abgeordnete Mag. GROSSMANN (S) ist es eine Tatsache, dass die EU durch den Vertrag von Lissabon demokratischer und bürgerInnenfreundlicher wird. Erstmals werden Grundrechte rechtsverbindlich im EU-Vertrag verankert, und zwar nicht nur als leere Worthülsen, sondern als konkrete Ansprüche, die der Einzelne auch vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen kann. Das Verbot der Todesstrafe, der Zwangsarbeit, das Recht auf ein faires Verfahren, der Schutz des Privat- und Familienlebens, die Gleichheit von Männern und Frauen, soziale Grundrechte und die kostenlose Arbeitsvermittlung sollen für alle Unionsmitglieder gelten. Das sei kein Rückschritt! Die FPÖ schüre gezielt das Schreckgespenst, dass die Souveränität Österreichs mit dem Reformvertrag verloren geht. Die Stärkung der Rechte der nationalen Parlamente werde ignoriert, auch werde nicht zur Kenntnis genommen, dass künftighin die Abgeordneten stärker gefordert sind, an europäischen Entwicklungen mitzuwirken. Auch werde im Vertrag klargestellt, dass die Daseinsvorsorge wie Wasserversorgung, Gesundheitsleistungen Aufgaben der Mitgliedstaaten sind. Man möge mit dem Ausverkaufsmärchen Schluss machen, forderte sie.

Abgeordnete FUHRMANN (V) meinte, die Bürger erwarten sich zu Recht eine aktive und transparente EU bzw. eine EU, die ihnen Vorteile bringt und sie vor Gefahren schützt. Ziel sei es, das Vertrauen der Österreicher in das europäische Projekt zu stärken. Die vorliegende Verfassung komme diesem Wunsch nach. Wenn die FPÖ behauptet, die Rechte des österreichischen Parlaments werden beschnitten, dann sei diese Behauptung falsch, da die Verfassung regelt, wie das österreichische Parlament Einspruch gegen Gesetzesvorhaben, die in eine nationale Kompetenz eingreifen, erheben kann. Die jungen Menschen haben keine Angst vor Europa, sie lassen sich auch Europa nicht schlecht reden, weil sie wissen, welche Chancen damit verbunden sind.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) vertrat die Ansicht, Strache betreibe ein populistisches, polemisches Spiel mit der österreichischen Bevölkerung. Er tue so, als wäre er die neue Heimatpartei, um seine rassistische, nationalistische und anti-europäische Haltung zu verdecken. Außerdem werden von ihm im Zusammenhang mit dem Vertrag von Lissabon zahlreiche Unwahrheiten in den Raum gestellt. So werde von ihm behauptet, es gebe weniger Bürgermitsprache und das Europaparlament erhalte mehr Rechte. Das stimme nicht, betonte die Rednerin. Die 183 Abgeordneten im Hohen Haus werden sich in Zukunft Vorschläge der Europäischen Union anschauen müssen und können – gemeinsam mit anderen – der Kommission sagen, es habe sich den Vorschlag noch einmal anzuschauen.

Abgeordneter KICKL (F) hob hervor, dass man hinsichtlich der EU kein Pessimist, sondern Realist sein müsse, um zu wissen, dass "kaum etwas Gutes mit dem Reformvertrag auf die Menschen zukommt". Auch meinte er, die Leute hätten die lange Liste an Versprechungen im Ohr, mit denen sie in die EU hineingelockt wurden. Er wies auch darauf hin, dass man den Bürgern das legitime Recht auf eine Volksabstimmung verweigere. Das sei die Interpretation von Rot, Schwarz und Grün von Bürgernähe. Die Union sei auf keinen Fall sozial, denn es gebe einen "genetischen Defekt" in der EU, der darin bestehe, dass die treibenden Kräfte in Brüssel davon ausgehen, dass die Mechanismen des freien Marktes, des ungehinderten Wettbewerbs und des Ellbogen-Neoliberalismus eine Harmonisierung der Sozialsysteme herbeiführen. Für die EU seien Wirtschaftswachstum um jeden Preis, Wettbewerbsfähigkeit und Standortvorteile wichtig. Alles andere sei diesen Prinzipien gnadenlos unterzuordnen. Geht es nach der EU, dann werde man in Zukunft "nicht mehr arbeiten um zu leben", sondern "leben um zu arbeiten".

Abgeordneter SCHEIBNER (B) meinte, man müsse aus der Realität das Beste machen und warf die Frage auf, wie Österreich in der EU vertreten wird. Scheibner sah es als richtig an, dass trotz der Notwendigkeit eines gemeinsamen Europa die eigenen Interessen mitverhandelt werden. Seiner Ansicht nach hätte es eine Reihe von Maßnahmen gegeben, die der Kanzler dort hätte vertreten können. Wenn man schon dem EU-Reformvertrag zustimmt, hätte man, bekräftigte der Redner, doch auch Vorteile für Österreich mit nach Hause bringen müssen. Der Reformvertrag sei eine Verbesserung zur jetzigen Situation, aber eine Verschlechterung zu den ursprünglichen Projekten. In Richtung Strache führte Scheibner aus, dass in der Verfassung eine Volksabstimmung über völkerrechtliche Verträge gar nicht vorgesehen ist. Es werde etwas verlangt, von dem man wissen sollte, dass es gar nicht möglich ist.

(Schluss Aktuelle Stunde/Forts. NR)