Parlamentskorrespondenz Nr. 113 vom 06.02.2008

Solidaritätspflicht - aber mit freier Wahl der Mittel

Verfassungsausschuss zum Thema Außenpolitik im EU-Reformvertrag

Wien (PK) – Nach den Themen Energie und Umwelt sowie Soziales wandte sich der Verfassungsausschuss dem Themenkomplex Außen- und Sicherheitspolitik zu, zu welchem zwei Experten, Universitätsprofessor Theo Öhlinger und Botschafter Thomas Mayr-Harting, geladen waren. Mit dem EU-Reformvertrag mitverhandelt werden ein Antrag und zwei Entschließungsanträge der FPÖ (284/A(E), 407/A(E), 394/A) sowie ein Entschließungsantrag der Grünen (343/A(E)).

Die Stimmen der Experten

Professor Theo Öhlinger beleuchtete den Vertrag von Lissabon aus Sicht der österreichischen Neutralität und meinte, der diesbezügliche große Bruch sei bereits mit dem EU-Beitritt ob der damit verbundenen Verpflichtung zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erfolgt. Dieser Bruch sei durch den Vertrag von Amsterdam bekräftigt worden, und im Vergleich hierzu enthalte der Vertrag von Lissabon nichts Revolutionäres.

Vielmehr stärke er die nationale Souveränität wieder und verpflichte die EU auf die rechtliche Basis von UNO-Mandaten bei Missionen und Einsätzen. In Österreich habe sich in den 90er Jahren die These durchgesetzt, dass UN-Mandate mit der Neutralität vereinbar seien. Der Lissaboner Vertrag enthalte auch eine "Irische Klausel", die gleichfalls eine Referenz an die neutralen Mitgliedsstaaten darstelle. Aus dem Blickwinkel der Neutralität werfe dieser Vertrag also keine Probleme auf.

Botschafter Thomas Mayr-Harting ging auf die Praxis der EU- Außen- und Sicherheitspolitik ein und analysierte diese im Hinblick auf die zu erwartenden Konsequenzen durch den Lissaboner Vertrag. Auch in Hinkunft werde die Außenpolitik grosso modo durch das Einstimmigkeitsprinzip bei der Beschlussfassung gekennzeichnet sein. Der Experte vermochte keine Militarisierung der EU durch dieses Vertragswerk zu erkennen, vielmehr seien die diesbezüglichen Aspekte bereits durch die Verträge von Maastricht und Amsterdam geregelt, Lissabon bringe hier keine zusätzliche Verdichtung.

Die Debatte

Staatssekretär Hans Winkler meinte, die ÖsterreicherInnen befürworteten eine starke, einheitliche gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und wünschten sich, dass die EU in diesem Bereich stärker auftrete. Durch den Lissaboner Vertrag werde dieser Aspekt nun gestärkt, doch werde es auch weiterhin nicht möglich sein, dass Österreich zu einer Handlung gezwungen werde, die nicht verfassungskonform wäre. Zwar bestehe grundsätzlich eine Solidaritätspflicht, doch diese müsse sich keineswegs in militärischer Beistandspflicht äußern. Der Vertrag verbessere die Kapazitäten der EU, ohne Österreichs Position zu beeinträchtigen.

Abgeordneter Stefan Prähauser (S) erkundigte sich danach, ob Österreich bei der Beistandspflicht selbst entscheiden könne, auf welche Art diese umgesetzt werden solle. Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) vertrat die Ansicht, der Tschad-Einsatz zeige eindrucksvoll, wie es um die GASP wirklich bestellt sei. Die Petersberger Aufgaben erführen durch die Solidaritätsklausel eine neue Qualität, und dies habe auch Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Situation in Österreich, auch wenn Österreich den Umfang seiner diesbezüglichen Aktivitäten selbst definieren könne. Dieser Umstand sei ein weiterer Baustein für die These, die Materie einer Volksabstimmung zu unterziehen, weil durch den Vertrag die österreichische Verfassungsrechtslage geändert werden würde.

Abgeordneter Peter Pilz (G) ortete eingangs ob ihrer neuerlichen Abwesenheit eine zunehmende Geringschätzung des Nationalrats durch die Außenministerin und erklärte dann, der Nationalrat sollte im Interesse der heimischen Bevölkerung zu diesem Kapitel ein paar grundsätzliche Feststellungen treffen. So solle die österreichische Bundesregierung die Militärausgaben nicht erhöhen und sich an der so genannten "strukturierten Zusammenarbeit" nicht beteiligen. Schließlich thematisierte der Redner noch die Vertragspassagen zur Terrorismusbekämpfung.

Abgeordneter Michael Spindelegger (V) sagte, der Vertrag bedeute eine moderate Fortentwicklung, es sei kein Kurswechsel oder gar ein Bruch der bisherigen Praxis zu orten. Der österreichische Kurs werde bestätigt, für Österreich ergäben sich keine Nachteile. Abgeordnete Marianne Hagenhofer (S) erkundigte sich danach, wie das Prinzip der Einstimmigkeit in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu bewerten sei.

Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S) fragte schließlich, ob die Verpflichtung zur Verbesserung im militärischen Bereich auch in die Richtung interpretierbar sei, durch Vermeidung von Doppelgleisigkeiten, Effizienzsteigerungen und dergleichen real eine Senkung der Ausgaben zu bewirken. Abgeordneter Albert Steinhauser (G) wollte wissen, ob gemeinsame Einsätze mit der Neutralität vereinbar seien.

Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) unterstrich die Bedeutung der Einstimmigkeit in der EU, denn gerade ein kleines Land profitiere davon. Man habe nun die Solidaritätsklausel und die Beistandspflicht, die sich in der Praxis sehr wohl auf Österreichs Politik auswirken würden. Ähnliches gelte auch für die "strukturelle Zusammenarbeit".

In den letzten Jahren habe es eine Kumulierung neutralitätsabschaffender Maßnahmen gegeben, die in diesem Vertrag noch einmal manifestiert werde. Immerwährende Neutralität bedeute, man nehme a priori an keinem Konflikt teil, nun aber entscheide man von Fall zu Fall, wie man sich verhalten solle, und dies bedeute eine völlig andere Sicherheitsdoktrin. Dies sollte man dem Volk auch entsprechend darlegen, weshalb eine Volksabstimmung unabdingbar sei.

In Beantwortung der gestellten Detailfragen erklärte Öhlinger, die EU verpflichte sich selbst, sich nicht über die UN-Charta hinwegzusetzen. Die von Abgeordneter Grossmann geäußerte These schloss Öhlinger in seiner Beantwortung nicht a priori aus. Mayr-Harting betonte, dass österreichische Soldaten auch weiterhin nur mit Zustimmung der Bundesregierung und des Parlaments auf Einsatz geschickt werden könnten. Im Übrigen wäre es problematisch, wenn Einsätze durchgeführt würden, ohne dass darüber EU-weit Konsens herrsche. Generell sollte es aber möglich sein, Prozesse zu flexibilisieren, ohne dies als Souveränitätsverlust begreifen zu müssen.

Jeder Mitgliedsstaat sei in der Wahl der Mittel mit denen er seine Solidaritätspflicht erfülle, völlig frei. Dies gelte auch in der Terrorismusbekämpfung. Die "strukturierte Zusammenarbeit" sei in seinem Verständnis die Zusammenfassung aller Aufgaben, die sich auf dem Gebiet der GASP ergeben. Der Kern dieser Idee sei das "Battlegroupkonzept", und er, Mayr-Harting, sei überzeugt, dass im Endeffekt die große Masse der Mitgliedsstaaten daran teilnehmen werde, darunter auch neutrale Staaten.

Winkler meinte, die Europäische Außenpolitik lasse nach wie vor viel Raum für nationale Außenpolitik, ein Beispiel hierfür sei die Bewerbung Österreichs um einen Sitz im Sicherheitsrat. Nachdem Winkler das Einstimmigkeits- und das Mehrstimmigkeitsprinzip gegeneinander abgewogen hatte, wies er die Kritik an Außenministerin Plassnik als völlig unbegründet zurück, diese befinde sich gerade auf einer wichtigen Mission im Nahen Osten. (Fortsetzung Grundrechte)