Parlamentskorrespondenz Nr. 186 vom 04.03.2008

Familienausschuss befasst sich mit fünftem Jugendbericht

Bewusstsein in der Jugendarbeit für Genderfragen sehr unterschiedlich

Wien (PK) – Wie geschlechtssensibel agieren Jugendorganisationen und Einrichtungen der offenen Jugendarbeit? Wissen sie, was "Gender Mainstreaming" bedeutet und inwieweit setzen sie dieses Prinzip in ihrem Bereich um? Mit diesen und ähnlichen Fragen befasste sich nicht nur der fünfte Jugendbericht des Familienministeriums, der Anfang Jänner von Ministerin Andrea Kdolsky dem Parlament vorgelegt wurde, sie standen auch im Mittelpunkt eines Hearings im Familienausschuss des Nationalrats. Unter anderem dazu eingeladen worden waren Barbara Willsberger von der "L&R Sozialforschung" und Olaf Kapella vom Österreichischen Institut für Familienforschung, die maßgeblich für den vorliegenden Jugendbericht verantwortlich zeichnen.

Eines der Ergebnisse des Jugendberichts ist, dass das Bewusstsein für Genderfragen bei Jugendverbänden, Jugendorganisationen und Jugendeinrichtungen sehr unterschiedlich ist. Vielfach sind es einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dafür sorgen, dass diesem Thema verstärkt Augenmerk gewidmet wird. Um die Situation zu verbessern, wird seitens des Forschungsteams im Bericht ein ganzes Maßnahmenbündel vorgeschlagen, es reicht von der Einrichtung einer bundesweiten Informations- und Koordnierungsstelle für Gender Mainstreaming und geschlechtssensible Ansätze in der außerschulischen Jugendarbeit über die Bereitstellung von "Flying Experts" bis hin zu Steuerungsmaßnahmen über Förderungen.

Sowohl die Schwerpunktsetzung des Berichts als auch das vorgeschlagene Maßnahmenbündel stießen bei einem Großteil der Abgeordneten und der ExpertInnen weitgehend auf positive Resonanz, wenn auch einzelne Punkte, etwa die Repräsentativität der Studie, kritisch hinterfragt wurden. Nur die FPÖ übte massive Kritik und sprach von "aufgeblasener heißer Luft" und von "Verschwendung von Steuergeldern" für ein ihrer Ansicht nach nebensächliches Thema. Familienministerin Andrea Kdolsky kündigte an, über die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen gemeinsam mit den Betroffenen zu diskutieren, und verwies auf die Bedeutung von "Best Practise"-Modellen.

Am Beginn der Sitzung berichteten Willsberger und Kapella über die wesentlichsten Ergebnisse der Studie. Willsberger wies dabei unter anderem darauf hin, dass große Unterschiede zwischen offener und verbandlicher Jugendarbeit festgestellt wurden. In offenen Einrichtungen spielten Gender Mainstreaming und geschlechtersensible Jugendarbeit eine viel stärkere Rolle, skizzierte sie, wobei sie das u. a. darauf zurückführte, dass in verbandlichen Jugendorganisationen viele ehrenamtliche Mitarbeiter tätig sind und das Thema in Ortsgruppen von Jungendverbänden weniger Nachhall finde als in den Zentralstellen.

Auffallend ist Willsberger zufolge auch, dass der Frauenanteil in der Jugendarbeit zwar sehr hoch ist, in der Führungsebene aber Männer dominieren. Überdies hat sie, wie sie meinte, überrascht, wie rasch Jugendliche für Geschlechterfragen sensibilisiert werden könnten, wenn dies zum Thema gemacht werde. Generell verwies Willsberger auf den internen und externen Aspekt von Gender Mainstreaming, zum einen gehe es um die Gleichstellung von Männern und Frauen innerhalb einer Jugendeinrichtung, zum anderen um den gleichberechtigten Zugang von Mädchen und Burschen zu den Angeboten.

Olaf Kapella führte aus, bei der Studie habe sich gezeigt, dass seitens der Jugendorganisationen und Jugendeinrichtungen "ein ganz großer Bedarf" an Beratung und Information zum Thema Gender Mainstreaming und geschlechtssensible Jugendarbeit bestehe. Auch die Qualifizierung von JugendarbeiterInnen und die Vernetzung seien als wesentlich eingestuft worden. Kapella maß in diesem Sinn der Schaffung einer bundesweiten Koordinierungs- und Beratungsstelle und der Einrichtung von "Flying Experts" große Bedeutung zu. Überdies strich er den Vorbildcharakter der öffentlichen Hand hervor.

Von Seiten der weiteren ExpertInnen wurde die Schwerpunktsetzung des Berichts im Wesentlichen begrüßt, jedoch Kritik im Detail geübt. So beklagten etwa die Vorsitzende der Bundesjugendvertretung, Dudu Kücükgöl, und Katharina Luger (ÖGB-Jugendabteilung), dass alle verbandlichen Jugendoganisationen "in einen Topf geworfen" worden seien, obwohl sie sich stark voneinander unterscheiden würden. Auch die Repräsentativität der Studie wurde angesichts des geringen Rücklaufs von Fragebögen von den ExperInnen zum Teil in Frage gestellt. Grundsätzlich sah Kücükgöl die Aktivitäten der Bundesjugendvertretung im Bereich Gender Mainstreaming durch die Studie jedoch bestätigt.

Michaela Zimmermann vom Landesjugendreferat der Stadt Wien machte geltend, dass sich die offene Jugendarbeit in Wien sehr intensiv mit der Gender-Frage befasse und als "Best Practise" gesehen werden könne. Den Bericht wertete sie grundsätzlich als sehr aussagekräftig und den Maßnahmenkatalog als praxisrelevant. Besonders unterstützt wurde von ihr der Vorschlag der Einrichtung einer bundesweiten Informations- und Koordinationsstelle, in Bezug auf die Einführung von "Gender Mentoring" sieht sie vor allem die Länder gefordert.

Bundesschulsprecher Martin Schneider hob die Notwendigkeit einer Kooperation der außerschulischen Jugendarbeit mit den Schulen hervor. Ohne Einbindung der Schulen sei es extrem schwierig, Jugendliche für die Gender-Thematik zu interessieren, meinte er. Generell sprach er von einem effektiven Maßnahmenpaket, wobei er besonders die vorgeschlagenen "Flying Experts" begrüßte.

Martina Kaufmann, Bundesobfrau der Österreichischen Schülerunion, betonte, es sei wichtig, dass Mädchen in Jugendorganisationen auch in den oberen Hierarchiebereichen vertreten seien. Im Vorstand der Österreichischen Schülerunion seien 9 von 14 Vorstandsmitgliedern weiblich, schilderte sie. Allgemein gab sie zu bedenken, dass die Organisationen Unterstützung bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming und bei der Vernetzung in Genderfragen bräuchten.

Kenan Güngör, Experte für Migrations- und Integrationsfragen, kritisierte den eingeschränkten Fokus des Berichts und meinte, die Einbettung in den gesellschaftliche Kontext fehle. Seiner Ansicht nach hätte man das Umfeld der Jugendarbeit und die Situation der Jugendlichen stärker in den Bericht einbeziehen müssen. So sei etwa zu wenig Bedacht darauf genommen worden, dass verbandliche Jugendarbeit eher die Mittelschicht, offene Jugendarbeit hingegen eher die "Unterschicht" anspreche. Für die praktische Arbeit relevant wären ihm zufolge auch Fragen, wie es zum Beispiel zu schaffen sei, Migranten-Vereine in gendersensible Arbeit einzubinden.

Maximilian Schmid, Mitglied der Jugendorganisation des BZÖ Kärnten, unterstrich, dass es Handlungsbedarf in der Jugendarbeit gebe. Geschlechtssensible Arbeit bereits im Kindergarten, wie dies von den StudienautorInnen vorgeschlagen wird, würde seiner Meinung nach jedoch Kinder und PädagogInnen überfordern.

Seitens der Abgeordneten wurde der Bericht von ÖVP, SPÖ, BZÖ und Grünen im Wesentlichen positiv bewertet. So meinte Abgeordnete Laura Rudas (S), es sei gut, dass sich der aktuelle Jugendbericht mit der Gender-Thematik beschäftige. Schließlich zeigten aktuelle Studien, dass traditionelle Rollenbilder auch unter Jugendlichen nach wie vor verbreitet seien. Abgeordnete Ursula Haubner (B), die die Studie als Sozialministerin in Auftrag gegeben hatte, erklärte, es sei ihre Intention gewesen, das in der Theorie doch sehr sperrige Thema ins allgemeine Bewusstsein zu bringen und auf bestehende Probleme und positive Beispiele aufmerksam zu machen.

Abgeordneter Thomas Einwallner (V) sprach sich für eine verstärkte Vernetzung zwischen offener und verbandlicher Jugendarbeit aus. Auch was geschlechtssensible Jugendarbeit betrifft, sei eine Vernetzung sehr wichtig, erklärte er, insbesondere da in verbandlichen Organisationen viele ehrenamtliche MitarbeiterInnen tätig seien. Abgeordneter Franz Riepl (S) plädierte dafür, Best-Practise-Modelle stärker in den Vordergrund zu rücken, etwa in Form einer Website oder einer Veranstaltung.

Von Familienministerin Kdolsky wollten die Abgeordneten wissen, wie es nun weitergehe und welche Punkte des Maßnahmenkatalogs umgesetzt würden. Sie selbst werteten eine Reihe der vorgeschlagenen Maßnahmen, angefangen von den "Flying Experts" bis hin zu Qualifizierungangeboten für JugendarbeiterInnen, als überlegenswert. Abgeordnete Barbara Zwerschitz (G), Abgeordnete Sabine Mandak (G), Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (S) und Abgeordnete Andrea Kuntzl (S), drängten außerdem darauf, Gender Mainstreaming und geschlechtssensible Jugendarbeit durch gezielte Förderungen zu forcieren. Es dürfe allerdings nicht vergessen werden, dass ein Löwenanteil der Jugendarbeit in Sportvereinen, Musikvereinen und Musikkapellen erfolge und diese Organisationen nicht vom Bericht erfasst seien, mahnte Mandak.

Massive Kritik am Jugendbericht übte die FPÖ. Das Geschlechterthema sei kein Kernthema der Jugendarbeit, stellte etwa Abgeordneter Karlheinz Klement (F) fest, hier sei für "aufgeblasene heiße Luft" viel Geld "verpulvert" worden. Ihm komme Gender Mainstreaming, so Klement, wie eine "neue Heilslehre" vor, wobei bereits Kindergartenkinder "indoktriniert" werden sollten. Ähnlich argumentierte auch Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F), die wie Klement der Studie jegliche Repräsentativität absprach und bekräftigte, dass Jugendliche andere Probleme hätten, speziell die Jugendarbeitslosigkeit.

Dieser  Einschätzung wurde von anderen Abgeordneten widersprochen. So unterstrich Abgeordnete Heinisch-Hosek, dass es sich bei der Gleichstellungsthematik sehr wohl um ein Kernthema der Jugendarbeit handle. Schließlich sei die Gleichstellung schon seit geraumer Zeit in der Verfassung verankert und nunmehr auch in das Bundeshaushaltsgesetz integriert worden. Abgeordnete Kuntzl bekräftigte, kein Euro, der in der Studie gesteckt wurde, sei verpulvert worden. Abgeordnete Zwerschitz erklärte, sie glaube nicht, dass KindergärtnerInnen mit geschlechtssensibler Arbeit überfordert wären.

Familienministerin Andrea Kdolsky bekräftigte, Gender-Arbeit sei von besonderer Relevanz und ein wesentlicher Baustein von Jugendarbeit. Jugendarbeit werde zwar oft als reine Freizeit-Arbeit gesehen, konstatierte sie, gerade im Sozialisationsprozess sei es jedoch von Bedeutung, welches Frauenbild und welches Männerbild transportiert werde. So sei es im Sinne geschlechtssensibler Berufsorientierung wesentlich zu überlegen, wie man Frauen für technische Berufe und umgekehrt Männer für soziale Berufe interessieren könne. Ziel von Berufsorientierung, aber auch von Bildung, dürfe nicht die Reproduktion traditioneller Geschlechterrollen sein.

Nicht festlegen wollte sich Kdolsky darauf, welche der im Jugendbericht vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt werden. Sie wolle das kooperativ und prozessorientiert mit den Betroffenen diskutieren, bekräftigte sie, wobei nicht nur ihr Ressort, sondern auch die Länder gefragt seien. Der Bericht habe jedenfalls deutlich gemacht, dass es schwerpunktmäßig um vier Bereiche gehe: um Information und Beratung, um eine Qualifizierung der Betroffenen, um Vernetzung sowie um Qualitätssicherung. Es müssten Maßnahmen gesetzt werden, damit geschlechtssensible Jugendarbeit nicht vom persönlichen Engagement Einzelner abhängig sei, und Hilfestellung für professionelles Handeln gegeben werden.  Überdies will Kdolsky Best-Practise-Modelle "vor den Vorhang bringen".

Im Rahmen des Förderschwerpunkts "Chancengleichheit" sind Kdolsky zufolge im vergangenen Jahr 60 Projekte mit insgesamt 385.000 € gefördert worden, wobei es dabei nicht nur um Chancengleichheit für Frauen, sondern auch um Chancengleichheit für andere Gruppen, etwa MigrantInnen und Behinderte, gegangen sei.

Der Themenschwerpunkt des 6. Jugendberichts wird laut Kdolsky gerade erarbeitet. Eine von ihr eingerichtete ExpertInnengruppe soll dabei nicht nur Themenvorschläge einbringen, sondern in weiterer Folge auch die in Auftrag zu gebende Studie begleiten. Die Vorlage des Berichts ist für Ende 2009 geplant.

Seitens der StudienautorInnen machte Barbara Willsberger geltend, dass die Studie trotz des geringen Rücklaufs von Fragebögen durchaus als repräsentativ zu werten sei. Die quantitativen Ergebnisse seien außerdem durch qualitative Erhebungen bestätigt worden. Eine Differenzierung innerhalb der verbandlichen Jugendarbeit sei auf Grund des geringen Rücklaufs der Fragebögen jedoch nicht möglich gewesen, sagte Willsberger.

Katharina Luger gab zu bedenken, dass Jugendarbeit allein keine Bewusstseinsänderung bewirken könne, sie sieht auch die anderen gesellschaftlichen Akteure gefordert. "Flying Experts" könnten ihrer Meinung nach einen positiven Beitrag zur Schulung ehrenamtlicher MitarbeiterInnen leisten.

Die Vorsitzende der Bundesjugendvertretung, Kücükgöl, mahnte die Einbindung der Bundesjugendvertretung bei der Umsetzung des Maßnahmenkatalogs ein. Kenan Güngör hielt fest, anstelle einer allgemeinen Informationskampagne über die Bedeutung von geschlechtssensibler Jugendarbeit wäre es sinnvoller, die Ergebnisse des Jugendberichts in die Jugendorganisationen und –einrichtungen "zurückzuführen".

Der 5. Jugendbericht wurde vom Familienausschuss S-V-G-B-Mehrheit zur Kenntnis genommen. (Fortsetzung)