Parlamentskorrespondenz Nr. 577 vom 17.06.2008

Wie geht es nach dem negativen Votum der Iren in Europa weiter?

Gusenbauer und Plassnik gegen Ratifizierungsstopp

Wien (PK) – Der heutige EU-Hauptausschuss vor dem Europäischen Rat am 19. und 20. Juni stand ganz im Zeichen des negativen Votums der Iren zum Vertrag von Lissabon. Mit Ausnahme der Freiheitlichen verliehen Abgeordnete der anderen vier Fraktionen ihrem Bedauern über dieses Ergebnis Ausdruck. Sie bewerteten die Ablehnung zum großen Teil als Zeichen einer Vertrauenskrise, die in weiten Bevölkerungsschichten Europas zu finden ist. Sie waren sich auch darin einig, dass das Nein einen Nachteil für Österreich und die anderen kleinen und mittleren Mitgliedsstaaten der EU darstellt.

So meinte etwa Klubobmann Wolfgang Schüssel (V), "es jubeln die Falschen". Die großen Staaten könnten notfalls eigene Kanäle entwickeln, die kleineren nicht. Für ihn ist es nun notwendig, bis Ende des Jahres Klarheit über mögliche Optionen zu haben. Jedenfalls müsse auch in Zukunft der Zusammenhalt der Mitgliedsstaaten garantiert sein, sagte er, denn ein Auseinanderdividieren sei keine Perspektive. Der zweite Präsident des Nationalrats, Michael Spindelegger (V), sprach sich dagegen aus, nun Teile aus dem Vertrag herauszulösen.

Klubobmann Josef Cap (S) und Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S) unterstrichen, die Weiterentwicklung der EU in Richtung eines sozialeren und demokratischeren Europas dürfe nicht gestoppt werden. Vielmehr müsse die soziale und demokratiepolitische Frage in den Mittelpunkt rücken, meinte Cap, denn auf Grund der jüngsten Preisentwicklungen auf dem Energie- und Lebensmittelsektor sowie auf Grund sozialer Schieflagen hätten die Menschen das Gefühl, PolitikerInnen seien abgehoben.

Dieser Analyse schloss sich Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) an. Sie sprach von einer Vertrauenskrise, gegen die man etwas unternehmen müsse. Als eine krasse Fehlentscheidung bezeichnete Klubobmann Alexander Van der Bellen (G) das Votum der Iren, mit dem sie 500 Mill. Europäer an der Weiterentwicklung hindern. Auch wenn dies ein Ärgernis sei, müsse man aber den Ausgang des Referendums respektieren, bemerkte er.

Auch Abgeordneter Herbert Scheibner (B) bedauerte, dass die Ratifizierung nicht abgeschlossen werden kann, denn der Vertrag sei seiner Auffassung nach notwendig. Als Konsequenz daraus sah er ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, mit einem Kerneuropa im Zentrum.

Klar für den Abbruch des Ratifikationsprozesses und einen Erweiterungsstopp sprach sich Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) aus. Er forderte auch eine Kehrtwende in der Zielsetzung der EU, nämlich die Schaffung eines Europäischen Staatenverbundes mit einem neuen Grundlagenvertrag. Abgeordneter Heinz-Christian Strache (F) kritisierte zudem abermals, dass in Österreich keine Volksabstimmung über den Vertrag stattgefunden hat, was er als einen Ausdruck der Selbstherrlichkeit bewertete.

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer sowie Bundesministerin Ursula Plassnik bekräftigten, dass Österreich dafür eintreten und alles im Bereich seiner Möglichkeiten tun werde, den Vertrag zu retten und ihn in Kraft treten zu lassen. Sie hätte kein Interesse an einer "Todeserklärung, an Zerstückelungsversuchen und einer Neuverpackung" des Vertrages, formulierte die Außenministerin pointiert. Ein Ratifikationsstopp würde eine Bevormundung jener Staaten darstellen, die noch nicht ratifiziert haben. Der Bundeskanzler hielt auch Lösungsvorschläge wie ein Kerneuropa sowohl theoretisch als auch praktisch für problematisch. Dieses Konzept gebe keine Antworten auf die Fragen des Vertrags, sagte er, denn dort würden Grundsatzfragen geregelt, wie das Funktionieren der Institutionen und die Grundrechte.

Beide waren sich darin einig, dass man dem Wunsch Irlands nun entgegen kommen müsse, Zeit für Analysen zu haben. Dann werde man die weitere Vorgangsweise gemeinsam mit Irland diskutieren und eine Grobstruktur für einen Zeitplan entwickeln. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man keine Optionen ausschließen, aber es sollten sämtliche rechtliche Möglichkeiten geprüft werden. Plassnik trat auch für eine Verstärkung und Verbesserung der Kommunikation zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten sowie auf EU-Ebene ein und vertrat die Auffassung, dass Europa noch mehr bemüht sein müsse, für die BürgerInnen konkrete Ergebnisse zu bringen, um als ein Europa der Resultate gesehen zu werden.

Mit dieser dargelegten Position für den kommenden Rat zeigten sich die VertreterInnen der Opposition jedoch nicht zufrieden. Sie wollten konkretere Vorschläge seitens des Bundeskanzlers und der Außenministerin hören und brachten in diesem Zusammenhang auch zahlreiche Anträge auf Stellungnahmen sowie auf Ausschussfeststellung ein.

So schlugen die Grünen vor, einen sogenannten "European Act for Democracy", der die Rechte der Europäischen BürgerInnen erweitert, zur Diskussion zu stellen. Darin sollten die Charta der Grundrechte, die Ziele und Werte der Union, das europäische Volksbegehren, die Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments, die stärkere Einbeziehung der nationalen Parlamente, die Kontrollrechte des EuGH und die Öffentlichkeit der Gesetzgebung enthalten sein.

In einem weiteren Antrag fordern die Grünen unter anderem die rasche Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene und eine Korrektur der EU-weit verbindlichen Ziele für den Anteil von Agrokraftstoffen.

Die Freiheitlichen beantragten den sofortigen Stopp des Ratifikationsprozesses und des Erweiterungsprozesses sowie eine Neuverhandlung eines europäischen Grundlagenvertrags, der einen europäischen Staatenverbund von souveränen, einander solidarisch verbunden Ländern vorsieht.

Das BZÖ brachte drei Anträge ein. Einer zielte ebenfalls auf eine Vertragsneuverhandlung ab, der ein Modulsystem und die Möglichkeit eines Kerneuropa der Nettozahler zugrunde liegt. Darin sind nach Ansicht des BZÖ ein Grundwertekonsens und allgemeine Ziele zu verankern sowie Mindeststandards für einzelne Politikbereiche festzuschreiben. In einer Ausschussfeststellung möchte das BZÖ einmal mehr unterstreichen, dass künftige Erweiterungen von der Aufnahmekapazität der EU, der Erfüllung der Kriterien von Kopenhagen sowie von der Erfüllung der im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses festgelegten Bedingungen und Anforderungen abhängig sind.  

Darüber hinaus fordert das BZÖ den Bundeskanzler auf, sich bei der Formulierung der Schlussfolgerungen des Rats für die Möglichkeit nationalstaatlicher Interventionen zur Senkung von Preisen in gesetzlich klar definierten Bereichen einzusetzen.

All diese Anträge der Opposition fanden nicht die erforderliche Mehrheit

Die Diskussion im Detail

Gusenbauer: Vertrag von Nizza wird EU der 27 und mehr nicht gerecht

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer wies eingangs darauf hin, dass zwar die Mehrheit der Mitgliedsstaaten den Vertrag ratifiziert hat, die Grundlage für das Inkrafttreten nun jedoch nicht mehr vorhanden sei. Es sei zwar der Vertrag von Nizza gültig, erläuterte er, dieser werde jedoch der Union der 27 und mehr nicht gerecht. Selbstverständlich müsse man das Votum der Iren ernst nehmen, meinte er, wenngleich die zum Ausdruck gekommene Europaskepsis der irischen Bevölkerung überraschend war. Ein Faktor dafür dürfte gewesen sein, dass Irland trotz guter wirtschaftlicher Konjunktur von der internationalen Finanzkrise stark betroffen war und daraufhin die Arbeitslosigkeit von 4 auf 5,5 % gestiegen ist.

Plassnik: Es gibt keine Lösung auf Knopfdruck

Bundesministerin Ursula Plassnik bekräftigte, das Problem sei gemeinsam zu lösen. Versuche, das Problem den Iren allein zuzuschieben, hätten sich beim gestrigen Außenministerrat aufgelöst. Die AußenministerInnen hätten Respekt gegenüber der Abstimmung als eine demokratische Entscheidung bekundet. Irland brauche nun Zeit, um den Ursachen für das negative Votum auf den Grund zu gehen. Eines könnte man aber jetzt schon sagen, dass die Gründe dafür sehr mannigfaltig seien, und darin liege auch die Schwierigkeit der Therapie, meinte Plassnik. Sie wies auch darauf hin, dass viele Ängste und Sorgen der irischen Bevölkerung mit erheblichem finanziellen Aufwand mobilisiert worden seien. Nein sagen, sei aber keine Lösung, da dadurch die EU nicht effizienter werde.

Man könne derzeit keine Lösung kategorisch ausschließen, betonte sie, und es gebe weder eine einfache Lösung und noch eine Lösung auf Knopfdruck. In die nächsten Europawahlen sollte man aber mit einer klaren Rechtsgrundlage gehen. Österreich trete jedenfalls dafür ein, den Ratifikationsprozess fortzusetzen. Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten sowie ein Kerneuropa lehnte die Außenministerin ab.

SPÖ ortet Defizite im sozialen und demokratiepolitischen Bereich 

Klubobmann Josef Cap (S) sah vor allem Defizite der EU auf sozialer und demokratiepolitischer Ebene. Die aktuelle Entwicklung bei den Energie- und Lebensmittelpreisen verstärke das Gefühl bei den Menschen, die PolitikerInnen seien abgehoben und hätten keinen Bezug mehr zu deren Lebensrealität. Auch bei den negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden sei die soziale Frage im Vordergrund gestanden. Man müsse sich daher um mehr Bürgernähe bemühen. Die Reaktionen der EU-VertreterInnen nach dem irischen Referendum seien mehr als entbehrlich gewesen, kritisierte er und nannte in diesem Zusammenhang explizit den Kommissionspräsidenten. Cap führte die EU-Skepsis auch auf den, seiner Meinung nach, zu rasch erfolgten Erweiterungsprozess zurück. Er meinte daher, nach der Erweiterung um die Balkanstaaten sollte man einen Nachdenkprozess einleiten.

Ähnlich waren die Aussagen von Abgeordneter Elisabeth Grossmann (S). So unterschiedlich die Gründe für die Mehrheit der Iren auch gewesen seien mögen, den Vertrag abzulehnen, so sei dieses Votum doch zu respektieren. Gleichzeitig dürfe dadurch die Weiterentwicklung der EU in Richtung eines sozialeren Europas durch Zielformulierungen und die Grundrechtecharta sowie in Richtung eines demokratischeren Europas durch Bürgerinitiativen und Aufwertung des Europäischen Parlaments nicht verhindert werden. Viele Probleme, wie Globalisierung, Kriminalität und Klimawandel, könnten auch einzelstaatlich nicht gelöst werden. Es brauche aber einen politischen Willen, diese Fragen im Interesse der Menschen zu lösen. Sie glaube, dass sich die wirtschaftsliberale Marktverherrlichung, wie sie bisher praktiziert wurde, nun räche. Es gelte daher, die Probleme an der Wurzel zu bekämpfen und durch Sofortmaßnahmen der Teuerungswelle zu begegnen. Grossmann unterstützte die Initiative des Bundeskanzlers und des Finanzministers, eine Spekulationssteuer einzuführen. Die Preisentwicklung sei der Elch-Test für die EU, sagte Grossmann, die die Spekulationsgeschäfte mit Lebensmitteln für sittenwidrig hielt. Ihrer Meinung nach hat sich vor allem die Bio-Sprit-Strategie als Problemkatalysator entpuppt.

Ihr Klubkollege Andreas Schieder (S) teilte diese Auffassung und meinte, es gehe weniger um die Ablehnung des Vertrags, sondern um die ökonomische Entwicklung, die den Menschen Sorgen bereite, sowie über die Spekulationen, die über das normale Maß hinaus gehen. Man müsse daher tiefer darüber diskutieren, wie man europäische Politik besser kommunizieren kann. Man brauche auch eine nüchterne Analyse, um beurteilen zu können, welchen Weg man nun beschreitet. Deshalb halte er es für sinnvoll, die Diskussion beim Rat genau zu verfolgen. Schieder hielt nichts davon, den Kopf hängen zu lassen, da der Vertrag von Nizza weiterhin eine rechtliche Grundlage bietet.

Auch Abgeordnete Marianne Hagenhofer (S) meinte, die EU-Politik sollte sich mit den alltäglichen Schwierigkeiten der Menschen näher befassen und die Europapolitik besser kommunizieren. Kritik an der Sprache der EU übte Abgeordneter Erwin Niederwieser (S). Anhand von Textstellen aus dem Entwurf für Schlussfolgerungen zeigte er auf, dass vieles unverständlich und widersprüchlich ist.

ÖVP: Ablehnung des Vertrags schadet kleineren EU-Staaten

Klubobmann Wolfgang Schüssel (V) zeigte sich betroffen, dass der nun abgespeckte Vertrag wieder auf Eis gelegt wird. Er wäre notwendig gewesen, um die Handlungsfähigkeit der Union effizienter zu gestalten, merkte er an. Die Union beschäftige sich nunmehr das achte Jahr mit internen Fragen, während Russland einen neuen Präsidenten habe, Amerika bald einen neuen erhalte und China und dem asiatischen Raum wachsende Bedeutung zukommen werden. Die Europäische Außenpolitik müsse jedoch weiter darauf warten, eine Stimme zu haben. Schüssel wies zudem auf weitere wichtige Aspekte des Vertrags von Lissabon hin, wie die Grundrechtecharta, das europäische Volksbegehren und die Klimapolitik. Selbstverständlich könne man versuchen, dies über die intergouvernementale Politik zu lösen, aber das sei viel schwieriger. Dazu komme, dass laut Nizza-Vertrag die Kommission nicht erst 2014, sondern bereits nächstes Jahr verkleinert werden müsse. Dafür sollten man möglichst bald ein faires und präzises System erarbeiten, regte er an. Österreich verliere durch diese Nein auch einen EU-Parlamentarier.

Schüssel unterstrich, dass die Ablehnung des Vertrags vor allem den kleinen und mittleren Staaten schaden werde, da die größeren leichter eigene Kanäle fänden. Er warnte aber davor, den Zusammenhalt aller Staaten zu gefährden. Bis Ende des Jahres sollte man, seiner Auffassung nach, Klarheit über die Optionen haben.

Auch der Zweite Präsident des Nationalrats, Michael Spindelegger (V), verteidigte den Vertrag. Er erinnerte daran, dass man bei der Erarbeitung mittels Konventmethode versucht habe, alle einzubinden und große Perspektiven zu erarbeiten. Bei einer Union von 27 Staaten könne aber nur ein Kompromiss herauskommen, sagte er. Spindelegger war dagegen, nun Teile aus dem Vertrag herauszulösen, er meinte aber, dass eine europäische Volksabstimmung zur Diskussion gestellt werden sollte. Notwendig sei es, jene Staaten, die noch nicht ratifiziert haben, zu fragen, welchen Weg sie nun gehen werden, und für die weitere Vorgangsweise zeitliche Perspektiven zu setzen.

Abgeordnete Beatrix Karl (V) griff das Thema der sozialen Dimension wieder auf und meinte, es sei für die Menschen nicht sichtbar, welchen Beitrag Europa zur sozialen Sicherheit leiste. Alle wollten ein soziales Europa, gleichzeitig seien aber die Mitgliedsstaaten aber nicht bereit, soziale Kompetenzen abzugeben. Die sozialen Standards in den einzelnen Mitgliedsstaaten seien unterschiedlich und daher sei es schwierig, sich auf ein Niveau von Mindeststandards zu einigen. Karl hoffte, dass die Grundrechtecharta in Kraft tritt und unterstrich nochmals die Notwendigkeit eines sozialeren, aber auch sozial sichtbareren Europas. 

Grüne fordern "European Act for Democracy"

Die Auffassung, dass Österreich von der Ablehnung des Vertrags in keiner Weise profitiert, wurde auch von Abgeordneter Lunacek sowie von Klubobmann Alexander Van der Bellen (beide G) geteilt. Lunacek sah in der jüngsten Entwicklung den Ausdruck einer Vertrauenskrise, der man etwas entgegenzusetzen habe. Es könne aber nun nicht darum gehen, den Iren die Schuld zu geben. Vielmehr bedürfe es konkreter Vorschläge, wie man dieser Vertrauenskrise begegnen könne. Sie brachte in diesem Zusammenhang den Antrag auf Stellungnahme ein, in dem ein "European Act for Democracy" gefordert wird. Lunacek sah in dem Vorschlag für ein Kerneuropa keine geeignete Lösung und begrüßte die ablehnende Haltung der Außenministerin dazu.

Der Vertrag von Nizza ist für die Dritte Präsidentin des Nationalrats, Eva Glawischnig-Piesczek (G), keine Alternative. Nach ihrem Verständnis ist aber der Vertrag von Lissabon gescheitert. Sie erhoffte sich daher klare Positionen der Österreichischen VertreterInnen im Rat.

FPÖ: für Abbruch des Ratifikationsprozesses

Für einen Abbruch des Ratifikationsprozesses sowie des Erweiterungsprozesses sprach sich Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) aus und brachte dazu auch einen Antrag auf Stellungnahme ein. Er führte die Ablehnung der Iren auf das falsche Vorgehen der Politik zurück. Es sei nämlich der selbe "miserable Inhalt", nur in einer neuen und schlechteren Verpackung präsentiert worden, meinte er. Hätte man in Österreich eine Volksabstimmung durchgeführt, dann wäre die Politik gezwungen gewesen, den Inhalt des Vertrags verständlich zu formulieren. Die EU müsse ihre Politik ändern und deutlich machen, dass sie im Interesse der Menschen handle, betonte Bösch und wies auf die Probleme durch die Globalisierung hin. So sei zum Beispiel die Ernährungssicherheit eine grundlegende Aufgabe, und es müsse auch in der EU klar gestellt werden, dass es Bereiche gibt, die dem Weltmarkt nicht unterworfen werden dürfen. Das irische Votum sei zur Kenntnis zu nehmen und die EU müsse endlich mehr Bürgernähe pflegen, bemerkte Bösch. Was die EU der verschiedenen Geschwindigkeiten bedeutet, so sei dieses Modell durch den Euro und die Sicherheitspolitik bereits Realität. Bösch befürchtete, dass der kommende Gipfel zu einem Gipfel der Ratlosigkeit wird.

Als einen Ausdruck der Selbstherrlichkeit kritisierte Klubobmann Heinz-Christian Strache (F) die Tatsache, dass in Österreich keine Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon durchgeführt wurde. Nach dem Referendum in Irland könne man nun nicht zur Tagesordnung übergehen, da es für den Vertrag von Lissabon keine Legitimation durch die BürgerInnen Europas gibt. Strache sah in dem Vertrag auch eine grundsätzliche Entscheidung, nämlich ob man die eigene Verfassung beibehalten wolle oder ob man eine zentralistische Verfassung anstrebt. Diese Frage müsste in den einzelnen Ländern entschieden werden.

BZÖ: für ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten 

Abgeordneter Herbert Scheibner (B) bedauerte, dass die Ratifizierung nun nicht abgeschlossen werden kann, denn würde der Vertrag von Lissabon in Kraft treten, könnte man sich wieder mit wichtigeren Dingen befassen. Den EU-Institutionen und PolitikerInnen warf er Abgehobenheit vor und meinte, sie befänden sich in einem Glassturz. Scheibner sprach sich für die Option eines Kerneuropas aus. Es sollte ein neuer Vertrag ausverhandelt werden, in dem ein Grundwertekonsens und allgemeine Ziele verankert sowie Mindeststandards für einzelne Politikbereiche festgeschrieben werden. Abhängig vom Grad der Erfüllbarkeit dieser Ziele und Mindeststandards ergäbe sich für die Mitgliedstaaten eine Zugehörigkeit zum Bund europäischer Staaten. In einem weiteren Kreis befänden sich Länder mit entsprechenden Assoziationsabkommen und zum äußersten Kreis gehörten Länder mit besonderer Partnerschaft. Dazu brachte er auch einen Antrag auf Stellungnahme ein. Ein Kerneuropa würde manches vereinfachen, erläuterte Scheibner seinen Antrag. Wenn einer alles verhindern könne, werde in Europa nicht viel weiter gehen. In einem weiteren Antrag auf Ausschussfeststellung bekräftigt das BZÖ die Notwendigkeit der Aufnahmekapazität der EU selbst und die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien durch die Beitrittswerber vor einer zukünftigen Erweiterung.

Gusenbauer und Plassnik: Bemühungen den Vertrag zu retten

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer machte sich in seiner Reaktion auf die Diskussion für eine pragmatische Vorgangsweise stark. Man könne jenen Staaten, die noch nicht ratifiziert haben, keine Vorschriften machen, meinte er. Auf alle Fälle stellten die Wahlen zum Europäischen Parlament eine zeitliche Tangente dar, bis zu der entschieden werden muss, auf welcher rechtlichen Basis die Wahlen statt zu finden haben. Niemand dürfe Irland daran hindern, einen Weg zu finden, wie es dem Vertrag doch noch beitreten könnte. Das Interesse Österreichs müsse es sein, dass der Vertrag in Kraft tritt und die Regierung werde versuchen, dazu einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Den Vorschlag eines Kerneuropa hielt der Bundeskanzler theoretisch wie praktisch für problematisch, weil dies keine Antwort auf die Fragen des Vertrags darstellt. Im Vertrag würden nämlich grundsätzliche Fragen, wie das Funktionieren der Institutionen und der Grundrechte gestellt. Gusenbauer warnte auch davor, einzelne Elemente aus dem Vertrag herauszulösen, da dies ein neues Ratifizierungsverfahren erfordere und man dann andere wesentliche Teile des Vertrags nicht mehr habe. Zur Kritik an einer unklaren Positionierung Österreichs meinte der Kanzler, man könne ein Diskussionsergebnis nicht vorweg nehmen.

Auch Gusenbauer unterstrich, die zentrale Frage sei jene eines sozialen Europas. Dieses müsse man auch richtig kommunizieren, sagte er. Zum Beispiel lägen gemeinsame Mindeststandards unter dem Niveau einzelner Staaten. Mindeststandards bedeuteten aber nicht, dass man vom eigenen hohen Niveau zurückgehen müsse, sie bedeuteten aber, dass sich einige Länder nach oben entwickeln müssen.

Bundesministerin Ursula Plassnik bezeichnete den Sieg der Vertragsgegner in Irland als einen Sieg der Angstmache. Die Nein-Sager machten die EU aber nicht bürgernäher, nicht demokratischer und nicht effizienter. Der Vertrag sollte daher bewahrt werden, bekräftigte Plassnik, gleichzeitig müsse aber die Kommunikation in den einzelnen Mitgliedsstaaten und auf EU-Ebene verbessert werden. Sie wies in diesem Zusammenhang auf den Plan D von Kommissarin Margot Wallström hin.

Weitere Themen: Preisentwicklung, Biotreibstoffe, Erweiterung, Atomkraft, Migration und Asyl 

Neben der ungewissen Zukunft des EU-Reformvertrags wurden auch andere Themen angeschnitten. Vor allem bereitete den Abgeordneten die hohen Lebensmittel- und Energiepreise Sorgen. Auch der kommende Europäische Rat wird sich mit dieser Problematik befassen. Bundeskanzler Gusenbauer bemerkte dazu, aufgrund der steigenden Preise hätten die Menschen das Gefühl, um die Früchte ihrer Arbeit gebracht worden zu sein. Er habe daher gemeinsam mit Finanzminister Molterer in einem Brief an den Kommissionspräsidenten den Vorschlag einer Spekulationssteuer unterbreitet, um die Spekulationen bei Erdölprodukten in den Griff zu bekommen. Man nehme an, dass der Anteil der Spekulationen am Preis bei einem Drittel liegt.

Dieser These konnte Klubobmann Alexander Van der Bellen nicht ganz zustimmen, da es auf dem Energiesektor immer wieder spekulative Geschäfte gebe. Daraufhin meinte der Kanzler, neben den normalen Spekulationen gäbe es so genannte Trendspekulationen, die stark im Steigen begriffen und auch Gegenstand des G-8-Meeting gewesen seien. Frankreich und Italien wiederum hätten einen Vorstoß in Richtung Sonderbesteuerung der Mineralölfirmen gemacht, erläuterte Gusenbauer.

Klubobmann Wolfgang Schüssel (V) stellte fest, es sei wichtig, dass Europa strategisch in der Lage bleibt, seine Bevölkerung mit qualitätsvollen Lebensmitteln zu ernähren. Wichtig sei es zudem, auf die Bio-Treibstoffe zu setzen. Er halte es für falsch, die Beimischungen in Frage zu stellen, wobei die biologischen Auswirkungen zu beobachten seien.

Dies rief die Kritik der Grünen hervor, die die negativen Auswirkungen der Beimischungsstrategie als inakzeptabel bezeichneten. Die Dritte Präsidentin des Nationalrats, Eva Glawischnig-Piesczek (G), brachte dazu einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem unter anderem eine Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene und die Korrektur der EU-weit verbindlichen Ziele für den Anteil von Agro-Kraftstoffen verlangt werden.

Bundeskanzler Gusenbauer verteidigte die Beimischung und machte darauf aufmerksam, dass ein Verzicht darauf dazu führen werde, dass das Kyoto-Ziel nicht erreicht wird. Er sei zwar nicht glücklich darüber, diese Maßnahme ergreifen zu müssen, aber man brauche eine Übergangslösung bis man den Bio-Sprit der zweiten und dritten Generation zur Verfügung habe. Man werde in diesem Sinn auch die diesbezügliche Forschung und Entwicklung unterstützen. Die Agrarpolitik allgemein sehe sich derzeit neuen Herausforderungen gegenübergestellt, weil zum Verteilungsproblem auch ein Mengenproblem dazugekommen sei. Man habe aber auf europäischer Ebene mit der richtigen Kurskorrektur reagiert, meinte er.

Abgeordneter Scheibner trat mittels eines Antrags dafür ein, durch nationalstaatliche Interventionen in gesetzlich klar definierten Bereichen Preise senken zu können.

Auf eine Frage des Zweiten Präsidenten des Nationalrats, Michael Spindelegger (V), hinsichtlich der Sicherheitsstandards bei Atomkraftwerken betonte die Außenministerin, sie spreche diese Fragen immer wieder an, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, sei aber schwierig. Dennoch sei sie nach den letzten Diskussionen ermutigt.

Die Abgeordneten Beatrix Karl (V) und Ulrike Lunacek (G) sprachen wie Michael Spindelegger (V) die Perspektiven für die Westbalkanstaaten an. Dazu meinte die Außenministerin, Österreich werde Kroatien weiter unterstützen. Im Zusammenhang mit dem irischen Votum tauche aber die Frage der Erweiterung nicht auf. Was Mazedonien betrifft, so werde der Fortschrittsbericht der Kommission im Oktober Aufschluss geben. Plassnik bekräftigte gegenüber Abgeordneter Lunacek (G), die EU-Mission EULEX im Kosovo werde ihre Arbeit aufnehmen.

Abgeordnete Ulrike Lunacek hatte auch die Migration und Asylpolitik angesprochen, worauf Bundeskanzler Alfred Gusenbauer dezidiert festhielt, dass die Einhaltung der Grundrechte eine Grundkonstante Österreichs bei allen Fragen darstelle. Zur Verlängerung der Schubhaft auf 18 Monate erläuterte er, dass diese Möglichkeit nur dann eröffnet werde, wenn es seitens des Drittstaatsangehörigen mangelnde Kooperationsbereitschaft gibt und es bei der Übermittlung von Unterlagen zu Verzögerungen kommt. Die Justiz- und Innenminister hätten darüber hinaus Anfang Juni die Rückkehr-Richtlinie beschlossen. (Schluss)