Parlamentskorrespondenz Nr. 608 vom 24.06.2008

Gesundheitsreform: Lob und Kritik von Experten im Sozialausschuss

Dorner: Türe bei Ärzten ist nie zugeschlagen

Wien (PK) – Viel Kritik von Expertenseite, zum Teil aber auch Lob gab es beim ersten Hearing des Sozialausschusses des Nationalrats zur geplanten Gesundheitsreform. Vor allem von Ärzteseite wurden die Pläne von Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky und Sozialminister Erwin Buchinger massiv kritisiert, aber etwa auch Rechnungshofpräsident Josef Moser und der Vorstandsvorsitzende der KABEG Dieter Mandl äußerten sich skeptisch und bemängelten vor allem die Nichteinbeziehung der Krankenanstalten in das Reformpaket. Dorner signalisierte seitens der Ärzte allerdings Gesprächsbereitschaft. "Die Türe bei uns Ärzten ist nie zugeschlagen", bekräftigte er.

Seitens der Sozialpartner verwiesen ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer, Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl und Arbeiterkammer-Experte Christoph Klein auf die Notwendigkeit der Kassensanierung. Ohne Reformen werde im Jahr 2010 keine einzige Krankenversicherung mehr positiv bilanzieren, warnte Hundstorfer, gleichzeitig drohten die derzeitigen Schulden von 920 Mill. € auf 2,4 Mrd. € bis zum Jahr 2012 zu steigen. Ausdrücklich positiv bewertet wurde der vorliegende Gesetzentwurf auch vom Präsidenten der Österreichischen Apothekerkammer, Heinrich Burggasser.

Sozialpartner: Kassensanierung dringend erforderlich

Eingeleitet wurde das Generalhearing im Sozialausschuss durch kurze Stellungnahmen der geladenen Experten, wobei Vertreter der Sozialpartner den Anfang machten. ÖGB-Präsident Hundstorfer ging zunächst auf die dramatische Situation bei den Krankenkassen ein und erläuterte die weiteren Ausgangspunkte für das erstellte Sozialpartnerpapier. Demnach wollten die Sozialpartner zum einen weitere Beitragserhöhungen und einen weiteren Ausbau der Selbstbehalte für die PatientInnen vermeiden, zum anderen habe man sich bemüht, einige offene Probleme aus der Vergangenheit zu lösen.

So gab Hundstorfer zu bedenken, dass die Krankenversicherung mit der besten Einnahmenstruktur um 209 € pro Versichertem mehr einnehme als die Versicherung mit der schlechtesten Einnahmenstruktur. Wenn man davon ausgehe, dass allen ÖsterreicherInnen die gleiche Grundversorgung zukommen sollen, müsse es einen überregionalen Ausgleich geben, sagte er. Gleichzeitig solle über einen längerfristigen Zeitraum versucht werden, die unterschiedlichen Honorarsummen der Ärzte in den einzelnen Bundesländern anzupassen. Es gehe nicht um exakt gleiche Honorare, unterstrich Hundstorfer, schließlich verursache ein Hausbesuch in Tirol nicht die gleichen Kosten wie in Wien, gewisse Anpassungen seien aber erforderlich.

Generell hielt Hundstorfer fest, auch die Pläne der Sozialpartner sehen nicht weniger Geld für das Gesundheitssystem vor, es solle aber "etwas weniger mehr Geld" ausgegeben werden.

Wirtschaftskammerpräsident Leitl wies darauf hin, es sei nicht Aufgabe der Sozialpartner gewesen, eine Gesundheitsreform zu erarbeiten, vielmehr seien diese beauftragt worden, ein Paket zur Sanierung der Krankenkassen zu erstellen. In diesem Sinne sei das vorliegende Paket ein Teil der Gesundheitsreform, ein zweiter Teil müsse folgen um das gesamte System "in eine stabile Lage zu bringen".

Leitl zufolge haben sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf zwei Ziele verständigt: den Erhalt und den Ausbau der bestehenden Standards bei der Patientenversorgung sowie eine finanzielle Stabilität der Krankenkassen auf mittelfristige Sicht. Man könne durchaus Maßnahmen aus dem Papier auswechseln, wenn man diese durch gleich gute Maßnahmen zur Erreichung der genannten Ziele ersetze, meinte er. Generell äußerte er die Hoffnung, dass "nach den etwas schrillen Tönen der letzten Wochen und Tage" eine Besinnung erfolge.

Arbeiterkammer-Experte Christoph Klein hob hervor, man könne nicht die Krankenkassen für die enormen Defizite verantwortlich machen. Vielmehr ist seiner Meinung nach "das allgemeine Phänomen der Beitragserosion" für die aktuelle Entwicklung verantwortlich. Klein zufolge bleiben die Löhne und damit die Beitragszahlungen nicht nur hinter der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung zurück, sondern auch hinter der Kostenentwicklung im Gesundheitsbereich. "Wir sind 5 Minuten vor 12", warnte Klein.

Sollte es 12 Uhr werden, würden sich die Kassen nicht mehr selbst verwalten können, sondern von einem Masseverwalter geführt werden, mahnte Klein. Dieser hätte aber ganz andere Prioritäten als die Kassen, nämlich die Befriedigung der Gläubigerinteressen. Die Patienten müssten für ihre Behandlung zahlen und das Geld dann aus der Masse einfordern.

Was die geplante Strukturveränderung bei den Sozialversicherungen betrifft, steht die Arbeiterkammer Klein zufolge zum Prinzip der zentralen Steuerung und zum Prinzip der Auflösungsmöglichkeit von Ärzteverträgen. Er plädierte aber dafür, die einzelnen Krankenkassen stärker in die Zielfindung einzubinden und "Brückenschläge" zu den Ärzten zu finden. Willkürliche Auflösungen von Vertragsverhältnissen mit einzelnen Ärzten müssten ausgeschlossen sein, erklärte Klein.

Gerhard Wlodkowski, Präsident der österreichischen Landwirtschaftskammer, wies auf die Notwendigkeit hin, auch die Krankenanstalten in die Gesundheitsreform miteinzubeziehen, er wertete die Kassensanierung aber als ebenso bedeutsam. "Wenn wir den ersten Brocken nicht schaffen", werde man sich auch beim zweiten Brocken schwer tun, sagte er. Was das Durchgriffsrecht der SV-Holding betrifft, gilt es seiner Meinung nach zu verhindern, dass kleine Krankenkassen etwas auferlegt bekämen, was sie nicht leisten können. Wlodkowski zufolge soll überdies überprüft werden, ob einzelne Krankenversicherungsträger tatsächlich Spitäler und Ambulatorien führen müssten. Er ortet hier Einsparungsmöglichkeiten.

Dorner: Funktionierende Vertragspartnerschaft nicht zerstören

Ärztekammerpräsident Walter Dorner machte geltend, in Österreich gebe es seit Jahrzehnten eine funktionierende Vertragspartnerschaft zwischen Ärzten und Krankenversicherung. Die Ärzte würden auch die Notwendigkeit der Kostendämpfung im Gesundheitsbereich anerkennen und seien zu Gesprächen bereit, sagte er, es gehe aber nicht an, das funktionierende Vertragspartnersystem durch Direktverträge "zu zerstören".

Kritik übte Dorner daran, dass die Ärzte nicht in die Erstellung des Sozialpartnerpapiers einbezogen, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt worden seien. Durch eine rechtzeitige Einbindung der Ärzte hätte man sich ihm zufolge manchen Ärzteprotest ersparen können. Schließlich hätten die Ärzte selbst immer wieder Einsparungsvorschläge gemacht. "Die Tür bei uns Ärzten ist nie zugeschlagen", erklärte der Ärztekammerpräsident, ohne Entschuldung der Krankenkassen werde es aber nicht gehen.

Jachimowicz: Keine Kostenexplosion im Gesundheitsbereich

Norbert Jachimowicz, Vertreter der niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer, machte geltend, dass von einer Kostenexplosion im Gesundheitsbereich keine Rede sein könne. Die Gesundheitskosten seien in den letzten Jahren nicht explodiert, bekräftigte er, was sich nach unten bewegt habe, seien die Einnahmen der Krankenkassen. Die Einnahmenausfälle sind seiner Ansicht nach aber nicht nur auf die allgemeine Lohnentwicklung zurückzuführen, wie dies Arbeiterkammer-Experte Klein erklärt hatte, sondern durch verschiedene staatliche Maßnahmen seit dem Jahr 2000. Jachimowicz glaubt, dass es für eine Erhaltung des bestehenden Systems ausreichen würde, die in den letzten Jahren zu Lasten der Krankenkassen gesetzten Maßnahmen wieder zurückzunehmen.

Die Ärzte sind Jachimowicz zufolge nicht in der Lage, einen weiteren Beitrag zur Kostendämpfung zu leisten. Jeder weitere Schritt würde zu Lasten der Patienten gehen, mahnte er. Die Ärzte wollten bei der Behandlung nicht in erste Linie daran denken müssen, was koste die Behandlung, sondern was bringe sie dem Patienten. Seinen Ausführungen nach gibt es zudem bereits ein "ausgeklügeltes" Qualitätssicherungssystem.

Burggasser: Apothekerkammer steht zur Reform

Apothekerkammer-Präsident Heinrich Burggasser betonte, die Apothekerkammer stehe zur vorliegenden Reform. Die vorgesehene Aut-Idem-Regelung werde den Apotheken zwar viel Beratungszeit kosten und weniger Erträge bringen, dennoch hätten sie diesem Vorschlag zugestimmt.

Etwas skeptischer äußerte sich Burggasser zum verpflichtenden "Arzneimittel-Sicherheitsgurt". Es gebe zwar gute Erfahrungen mit der Überprüfung der von Patienten eingenommen Medikamente im Hinblick auf Doppelverschreibungen und Wechselwirkungen, skizzierte er. Seiner Meinung nach wäre es aber Ziel führender, dieses Instrument zuerst weiter zu entwickeln und wachsen zu lassen, bevor es verpflichtend vorgeschrieben werde.

Moser: Finanzierung des Gesundheitswesens aus einer Hand

Rechnungshofpräsident Josef Moser unterstrich, der Rechnungshof habe immer wieder auf Schwachstellen im Gesundheitswesen hingewiesen. Einige dieser Schwachstellen seien zwar im Sozialpartnerpapier angeschnitten, erklärte er, viele Probleme würden aber nicht berücksichtigt. Moser nannte in diesem Zusammenhang etwa die Notwendigkeit, den extramuralen und den intramuralen Bereich, also Krankenanstalten und niedergelassene Ärzte, aus einer Hand zu finanzieren, die Finanzierungsströme im Gesundheitssystem zu entflechten und Leistungserbringung und -finanzierung organisatorisch zu trennen. Moser verwies etwa auf die hohen Kosten, die das Hanusch-Krankenhaus der Wiener Gebietskrankenkasse verursache. Weiters vermisst er eine Vereinheitlichung der Leistungskataloge der Krankenversicherungsträger.

In Bezug auf die Patientenquittung und die Aut-Idem-Regelung erachtet Moser, wie er ausführte, eine Kosten-Nutzen-Rechnung für erforderlich. Der Rechnungshof sei immer dafür eingetreten, den Generika-Anteil bei den Medikamenten zu erhöhen, konstatierte er, es seien aber viele Ausnahmeregelungen von ""Aut idem" vorgesehen, so dass man den erwarteten Einsparungen den Verwaltungsaufwand und die drohende Verunsicherung der Patienten gegenüberstellen müsse. Grundsätzlich begrüßt wurde von Moser die vorgesehene Zielsteuerungs- und Richtlinienkompetenz der SV-Holding.

Dreßler: Kosten für Medikamente in Österreich verhältnismäßig niedrig

Hubert Dreßler vom Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) wies wie Ärztekammervertreter Jachimowicz darauf hin, dass es keine Kostenexplosion im Gesundheitsbereich gebe. Der Prozentsatz der Gesundheitsausgaben am BIP habe sich in den letzten Jahren nicht verändert, unterstrich er. Überdies würden sowohl die "Fabriksabgabenpreise" für Medikamente als auch der Pro-Kopf-Verbrauch an Arzneimitteln in Österreich deutlich unter dem europäischen Durchschnitt liegen.

Dreßler zeigte in diesem Sinn kein Verständnis dafür, dass im Medikamentenbereich weitere Sparmaßnahmen vorgesehen sind. Er erinnerte an die freiwillige Vereinbarung von Pharmaindustrie und Krankenversicherung, die seiner Darstellung nach von Pharmaseite vollständig erfüllt wurde. Durch ""Aut idem" könne man, so Dreßler, überdies im besten Fall 5 Mill. € einsparen. Dem stünden enorme Nachteile für die PatientInnen gegenüber. Man könne den PatientInnen nicht zumuten, einmal im Quartal andere Tabletten zu nehmen, sagte er, noch dazu wo zwei Drittel aller Medikamente von Personen über 60 Jahren eingenommen würden.

Adlassnig: Schlechtere Arbeitsbedingungen für die Ärzte

Bernd Adlassnig (Ärztekammer Kärnten) beurteilte aus Kärntner Sicht die Auswirkungen der Reform auf ein kleines Bundesland mit ländlicher Struktur und vielen GKK-Versicherten und warnte vor einem Ärztemangel. Das Durchschnittsalter der Kassenärzte in Kärnten liege bei weit über 50 Jahren, schilderte er, dies bedeute, dass in den nächsten zehn Jahren ein beträchtlicher Teil der Mediziner in Pension gehen werde. Da durch die Universitätsreform weniger Absolventen zu erwarten sind und in den Spitälern auch bereits gespart werde, könnte es Probleme geben, die Kassenstellen zu besetzen, gab er zu bedenken. Dazu kommt, dass die Reform seiner Meinung nach zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt, da einerseits, etwa durch die Einführung der Elektronischen Patientenakte (ELGA), ein erhöhter Investitionsbedarf erforderlich ist, andererseits aber weniger Sicherheit für die Ärzte gegeben sei. Außerdem sieht er aufgrund der Besserstellung der Ambulatorien einen Konkurrenznachteil für die niedergelassenen Ärzte.

Mandl zeigte zahlreiche ökonomische Mängel auf

Auch KABEG-Vorstand Dieter Mandl sah einen besonderen Nachteil der Reform darin, dass die Krankenanstalten nicht berücksichtigt wurden. Bei der ökonomischen Beurteilung der Vorschläge habe er eine Reihe von Mängeln festgestellt, führte Mandl weiter aus, etwa die Tatsache, dass zwar mit dem "modischen Begriff" Holding gearbeitet werde, es sich aber keinesfalls um eine Holding handle. Es sei etwa nicht geklärt, ob es sich in der Intention um eine Verwaltungsholding, eine Finanzholding oder um eine Managementholding handelt. Kritisch beurteilte er auch die vorgesehene Einschaltung von Wirtschaftsprüfern, den in der Praxis nicht durchführbaren Zielbildungsprozess, die fehlenden Strukturziele sowie die Durchführung eines Controllings ohne eine vorhandene Plankostenrechnung.

Waneck sieht Einsparpotentiale in der Höhe von 5 Mrd. €

Universitätsprofessor Reinhart Waneck, ehemaliger Gesundheitsstaatssekretär, sprach von einem "deja-vue-Erlebnis", da es bei der parlamentarischen Diskussion im Jahr 2003 um dasselbe Thema ging. Damals sei "aus sehr vernünftigen und richtigen Gründen" die Qualitätssicherung nicht in das ASVG verlegt worden, sondern in das Ärztegesetz, wo es auch exekutiert werde. Auch die Patientenquittung existiere schon, konstatierte Waneck, denn jeder ASVG-Versicherte bekomme jährlich eine Nachricht darüber, welche Kosten er verursacht hat.

Was die Aut-Idem-Regelung betrifft, die etwa 35 Millionen € einbringen soll, so sei es nicht unbedingt notwendig, dafür ein Gesetz zu ändern, sagte Wancek. Er habe generell den Eindruck, dass es weniger um eine Veränderung im Bereich der medizinischen Versorgung als um eine Änderung der Machtverhältnisse gehe. Es sei auch völlig unnötig gewesen, mit den Ärzten "in einen Clinch zu treten", kritisierte Waneck. Ansetzen sollte man vielmehr bei der Kostenwahrheit und der Transparenz im Gesundheitssystem. Statt der vorliegenden Reform schlug Waneck drei "einfache Maßnahmen" vor: Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Medikamente, die Erfassung der ausländischen Touristen (z.B. 1 Euro auf jede Liftkarte in Schigebieten) sowie die Aufnahme der Autounfälle in die Haftpflichtversicherung; dies entspreche einem Sparpotential von 5 Mrd. €. (Fortsetzung)