Parlamentskorrespondenz Nr. 611 vom 25.06.2008

Sozialausschuss: Differenzen zur Gesundheitsreform bleiben

Diskussion der PolitikerInnen mit ExpertInnen

Wien (PK) – Im Anschluss an die Statements der ExpertInnen widmete sich der Sozialausschuss einer Diskussion der ExpertInnenaussagen zum vorliegenden Gesetzentwurf. Abgeordneter Kurt Grünewald (G) stellte eine Frage an alle Experten, ob sie angesichts der bisherigen Wortmeldungen glaubten, dass die Regierungsvorlage in der bisherigen Form wirklich noch vor dem Sommer im Parlament beschlossen werden könne.

Abgeordneter Norbert Hofer (F) forderte ein Gesamtkonzept ein. Eine Kassenfinanzierungsreform war ihm zu wenig. Hofer fehlte vor allem die Stärkung des niedergelassenen Bereichs, denn damit würde man seiner Meinung nach Kosten senken können. Seine Fragen bezogen sich auf die Patientenquittung, die er eher kritisch sah, und auf die Versorgungssicherheit der PatientInnen. Diese sei nicht überall gegeben, da man oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen müsse, sagte Hofer. Seiner Meinung nach müsse man auch eine Lösung im Hinblick auf die Tatsache finden, dass ein großer Anteil der bezogenen Medikamente von den PatientInnen gar nicht eingenommen werden.

Abgeordneter Karl Donabauer (V) machte sich eingangs für eine Finanzierung aus einer Hand stark, wobei er einräumte, dass diese Frage mit der vorliegenden Reform nicht gelöst wird. Er trat zum Beispiel für eine Strukturreform in Richtung einer Bundesgebietskrankenkassa als mittelfristiges Ziel ein und meinte, dass man auch die Spitalsfinanzierung in eine Gesamtreform einbeziehen müsse. Dennoch konnte er den Reformvorschlägen Positives abgewinnen. Nähere Informationen wollte Donabauer zur Zusammensetzung der Kommission zur Qualitätssicherung und Evaluierung sowie zur Frage der bisherigen Handhabung der Richtlinie für eine ökonomische Verschreibweise. Man müsste mehr Anreize für Generika schaffen, regte er an. Auch Donabauer sprach die große Zahl der nichtgebrauchten aber verschriebenen Medikamente an und erkundigte sich nach dem Einsparungspotential bei verstärkten Präventionsmaßnahmen. Die Patientenquittung hielt er für sinnvoll.

Abgeordnete Ursula Haubner (B) unterstrich zunächst, man dürfe das Solidarmodell nicht aus den Augen verlieren und die PatientInnen müssten weiterhin im Mittelpunkt der Reform stehen. Auch sei die freie Arztwahl in Zukunft sicherzustellen. Der vorliegende Gesetzesentwurf ist ihrer Auffassung nach keine Zukunftssicherung und stellt bestenfalls ein Sozialpartnerprojekt dar, an dem herumgedoktert werde. Haubner ortete bereits jetzt Ansätze einer Zweiklassenmedizin im Gesundheitssystem. Sie fragte nach der Abwicklung der Qualitätsprüfung und nach internationalen Vorbildern der Aut-idem-Lösung. Als Kompromisslösung bei der Patientenquittung konnte sie sich eine vierteljährliche Information vorstellen, eine solche nehme aber den Ärzten Zeit für die PatientInnen weg und verursache Verwaltungskosten, bemerkte sie. Ein großes Anliegen ist ihr die Aufwertung der HausärztInnen, wobei sie die ExpertInnen um Vorschläge ersuchte, wie man die Basisversorgung stärken könnte.

Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (S) machte darauf aufmerksam, dass die geplanten Maßnahmen die Menschen beschäftigen und auch verunsichern. Hinsichtlich der Qualitätssicherung verstand sie die Sorge der Ärzte nicht, weshalb sie auch wissen wollte, was gegen die Festlegung von Evaluierungskriterien spricht. Sie erkundigte sich konkret nach der Beurteilung der bisherigen Arbeit der Ökomed sowie der in der Regierungsvorlage enthaltenen Qualitätssicherungskriterien. Universitätsprofessor Manfred Maier bat sie, seine Meinung, warum der niedergelassene Bereich nun unter die Räder kommen sollte, näher darzulegen.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) urgierte, wie Abgeordnete Ursula Haubner zuvor, eine Information durch die Ministerin über den aktuellen Stand der Verhandlungen. Die Grünen seien durchaus bereit, einen Mosaikstein einer Gesamtreform mitzutragen, nur müsste man wissen, wie man sich das gesamte Mosaik vorstellt, sagte er. Als einen zentralen Punkt einer Reform betrachtete Öllinger die Zusammenführung der Finanzierungsströme. Das Prinzip der gleichen Leistung für den gleichen Betrag wäre notwendig. Öllinger kritisierte auch die monopolistischen Strukturen bei den Heilbehelfen und Hilfsmitteln und sah ebenfalls Elemente einer Mehrklassenbehandlung im österreichischen Gesundheitssystem. Er führte dabei das Beispiel der unterschiedlichen Verschreibung von Medikamenten an.

Abgeordneter Erwin Rasinger (V) unterstrich die Wichtigkeit, Hausarztmodelle aufzubauen, insbesondere im Zusammenhang mit der Sicherung der Pflege. Er war sich nicht im Klaren, ob die Reformvorschläge zu einem Bürokratieabbau oder zu mehr Bürokratie führen werden und forderte explizit die ExpertInnen auf darzulegen, was sie sich von einer Reform wünschen.

Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) warf der Regierung vor, bei der anstehenden Reform vor allem in Richtung Ökonomie, aber nicht in Richtung Qualitätssicherung zu denken. Das sehe man vor allem bei der Lockerung des Kündigungsschutzes, meinte sie. Sie hielt es auch nicht für nachvollziehbar, dass die Spitäler ausgeklammert werden. Allgemein vermisste sie als Parlamentarierin eine Information über das Gesamtkonzept der Gesundheitsreform. Mit den vorliegenden Plänen werde man das System kaputtmachen, befürchtete Belakowitsch-Jenewein, ohne die Schulden in den Griff zu bekommen. Auch sie plädierte für mehr Präventionsmaßnahmen. 

Abgeordnete Sabine Oberhauser (S) wies den Vorwurf, man habe in erster Linie die Ökonomie im Auge, zurück. Die Richtlinie für eine ökonomische Verschreibweise gebe es seit langem, stellte sie fest. Die ExpertInnen sprach sie auf die Medikamentenkosten an und wollte wissen, wo die Schrauben anzusetzen sind, die zu Einsparungen führen könnten. Oberhauser ersuchte auch um Auskunft darüber, ob die von der Ärztekammer vorgeschlagenen Maßnahmen zur Qualitätssicherung ausreichend sind. Schließlich thematisierte sie die Einzelverträge und bat um Vorschläge, wie man die Patientenversorgung im Falle eines vertragslosen Zustands sichern könnte.

Bundesministerin Andrea Kdolsky stellte eingangs klar, dass es sich bei diesem Reformpaket um keine Gesundheitsreform handle. Diese werde nämlich über die Bundesgesundheitskommission in Schritten umgesetzt. Eine Gesundheitsreform setze viele Einzelschritte im Vorfeld voraus, betonte die Ministerin und nannte in diesem Zusammenhang Gesundheitszentren, Stärkung der AllgemeinmedizinerInnen etc. Zu all diesen Einzelthemen gebe es klare Ziel- und Ablaufpläne. Für die Prävention seien aber eigene Strukturen notwendig, erläuterte Kdolsky und kündigte konkrete Maßnahmen ab 2009 an. Das Ziel der vorliegenden Reform sei es, eine Kostendämpfung für die in Not geratenen Sozialversicherungen herbeizuführen. Dazu sei es notwendig, bei den Vertragspartnern anzusetzen, und damit stelle der Gesetzesvorschlag einen ersten kleinen Schritt dar.

Maria Hofmarcher (Institut für Höhere Studien) hielt die Verabschiedung des Gesetzes für wichtig. Sie wies darauf hin, dass sich das Umfeld ständig ändere und man daher auch immer wieder neue Maßnahmen setzen müsse. Hofmarcher regte an, etwa durch Staffelung der Selbstbehalte die Anreize für Generika zu stärken.

Bernhard Güntert (Institut für Management und Ökonomie im Gesundheitswesen) trat dafür ein, die Verschreibungspraxis bei Ärzten zu überprüfen. Wie viel Einsparungspotential Präventionsmaßnahmen bringen, ist seiner Meinung nach nicht konkret zu beziffern, da eine längere Lebenserwartung laut jüngsten Studien nicht gleich bedeute, länger gesund zu leben. Vielmehr sei zu beobachten, dass die kranken Lebensjahre stark zunehmen. Daher müsse man sich eine langfristige Strategie überlegen.

Franz Marhold (Universität Graz) bewerte das geltende Recht durchaus positiv. Bei den Einzelverträgen für den Fall eines vertragslosen Zustands würde man die Streikbrecher belohnen, warnte er. Marhold sprach sich auch für die Vereinheitlichung der Honorarordnung aus, da es große Unterschiede sowohl zwischen den einzelnen Trägern als auch zwischen den einzelnen Bundesländern und zwischen niedergelassenen Ärzten und Spitalsärzten gibt.

Pharmig-Generalsekretär Jan Huber machte geltend, in Österreich gebe es einen steigenden Anteil an Generika. Derzeit liege der Generika-Anteil am Medikamentenverbrauch bei 25 % im Wert und bei 40 % bei den Packungen, erläuterte er. Dass es zu keiner massiveren Steigerung des Anteils gekommen ist, begründete er mit dem restriktiven Preiserstattungssystem in Österreich. Wenn das Patent für ein Originalprodukt auslaufe, müsse dieses Produkt beim dritten Generikum am Markt "gleichpreisig" sein. Nach Meinung von Huber ist es für Ärzte auch schwierig, einen Patienten auf ein Generikum umzustellen, wenn sechs Monate später das Originalmedikament ohnehin gleich viel koste wie das Generikum.

Sein besonderer Wunsch sei, meinte Huber in Richtung Abgeordnetem Rasinger, die ersatzlose Streichung des Passus zur Heilmittelabgabe. Jede freiwillige Vereinbarung sei sinnvoller als diese Zwangsbestimmung, sagte er.

Apothekerkammer-Präsident Heinrich Burggasser betonte, die Rolle des Apothekers sei bereits jetzt eine wichtige. Das habe sich auch beim Pilotversuch zur Überprüfung des Medikamentenkonsums von PatientInnen gezeigt. Zur Frage der Packungsgrößen merkte er an, das sei nicht zuletzt eine Frage der Arzneimittelsicherheit.

Universitätsprofessor Manfred Maier von der Medizinischen Universität Wien bekräftigte, die niedergelassenen Ärzte seien in einem Ausmaß frustriert, das sich niemand im Parlament vorstellen könne. Auch der vorliegende Gesetzentwurf werde als Bedrohung empfunden. Zum einen enthalte er neue Belastungen wie "Aut idem" und die Elektronische Patientenakte, zum anderen würden die Ärzte die Änderung des Vertragsrechts als Gefahr sehen, weil ihnen der Rückhalt der Ärztekammer genommen werde. Maier sprach sich vehement für eine Stärkung des niedergelassenen Bereichs und eine "echte Aufwertung" des Hausarztsystems aus.

Hans Westermayer, Präsident der Landeszahnärztekammer Wien, äußerte Zweifel, dass es beim vorliegenden Gesetzentwurf nur um ein Kassensanierungspaket geht. Er gab zu bedenken, dass die Kosten für die vorgesehene Qualitätsevaluierung um das Zwanzigfache höher angesetzt worden seien als die Kosten für die derzeitige Qualitätssicherung.

Ärztekammer-Vertreter Karlheinz Kux trat nachdrücklich dafür ein, die Probleme im Gesundheitswesen zwischen den Vertragspartnern abzuhandeln und nicht die Beziehung Arzt-Patient zu belasten. Auch in die Qualitätssicherung müssten seiner Meinung nach die Vertragspartner eingebunden werden und inhaltlich mitbestimmen dürfen. Durch die vorgesehenen Leistungsverträge wird seiner Ansicht nach das System der sozialen Krankenversicherung durchbrochen.

Arbeiterkammer-Vertreter Helmut Ivansits räumte ein, dass die Patientenquittung vermutlich keine breiten Auswirkungen haben werde. Sie trage aber zur Leistungstransparenz bei und halte Ärzte an, nicht eine Leistung zu verrechnen, die sie nicht erbracht haben, konstatierte er. Generell bekräftigte Ivansits, Ökonomie und Gesundheit seien kein Gegensatz. Als speziellen Wunsch nannte er die Aufwertung der Prävention.

Wirtschaftskammer-Vertreter Martin Gleitsmann bejahte die Frage, ob die vorliegende Reform unbedingt vor dem Sommer behandelt werden müsse, ausdrücklich. Er habe auch heute keine gleichwertigen Alternativen zu den vorliegenden Vorschlägen gehört, unterstrich er. Die Möglichkeit von Einzelverträgen mit Ärzten ist für ihn, wie er sagte, ein Element gegen die Zwei-Klassen-Medizin. ÖGB-Vertreterin Renate Czeskleba hob neuerlich die Notwendigkeit von mehr Transparenz und Qualitätssicherung im Gesundheitssystem hervor.

ÖBIG-Geschäftsführerin Michaela Moritz unterstrich ihre positive Haltung zur Aut-idem-Regelung. Diese hat ihrer Ansicht nach auch eine pädagogische Funktion, da man damit Menschen langsam zu einem bewussten Umgang mit teuren Produkten heranerziehen könne. Ihr besonderer Wunsch lautete: eine integrative Finanzierung des gesamten Gesundheitssystems.

Ernst Wolner, Präsident des Obersten Sanitätsrates, erklärte, sein größter Wunsch für Österreich sei ein Gesundheitsministerium, das wirkliche Kompetenzen habe, sowohl im niedergelassenen als auch im stationären Bereich. Zur Frage der Qualitätssicherung hielt er fest, es müsse in die Köpfe der Betroffenen, dass Qualitätssicherung keine Disziplinierung sei, sondern eine enorme Hilfe sein könne.

Hauptverbands-Vertreter Erich Laminger hob die dringende Notwendigkeit hervor, Reformschritte im Gesundheitswesen zu setzen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist seiner Auffassung nach nicht gegen den niedergelassenen Bereich gerichtet, sondern könne durchaus auch als Stärkung des niedergelassenen Bereichs verstanden werden.

Patientenanwalt Gerald Bachinger wandte sich gleichfalls dagegen, bestehende Konflikte im Gesundheitssystem auf Arzt-Patienten-Ebene auszutragen. Die Ärzte müssten sich, was Agitation betrifft, aber selbst an der Nase nehmen, mahnte er. Zur bestehenden Qualitätskontrolle von Arztpraxen merkte Bachinger an, die Qualitätslatte sei bewusst niedrig gelegt worden, und viele Ärzte klagten über den bürokratischen Aufwand. Er erachtet überdies eine Qualitätsevaluierung durch eine unabhängige Einrichtung für erforderlich. (Schluss Debatte/Forts. Hearing)