Parlamentskorrespondenz Nr. 628 vom 01.07.2008

Gesundheitsreform: Kdolsky sieht weiter Parlament am Zug

Opposition urgiert vergeblich Auskünfte über Verhandlungsstand

Wien (PK) – Über die Gesundheitsreform wird offenbar nach wie vor verhandelt. Die Opposition erhielt bei einer so genannten "Aktuellen Aussprache" im Gesundheitsausschuss des Nationalrats heute jedenfalls keine Auskunft darüber, wie der aktuelle Stand der Verhandlungen ist. Sie sei ebenfalls nicht über die aktuellsten Entwicklungen informiert, erklärte Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky auf entsprechende Fragen der Abgeordneten. Gleichzeitig bekräftigte sie ihren Standpunkt, wonach jetzt das Parlament und nicht sie am Zug sei. Fortdauernde Fehlinformationen über die künftige Befristung von Kassenverträgen nannte Kdolsky ausdrücklich eine "Lüge".

Zuvor hatte Abgeordneter Kurt Grünewald (G) an die Zusage der Koalitionsparteien erinnert, der Opposition spätestens bis zum Abend des 30. Juni den Abänderungsantrag zum Kassensanierungspaket zu übermitteln. Er könne sich nicht vorstellen, dass der Gesetzentwurf am Donnerstag im Sozialausschuss beschlossen werden könne, wenn bis heute nicht feststehe, was geändert werden solle, sagte er. Er wertete es auch als wenig sinnvoll, den Hauptverband zu reformieren, ohne zu wissen, welche Reformen es künftig im ambulanten und stationären Bereich geben werde.

Ähnlich wie Grünewald argumentierten auch die Abgeordneten Ursula Haubner (B) und Norbert Hofer (F). Hofer bekräftigte die Meinung der FPÖ, wonach eine große Gesundheitsreform dem vorliegenden Gesetzentwurf vorzuziehen wäre. Man brauche die Finanzierung des Gesundheitswesens aus einem Topf, bekräftigte er. Überdies sei es notwendig, sich Gedanken über eine Verbreiterung der Beitragsgrundlage zu machen. Verwundert zeigte sich Hofer über die positive Stellungnahme der Arbeiterkammer zur Patientenquittung und zur Vertragsauflösungsmöglichkeit von Kassenverträgen beim Hearing im Sozialausschuss des Nationalrats.

Massive Kritik am "Kassennotprogramm" äußerte auch Abgeordnete Haubner (B). Sie glaubt, dass aufgrund der vorgesehenen Bestimmungen künftig immer weniger Ärzte "das Risiko eines Kassenarztvertrages" eingehen werden. Vielmehr würden diese entweder im Krankenhaus bleiben oder eine Wahlarztpraxis bevorzugen. Damit sei aber die medizinische Versorgung im ländlichen Raum in Gefahr. Haubner fürchtet zudem, dass durch das vorliegende Gesetzespaket der Weg in Richtung Zwei-Klassen-Medizin beschritten wird. Auch am Einsparungspotenzial des vorliegenden "Kassennotprogramms" äußerte sie Zweifel.

Was das Verhanglungsprocedere betrifft, stellt sich für Haubner, wie sie sagte, die Situation so dar, dass das Gesundheitsministerium als "Durchlaufministerium" für ein Sozialpartnerpapier fungiert habe, das jetzt von einzelnen SPÖ- und ÖVP-Abgeordneten verhandelt würde. Das Parlament bzw. der Sozialausschuss führe jedenfalls keine Verhandlungen, stellte Haubner in Einklang mit Abgeordneter Theresia Haidlmayr (G) fest. Von Kdolsky wollte die Abgeordnete wissen, inwieweit die Bundesländer in die Verhandlungen eingebunden seien. Schließlich hätten einige Bundesländer den Konsultationsmechanismus ausgelöst.

Weitere Themen der Aktuellen Aussprache im Gesundheitsausschuss waren u.a. der Fonds für Hepatitis-C-Opfer (Abgeordneter Kurt Grünewald, G), die vom Gesundheitsministerium angekauften Grippeschutzmasken (Abgeordneter Norbert Hofer, F), die Übertragung des Hanusch-Krankenhauses in den Krankenanstaltenverbund und die Gesundheitsförderung (Abgeordnete Ursula Haubner, B), das Importverbot für bestimmte gentechnisch veränderte Mais- und Rapssorten (Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber, G), Hilfe für Contergan-geschädigte Menschen (Abgeordnete Theresia Haidlmayr, G), die weibliche Genitalverstümmelung (Abgeordnete Petra Bayr, S) sowie länderübergreifende Tiertransporte (Abgeordneter Dietmar Keck, S).

In Beantwortung der Fragen betonte Gesundheitsministerin Kdolsky, sie könne über den aktuellen Stand der Verhandlungen zum Kassensanierungspaket "gar nichts sagen". Sie wisse nur, dass zahlreiche Gespräche von ParlamentarierInnen geführt würden, erklärte sie. Doppelverhandlungen wären ihrer Ansicht nach auch nicht sinnvoll, es liege am Parlament, die nächsten Schritte zu setzen.

Kdolsky verwahrte sich allerdings ausdrücklich dagegen, ihr Ressort als "Durchlaufministerium" für das vorliegende Gesetzespaket zu bezeichnen. Sie erinnerte daran, dass sie am ursprünglichen Sozialpartnerpapier nach Gesprächen mit den Ärztevertretern deutliche Veränderungen vorgenommen und auch im Begutachtungsverfahren geäußerte Einwände berücksichtigt habe. Konkret verwies sie etwa auf die vorgesehenen Ausnahmeregelungen für "Aut idem" und die Herausnahme von ökonomischen Kriterien aus der Qualitätsevaluierung.

Dass Kassenverträge künftig ein Risiko seien könnten, wies Kdolsky vehement zurück. Es seien keine befristeten Verträge vorgesehen, bekräftigte sie, die fortdauernde Fehlinformation mancher Ärztevertreter sei eine "Lüge". Vielmehr gehe es um regelmäßige Qualitätsüberprüfungen, stellte Kdolsky klar, wobei den Ärzten ausreichend Zeit eingeräumt werde, um etwaige Auflagen zu erfüllen. Erst wenn diesen Auflagen nicht nachgekommen werde, könnten Verträge leichter als bisher gekündigt werden. Ausdrücklich hielt Kdolsky zudem fest, dass es bei der Qualitätsüberprüfung um Qualität und nicht um Ökonomie gehe.

Zur in Aussicht genommenen Heilmittelabgabe merkte Kdolsky an, wenn man das Ziel erreichen wolle, die Kostensteigerung bei den Medikamenten auf 4 % einzudämmen, seien Einsparungen im Ausmaß von 250 Mio. € erforderlich. Sollten diese Einsparungen freiwillig vereinbart werden können, würde die Heilmittelabgabe gestrichen. Bisher gebe es Zusagen von der Pharmaindustrie in der Höhe von rund 180 Mio. € und weitere Zusagen von Apotheken und Hausapotheken im Millionen-Bereich.

Die Aut idem-Regelung in ihrer ursprünglichen Form hätte laut Kdolsky Einsparungen für die Kassen in der Höhe von 35 Mio. € gebracht. Durch die nunmehr vorgesehenen Ausnahmen werde das Einsparungspotenzial voraussichtlich etwas sinken, sagte sie.

Dezidiert wandte sich die Ministerin in diesem Zusammenhang dagegen, die Qualität von Generika in Frage zu stellen. Originalmedikamente würden sich von Generika lediglich durch höhere Forschungs- und Entwicklungskosten unterscheiden, betonte sie. Kein Problem hat sie in diesem Sinn mit notwendigen Aufzahlungen von PatientInnen, sollten diese, anders als vom Arzt verordnet, auf das Originalmedikament bestehen.

Als wesentliches Element im Medikamentenbereich qualifizierte Kdolsky darüber hinaus den geplanten "Arzneimittel-Sicherheitsgurt". Beim Pilotprojekt in Salzburg seien damit hervorragende Ergebnisse erzielt worden, konstatierte sie. So konnten die Apotheken nicht nur gesundheitsschädliche Wechselwirkungen eingenommener Medikamente feststellen, sondern auch die Hortung verschiedener Medikamente durch "Doktor-Hopping" eindämmen. Allerdings habe es auch zu diesem Punkt, wie zu vielen anderen Punkten, ein Nein der Ärztekammer gegeben, klagte die Ministerin.

Die Patientenquittung will Kdolsky, wie sie sagte, dann einführen, wenn es verrechnungstechnisch sinnvoll erscheint. Die technische Machbarkeit ist ihr zufolge bereits gegeben. Kdolsky bekräftigte, bei der Patientenquittung gehe es nicht um Kontrolle, sondern um die Information der PatientInnen. Die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) wertete sie als wesentlichen Punkt bei der geplanten Zusammenführung des extra- mit dem intramuralen Bereich.

Der Konsultationsmechanismus wurde nach Auffassung Kdolskys von einigen Bundesländern "fälschlicherweise in Gang gesetzt". Es kämen keine höheren Kosten auf die Länder zu, versicherte sie. Sie glaube auch nicht, dass die Spitäler durch die Kassenreform stärker belastet würden.

Generell strebt Kdolsky, wie sie sagte, die Steuerung und Finanzierung des Gesundheitswesens aus einer Hand an. Dafür seien aber zahlreiche Vorarbeiten erforderlich. Unter anderem gehe es um eine Weiterentwicklung des leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierungssystems. Bei wem die Finanzierung aus einer Hand liegen soll, ist Kdolsky zufolge noch nicht geklärt, "ganz sicher aber nicht im Gesundheitsministerium".

Die vorhandenen Mittel müssten ihrer Meinung nach grundsätzlich zur Finanzierung des Gesundheitssystems ausreichen. Es gehe aber, so die Ministerin, um eine adäquate Verteilung der Gelder. Derzeit gebe es eine zu große Spitalslastigkeit und zu wenig Geld im niedergelassenen Bereich. Effizienzpotentiale zu nützen heiße jedenfalls nicht Leistungseinschränkung, bekräftigte die Ministerin. Sollte zusätzliches Geld gebraucht werden, dürfe man die ArbeitnehmerInnen nicht weiter belasten.

Zur Stärkung des niedergelassenen Bereichs stellte Kdolsky die Schaffung eines "Facharztes für Allgemeinmedizin" und rechtliche Rahmenbedingungen für den Zusammenschluss von Ärzten und anderen Gesundheitsberufen zu allgemeinen Gesundheitszentren in Aussicht. Derzeit würden, so die Ministerin, Patienten durch mangelnde Rahmenbedingungen in den Spitalsbereich getrieben.

Für das Hanusch-Krankenhaus wird laut Kdolsky weiter nach einer Lösung gesucht. Jemand müsse das Krankenhaus führen, skizzierte sie das Problem, von Wien gebe es aber ein klares Nein zur Übernahme der Krankenanstalt. Es wäre wenig sinnvoll, würde der Bund das Spital führen, konstatierte Kdolsky.

Vehement bestritten wurde von der Gesundheitsministerin, dass es in Österreich eine Zwei-Klassen-Medizin gibt. Zwei-Klassen-Medizin heiße für sie, dass jemand eine notwendig Untersuchung nicht bekomme, erläuterte sie. Es gebe allerdings sehr wohl Situationen, dass medizinische Angebote aufgrund schlechter Information oder schlechter Bildung nicht angenommen würden, räumte sie ein. Zur Reduzierung der Wartelisten auf Hüftoperationen hat ihrer Auskunft nach die Gemeinde Wien eine vernetzte OP-Planung gestartet.

In Bezug auf das Importverbot für bestimmte gentechnisch veränderte Mais- und Rapssorten ist laut Information von Kdolsky eine Verordnung bereits veröffentlicht, eine weitere gehe im Juli hinaus. In Bezug auf Risiko- und Sicherheitsforschung gebe es Gespräche mit Wissenschaftsminister Johannes Hahn. Die Zahl von Contergan-geschädigten Menschen in Österreich werde gerade im Kontakt mit Selbsthilfevereinen erhoben.

Über die Aufnahme von Untersuchungen betreffend die weibliche Genitalverstümmelung in den Mutter-Kind-Pass sind Kdolsky zufolge Gespräche im Laufen. Sie erwartet sich einen entsprechenden Vorschlag des Obersten Sanitätsrates in einer der nächsten Sitzungen. Die Ministerin gab allerdings zu bedenken, dass für jede zusätzliche Untersuchung im Mutter-Kind-Pass eine bestehende Untersuchung entfallen müsse. Gegen eine Einbindung der Hebammen in den Mutter-Kind-Pass hat ihr zufolge die Ärztekammer massive Bedenken.

Die Vorstellungen Österreichs in Bezug auf eine Verschärfung der Tiertransport-Richtlinie der EU sind laut Kdolsky bereits der EU-Kommission übermittelt worden. Sie rechnet damit, dass eine Diskussion darüber im kommenden Jahr geführt werden wird. Österreich macht sich für eine Beschränkung von Langzeittransporten stark.

Eine Erhöhung der Mittel des  Hepatitis-C-Fonds kann laut Kdolsky nur im Einklang mit den Bundesländern erfolgen. Derzeit würden entsprechende Verhandlungen geführt. Auch über die Übernahme der Grippeschutzmasken seien derzeit Gespräche mit den Ländern im Laufen. Erste Untersuchungen zeigten jedenfalls, dass die Masken auch vor Viren schützen, erklärte die Ministerin und verteidigte den Ankauf der Masken durch ihre Vorgängerin.

Was die Prävention und die Gesundheitsförderung anlangt, wird man nach Auffassung Kdolskys um ein Bundesgesetz nicht herumkommen. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer "gesunden Schule" und der betrieblichen Gesundheitsförderung. (Fortsetzung Gesundheitsausschuss)