Parlamentskorrespondenz Nr. 651 vom 08.07.2008

Aktuelle Stunde im Nationalrat vor dem Hintergrund der Neuwahlen

Das Ende der Gesetzgebungsperiode wirft ihre Schatten voraus

Wien (PK) – Vor Eingang in die heutige Tagesordnung gab es eine Aktuelle Stunde, deren Thema vom BZÖ fixiert wurde: "Gusenbauer – es gilt das gebrochene Wort: rotes Chaos in der EU-Politik". Das projektierte Ende der XXIII. Gesetzgebungsperiode wirft in der parlamentarischen Debatte ihre Schatten des anlaufenden Wahlkampfs voraus.

Angelobung neuer Abgeordneter

Nationalratspräsidentin Mag. Prammer teilte mit, dass die Abgeordneten Reheis (S), Hauser (F), Schieder (S) und Silhavy (S) auf ihre Mandate verzichtet haben.

Das durch den Verzicht von Mag. Andreas Schieder frei gewordene Mandat wurde der Abgeordneten Laura Rudas und deren Mandat der Abgeordneten Doris Bures zugewiesen. Das Mandat von Gerald Hauser wurde dem Abgeordneten Hartmann Lautenschlager und das freigewordene Mandat des Abgeordneten Gerhard Reheis der Abgeordneten Hedwig Wechner zugewiesen. An Stelle der Abgeordneten Silhavy wurde der Abgeordnete Michael Ehmann in den Nationalrat berufen.

Abgeordneter Westenthaler meinte in seiner Wortmeldung zur Geschäftsordnung, die Bundesregierung habe gestern eine Kapitulationserklärung abgegeben und mitgeteilt, dass sie nicht mehr weiterarbeiten, sondern so rasch wie möglich Neuwahlen haben will. Das BZÖ habe bereits vor einem Jahr, am 4. Juli 2007, einen Neuwahlantrag im Hohen Haus eingebracht. Gestern wurde innerhalb der SPÖ auch geklärt, dass die SPÖ nicht bereit sei, bis zur Wahl Beschlüsse im Parlament mitzutragen, die eine Entlastung der Bevölkerung bringen würden, wie Steuerreform, Teuerungsausgleich oder auch Pflegegelderhöhung. Daher brachte Westenthaler den Fristsetzungsantrag ein, der Nationalrat wolle dem Verfassungsausschuss zur Berichterstattung über den B-Antrag 262/A betreffend vorzeitige Beendigung des Gesetzgebungsperiode eine Frist bis zum 9. Juli 2008 setzen. – Die Abstimmung darüber erfolgt am Ende der Sitzung.

Aktuelle Stunde

Abgeordneter WESTENTHALER (B) erklärte, die NR-Wahl werde auch eine Abstimmung darüber sein, ob die Menschen in Zukunft mehr oder weniger in der Politik mitbestimmen dürfen. Geht es nach der ÖVP, dürfen die Menschen  nur mehr alle fünf Jahre bei Wahlen mitbestimmen. Seiner Meinung nach werde eine Partei, die jahrelang gegen die Mitbestimmung der österreichischen Bevölkerung ist, von den Menschen nicht gewählt werden.

Die SPÖ-Linie in der EU-Politik sei, so Westenthaler, interessant: Jahrelang hätten sich die Sozialdemokraten gegen eine Volksabstimmung ausgesprochen, selbst nach dem Irland-Votum habe der neue Vorsitzende Faymann in der "ZiB 2" gesagt, er habe dafür gestimmt, dass das Parlament abstimmt, im Parlament sei man für eine "Ratifizierung im Eilzugstempo" gewesen, und plötzlich, am 26. Juni, werde der Öffentlichkeit mitgeteilt, man sei für eine Volksabstimmung – nicht über den Lissaboner Vertrag, sondern über künftige Verträge. Das sei einer der größten "politischen Bluffs", so der Abgeordnete. Zudem sagt der Bundespräsident, die EU-Politik bleibe unverändert; das war keine "spektakuläre Wende" der SPÖ, sondern bestenfalls ein "Schwank", so Westenthaler.

Das BZÖ sei nicht gegen Europa, sondern gegen eine zentralistische und bürokratische Europäische Union. Die Menschen brauchen Betreuung auch von der EU, die die Verpflichtung hat, gegen die Teuerung, gegen die Lebensmittelpreise und gegen die Spritpreise aufzutreten. Aber Österreich darf Jahr für Jahr 500, 600, 700 Mio. € Nettobeitrag in diese EU einzahlen. Das sei unfair, ungerecht und unsozial.

Staatssekretär Mag. SCHIEDER meinte in seiner einleitenden Stellungnahme, die SPÖ habe eine eindeutige Linie in der EU- und Europapolitik. Die SPÖ bekenne sich uneingeschränkt zu einem europäischen Einigungswerk, die EU sei wohl das erfolgreichste Friedenprojekt in der Geschichte des Kontinents. Die Erweiterung nach Zentral- und Osteuropa sei richtig gewesen und habe große Erfolge gebracht. Die Friedensinitiativen in Südosteuropa greifen und nicht zuletzt stehe die Wirtschaft auf stabilen Füßen. Die Mitgliedschaft Österreichs in der EU habe sich als wertvoller und positiver Faktor in der erfolgreichen Entwicklung Österreichs bewährt. Die EU ist allein schon aus österreichischer Sicht eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. Zudem müsse man für ein starkes und geeintes Europa kämpfen, das im Interesse der Menschen zur Lösung der globalen Zukunftsfragen beiträgt, zeigte sich Schieder überzeugt. Vieles könne man auf nationaler Ebene erreichen, Vieles konnte auch umgesetzt werden, aber es gibt eine Reihe von Problemen, die man nur im Rahmen eines europäischen Verbunds beseitigen könne. Österreich werde sich als aktives Mitglied der EU auch für die Weiterentwicklung der EU zu einer Sozialunion einsetzen müssen. Überzeugt war der Staatssekretär davon, dass die EU das Vertrauen der EuropäerInnen zurückgewinnen kann, indem sie sich den tatsächlichen Anliegen und Problemen der Menschen annimmt.

Klar sprach sich das Regierungsmitglied dafür aus, zukünftige Vertragsänderungen einer Volksabstimmung zu unterziehen, das gelte sowohl für einen neuen Reformvertrag als auch für wesentliche Änderungen des Lissaboner Vertrags, die auch einer Ratifizierung bedürfen. Die Aufnahme von Kroatien und auch anderer Staaten des Balkans sei ein wichtiger Beitrag zur Prosperität und Stabilität. Der Beitritt der Türkei würde die derzeitigen Strukturen der EU überfordern, ein eventueller Türkei-Beitritt wäre in Österreich einer Volksabstimmung zu unterziehen, so Schieder.

Abgeordneter Dr. CAP (S) strich heraus, die SPÖ wolle eine "Hinwendung zum Bürger"; diese Aussage reiche der ÖVP, die Regierungsarbeit zu beenden. Dies sei kein demokratischer Zugang, die ÖVP werde sich noch wundern, denn zu Recht sagten die BürgerInnen, in der EU laufe etwas schief. Die SPÖ wolle eine sozialere EU, trete für mehr Demokratie ein, und die ÖsterreicherInnen sollen an der weiteren Gestaltung Europas mitwirken. Die SPÖ werde alles tun, damit Europa ein "sozialeres Angesicht" bekommt und auch demokratischer ist. Wenn die ÖVP diesen Weg nicht gehen, wenn sie sich vom Bürger abwenden will, dann war die Entscheidung der ÖVP, diese Zusammenarbeit zu beenden, richtig, denn dann gibt es keine gemeinsame Basis. Die österreichischen Abgeordneten im Hohen Haus sind verpflichtet, die Interessen Österreichs auch in der EU einbringen. Wenn der Wunsch besteht, dass die Bevölkerung mehr mitreden soll, dann habe man dem Rechnung zu tragen und nicht Neuwahlen vom Zaun zu brechen. Der Lissaboner Vertrag sei nicht rechtskräftig, und wenn er neuerlich vorgelegt wird, dann müsse es darüber eine Abstimmung geben, betonte Cap.

Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) meinte in Richtung Schieder, er als Regierungsmitglied müsse Regierungslinie vertreten und nicht den SPÖ-Standpunkt; das sei ein Grundsatz, den jedes Regierungsmitglied einzuhalten habe. Cap müsse einsehen, die große Diskussion in Österreich sei, dass der Bundeskanzler und der designierte Vorsitzende der SPÖ einen Weg eingeschlagen haben, der hinterfragenswert ist. Der Weg, dem Herausgeber einer Zeitung einen Brief zu schreiben sei mit dem Kalkül verbunden gewesen, wenn man auf die Linie dieses Blattes einschwenkt, dann werde es in Hinkunft eine bessere Berichterstattung geben. Der Bundeskanzler sei nur der Republik Österreich verpflichtet und habe daher die Interessen der Republik und nicht die Parteiinteressen zu vertreten. Es gehe nicht an, in Österreich eine Außen- und Europapolitik zu machen, die in zwei unterschiedliche Richtungen gehe. Spindelegger zeigte sich persönlich enttäuscht, weil er das einem Bundeskanzler Gusenbauer, der lange internationale Erfahrung hat, "so nicht zugetraut" hätte.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG-PIESCZEK (G) meinte, ausschlaggebend für das Platzen der Koalition sei eine Änderung in der EU-Politik. Man könne seine Meinung ändern, allerdings müsse die Voraussetzung für so einen Meinungsumschwung nachvollziehbar sein, es müsse darüber diskutiert werden. All das war bei diesem Europa-Schwenk nicht der Fall. Dadurch entstehe der Eindruck, es gehe nicht um eine neue europapolitische Überzeugung, sondern darum, sich einer Zeitung anzubiedern. Ein Großteil der Sozialpolitik, der Verteilungspolitik sei in den letzten eineinhalb Jahren in den Händen der SPÖ gelegen, diese Bilanz sei "desaströs". Bei den großen politischen Verteilungsfragen habe sich die SPÖ konsequent auf die falsche Seite gestellt, bemängelte die Rednerin. Der Lissaboner Vertrag dürfte offensichtlich gescheitert sein, aber die "guten" Teile, die Grundrechtecharta, die Aufwertung des Europaparlaments, aber auch die Möglichkeit, Volksbegehren zu machen, sollte man für die Menschen in Europa retten.

Abgeordneter STRACHE (F) sprach von einem "angeblichen EU-Schwenk", der eine "weitere Gaukelei" darstellt. Der offene Brief von Gusenbauer und Faymann an eine große Tageszeitung habe die ÖVP zwar "künstlich erregt" und dazu geführt, dass die ÖVP Neuwahlen in Gang setzt, aber es stelle sich schon die Frage, warum die ÖVP so erregt sei. Die SPÖ habe ja noch vor wenigen Wochen gemeinsam mit der ÖVP gegen das eigene Volk im Hohen Haus das europäische Verfassungsdiktat durchgepeitscht. ÖVP fahre "permanent über das eigene Volk mit einer Präpotenz der Macht drüber", und die SPÖ sei immer der "Beitragstäter" gewesen.

Abgeordneter SCHEIBNER (B) warf seinem Vorredner vor, stets eine Volksabstimmung zu fordern, ohne zu sagen, worüber. Will man nämlich eine Volksabstimmung, müsse man erst dem Grundvertrag zustimmen, das sage Strache nicht dazu. In Richtung Cap meinte Scheibner, er "habe bestes Stegreiftheater" gebracht. Das BZÖ wolle ein anderes, ein neues Europa, so der Redner, denn das Europa der 27 könne mit den bestehenden Mechanismen nicht mehr funktionieren. Daher setze sich das BZÖ für ein "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten" ein. Ob Österreich diesem Kerneuropa angehören will oder nicht, darüber sollte, war Scheibner überzeugt, eine nationale Volksabstimmung durchgeführt werden, alle anderen Länder nehmen nicht an der vollen Integration teil, sondern nehmen nur Module in Anspruch.

Abgeordnete Mag. GROSSMANN (S): Dass wir in Europa in Frieden leben können, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern musste nach harten Kriegserfahrungen erarbeitet werden. Friede ist der größte Erfolg des europäischen Einigungsprozesses, schon allein deshalb war, ist und bleibt die SPÖ eine überzeugte Europapartei, die sich voll und ganz zum europäischen Einigungswerk bekenne. Die Sozialdemokraten seien auch deshalb überzeugte Europäer, weil man weiß, dass viele Probleme der Gegenwart und Zukunft einfach nur in einem größeren Rahmen gelöst werden können. Die Sozialdemokratie sei immer eine europäische und internationale Bewegung gewesen, schon allein aus der Erkenntnis heraus, dass das Kapital auch international arbeitet; wenn der rechtliche Rahmen dafür national bleibt, könne das auf Dauer nicht funktionieren. Man brauche vertrauensbildende Maßnahmen, um die Bevölkerung wieder ins Boot zu holen. Man brauche diese Maßnahmen, um die Preisentwicklung in den Griff zu bekommen, und vertrauensbildende Maßnahmen im sozialen Bereich seien eine unbedingte Notwendigkeit, um die europäische Idee zu retten.

Abgeordneter Dr. MITTERLEHNER (V) statuierte, die Wirtschaft brauche Rechtssicherheit und stabile Rahmenbedingungen. Sie brauche Kontinuität und Verlässlichkeit. Dies sei bislang im Rahmen der EU gewährleistet gewesen. Österreich habe durch die Mitgliedschaft in der EU massiv profitiert.

Dieser Erfolgskurs werde nun durch den Schwenk der SPÖ infrage gestellt, deren Haltung mithin nicht nachvollziehbar und auch nicht zu goutieren sei. Mit der Abkehr vom bisherigen Kurs werde die SPÖ zu einem unsicheren Partner in Europa, und das sei bedenklich, unterstrich der Redner.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) attestierte ihrem Vorredner, dass die ÖVP in den letzten Jahren ebenfalls regiert habe und damit mitverantwortlich dafür sei, dass in dieser Zeit nicht allzu viel an Erfolgen eingefahren werden konnte. Bezeichnend sei aber auch, dass der Bundeskanzler nicht einmal heute an der Debatte teilnehme. Bruno Kreisky würde sich, so Lunacek, ob des Kniefalls der SPÖ vor dem Boulevard "im Grab umdrehen".

Um das Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen, müsse man konkrete Maßnahmen setzen, doch die Regierung ergehe sich nur in Attentismus, kritisierte die Rednerin. Die kommenden Wahlen würden mithin zu einer Richtungsentscheidung über den künftigen Weg Österreichs.

Abgeordneter VILIMSKY (F) wünschte dem scheidenden Kanzler alles Gute für die Zukunft, denn er habe zwar alle seine Wahlversprechen gebrochen und kein Fettnäpfchen ausgelassen, aber er sei in alle Richtungen gesprächsbereit gewesen, während der neue SPÖ-Vorsitzende eine Teflonpolitik betreibe und damit dafür sorgen werde, dass Österreich wieder einen schwarzen Kanzler haben werde.

Die ÖVP tue so, als ob jeder, der sein Knie nicht vor Brüssel beuge, ein Hochverräter sei. Doch in dieser Republik gehe das Recht nicht von der ÖVP, sondern vom Volk aus, es gehe um die Interessen Österreichs und nicht um jene Brüssels. Es sei daran zu erinnern, dass die ÖVP zum dritten Mal seit 1995 Neuwahlen vom Zaun breche. Mithin sei also die ÖVP der Instabilitätsfaktor in Österreich. Der Redner warnte die Grünen davor, mit der ÖVP koalieren zu wollen, sie wären sonst die nächsten, die von der ÖVP erdrückt würden.

Abgeordneter DOLINSCHEK (B) zeichnete ein düsteres Bild der aktuellen Lage und warf der Regierung vor, gegen die negativen Entwicklungen der letzten Zeit keine Maßnahmen ergriffen zu haben. Seine Partei trete für eine soziale Marktwirtschaft ein, in der das Soziale nicht vergessen werden dürfe. Die Abgehobenheit und die Arroganz der Brüsseler Spitzen dürften nicht länger hingenommen werden.

In Irland seien die Menschen aufgewacht, und so müsse man froh sein, dass es allmählich ein Umdenken in der Sozialdemokratie gebe. Europa dürfe nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsunion sein, es müsse vor allem ein bürgernahes und soziales Europa sein. Und dazu müssten die Bürger Europas auch in den zentralen Punkten der Politik befragt werden. (Schluss Aktuelle Stunde, Forts. NR)