Parlamentskorrespondenz Nr. 669 vom 10.07.2008

Justizministerin Maria Berger in der Fragestunde des Nationalrats

Die Themen: Opferschutz, Sexualstrafrecht, Tierschützer, Sachwalter

Wien (PK) – Von der Spannung zwischen den Rechten der Medien und den Schutzansprüchen der Opfer über das Sexualstrafrecht und die seit Mai inhaftierten TierschützerInnen bis zur Sachwalterschaft reichte der Bogen der Fragen, denen sich heute Justizministerin Maria Berger in der Fragestunde des Nationalrats gegenüber sah.

Abgeordneter Dr. JAROLIM (S): Welche weiteren Schritte erachten Sie nach der jüngsten parlamentarischen Enquete über "Medienrecht und Opferschutz" für erforderlich?

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Die vorgesehenen Entschädigungsbeträge hätten sich als nicht abschreckend erwiesen, leitete Justizministerin BERGER ihre Antwort ein. Zudem sei es notwendig, den Opfern mehr Möglichkeiten zu geben, ihre Ansprüche geltend zu machen, etwa durch eine Verdoppelung der Frist. Schließlich gehe es darum, betonte die Ministerin unter Bezugnahme auf den Fall. F., die Opfer an ihrem Aufenthaltsort besser zu schützen. Durch die Strafprozessreform sei der Opferschutz erweitert worden, und die Opfer machten davon stark Gebrauch.

Auf eine Zusatzfrage der Abgeordneten Dr. KARL (V) nach der Orientierung der Geldbußen am Umsatz in Gestalt eines Tagsatzsystems meinte die Ministerin, dies wäre möglicherweise wirksam, doch gäben die Unternehmen ihre Umsätze nicht gern bekannt. Jedenfalls brauche es ein klares Bußsystem.

B-Klubchef WESTENTHALER sprach das Amtsmissbrauchsdelikt der Weitergabe geheimer Akten an die Medien an und wollte wissen, was das Ministerium dagegen unternehme. Dieses Phänomen betreffe leider alle Behörden, die mit Ermittlungstätigkeit befasst seien, und in jedem konkreten Fall seien Ermittlungen eingeleitet worden, betonte die Justizministerin. Zusätzlich würden in ihrem Ressort Überlegungen bezüglich technischer Vorkehrungen angestellt.

Grundsätzlich positiv äußerte sich Berger zur Anregung des Abgeordneten Dr. ASPÖCK (F), Opfern Entschädigungen – analog zum Unterhalt - staatlich zu bevorschussen. Es gebe Verhandlungen in diese Richtung, doch brauche es für die Umsetzung auch die Zustimmung des Finanzministers.

Abgeordneter Mag. DONNERBAUER (V): Wann ist mit dem Ergebnis der mit Entschließung vom 22. März 2008 (13/E) verlangten Evaluierung der gerichtlichen Strafenpraxis im Bereich des Sexualstrafrechts zu rechnen?

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Sie habe in Erfüllung des Wunsches des Nationalrats Prof. Grafl vom Institut für Strafrecht und Kriminologie sehr zügig mit der Evaluierung beauftragt, sagte Ministerin Berger. Die Studie liege noch nicht in ihrer Gesamtfassung vor, sie habe aber eine Zusammenfassung der Ergebnisse erhalten und daraus gehe hervor, dass die Strafen – etwa im Vergleich zu Vermögensdelikten mit vergleichbarem Strafrahmen -  "durchaus strenger" seien und zusätzlich eine Tendenz zur Verschärfung zu beobachten sei. Berger sagte zu, die Studie dem Nationalrat zu übermitteln, sobald sie vorliege.

Abgeordneter WESTENTHALER (B) bemängelte, dass für das Quälen von Kindern mit Todesfolge eine Höchststrafe von 10 Jahren Haft vorgesehen sei. Die Justizministerin sah in diesem Zusammenhang den Sinn der genannten Studie auch in einem Nachdenken über den Strafrahmen, über Mindeststrafen, wo solche derzeit nicht vorgesehen seien, und über neue Strafen bei lang anhaltender Gewalt.

Auf der Grundlage der Studie würden ab Herbst in ihrem Ressort die legistischen Maßnahmen vorbereitet, sagte Berger auf eine Frage des Abgeordneten Dr. FICHTENBAUER (F). Sie verwies in diesem Zusammenhang auf das 2. Gewaltschutzgesetz, in dem eine erweiterte Anzeigepflicht vorgesehen sei.

Die Ministerin pflichtete Abgeordnetem Mag. STEINHAUSER (G) bei, dass höhere Strafen allein keine Sicherheit schafften, was die hohe Zahl von Ersttätern – oft aus dem sozialen Nahbereich der Opfer – zeige. Sie neige zu den Lösungsansätzen in Deutschland und in Großbritannien, wo potenziellen Tätern freiwillige Therapie angeboten werde. Außerdem gehe es um die Stärkung der Kinder in dem Sinn, dass Sie zum einen lernten, "Nein" zu sagen und sich zum andern Erwachsenen anvertrauen könnten.

Auf die Frage der Abgeordneten GROSSMANN (S), weshalb die Sexualstraftäter-Datei noch nicht umgesetzt sei, meinte Ministerin Berger, dies sei Teil eines Gesamtpakets. Der zum Justizministerium ressortierende Teil sei bereits in Begutachtung gewesen, die Stellungnahmen der Begutachter seien auch schon eingearbeitet; der noch ausstehende Teil ressortiere zum Innenministerium. Sie hoffe aber, das Paket im Sommer in den Ministerrat zu bringen.

Abgeordneter Mag. STEINHAUSER (G): Erachten Sie die Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft betreffend die 10 TierschützerInnen, die sich sei 21.Mai 2008 wegen § 278a StGB – Bildung einer kriminellen Organisation – in Untersuchungshaft befinden, für korrekt?

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Justizministerin Dr. Berger stellte vorweg klar, dass das Strafgesetz ohne Ansehen der Person anzuwenden sei, und erinnerte, die Justiz habe gerade in den letzten Tagen gezeigt, dass sie diesen Grundsatz sehr ernst nehme.

Zum laufenden von Steinhauser angesprochenen Verfahren wollte Berger nicht Stellung nehmen, es gelte, meinte sie, nun die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Wien abzuwarten. Den gegenständlichen Paragraphen sollte man sich genau anschauen, betonte die Justizministerin und fügte hinzu, sie könne sich etwa die Einführung eines Rechtfertigungsgrundes vorstellen, wenn es um höhere Rechtsgüter geht.

Dem Abgeordneten Dr. JAROLIM (S) gegenüber erinnerte Berger, dass der ursprüngliche Tatbestand aufgrund eines Initiativantrags des Parlaments geschaffen worden war. Es stehe nichts dagegen, noch einmal die Debatte aufzunehmen, meinte sie, gab jedoch zu bedenken, in Zeiten der organisierten Kriminalität brauche man Tatbestände wie diesen, um wirksam vorgehen zu können, eine Abschaffung des § 278a StGB komme für sie deshalb nicht in Frage.

Abgeordneter Dr. FICHTENBAUER (F): Warum haben Sie als Bundesministerin keine Schritte im Bereich des Sachwalterrechts ergriffen, um geeignete Regelungen umzusetzen, damit Angehörige, die häufig in besonderer Weise von Unzukömmlichkeiten, einerseits bei der Bestellung von Sachwaltern und andererseits bei der Führung der Sachwalterschaft, übel betroffen sind, unterstützt werden?

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Die Justizministerin betonte, die Änderung des Sachwalterrechtsgesetzes 2006 habe einige Möglichkeiten eröffnet, die Bestellung eines Sachwalters zu vermeiden und Angehörige mit den entsprechenden Sachwalterbefugnissen zu betrauen. Die Beziehungen zwischen Angehörigen und Sachwaltern seien aber mitunter äußerst problematisch, oft müssten die betreuten Personen durch ihre Sachwalter vor den Angehörigen geschützt werden, gab Berger zu bedenken.

Von der Abgeordneten HAIDLMAYR (G) in einer Zusatzfrage auf den bestehenden Engpass bei den Sachwaltern angesprochen, erklärte Berger, man versuche, diesem Problem durch die Vereine gegenzusteuern und setze insbesondere auch verstärkt auf Angehörige, die bereit sind, mit Unterstützung durch die Vereine wenigstens Teilaufgaben von Sachwaltern zu übernehmen.

Vereinfachungen des Verfahrens zum Austausch eines Sachwalters, wie sie vom Abgeordneten DOLINSCHEK (B) gefordert wurden, habe es bereits durch die Novelle 2006 gegeben, unterstrich Berger und wies auf die verstärkte Kontrolle der Sachwalter durch die Gerichte hin. Von den bestehenden Möglichkeiten werde aber noch zu wenig Gebrauch gemacht.

Zu den Gruppenklagen im Konsumentenschutzrecht – eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mag. MAIER (S) – teilte die Justizministerin mit, ein Gesetzesentwurf sei bereits in Begutachtung, es gebe aber noch einige offene Fragen, etwa die Mindestzahl von Anklägern. Hier fordere die ÖVP eine weitere Erhöhung, wodurch, wie Berger meinte, das Anwendungsgebiet der Gruppenklage allerdings eingeschränkt würde.

Abgeordneter Mag. DARMANN (B): Wie viele Häftlinge wurden bis heute seit dem 1. Jänner 2008 aufgrund der Neuerungen des Haftentlassungspakets 2007 nach nur teilweiser Verbüßung ihrer Haftstrafe vorzeitig aus der Haft entlassen?

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Die Justizministerin betonte grundsätzlich, das Haftentlastungspaket sehe eine Vielfalt von Maßnahmen vor, die dazu dienen sollen, die Sicherheit zu erhöhen. So sei die Gefährlichkeitsprognose verbessert worden, was insbesondere auch für Sexualstraftäter gelte. Auch habe man die Probezeit verlängert. Niemand werde bedingt entlassen, der ein Risiko für die Bevölkerung darstellen würde, versicherte Berger.

Konkrete Zahlen über die Auswirkungen des Pakets seien aber noch nicht besonders aussagekräftig, meinte Berger unter Hinweis auf den kurzen Beobachtungszeitraum. Wichtig sei aber, dass die Qualität der Betreuung im Strafvollzug wieder stimmt und dass die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter menschenwürdig werden, betonte sie auf eine Zusatzfrage des Abgeordneten PENDL (S).

Was die von Abgeordnetem Dr. HAIMBUCHNER (F) angesprochene Verpflichtung ausländischer Haftentlassener zur Ausreise betrifft, teilte Berger mit, die Ausreise werde dadurch sichergestellt, dass der Entlassene von der Justizwache bis zur Grenze begleitet wird. Es habe bisher diesbezüglich noch kein einziges Problem gegeben.

Im übrigen teilte Berger die Einschätzung des Abgeordneten GLASER (V) hinsichtlich der rückfallpräventiven Wirkung der neuen Regelung. Eine schrittweise Überführung in die Freiheit bei gleichzeitiger Unterstützung in praktischen Fragen erleichtere die Resozialisierung und diene der Sicherheit, sagte sie. (Schluss Fragestunde/Forts. NR)