Parlamentskorrespondenz Nr. 716 vom 07.08.2008

Volksanwaltschaft: 15.204 Beschwerden im Jahr 2007

6.092 Prüfungsverfahren eingeleitet

Wien (PK) – Im vergangenen Jahr wandten sich insgesamt 15.204 Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Anliegen an den Volksanwaltschaft. 6.092 Prüfungsverfahren wurden eingeleitet, 3.821 davon die Bundesverwaltung betreffend. Dazu kommen in 61 Fällen so genannte amtswegige Prüfungsverfahren. Das geht aus dem jüngsten Bericht der Volksanwaltschaft hervor, der vor kurzem dem Parlament übermittelt wurde (III-146 d.B.).

Die Palette der Beschwerden ist breit und betrifft beinahe jeden Verwaltungsbereich. Sie reicht beispielsweise von unverständlichen Pflegegeldeinstufungen über verschwundene Anträge bei Behörden und als unnötig empfundene Coachingmaßnahmen für Arbeitslose bis hin zu Problemen mit Reisepässen bei USA-Reisen und der nachträglichen Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Auch allzu große Nachsicht von Behörden gegen Gewerbebetriebe, die gegen Auflagen verstoßen, und die übermäßig lange Dauer von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren werden immer wieder moniert.

Es ist jedoch nicht immer die Verwaltung, die nach Meinung der Volksanwaltschaft für berechtigten Unmut bei Bürgerinnen und Bürgern sorgt. Oftmals stellt sich im Laufe von Prüfungsverfahren heraus, dass die Behörden korrekt gehandelt haben, die gesetzlichen Bestimmungen jedoch adaptierungsbedürftig sind. In solchen Fällen sprechen die drei VolksanwältInnen legislative Empfehlungen an den Nationalrat aus.

Dass die Differenz zwischen Beschwerdefällen und eingeleiteten Prüfungsverfahren relativ groß ist, ergibt sich daraus, dass an die Volksanwaltschaft häufig auch Beschwerden herangetragen werden, für die sie nicht zuständig ist, etwa familienrechtliche Probleme zwischen Privatpersonen. So betrafen von den 15.204 Beschwerden lediglich 9.820 den Bereich der öffentlichen Verwaltung und damit den Kompetenzbereich der Volksanwaltschaft. In 3.728 dieser Fälle konnte kein Prüfungsverfahren eingeleitet werden, weil die behördlichen Verfahren noch im Laufen waren oder den Beschwerdeführern noch ein Rechtsmittel offen stand. Statistisch betrachtet richten sich die meisten Beschwerden gegen das Sozialministerium und das Justizministerium, in der Bundesländerreihung liegt Wien weiter an der Spitze.

785 berechtigte Beschwerden und 11 formelle Missstandsfeststellungen

Abschließen konnte die Volksanwaltschaft im Berichtsjahr 2007 6.691 Prüfungsverfahren, wobei es in 11 besonders schwer wiegenden Fällen kollegialer Missstandsfeststellungen und Empfehlungen bedurfte. Vier dieser Fälle bezogen sich auf die Bundesverwaltung. Daneben wurde weiteren 785 Beschwerden die Berechtigung zuerkannt. In einem Fall entschloss sich die Volksanwaltschaft dazu, eine Verordnung beim Verfassungsgerichtshof anzufechten. Anlass dafür war einmal mehr der Ortstafel-Konflikt.

Die Empfehlungen und Missstandsfeststellungen im Bundesbereich betrafen Versäumnisse des Innenministers im Bereich des Passwesens, die nachlässige Verfolgung von diskriminierenden Stellen- und Wohnungsanzeigen durch die zuständigen Behörden, die mangelnde Förderung legasthenischer Kinder an Schulen und die nicht durchgängige Verwendung diakritischer Zeichen bei der Namensschreibung durch Behörden.

In immerhin 3.333 Fällen sahen die drei VolksanwältInnen keinen Anlass für eine Beanstandung. Die übrigen im Jahr 2007 erledigten Beschwerden wurden entweder zurückgezogen (494), erwiesen sich bei genauerer Prüfung als unzulässig (933) bzw. als nicht in die Kompetenz der Volksanwaltschaft fallend (1.045) oder waren zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung nicht geeignet (89).

Konkrete Beschwerden, Missstände und Empfehlungen

Der größte Teil des fast 500 Seiten starken Berichts der Volksanwaltschaft umfasst die Darstellung konkreter Beschwerdefälle. Grundrechtsrelevante Fälle wie Diskriminierungen von Minderheiten, behinderten Menschen und Frauen, unverhältnismäßig lange Verfahren oder Verletzungen des Datenschutzes werden dabei in einem eigenen Berichtsteil besonders hervorgehoben.

Unter anderem berichtet die Volksanwaltschaft etwa von einem Fall, in der ein 14-jähriger Österreicher gleichsam über Nacht zu einem Fremden wurde. Sein österreichischer Vater hatte nach der Ehescheidung von seiner philippinischen Frau erfolgreich die Vaterschaft des 14-Jährigen bestritten, dieser verlor daraufhin rückwirkend mit Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft. Eine Neuverleihung ist teuer und langwierig und, wie die Volksanwaltschaft schreibt, angesichts des verschärften Staatsbürgerschaftsrechts vielleicht gar nicht möglich.

In einem anderen Fall musste eine fünfköpfige Familie eine USA-Reise stornieren, weil die Mutter und eines der Kinder bereits am österreichischen Flughafen zurückgewiesen wurden. Die beiden waren im Besitz eines Reisepasses, der zwischen dem 26. Oktober 2005 und dem 15. Juni 2006 ausgestellt wurde, und hätten daher – im Gegensatz zum Rest der Familie – ein Visum für die USA beantragen müssen. Weder für neuere Pässe (enthalten biometrische Daten) noch für ältere (für sie gelten Übergangsbestimmungen) ist dies erforderlich.

Verantwortlich für den Missstand ist nach Meinung der Volksanwaltschaft eindeutig das Innenministerium, da es im Hinblick auf die Einführung "biometrietauglicher" Pässe säumig gewesen sei. Den US-Behörden kann ihr zufolge hingegen kein Vorwurf gemacht werden, sie haben die österreichischen Behörden zeitgerecht informiert. Der Empfehlung der Volksanwaltschaft, alle betroffenen Passinhaber – nach Angaben des Innenministeriums ca. 200.000 Personen – über die Sachlage zu informieren und einen kostenlosen Austausch der Reisepässe anzubieten, kam der Innenminister in beiden Punkten nicht nach.

Starker Anstieg der Beschwerden im Bereich des Fremdenrechts

Insgesamt wurden aus dem Arbeitsbereich des Innenministeriums dem Bericht zufolge 481 Beschwerdefälle an die Volksanwaltschaft herangetragen, wobei Volksanwältin Terezija Stoisits einen ungewöhnlich starker Anstieg bei fremdenrechtlichen Beschwerden verzeichnet. Allein 194 Fälle betrafen diesen Bereich. Stoisits führt das nicht zuletzt auf die Umsetzung der neuen gesetzlichen Bestimmungen zurück.

Besonders große Probleme verursachen etwa die erforderliche Beantragung von Aufenthaltstiteln im Ausland, die auch für EhepartnerInnen österreichischer StaatsbürgerInnen gilt, sowie die strikten Vorgaben bei der Beurteilung, ob für einen Aufenthaltstitel ausreichende Unterhaltsmittel vorliegen. Mehrere Beschwerdeführer sind an dieser Hürde knapp gescheitert, skizziert der Bericht, den Behörden fehlt jedoch jeglicher Spielraum. Ähnliches gilt für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, für den zum Beispiel ein kurzfristiger Sozialhilfebezug nunmehr zum Stolperstein werden kann. Auch das fehlende Antragsrecht für humanitäre Aufenthaltstitel wird von der Volksanwaltschaft als unbefriedigend erachtet.

Verpflegung von Zivildienern: Harsche Kritik an Vorgangsweise

Harsche Kritik übt die Volksanwaltschaft in Zusammenhang mit der in Folge eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs notwendig gewordenen Nachzahlung von Verpflegungskosten an ehemalige Zivildiener. "Trotz bereits im Jahr 2001 erkennbarer Schwierigkeiten haben es weder der Gesetzgeber noch der Innenminister über einen Zeitraum von mehreren Jahren geschafft, eine vergleichsweise simple rechtliche Situation ordentlich zu regeln", halten die drei VolksanwältInnen fest. Ihrer Meinung nach steht der Gesamtaufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ergebnis – eine sofortige Finanzierung aller geltend gemachten Ansprüche hätte kaum mehr Kosten, dafür aber "weniger Ärger mit der Rechtsstaatlichkeit" gebracht. Laut einer parlamentarischen Anfrage haben mehr als 30.000 ehemalige Zivildiener Nachzahlungen erhalten, in rund 1.000 Fällen musste sich das Innenministerium mit Berufungen befassen.

Alte Problemfelder: Hubschraubertransporte, Unterhalt, Gewerberecht

Auch viele bereits in früheren Berichten der Volksanwaltschaft aufgezeigte Problemfelder tauchen im aktuellen Bericht wieder auf. So wurde die Volksanwaltschaft etwa auch 2007 wieder mit zahlreichen Beschwerden über teure Rettungshubschraubertransporte nach Schiunfällen, Problemen bei der Durchsetzung von Unterhalt und Unterhaltsvorschuss und der Benachteiligung von Familien mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft konfrontiert.

Gleiches gilt für behördliche "Hürdenläufe", die behinderte Menschen bzw. ihre Angehörigen bewältigen müssen, um Zuschüsse zu behinderungsbedingten Anschaffungen zu bekommen. Die Volksanwaltschaft fordert daher nach wie vor eine zentrale Anlaufstelle für die Anliegen von behinderten Menschen, wie es sie etwa im Bereich des Gewerberechts bereits gibt. Ebenso bleibt die Forderung der Volksanwaltschaft nach sichereren Hausbrieffachanlagen und ihre Kritik am Ausbau des vereinfachten Betriebsanlagenrechts aufrecht.

Was den letzten Punkt betrifft, merkt Volksanwältin Terezija Stoisits an, dass die unzureichende Berücksichtigung des Nachbarschaftsschutzes bei Erstgenehmigungen von Betriebsanlagen häufig zeit- und kostenaufwändige Folgeverfahren nach sich zieht, die auch das Unternehmen selbst massiv belasten können. "Ein umsichtiges Ermittlungsverfahren" bei der Erledigung eines Ansuchens um Betriebsanlagengenehmigung erspare der Behörde, dem Unternehmen und den NachbarInnen ein für alle Seiten aufwändiges Sanierungsverfahren, heißt es im Bericht unter Verweis auf mehrere konkrete Fälle.

"Dauerbrenner" lange Gerichtsverfahren

Ein "Dauerbrenner" bei der Volksanwaltschaft ist auch die Dauer mancher Gerichtsverfahren. Nicht immer ist dafür die Überlastung des Gerichtspersonals und der beauftragten Sachverständigen verantwortlich, manchmal bleibt ein Akt, wie der Bericht festhält, auch ohne nachvollziehbaren Grund längere Zeit liegen oder landet versehentlich in der Aktenablage. Überdies nutzen die Gerichte die Möglichkeiten, die sie bei Säumigkeit von Gutachtern haben, oft nicht aus. Im Bericht dokumentiert ist etwa ein Fall, bei dem erst nach sieben Jahren über einen Antrag auf Unterhaltserhöhung entschieden wurde.

In den Justizbereich fallen aber etwa auch die Beschwerde eines Bürgers, der aufgrund der ungeprüften Übermittlung einer fehlerhaften IP-Adresse zu Unrecht wegen Betrugs angeklagt wurde, sowie die Beschwerde eines Grazers, der wegen einer Namensverwechslung mit zwei Exekutionsverfahren konfrontiert war. Berechtigte Beschwerden von Strafgefangenen betrafen etwa die irrtümliche Verabreichung des Suchtmittelersatzstoffes Methadon und das unberechtigte Öffnen von Briefen.

Führerscheinentzug wegen Einnahme eines Hustenmittels

Aus dem Verkehrsbereich ist ein Fall dokumentiert, bei dem einem Autofahrer wegen vermeintlichen Drogenkonsums der Führerschein entzogen wurde. Gleichzeitig erhielt er eine Strafvorschreibung in der Höhe von 600 €, noch bevor das Ergebnis des Harnprobe-Schnelltests durch eine Auswertung des Blutbilds überprüft wurde. Tatsächlich hatte der Autofahrer den Hustensaft "Paracodein" eingenommen.

Mangelernährung in Krankenhäusern

Im Gesundheitsbereich mahnt die Volksanwaltschaft aufgrund immer wieder auftretender Fälle von Mangelernährung in Krankenhäusern ein umfassendes Konzept zur Erhebung des Status quo und eine Aufwertung der Ernährungstherapie ein. Außerdem fordert sie klare Regelungen hinsichtlich der Leistungsverpflichtung der Krankenversicherungsträger für Ernährungsprodukte im Interessen der betroffenen PatientInnen. Große Versorgungslücken sieht die Volksanwaltschaft auch bei der psychotherapeutischen Behandlung.

Pensionsbescheide: Volksanwaltschaft mahnt Erläuterungen ein

Dringenden Handlungsbedarf sieht die Volksanwaltschaft bei der Erläuterung von Pensionsbescheiden. Ihrer Meinung nach stellt es Willkür dar, dass bei der Pensionszuerkennung nicht automatisch auch die Berechnung der Pensionsbemessung in einfacher, zusammenfassender Form zur Kenntnis gebracht wird. Wenn lediglich auf besonderen Wunsch und nur bei persönlichen Vorsprachen die Pensionsberechnungsdaten herausgegeben werden, sei das Rechtschutzinteresse der Parteien nicht ausreichend gewahrt, betonen die VolksanwältInnen.

Gleichfalls als reformbedürftig wertet die Volksanwaltschaft das geltende System der Stellungspflicht. Schwer behinderte Menschen, die keinesfalls für den Wehrdienst tauglich sind, sollen in Zukunft keine Vorladung zur Stellung erhalten, verlangt sie mit Hinweis auf einen konkreten Beschwerdefall, bei der das Militärkommando Niederösterreich trotz Vorlage des Behindertenausweises und Pflegegeldeinstufung 7 ärztliche Atteste vom Betroffenen eingefordert hat.

Anhand eines weiteren konkreten Falles, bei dem es um eine missbräuchliche Adoptionsvermittlung eines Kindes aus Äthiopien ging, zeigt die Volksanwaltschaft bestehende Probleme und Sicherheitslücken im Bereich der Adoption von Kindern aus der Dritten Welt auf.

Rückgang der Beschwerden über AMS und über Führerscheinbefristungen

Gebessert hat sich die Situation hingegen im Bereich des Arbeitsmarktservice, auch wenn es immer noch zahlreiche Beschwerden über als unnotwendig empfundene Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitsuchende gibt und die Volksanwaltschaft weiter darauf drängt, diese möglichst genau auf die einzelnen Zielgruppen zuzuschneiden. So ist das AMS etwa – in Entsprechung einer VwGH-Judikatur – davon abgegangen, Sanktionen gegenüber arbeitslosen Menschen zu verhängen, die eine Teilnahme an gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten oder sozialökonomischen Betrieben verweigern. Ausdrücklich hebt Volksanwalt Peter Kostelka auch die gute Kooperation der Volksanwaltschaft mit dem AMS hervor, die nicht zuletzt dazu führt, dass der Beschwerdegrund bei Beschwerden, die sich als berechtigt erweisen, regelmäßig behoben wird.

Als wesentlich herausgestellt hat es sich der Volksanwaltschaft zufolge, den Betroffenen den Sinn von Berufsorientierungs- und Aktivierungsmaßnahmen genau zu erklären. Außerdem spricht sie sich dafür aus, bei der Ausschreibung von Schulungen die Qualifizierung der zum Einsatz kommenden TrainerInnen im Vergleich zum Preis stärker zu gewichten. Immer wieder stünden TrainerInnen selbst nur in prekären Beschäftigungsverhältnissen, bringt die Volksanwaltschaft vor, zudem kämen vielfach nur unerfahrene BerufseinsteigerInnen zum Einsatz.

Zurückgegangen sind auch die Beschwerden über ungerechtfertigte Führerscheinbefristungen. Ebenso konnte über die Errichtung von Lärmschutzmaßnahmen beim Autobahnknoten Steinhäusl eine erste Einigung erzielt werden.

Solidarfonds zur Patienten-Entschädigung: Lösung zeichnet sich ab

Ein Lösung zeichnet sich laut Bericht in Bezug auf den bei der Ärztekammer eingerichteten Solidarfonds zur Entschädigung von PatientInnen ab, die aufgrund des schuldhaften Handelns freiberuflich tätiger Ärzte Schäden erlitten haben. Nach einem entsprechenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom Oktober 2007 hat die Ärztekammer der Volksanwaltschaft zufolge Bereitschaft signalisiert, die restriktiven Satzungsbestimmungen zu überarbeiten. Gleichzeitig haben jene fünf Beschwerdeführerinnen, die durch rechtswidriges Verhalten eines Kärntner Gynäkologen schwere Gesundheitsschädigungen erlitten haben, – vier Jahre nach dem rechtskräftigen Urteil gegen den Mediziner – je 7.500 € aus dem Solidarfonds erhalten.

Immissionsschutzgesetz-Luft: Rückerstattung von Strafgeldern

Im Vollzugsbereich des "Lebensministeriums" konnte die Volksanwaltschaft unter anderem erreichen, dass eine Autofahrerin eine bereits bezahlte Strafe zurückerhielt, weil das nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft in Teilen der Steiermark verfügte Tempo-Limit ungenügend gekennzeichnet und daher nicht erkennbar war. Auch anderen AutofahrerInnen wurden die Strafgelder in Folge von zwei Entscheidungen des Unabhängigen Verwaltungssenats zurückerstattet. Die meisten Beschwerden im Bereich des Lebensministeriums betrafen wasserrechtliche Bestimmungen (132), 10 Beschwerden wurden in Zusammenhang mit Agrarförderungen eingebracht. 9 Beschwerden betrafen den Bereich Forstrecht und 27 den Bereich Umwelt.

Kindergeld: Problem der Rückforderung nicht vollends gelöst

Noch nicht vollends gelöst sieht die Volksanwaltschaft das Problem der Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld. Zwar gebe es mittlerweile Richtlinien in Bezug auf eine bundesweit einheitliche Vorgangsweise bei bestimmten Härtefällen, nach wie vor müssten Familien, denen nicht bewusst gewesen sei, dass sie die Zuverdienstgrenze überschreiten, aber mit Rückforderungen rechnen, heißt es im Bericht. So führt die Volksanwaltschaft etwa zwei konkrete Fälle an, in denen das Kinderbetreuungsgeld zurückgefordert wurde, obwohl die Mütter im Bezugszeitraum keiner Erwerbstätigkeit nachgingen. Sie haben lediglich von ihrem jeweiligen Dienstgeber das Urlaubsentgelt für offenen Resturlaub ausbezahlt bekommen, weil dieser nicht wollte, dass sie mit Anspruch auf Resturlaub aus der Karenzzeit zurückkehren. Von der Volksanwaltschaft gefordert wird auch die Ausklammerung der Witwen- bzw. Witwerpension aus der Zuverdienstgrenze beim Kinderbetreuungsgeld.

Weitere konkrete Problemfelder

Weitere konkrete Problemfelder betreffen etwa die Verschlechterung von Schulbusverbindungen im ländlichen Raum, die Frage der Kostentragung für das Aufspüren von Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg, Studienverzögerungen beim Medizinstudium durch teilnehmerbeschränkte Lehrveranstaltungen vor allem an der Medizinischen Universität Wien sowie Qualitätsmängel im ÖBB-Personenverkehr (z.B. mangelnde Informationen über Zugverspätungen, überfüllte Züge etc.).

Außerdem spricht die Volksanwaltschaft Medienberichte über grobe Mängel in der Verwaltung bei der Vernichtung von Festplatten an. Die VolksanwältInnen richten an die Ministerien den dringenden Appell, dafür zu sorgen, dass sensible Daten auf ausgemusterten Festplatten nicht in die Hände Unbefugter gelangen. Die im Juni 2007 vorgelegte Bundesrichtlinie zur Datensicherung vor der Entsorgung oder Weitergabe von EDV-Datenträgern, wird von ihr begrüßt.

Was die beispiellose Serie von tödlichen Unfällen an unbeschrankten Bahnübergängen im Jahr 2007 betrifft, hoffen die VolksanwältInnen, dass mit bereits gesetzten und eingeleiteten Maßnahmen eine deutliche Verringerung der Unfallzahlen erreicht werden kann.

Reformbaustelle Pflegegeld

Wie die vergangenen Berichte enthält auch der 31. Bericht der Volksanwaltschaft eine ganze Reihe legislativer Anregungen. So sehen die drei VolksanwältInnen etwa dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf die Pflegegeld-Einstufung behinderter Kinder. Da der normale Betreuungsaufwand für gleichaltrige Kinder in Abzug gebracht wird, kommt in der Praxis auch bei schwerst behinderten Kindern in den seltensten Fällen eine höhere Pflegegeldstufe zur Anwendung, veranschaulicht der Bericht.

Allerdings nimmt die Volksanwaltschaft in diesem Zusammenhang auch die für die Pflegegeldgewährung zuständigen Stellen und die begutachtenden ÄrztInnen in die Pflicht, die ihrer Meinung nach die geltenden rechtlichen Bestimmungen und die Judikatur oft unrichtig auslegen und die komplexen Bedingungen der Pflege eines schwer kranken Kindes unterschätzen. So verweist sie auf den Fall eines zweieinhalbjährigen Buben, der von Geburt an am ganzen Körper spastisch gelähmt und praktisch bewegungsunfähig ist, regelmäßig umgelagert werden muss, an einer Schluck- und Kaustörung leidet, nicht sprechen kann und nahezu taub ist, jedoch nur Pflegegeld der Stufe 2 bezieht.

Bei der Pflegegeldeinstufung benachteiligt werden nach Meinung der Volksanwaltschaft aber auch psychisch behinderte Personen. Diese müssten oft rund um die Uhr betreut werden, um eine Eigen- oder Fremdgefährdung zu verhindern, wird zu bedenken gegeben.

Überhaupt ist es für die Volksanwaltschaft unverständlich, dass Untersuchungen zur Erhebung des Pflegebedarfs oft nur wenige Minuten dauern. Sie mahnt deshalb generell die Vorgabe und die Einhaltung von Qualitätsstandards und eine bessere Information der medizinischen Sachverständigen ein. Einer Untersuchung des Rechnungshofs zufolge hat etwa die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft im Jahr 2005 von 535 Klagsverfahren in Pflegegeldangelegenheiten nur 36 % für sich entschieden; häufig wurde die unzureichende Qualität der ärztlichen Begutachtungen beanstandet. Auch für das oft lange Warten auf Pflegegeld und für die unzureichende Begründung von Pflegegeldbescheiden hat die Volksanwaltschaft kein Verständnis.

Sozialversicherung: VA mahnt Lockerung des Antragsprinzips ein

Im Bereich der Sozialversicherung spricht sich die Volksanwaltschaft für eine Lockerung des strengen Antragsprinzips aus. Dieses Prinzip benachteiligt vor allem jene Menschen, die aus Unkenntnis der Rechtslage ihre Ansprüche gegenüber einem Sozialversicherungsträger erst verspätet geltend machen, heißt es im Bericht. Obwohl die Voraussetzungen für die Leistungszuerkennung auch schon vor Antragstellung vorlagen, können Leistungen nicht rückwirkend ausbezahlt werden.

Hinsichtlich der Gewährung von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe urgieren die VolksanwältInnen ein Einschleif- bzw. Anrechnungsmodell. Damit soll verhindert werden, dass bereits bei einer minimalen Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze das gesamte Arbeitslosengeld gestrichen wird. Beschäftigungsverhältnisse auf Teilzeitbasis seien oftmals ein Sprungbrett für eine reguläre Vollzeitbeschäftigung, argumentieren die VolksanwältInnen, oftmals könne damit aber kein zur Bestreitung des Lebensunterhalts ausreichendes Einkommen erzielt werden.

Weitere legislative Anregungen

Eine gesetzliche Klarstellung mahnt die Volksanwaltschaft auch in Bezug auf die Rundfunkgebühr ein. Sie zieht die Rechtsmeinung der GIS in Zweifel, wonach die Rundfunkgebühr auch dann fällig ist, wenn mangels Anschaffung einer DVB-T-Box die ORF-Programme nicht empfangen werden können. Die geltende Rechtslage sei aber nicht eindeutig, halten die VolksanwältInnen fest, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Verfassungs- bzw. der Verwaltungsgerichtshof in konkreten Beschwerdefällen zu einer eine Zahlungspflicht bejahenden Rechtsauffassung gelangen. Auch in Bezug auf die Ausweitung des ORF-Angebots für gehörlose und hörbehinderte Menschen ist nach Meinung der Volksanwaltschaft noch viel zu tun.

Zu den legislativen Anregungen der Volksanwaltschaft gehören weiters die Gewährung der Familienbeihilfe an Präsenz- und Zivildiener, die Valorisierung des Pflegegelds, die Schaffung eines bundeseinheitlichen Modells zur Anstellung von Pflegeltern, ein besserer Schutz für von Gästelärm betroffene Anrainer im Gewerberecht, die Einführung einer Art Grundsicherung für Minderjährige, die Erweiterung der Berufskrankheiten-Liste um berufsbedingte Wirbelsäulenschäden und Krankheiten pschyosozialer Natur und eine Liberalisierung des Schulsprengelsystems. Aber auch verbesserte Zugangsmöglichkeiten zur Invaliditäts- bzw. Erwerbsunfähigkeitspension für Personen, die für die Pensionsanerkennung "zu gesund", aber für den Arbeitsmarkt als nicht mehr ausreichend leistungsfähig angesehen werden, die Schaffung von Anrainerrechten bei der Errichtung von Handymasten, eine Kostenreduktion für befristete Lenkberechtigungen behinderter Kfz-Lenker, eine verpflichtende Mindesthöhe für das Anbringen von Verkehrszeichen im Bereich von Gehwegen zur Vermeidung von Verletzungen sehbehinderter und blinder Personen, die rückwirkende Zuerkennung von Unfallrenten, eine Ausweitung des Leistungsbereichs des Hepatitis-C-Fonds, die Anpassung der Topographieverordnung für Kärnten an die Judikatur des VfGH, ein generelles Ausstellungsverbot für Singvögel und Schritte zur Vermeidung der Doppelverrechnung des Spitalkostenbeitrags bei Überstellung in ein anderes Krankenhaus werden moniert.

Außerdem drängt die Volksanwaltschaft in Anlehnung an eine Forderung des Rechnungshofs darauf, Richtlinien zur Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien auszuarbeiten, um unzulässige Eigenwerbung hintanzuhalten. Auch die Bestimmung, wonach die ärztliche Berufsausübung in Österreich an den Besitz der Staatsbürgerschaft eines EWR-Landes bzw. der Schweiz gebunden ist, soll ihr zufolge fallen.

Es sei nicht nachvollziehbar, dass Menschen, die ihr Medizinstudium in Österreich absolvieren und hier beruflich tätig sein wollen, ein Turnusplatz verwehrt wird, halten die VolksanwältInnen fest und verweisen auf den Fall eines Absolventen des Medizinstudiums aus dem ehemaligen Jugoslawien, der seit seiner Kindheit in Österreich lebt und trotz einer unbeschränkten Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung nun seine ärztliche Ausbildung nicht fortsetzen kann.

Grundrechtsteil: Recht auf korrekte Schreibweise des Namens

Im Grundrechtsteil des Berichts geht die Volksanwaltschaft unter anderem auf die EDV-technisch nicht immer mögliche zeichengetreue Wiedergabe des Familiennamens ein. Sie macht geltend, dass diakritische Zeichen volle orthographische Bedeutung haben, und zieht aus verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen den Schluss, dass die korrekte Schreibweise des Namens verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Ihr zufolge ist es daher als Missstand zu qualifizieren, wenn es ein Behörde unterlässt, die eingesetzte Soft- bzw. Hardware zu adaptieren. Das Bundeskanzleramt bzw. das Finanzministerium haben laut Bericht zugesagt, den Elektronischen Akt (ELAK) sowie sämtliche IT-Verfahren der Finanzverwaltung Schritt für Schritt entsprechend zu modifizieren.

Ebenfalls als grundrechtsrelevanten Missstand der Verwaltung wertet die Volksanwaltschaft, dass die Behörden bei der Anwendung des Diskriminierungsverbots gemäß EGVG (Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen) völlig uneinheitlich vorgehen. Verletzungen des Diskriminierungsverbots werden von den Behörden häufig als Bagatelldelikte gesehen und dementsprechend nicht ausreichend verfolgt, kritisiert der Bericht. So wurde etwa die Verteidigung eines Gasthausbesitzers, dass er deshalb an Schwarze keine Speisen und Getränke ausschenke, weil es im Grätzel ein massives Drogenproblem gebe, als "glaubhaft und entschuldbar" beurteilt. Auch diskriminierenden Wohnungs- und Stelleninseraten wird oft nur unzureichend oder gar nicht nachgegangen. Die Volksanwaltschaft empfiehlt der Bundesregierung deshalb, für eine wirksame und bundesweit einheitliche Vollziehung des Diskriminierungsverbots Rechnung zu tragen, wobei ihr zufolge bereits erste entsprechende Maßnahmen gesetzt wurden.

Ausdrücklich aufmerksam macht die Volksanwaltschaft auch darauf, dass es gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Gleichbehandlungsgesetz verstößt, wenn Stellenbewerberinnen nur deshalb eine Stelle nicht bekommen, weil sie ein Kopftuch tragen.

In eigener Sache verweist die Volksanwaltschaft auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH), wonach das Beschwerderecht an die Volksanwaltschaft nicht durch die Amtsverschwiegenheit eingeschränkt ist. Ein Bediensteter des Verteidigungsministeriums war – nach Meinung des VwGH widerrechtlich – disziplinarrechtlich belangt worden, weil er einer persönlichen Beschwerde bei der Volksanwaltschaft wegen "Mobbing" an seiner Dienststelle als Beleg auch Unterlagen angeschlossen hatte, die den Vermerk "geheim" trugen.

198 Sprechtage, kostenlose Servicenummer

Die Volksanwaltschaft hält regelmäßig Sprechtage ab – 2007 waren es 198 – und bietet via Internet (www.volksanwaltschaft.gv.at) ein Online-Beschwerdeformular an. Für Rat- und Hilfesuchende stehen außerdem täglich zwischen 8 Uhr und 16 Uhr ein telefonischer Auskunftsdienst (Tel. 01/51505-100) bzw. eine kostenlose Service-Nummer (0800/223 223) zur Verfügung.

Bedauern äußert die Volksanwaltschaft darüber, dass der ORF die Sendereihe "Volksanwalt – Gleiches Recht für alle" neu konzipiert hat. Der neue Sendungstitel - "Bürgeranwalt" - und die inhaltliche Erweiterung der Sendung haben nach Meinung der drei VolksanwältInnen die Außenwahrnehmung der Volksanwaltschaft beeinträchtigt. Auch die Zuschauerzahlen sind zurückgegangen: von durchschnittlich 405.000 im Jahr 2006 auf durchschnittlich 344.000.

Im internationalen Bereich ist die Bewerbung der Volksanwaltschaft um den Sitz des Generalsekretariats des Internationalen Ombudsmann-Instituts (I.O.I.)hervorzuheben, die auch vom Nationalrat unterstützt wird. Das I.O.I. ist der Dachverband von rund 130 nationalen und regionalen Ombudsstellen.

Für den Bericht 2007 zeichnet – neben Volksanwalt Peter Kostelka und Volksanwältin Terezija Stoisits – noch die nunmehrige Innenministerin Maria Fekter verantwortlich; sie wurde mittlerweile von Gertrude Brinek als Volksanwältin abgelöst.

Da der Bericht in der XXIII. GP vom Nationalrat nicht mehr behandelt werden konnte, wurde er in der XXIV. Gesetzgebungsperiode mit der Nummer III-7 d.B. erneut eingebracht. (Schluss)