Parlamentskorrespondenz Nr. 930 vom 10.12.2008

Österreichische und europäische Wege zur Bewältigung der Krise

Aktuelle Stunde im Nationalrat

Wien (PK) – Ganz im Zeichen der Wirtschaftskrise, und zwar mit Blick auf die aktuelle Tagung des Europäischen Rats, stand heute im Nationalrat die Aktuelle Stunde. Die SPÖ hatte dafür das Thema "Finanzkrise, Konjunkturentwicklung, Energie- und Klimapolitik in der EU – die Position der österreichischen Bundesregierung" ausgewählt. SPÖ-Klubobmann Dr. CAP sah in der Krise eine große Herausforderung für die EU, und gerade in der Krise stelle sich die Sinnhaftigkeit der Union heraus. Cap wandte sich entschieden dagegen, Ökonomie und Ökologie gegen einander auszuspielen. Der Staat müsse wieder eine aktivere Rolle übernehmen, innerhalb der EU sei eine koordinierte Vorgangsweise entscheidend. Österreich habe bezüglich der Maßnahmen zur Abwendung der Krise eine Vorreiterrolle übernommen und – nach Aussagen von Wirtschaftsforschern – nach Spanien das zweitstärkste Konjunkturpaket auf die Beine gestellt. Ohne gemeinsames und wirksames Vorgehen der Regierungen drohe eine Vertrauenskrise, die die EU, die Regierungen und die Politik insgesamt betreffe, führte Cap aus. In der Klimadiskussion gehe es auch darum, eine Renaissance der Atomenergie zu verhindern.

Bundeskanzler FAYMANN wandte sich sowohl gegen ein Schönreden der Krise als auch gegen ein Herbeireden der Katastrophe. Die erforderliche Zuversicht werde aber nur wirksam, wenn auch die Politik handle, daher seien Maßnahmen ein Gebot der Stunde. Faymann zeigte sich stolz, dass Maßnahmen wie das Bankenpaket vom Parlament einstimmig beschlossen worden seien. In der EU gebe es allerdings auch die Auffassung, in der Krise eher abzuwarten; Österreich wolle hingegen, wie ein guter Arzt, präventiv wirken, betonte der Bundeskanzler. Österreich sei im eigenen Land "gut aufgestellt" und werde auch einen Beitrag in ganz Europa einfordern.

Zum Thema Klimaschutz erinnerte Bundeskanzler Faymann daran, dass Österreich infolge seines hohen Niveaus einen besonderen Beitrag leisten müsse und ein engagiertes Ziel verfolge. Dies könne aber nicht auf Kosten der Wirtschaft, sondern müsse gemeinsam mit ihr erreicht werden. Arbeitsmarktpolitik und Umweltpolitik dürften kein Widerspruch sein; es gelte, die Klimaziele zu erreichen, aber auch die Industrie zu schützen, damit es nicht zu einem Wettbewerb komme, der zur Verlagerung von Standorten und zum Verlust von Arbeitsplätzen führt.

Zum Thema Irland und Referendum über den Vertrag von Lissabon stellte Faymann fest, man müsse Respekt vor der Entscheidung beim irischen Referendum haben. Es sei aber auch die Diskussion über eine mögliche zweite Volksabstimmung zu respektieren.

Die aktuelle Krise zeige, wie sehr die Volkswirtschaften miteinander verflochten seien, stellte Abgeordnete Mag. GROSSMANN (S) eingangs ihrer Wortmeldung fest. Dies erfordere rasches, entschlossenes und koordiniertes Handeln – auch beim aktuellen EU-Gipfel. Die Mandatarin wandte sich gegen "Bremser, die nicht wahrhaben wollen, dass die Selbstregulierung des Marktes nicht funktioniert". Es brauche verbindliche Regeln, Kontrolle und soziale Mindeststandards; Länder, in denen dies gegeben sei, seien auch von Krisenerscheinungen weniger stark betroffen. Grossmann brach eine Lanze für antizyklische Konjunkturpolitik; in der Klimaschutzpolitik sollten nicht Standortverlagerungen provoziert werden.

Innerhalb weniger Monate sei an den Börsen ein massiver Absturz erfolgt, bei dem 23.000 Mrd. Dollar vernichtet wurden, skizzierte Abgeordneter Dr. SCHÜSSEL (V) zunächst die Dimension der aktuellen Krise. In der Realwirtschaft habe sich das Industriewachstum halbiert, sagte Schüssel und skizzierte zwei Szenarien. In einem eher milden Szenario werde von etwa 3 % Rezession und mit einer Aufwärtsentwicklung im Jahr 2010 ausgegangen. Das pessimistischere Szenario gehe von einer scharfen, mehrere Jahre andauernden Rezession aus, die zu einer Verdoppelung der Arbeitslosenrate führe. Die dramatische Entwicklung dürfe nicht bagatellisiert werden; es brauche Maßnahmen, die zielgerichtet, zeitgerecht und temporär seien. Auf europäischer Ebene habe man korrekt und koordiniert gehandelt und zuerst die Liquidität wieder hergestellt, das Finanzsystem durch eine massive Bankenhilfe 2.000 Mrd. € wieder belebt, die Zinsen massiv gesenkt. Die Unternehmungen seien in einer guten Verfassung, gerade die österreichische Wirtschaft mache Hoffnung und die österreichischen Haushalte seien in einer guten Situation, die Sparquote biete ein gutes Potenzial. Gerade die Krise habe bewiesen: "Europa, besonders die Euro-Zone, schützt und nützt".

Abgeordneter THEMESSL (F) kritisierte, dass in wirtschaftlich guten Zeiten kein ausgeglichenes Budget zustande gebracht worden sei. An den Bundeskanzler gerichtet, meinte Themessl, Optimismus sei nur angebracht, wenn die Regierung arbeite. Die Regierungsfraktionen aber hätten beim Bankenpaket alle Anträge der Opposition auf Verstärkung der Mitsprache des Staates abgelehnt; die EU habe das durchschaut und jetzt die Verzinsung der Zuschüsse erhöht und die Dividendenzahlungen begrenzt. Themessl forderte eine Mittelstandsmilliarde und Zeitpläne für Tarifreformen und Konjunkturpakete.

Klubobmann BUCHER (B) pflichtete Bundeskanzler Faymann bei, dass Psychologie wichtig sei. In den letzten zwei Jahren sei allerdings wenig Vertrauen Erweckendes geschehen, sagte Bucher und erinnerte an die Probleme bei AUA, Post und Telekom, wo er Versäumnisse ortete. Die Menschen könnten auch kein Vertrauen haben, wenn sie merkten, dass die Ölpreise sinken, sie davon aber an den Zapfsäulen nichts bemerkten. Auch nach dem Bankenrettungspaket bekämen die KMU keine Kredite, eine Steuersenkung sei lediglich angekündigt, weder Wirtschaft noch Konsumenten spürten Wirkungen der Maßnahmen der Regierung, kritisierte Bucher und forderte die Errichtung eines Mittelstandsfonds.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG-PIESCZEK (G) vermisste europapolitische Vorstellungen von FPÖ und BZÖ, aber auch klare europapolitische Ziele des Bundeskanzlers. "Unsere Erwartungen waren niedrig, und sie wurden vom Bundeskanzler nicht übertroffen", sagte die Klubobfrau der Grünen. Sie kritisierte, dass die Koalitionsfraktionen gestern im Finanzausschuss die Einführung einer Finanztransaktionssteuer abgelehnt hätten, und zitierte WiFo-Chef Aiginger zu diesem Thema: "Wann, wenn nicht jetzt?" Eine derartige Steuer und eine EU-weite Finanzmarktaufsicht wären eine notwendige Konsequenz aus der Krise.

In der Klimakrise sieht Glawischnig Österreich "auf der falschen Seite" und auf dem letzten Platz. Dabei lägen gerade hier wirtschaftliche Chancen. Das Ausspielen von Klimaschutz und Wirtschaft entspreche dem Geist der siebziger Jahre, im Emissionszertifikatehandel stehe Österreich auf der Seite der Auto- und Schwerindustrie. Die Klimaziele habe man verwässert, Österreich sei auf der Seite der Zukunfts- und Chancenverhinderer und nicht bereit, neue Wege einzuschlagen.

Im Finanzausschuss hätten die Koalitionsfraktionen einen österreichischen Alleingang bei der Finanztransaktionssteuer abgelehnt, replizierte Abgeordneter KRAINER (S). Die VOEST betreibe eines der umweltfreundlichsten Stahlwerke, betonte Krainer und erinnerte an die Ergebnisse der 1. Periode: weniger Arbeitsplätze in Österreich und global mehr CO2. Österreich setze sich für eine bessere Lösung ein, nämlich die Besteuerung von CO2 beim Import und die Entsteuerung beim Export. Die Gratiszertifikate seien eine Zwischenlösung, betonte Krainer.

Von der Steuerreform könne, acht Tage nach Angelobung der Regierung, noch niemand profitieren, räumte der Abgeordnete ein und meinte, im April oder Mai werde es soweit sein: Jeder Österreicher werde eine Entlastung von 400 bis 600 € erfahren. Für das Pensionssystem sei die Stärkung der 1. Säule die Lehre aus der Krise.

Abgeordneter SCHULTES (V) sprach angesichts der aktuellen Herausforderungen von einem magischen Quadrat aus Öl, Klimawandel, Finanzkrise und Kaufkraftverlust, meinte aber, die Lösung der Klimakatastrophe werde gleichzeitig auch jene Arbeitsplätze schaffen, die man braucht, um die Krise zu bewältigen. Klar war für Schultes dabei, dass die Antwort nur in einem Ausstieg aus dem Erdöl liegen könne.

Abgeordneter HOFER (F) bezeichnete den Handel mit Emissionszertifikaten, aber auch die geplante Nabucco-Pipeline als falschen Weg. Ziel müsse vielmehr sein, die Abhängigkeit Österreichs von ausländischen Energielieferanten zu reduzieren und die eigenen Ressourcen, wie z.B. die Wasserkraft, zu nutzen. Auf europäischer Ebene zeigte Hofer kein Verständnis für den Austausch der Glühbirnen durch quecksilberhältige Energiesparlampen. Wichtiger wäre seiner Meinung nach die Verankerung von verbindlichen und durchsetzbaren Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke.

Abgeordneter SCHEIBNER (B) beklagte, dass das für die österreichische Wirtschaft so wichtige 100-Milliarden-€-Paket nun durch Brüssel verzögert werde, und forderte überdies Finanzminister Pröll auf, dafür zu sorgen, dass das Geld auch dort ankomme, wo es hingehört, nämlich bei den Kreditnehmern. Die geplante Steuersenkung von 2,2 Mrd. € wiederum war nach Einschätzung Scheibners zu wenig, um die Kaufkraft in der Krisenzeit zu stärken.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) betrachtete ein Überschwappen der Wirtschaftskrise von den USA auf Europa als unvermeidlich und gab zu bedenken, Österreich allein werde die Konjunktur nicht retten können. Dazu bedürfe es vielmehr eines gemeinsamen europäischen Vorgehens, für das derzeit aber, wie Van der Bellen bedauerte, jegliche vertragliche Basis fehle. Was wir brauchen, sei mehr Europa und nicht weniger Europa, folgerte der Redner.

Präsidentin Mag. PRAMMER kündigte für 15 Uhr eine Debatte über einen Fristsetzungsantrag der Grünen, betreffend Antrag (20/A) auf Änderung des Einkommensteuergesetzes an. (Schluss Aktuelle Stunde)