Parlamentskorrespondenz Nr. 26 vom 22.01.2009

Nationalrat: Bundeskanzler Faymann absolviert erste Fragestunde

Themen: Konjunkturmaßnahmen, EU-Volksabstimmungen, ORF, Asylpolitik

Wien (PK) - Bundeskanzler Werner Faymann beantwortete in der Fragestunde am Beginn der heutigen 11. Nationalratssitzung erstmals als Regierungschef Fragen der Abgeordneten. Dabei erläuterte Faymann die Maßnahmen der Regierung zur Konjunkturbelebung, informierte über die österreichische Anti-Atompolitik, bezog Stellung zur Frage "EU-Volksabstimmungen", ging auf die schwierige wirtschaftliche Situation des ORF ein und bezog Stellung zum Asylfall Zogaj.   

Abgeordneter KRAINER (S): Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Belebung der Konjunktur?

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Bundeskanzler FAYMANN wies darauf hin, dass für die tatsächlich vorgezogenen Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur im Zusammenwirken mit den Bundesländern Ausgaben in der Höhe von 8 Mrd. € vorgesehen seien, das seien mehr als zwei Prozent des BIP. Österreich liege damit an zweiter Stelle in Europa. Der Bundeskanzler räumte jedoch ein, dass man derzeit keine Aussagen darüber treffen könne, ob die bisher beschlossenen Konjunkturpakete auch tatsächlich ausreichen, da die Entwicklung nicht vorhersehbar sei. Jedenfalls halte er es für wesentlich, dass in den wichtigsten Handelspartnerländern ähnliche Schritte gesetzt werden, zumal die österreichische Wirtschaft stark exportorientiert ist.

Sorge äußerte Faymann jedoch, ob das zusätzliche Partizipationsmodell für die Banken auch tatsächlich wirkt. Österreich habe 15 Milliarden Euro bereit gestellt, betonte er gegenüber Abgeordnetem HAUBNER (V), die Gespräche mit den Banken seien derzeit in vollem Gange. Die Kernfrage dabei sei, ob nicht noch zusätzliche Möglichkeiten zur Finanzierung der Klein- und Mittelbetriebe geschaffen werden können. Die Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten könne der Staat jedoch nicht ersetzen. Dieser sei nur in der Lage, politische Rahmenbedingungen für die Betriebe festzulegen, meinte der Bundeskanzler auf eine Frage des Abgeordneten HUBER (B). Nachdem Abgeordneter Mag. KOGLER (G) darauf hingewiesen hatte, dass konjunkturpolitische Maßnahmen rasch greifen müssten, bekräftigte Faymann, die geplante Steuerreform werde rückwirkend in Kraft treten und somit eine Rückzahlung der ab 1. Jänner 2009 zu viel bezahlten Steuern rasch erfolgen. Der Regierungschef erinnerte in diesem Zusammenhang auch an die Erleichterungen für die Familien, an die AWS-Unterstützungen, er erwähnte abermals die Eigenkapitalstärkung der Banken im Ausmaß von 15 Milliarden Euro und bestätigte das Vorziehen von Schulbauten und Bahnhofsbauten. Abgeordnetem THEMESSL (F) sicherte er ein 5-Parteien-Gespräch über die Maßnahmenpakete der Bundesregierung zu.

Abgeordneter HORNEK (V): Welche Initiativen werden Sie auf europäischer Ebene setzen, damit eine Reaktivierung gefährlicher Reaktorblöcke wie z.B. in Bohunice, Kosloduj und Ignalina ausgeschlossen werden kann?

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Im Zuge der Beantwortung dieser Frage bestätigte Bundeskanzler FAYMANN, dass es seitens der Slowakei keine Vertragsverletzungen gegeben habe. Ein österreichischer Experte habe sich nach ernsten Gesprächen, die er, Faymann, sowie der Wirtschafts- und Umweltminister mit der slowakischen Regierung geführt hatten, vor Ort davon überzeugen können, dass in Bohunice keinerlei Schritte zur Inbetriebnahme des Reaktors gesetzt wurden. Die Slowakei habe nur für den Fall des Zusammenbruchs der Energieversorgung an eine eventuelle Inbetriebnahme von Bohunice gedacht, stellte Faymann klar. Die weitere Entwicklung, die von Abgeordneter BAYR (S) angesprochen worden war, konnte der Bundeskanzler nicht konkret beantworten, da man nicht wisse, was passiert, wenn die Energieversorgung abermals ausfällt.

Abgeordneter Mag. WIDMANN (B) forderte einen Ausstieg aus dem EURATOM-Vertrag, worauf Faymann meinte, man müsse von einer realistischen Perspektive ausgehen. In der EU habe man beschlossen, den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020 auf 20 % zu erhöhen, das bedeutet für Österreich einen Anteil von 34 %. Wie die anderen Mitgliedsländer auch, habe Österreich viel zu tun, um dies zu erreichen. Man müsse aber die Realität akzeptieren, dass lediglich drei Mitgliedstaaten dezidiert gegen Atomenergie auftreten, in anderen Ländern setze man sich sogar offen für den Ausbau der Atomenergie ein, erläuterte Faymann. Das erschwere die Durchsetzung des österreichischen Standpunktes. Was EURATOM betrifft, so konnte man der Aussagen Faymanns einen kritischen Unterton entnehmen. Wenn sich EURATOM umorientiert und in Sicherheit und Sicherheitsauflagen investiert, habe es die Zustimmung Österreichs. Wenn die Gelder zum Ausbau neuer Atomkraftwerke verwendet werden, dann gebe es keine Unterstützung, sagte der Bundeskanzler.

Die Anregung der Abgeordneten Mag. BRUNNER (G) nach einer Stromkennzeichnung griff Faymann gerne auf und wies auf die diesbezügliche Aufgabe des Umweltministers hin. Wann man tatsächlich von Atomstromexporten unabhängig sein werde, dazu konnte der Bundeskanzler kein konkretes Datum nennen. Abgeordnetem Ing. HOFER (F) gegenüber bekräftigte er jedoch, dass man engagiert daran arbeite, den Anteil der erneuerbaren Energien, wie der Solarenergie, zu erhöhen. Derzeit seien die Preise jedoch noch viel zu hoch. Deshalb müsse man in Forschung und Entwicklung investieren und um mehr Flexibilität bei den Energiebetrieben bemüht sein, damit sich die Wirtschaftlichkeit der neuen Technologien erhöhe und sich in einem niedrigeren Preis niederschlage.

Abgeordneter Dr. HÜBNER (F): Wie wollen Sie als Bundeskanzler die Einlösung Ihres Wahlversprechens gewährleisten, dass zukünftige Änderungen der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union, die die österreichischen Interessen berühren, sowie die Ratifizierung eines geänderten Vertrags von Lissabon und insbesondere auch ein möglicher Beitritt der Türkei zur EU, durch eine Volksabstimmung in Österreich entschieden werden, zumal ein diesbezüglicher Antrag der FPÖ in der Nationalratssitzung vom 3. Dezember 2008 von der SPÖ abgelehnt wurde?

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"Die SPÖ hat ihre Meinung nicht geändert", stellte dazu Bundeskanzler FAYMANN dezidiert fest. Sollte ein neuer Vertrag vorgelegt werden, der die Interessen Österreichs berührt, werde sich die SPÖ für eine Volksabstimmung aussprechen. Der Bundeskanzler räumte jedoch ein, dass der Koalitionspartner ÖVP eine andere Meinung vertritt, weshalb man im gegebenen Fall intensive Gespräche führen müsse und man dann zu beurteilen habe, ob man die ÖVP überzeugen kann. Ein solcher Fall stehe jedoch derzeit nicht an, zumal der irische Premierminister klar gemacht habe, dass er keine neue Ratifikation wolle, bemerkte Faymann. Die Punkte, die in Irland offensichtlich maßgeblich für die Ablehnung des Vertrags waren, seien nämlich keine Fragen des Vertragstextes selbst, sondern Fragen der Interpretation. Sollte der Beitritt der Türkei anstehen, werde es aber auf alle Fälle eine Volksabstimmung geben, versicherte Faymann Abgeordneter Mag. HAKL (V), da auch die ÖVP in diesem Falle eine Volksabstimmung verlange.

Eine Volksabstimmung sei aber nur eine Möglichkeit, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die EU zu stärken, bemerkte Faymann auf eine Anfrage der Abgeordneten Mag. GROSSMANN (S). Dabei seien zwei Faktoren entscheidend: Einerseits müsse die EU Beschlüsse fassen, die in Richtung einer sozialen Union und in Richtung von mehr Bürgernähe gehen. Andererseits sei auch die Informationspolitik zu verbessern, da die EU bereits derzeit zahlreiche positive Aktivitäten setze, die jedoch nicht bekannt sind.

Nachdem Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) nochmals die Atomkraft angesprochen und die Regierung dazu aufgerufen hatte, in der EU Verbündete zu suchen, wies Bundeskanzler Faymann darauf hin, dass es gelungen sei, Atomstrom nicht als erneuerbare Energie zu definieren. Er gab Lunacek zwar Recht, dass zehn Länder innerhalb der EU über keine Atomkraftwerke verfügen, dennoch müsse Österreich in den Gremien oft froh sein, wenn seine konsequente Haltung gegen Atomkraftwerke von drei Ländern unterstützt wird.

Die Frage, ob Österreich Guantanamo-Häftlinge aufnimmt, stelle sich nicht, sagte Faymann, das sei ein Problem, das die USA zu lösen habe. Er reagierte damit auf eine Äußerung des Abgeordneten Ing. WESTENTHALER (B).

Abgeordneter BUCHER (B): Der ORF befindet sich derzeit in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation – u.a. weil sein wirtschaftlicher Abgang 2008 100 Millionen Euro betragen hat und für das Jahr 2009 weitere 30 Millionen Euro Abgang prognostiziert sind. Welche Maßnahmen werden Sie setzen, um einen leistungsfähigen öffentlichen Rundfunk zu sichern, der mit den Mitteln, die er erhält, auch auskommt?

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Das Management des ORF müsse ein kurz-, mittel-, und langfristiges Konzept vorlegen, über das der Stiftungsrat am 2. April beraten werde, betonte FAYMANN. Ohne tiefgreifende Änderungen sei die Zukunft des ORF nicht gesichert. Personelle Fragen würden sich erst dann stellen, wenn im Parlament die Beschlussfassung der strukturellen und inhaltlichen Änderungen erfolgt ist. Dasselbe gelte für die Frage, ob zusätzliche Steuermittel notwendig sind. Faymann reagierte damit auf Abgeordneten BROSZ (G), der kritisiert hatte, dass der ORF im Rahmen der Gebührenbefreiung Kosten für sozialpolitische Maßnahmen trage. Grundsätzlich meinte der Bundeskanzler, es sei kein Idealzustand, dass die Politik für das Medienunternehmen Rahmenbedingungen schaffe. In Anbetracht der wichtigen kulturellen Funktion des ORF sei es aber notwendig, dessen Bestand zu sichern, aber auch dessen Unabhängigkeit und Objektivität zu gewährleisten.

Der ORF sei verpflichtet, die strukturelle und inhaltliche Reform nach dem vereinbarten Zeitplan umzusetzen, bekräftigte Faymann abermals gegenüber den Abgeordneten Dr. CAP (S) und Dr. SONNBERGER (V). Über eine etwaige ORF-Gesetzwelle könne aber erst dann diskutiert werden, wenn das Ergebnis des Verfahrens in der EU vorliege. Damit sei im April oder im Mai zu rechnen.    

Abgeordnete Mag. KORUN (G): Entspricht die unerbittliche und kompromisslose Haltung der Innenministerin im Fall von Familie Zogaj dem Regierungsstandpunkt zum Bleiberecht für integrierte Familien?

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In Beantwortung dieser Frage unterstrich Bundeskanzler FAYMANN mehrmals, dass es sich im Fall Zogaj um eine behördliche und keine politische Entscheidung handelt. Der Innenministerin attestierte er dabei ein rechtmäßiges Vorgehen. Es gehe nicht an, dass der Gesetzgeber Bestimmungen festlegt und Kriterien für Ausnahmen definiert und man sich dann, sollte jemand nicht unter die Ausnahmen fallen, die Vorschriften missachte. Die Regeln müssten für alle die gleiche Gültigkeit haben, sagte Faymann.

Was den Vorschlag über die künftige Gestaltung des Bleiberechts betrifft, nachdem der Verfassungsgerichtshof eine Reparatur des humanitären Aufenthaltsrechts gefordert hatte, so unterstützte Faymann das Bemühen, die Länder mit einzubeziehen. Die Frage werde derzeit sehr umfassend diskutiert und es gehe nun darum, wie man konkret die Ausnahmen, Patenschaften und Übernahmen bewerten könne, wie man die Verfahren rascher abwickeln könne und wie man vorgehe, wenn Anträge abgelehnt werden. Er befürworte durchaus die Idee, es Organisationen zu ermöglichen, eine Patenschaft zu übernehmen. Die Herausforderung bestehe darin, die Missbrauchbestimmungen durch Einzelpersonen möglichst gering zu halten. Der Bundeskanzler ging damit auf die Fragen der Abgeordneten LUEGER (S), Ing. KAPELLER (V) und WEINZINGER (F) ein.

Die bisherige Arbeit des Asylgerichtshofs bewerte der Bundeskanzler positiv, der Rückstau an Akten könne kontinuierlich abgebaut werden und er sei zuversichtlich, dass bis 2010 alle alten Fälle einer Erledigung zugeführt werden.

Abgeordneter Mag. STADLER (B) thematisierte den Fall Zogaj und sprach in diesem Zusammenhang von Asylmissbrauch. Stadler griff auch scharf die Kirche an, indem er hauptamtliche Kirchenfunktionäre der Beihilfe zur Schlepperei bezichtigte. Bundeskanzler Faymann wiederholte daraufhin, dass man die Beurteilung der konkreten Fälle in einem Rechtsstaat der Behörde überlassen müsse. Er lehne es ab, eine eigene politische Meinung mit einem Urteil zu verknüpfen und damit vorschnelle Verurteilungen auszusprechen.(Schluss Fragestunde)