Parlamentskorrespondenz Nr. 63 vom 03.02.2009

Stellungnahmen des Bundesrates zu Vorhaben der Europäischen Union

Kritik an Entwürfen für EU-Asylsystem und Organtransplantationen

Wien (PK) - Der EU-Ausschuss des Bundesrates nahm heute einstimmig eine umfassende Stellungnahme zu Vorhaben der EU an, die der Umsetzung der zweiten Phase eines gemeinsamen europäischen Asylsystems, wie es das Haager Programm 2004 vorsieht, dient. Dabei handelt es sich einerseits um die Eurodac-Verordnung zur elektronischen Erfassung, Weiterverarbeitung und Übermittlung von Fingerabdrücken, andererseits um eine Verordnung, in der Kriterien festgelegt werden, wer für die Prüfung der Asylverfahren zuständig ist, sowie die Richtlinie zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von AsylwerberInnen in den Mitgliedsländern. Diese Vorschläge gründen sich auf die von der EU-Kommission vorgelegte Mitteilung über die "Künftige Asylstrategie – Ein integriertes Konzept für EU-weiten Schutz", worin weitere Schritte zur Harmonisierung der Asylverfahren sowie zu einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für Flüchtlinge und subsidiär Schutzbedürftige skizziert werden.

Nach einer Debatte, die von den Experten Hilbert Karl, Maria Ziniel (beide Innenministerium) und Peter Anerinhof (Vertreter der Bundesländer) eingeleitet wurde, verabschiedete der EU-Ausschuss des Bundesrats eine Stellungnahme, in der er festhielt, dass er das Ziel der Mitgliedsstaaten, ein gemeinsames europäisches Asylsystem zu verwirklichen, ausdrücklich unterstütze. Die Vorschläge der Kommission würden die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit aber nur dann nicht verletzen, wenn die Stellungnahme des Bundesrates berücksichtigt werde.

Bei der Neufassung der "Aufnahmerichtlinie" spricht sich der Bundesrat für eine Beibehaltung der derzeitigen Definition von "Familienmitgliedern" und gegen eine Ausweitung der Definition aus, um zu verhindern, dass der Kreis von Grundversorgungsempfängern wesentlich breiter würde.

Beim Zugang zum Arbeitsmarkt sei klar zu stellen, dass weiterhin das österreichische Bewilligungsverfahren angewendet werden könne.

Als eine "überschießende Änderung" bei der materiellen Absicherung von Asylwerbern bezeichnen die Bundesräte eine Gleichstellung mit Beziehern von Sozialhilfe. Derartiges würde über gemeinschaftsrechtlich regelbare Angelegenheiten weit hinaus gehen, denn es sei nicht Sache der Union, die Anspruchsvoraussetzungen für Sozialhilfe zu regeln. Überdies könnte der Vorschlag betreffend Sozialhilfe zu einer massiven finanziellen Belastung der Mitgliedsstaaten und der österreichischen Bundesländer führen. Der EU-Ausschuss des Bundesrates schlägt eine Änderung vor, die die "Gewährung von Mitteln für einen angemessenen Lebensstandard" sicherstellt.

Die Bundesräte sprechen sich auch gegen die im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Einschränkungen bei den Möglichkeiten zur Entziehung der Grundversorgung aus.

Bei der Neufassung der Dublin-Verordnung sieht der EU-Ausschuss des Bundesrates keine Notwendigkeit für Änderungen, die ein Aussetzen der Rücküberweisung vorsehen, wenn ein Mitgliedsstaat dies wegen Überlastung verlange. Die Bundesräte bekennen sich zum Ziel, ein den Menschenrechtsstandards entsprechendes Schutzniveau zu sichern, andererseits aber dem "Asylshopping" wirksam zu begegnen.

Mit dieser Stellungnahme folgt der EU-Ausschuss des Bundesrates Stellungnahmen der Verbindungsstelle der Bundesländer, des Österreichischen Gemeinde- und Städtebunds, der Wirtschaftskammer, der Arbeiterkammer, der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern und des ÖGB, deren Einholung die Ausschussmitglieder in der Sitzung am 18. Dezember 2008 beschlossen hatten.

Seitens der Länder wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die geplante Neugestaltung für die Bundesländer zu Mehrkosten in der Höhe von 80 Mio. € bis 100 Mio. € führen könnte. Peter Anerinhof wies die Bundesräte insbesondere auf die Gefahr einer verstärkten Sekundärmigration hin, weil sich die Asylwerber nach Ländern mit höheren Sozialhilfestandards orientieren würden. Außerdem befürchtete der Experte verstärkten Druck auf Niedriglohnarbeitsmärkte und wandte sich gegen neue Kriterien, die es schwieriger machen würden, Leistungen im Falle von Asylmissbrauch zu verweigern.

In der Debatte registrierte Bundesrat Jürgen Weiss (V), dass sich die Stellungnahmen des Innenministeriums und der Bundesländer in ihrer kritischen Haltung weitgehend deckten. Außerdem machte Weiss auf Ergebnisse einer Landeshauptleutekonferenz aufmerksam, bei der sich die Landeshauptleute zur verstärkten Nutzung bestehender Instrumente in der Asylpolitik bekannt haben.

Bundesrat Erich Gumplmaier (S) plädiert für objektive Kriterien, um das Asylthema aus öffentlicher Polemik herauszubringen und zeigte sich enttäuscht, dass dies bislang nicht gelungen sei.

Bundesrat Friedrich Hensler (V) brachte Probleme beim Asylthema in den Grenzregionen zur Sprache und unterstrich die Notwendigkeit eines klaren Konzepts, dass die aufgezeigten Probleme vermeide.

Bundesrat Stefan Schennach (o.F.) sah "Eurodac" nicht so negativ wie seine Vorredner und gab zu bedenken, dass gestrandete Personen, bei denen niemand wisse, wohin sie gehörten, ebenfalls sehr teuer kämen. Schennach plädierte für schnellere Asylverfahren und bekannte sich zu dem Ziel, einen innereuropäischen Lastenausgleich herbeizuführen. Entschieden wandte sich der Bundesrat gegen die Unterbringung von Asylwerbern in Haftanstalten und bezeichnete es als äußerst problematisch, dass weibliche Asylwerber in Wien nur Zugang zum Prostitutionsgewerbe und Männer gar keine Arbeitsmöglichkeiten haben, dieser Mangel ziehe Kriminalitätsprobleme nach sich.

Thema Organtransplantationen: Bundesrat für Zurückhaltung der EU

Ebenso wurden die Verhandlungen über den Vorschlag für eine Richtlinie über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe wieder aufgenommen. Auch dazu hatte der der Ausschuss Stellungnahmen und Gutachten für eine Bewertung eingeholt.

Ziel der Richtlinie ist es, Qualität und Sicherheit für die PatientInnen auf EU-Ebene zu gewährleisten, den Schutz der SpenderInnen sicherzustellen und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern.

In seiner einstimmig angenommenen Stellungnahme gab der EU-Ausschuss des Bundesrats zu bedenken, dass in den Mitgliedsstaaten unterschiedliche Systeme für die Einwilligung der Verstorbenen und deren Angehörigen bestehen, was zu erheblichen Unterschieden in der Versorgung mit Spenderorganen führe. Angesichts der ethischen Fragen, die damit verbunden seien, sollte sich die Union daher mit einheitlichen Regelungen zurückhalten. Die Bundesräte unterstrichen die Verantwortung der Mitgliedsstaaten für das Gesundheitswesen und die medizinische Versorgung. Die in Aussicht genommene Regelung dürfe die Versorgung mit Spenderorganen in einzelnen Mitgliedsstaaten nicht in Frage stellen, was der Fall wäre, wenn Staaten zum "Organexport" gezwungen würden. Außerdem verlangten die Bundesräte Vorkehrungen gegen einen "Organtransplantationstourismus" und machten darauf aufmerksam, dass kurze Transportwege zu besseren Transplantationsergebnissen führten. Zu überarbeiten seien die Vorschläge auch wegen der Gefahr administrativer Mehrkosten. Eine Ermächtigung der Kommission zur Festlegung verschiedener Verfahren sei entbehrlich und widerspreche dem Subsidiaritätsprinzip, stellte der EU-Ausschuss des Bundesrates fest.

Auch die Debatte über diesen Tagesordnungspunkt wurde von Experten eingeleitet. Bereichsleiter Gerhard Aigner (Gesundheitsministerium) warnte in seinen Ausführungen insbesondere vor einem Bürokratieschub, der durch die vorgeschlagene Richtlinie ausgelöst werden könnte und wies darauf hin, dass die Rechtslage in Österreich ohnehin richtlinienkonform sei. Dem schloss sich Arno Melitopulos (Gesundheit Österreich GmbH) an und sprach sich wie sein Vorredner dafür aus, den Kommissionsvorschlag zu überarbeiten. Die Versorgung der Bevölkerung sollte durch Spenderorgane aus dem eigenen Land sichergestellt werden, betonte Maria Preschern (Gesundheit Österreich GmbH) und übte Kritik an Detailbestimmungen, insbesondere an einzelnen Ermächtigungen für die Kommission.

Bundesrat Stefan Schennach (o.F.) sah Regelungsbedarf für Lebendtransplantationen, Bundesrat Reinhard Winterauer (S) drängte auf Maßnahmen gegen den Transplantationstourismus nach Indien und China. - Solchen "Reisetendenzen" aus reichen Ländern in arme Länder sollte man durch ein ausreichendes Organaufkommen im eigenen Land entgegenwirken, riet Maria Preschern. (Fortsetzung)


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