Parlamentskorrespondenz Nr. 170 vom 05.03.2009

Globaler Wandel - neue Herausforderung für die Sozialpolitik

EU-Unterausschuss diskutiert Maßnahmen auf EU-Ebene

Wien (PK) – Der Wandel in der Gesellschaft aufgrund des technologischen Fortschritts, der Globalisierung und der demographischen Entwicklung sowie die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise stellen auch die Sozialpolitik vor neue Herausforderungen. Arbeitslosigkeit, Armut, zu viele Schulabbrecher, Wohlstandskrankheiten, Wettbewerb um knappe Ressourcen, das sind nur einige Schlaglichter, die einer politischen gesamteuropäischen Antwort bedürfen. Die EU-Kommission erarbeitet daher eine neue Sozialagenda, die sich nicht auf die klassischen Gebiete der Sozialpolitik beschränkt sondern bereichsübergreifend und mehrdimensional sein soll. Es geht dabei nicht darum, in die Kompetenzen der einzelnen Mitgliedstaaten einzugreifen, sondern die Zusammenarbeit zur Bewältigung des sozioökonomischen Wandels zu verbessern und zu intensivieren, heißt es in der Vorlage.

Die diesbezügliche Mitteilung der Kommission sowie zwei EU- Verordnungsentwürfe zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit innerhalb der EU unter Einbeziehung der Schweiz standen heute im EU-Unterausschuss des Nationalrats zur Diskussion.

EU-Sozialpolitik an aktuelle Situation anpassen

Die Meinungen der einzelnen Fraktionen dazu fiel ambivalent aus. Einerseits wurde die erneuerte Sozialagenda begrüßt, da damit das soziale Profil der EU gestärkt wird, andererseits bestand jedoch die einheitliche Auffassung, dass die Agenda an die aktuellen Herausforderungen angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise angepasst werden müsste. So meinte etwa Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S), die Agenda gehe in die richtige Richtung, sie sei aber wenig ambitioniert. Man müsse aufpassen, dass es nicht zu einer Nivellierung nach unten kommt. Abgeordnete Beatrix Karl (V) begrüßte ihrerseits die Koordinierungsverordnungen, da sie die Arbeitskräftemobilität unterstützen.

Der von SPÖ und ÖVP eingebrachte Antrag auf Ausschussfeststellung wurde von den beiden Regierungsfraktionen sowie von FPÖ und BZÖ mehrheitlich angenommen. Darin verleihen die Abgeordneten der Hoffnung Ausdruck, dass eine erneuerte Sozialagenda der EU auf die in Folge der Krise erforderlichen Neuausrichtungen und Schwerpunktsetzungen Bedacht nehmen wird. Die Abgeordneten unterstützen darüber hinaus die weitere Anwendung des Übergangsarrangements zur Freizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit, vor allem im Hinblick auf die beschränkte Aufnahmefähigkeit des österreichischen Arbeitsmarkts und der noch nicht abgeschlossenen Integration der großen Zahl von Migrantinnen und Migranten.

Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) äußerte im Hinblick auf drohendes Lohndumping ebenfalls Bedenken. Abgeordneter Karl Öllinger (G) hielt den Vorschlag für eine erneuerte Sozialagenda angesichts der derzeitigen Situation für unzureichend. Sie gehe auch zu wenig auf die soziale Spaltung ein, merkte er an. Die Grünen brachten sodann einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem analog zum Stabilitätspakt die Implementierung eines europäischen Sozialpakts mit verbindlichen Regeln, die sich an den Einkommens- und Leistungsniveaus des jeweiligen Mitgliedslands orientieren, eingefordert wird. Dieser wurde jedoch von den anderen Fraktionen abgelehnt.

Abgeordneter Scheibner (B) erblickte in der derzeitigen wirtschaftlichen Krise auch eine Chance der EU. Wenn sie jetzt dynamisch handle, könne sie beweisen, dass sie für die Bürgerinnen und Bürger einen Mehrwert darstellt, merkte er an. In einem Antrag auf Ausschussfeststellung setzte sich das BZÖ dafür ein, die Übergangsfristen betreffend der Freizügigkeit der ArbeitnehmerInnen für weitere zwei Jahre zu verlängern. Darüber hinaus wird in dem Antrag gefordert, die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation im Bereich der Einwanderungspolitik stärker zu berücksichtigen. Auch dieser Antrag fand nicht die Zustimmung von SPÖ, ÖVP und Grünen und somit auch nicht die Mehrheit. Bundesminister Rudolf Hundstorfer bestätigte jedoch, dass die Bundesregierung vor drei Wochen beschlossen hat, die Übergangsfristen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit bis zum letzten Tag auszunützen. Österreich agiere dabei in engster Abstimmung mit Deutschland.

Ein weiterer Antrag des BZÖ auf Ausschussfeststellung betraf das bestehende Lohngefälle zwischen den Geschlechtern. Abgeordnete Ursula Haubner (B) forderte in diesem Zusammenhang entsprechende Gesetzesvorschläge, damit Frauen mit niedrigem und nicht lohnsteuerpflichtigem Einkommen ebenfalls Unterstützungen lukrieren können. Bundesminister Hundstorfer wies darauf hin, dass die Kollektivverträge auf Basis der Vollzeitbeschäftigung verhandelt werden und man daher vor allem danach trachten müsse, einen Rückgang der Teilzeitbeschäftigung zu erreichen. Der BZÖ-Antrag fand bei den anderen Fraktionen keine Unterstützung.

Die Abgeordneten Herbert Kickl und Johannes Hübner (beide F) übten insbesondere an den aus ihrer Sicht in der EU laufenden Harmonisierungstendenzen auf dem Sozialsektor Kritik. Aufgrund des hohen Sozialniveaus würde man einen gewissen Sog für Leute aus Ländern mit einem geringeren Sozialniveau bilden, argumentierten sie. Kickl sprach sich dezidiert dafür aus, arbeitslos gewordene Ausländerinnen und Ausländer in ihr Heimatland zurück zu führen. Dem entgegnete der Bundesminister, Europa sei nicht teilbar. Es gehe dabei um Menschen, die in Österreich über einen legalen Aufenthaltstitel verfügten und dementsprechend Abgaben und Steuern zahlten. Diese Menschen zurück zu schicken, wäre menschenverachtend, sagte er.

Zur Sozialagenda bemerkte Bundesminister Rudolf Hundstorfer grundsätzlich, sie sei eine wichtige Grundlage für eine zukünftige Sozialpolitik der EU und ein Impuls für die Verwirklichung der Ziele von Lissabon. Sie verdeutliche das soziale Anliegen der Union und ihre Bereitschaft, den globalen Herausforderungen zu begegnen. Inwieweit die soziale Dimension der EU bestärkt wird, hänge aber von den Entscheidungen in den nächsten Wochen ab. Die wesentlichen Kernpunkte der Agenda betreffen nach Auffassung des Sozialministers die Maßnahmen für die Jugendlichen, die Einsetzung eines europäischen Betriebsrats, die Anti-Diskriminierungspolitik, die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung und die angestrebte Verstärkung der Zusammenarbeit in Fragen des Sozialschutzes und der sozialen Eingliederung. Ihm fehlt jedoch noch immer eine verstärkte Wahrung der Sozialrechte angesichts der steigenden Mobilität, sowie sozialrechtliche Antworten und Absicherungen in Bezug auf neue Formen der Arbeit.

Die zur Diskussion stehenden Koordinierungsverordnungen werden nach Aussagen des Ministers sicherstellen, dass diejenigen, die vom Recht der Freizügigkeit Gebrauch machen, keinen Nachteil bei der Wahrung ihrer sozialen Rechte haben. Durch den elektronischen Datenaustausch werde es zu einer wesentlichen Beschleunigung der Verfahren kommen und zu einer Verbesserung der Kostenerstattung zwischen den Staaten.

Die Vorhaben der EU

Prioritäten setzt die Kommission in der erneuerten Sozialagenda vor allem bei der Verbesserung von Chancen für Kinder und Jugendliche. Die Qualität, die Effizienz und die Chancengerechtigkeit der Bildungssysteme zu verbessern, die Zahl der Schulabschlüsse zu erhöhen und die Lesekompetenzen anzuheben, ist daher ebenso Teil der Agenda wie die Bewältigung der Probleme durch Migration und Mobilität. Auch soll ein umfassendes Konzept in Bezug auf Kinderarmut entwickelt werden. Eine Initiative "Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungen" soll eine erste Beurteilung der Bedürfnisse des Arbeitsmarkts und des Qualifikationsbedarfs bis zum Jahr 2020 vornehmen, um auf den Strukturwandel besser reagieren und damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser vorbereiten zu können. In diesem Zusammenhang sind auch die Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats und die Schritte zu sehen, die länderübergreifenden Vereinbarungen auf Unternehmensebene zu intensivieren.

Angesichts der zunehmenden Mobilität der Arbeitskräfte will man der Problematik in Bezug auf die Wahrung der Sozialrechte besonderes Augenmerk schenken und eine "fünfte Grundfreiheit" entwickeln, die die Hindernisse für den freien Verkehr von Wissen beseitigt und die Mobilität etwa von Forscherinnen und Forschern, von jungen Unternehmerinnen und Unternehmern, von Jugendlichen und von Freiwilligen fördert.

Im Vorfeld des Europäischen Jahres zur Bekämpfung der Armut und sozialen Ausgrenzung 2010 will die Kommission Empfehlungen zur aktiven Eingliederung ausarbeiten und insbesondere die Themen Einkommensunterstützung, Verbindungen zum Arbeitsmarkt und Verbesserung des Zugangs zu qualitativ hochwertigen Dienstleistungen behandeln. Sie arbeitet weiters an einer Richtlinie zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung und will ihre Bemühungen um die Gleichstellung von Mann und Frau forcieren. Konkrete Zielsetzungen dabei sind die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf, Zielvorgaben für die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen, die Überwindung des Lohngefälles zwischen den Geschlechtern, die Senkung der Armutsgefährdungsquote bei Frauen und die Beseitigung des Ungleichgewichts zwischen den Geschlechtern.

Die Kommission bekräftigt in der erneuerten Sozialagenda auch ihr Engagement für die internationale Agenda für menschenwürdige Arbeit, deren Umsetzung sie unter anderem im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und anderen Partnern sowie durch die Mobilisierung aller Bereiche der EU-Politik vorantreiben möchte.

Sie unterstreicht darüber hinaus die Notwendigkeit, sich der Bedürfnisse einer alternden Bevölkerung besonders anzunehmen und plant, Berichte über die Tragfähigkeit öffentlicher Finanzen sowie über gesundheitliche Benachteiligungen vorzulegen. Weiters kündigt sie ein Grünbuch über Arbeitskräfte im Gesundheitswesen an.

Ein besonderes Anliegen sind der Kommission die Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsvorsorge. Dies ist daher nicht nur ein Thema der erneuerten Sozialagenda, sondern konkret auch jener beiden Verordnungsentwürfe zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die heute ebenfalls auf der Tagesordnung des EU-Unterausschusses standen.

In ihrem Vorschlag unterstreicht die Kommission, dass es sich dabei um keine Harmonisierungsmaßnahme handelt. Vielmehr sollen dadurch Sozialversicherungsansprüche gewährleistet werden, die in einem anderen EU-Mitgliedsstaat erworben wurden. Ohne eine solche Koordinierung wäre das vertraglich verankerte Recht auf Freizügigkeit gefährdet, wird betont. Konkret geht es unter anderem um besondere Geburts- und Adoptionsbeihilfen, um Regelungen für den Anspruch auf Sachleistungen im Rahmen der Gesundheitsvorsorge für Grenzgänger und deren Familienangehörige, um Sachleistungen für Rentnerinnen und Rentner, um Leistungen bei Invalidität und um beitragsunabhängige Geldleistungen. Durch entsprechende Bestimmungen sollen auch Doppelleistungen vermieden werden.

Mit den Vorschlägen für die Verordnungen will die Kommission bestehende Rechtsvorschriften vereinfachen und aktualisieren, die Verfahren für die Versicherten erleichtern, Rechte und Pflichten aller Beteiligten klären, die Koordinierung zwischen den Trägern der sozialen Sicherheit verbessern, Verwaltungskosten einsparen und Fortschritte im Kampf gegen Betrug und Missbrauch erzielen.

Die Diskussion im Detail

Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S) leitete die Debatte mit der Bemerkung ein, die Agenda sei so verfasst, dass sie auch von jenen Staaten befürwortet werden könne, deren Sozialsysteme ausgebaut werden müssten. Es sei daher eine wichtige Aufgabe, eine Nivellierung nach unten hintan zu halten. Die Anhebung des Niveaus in anderen Staaten sei auch überlebensnotwendig für unser System, unterstrich sie. Grundsätzlich attestierte die Abgeordnete, die erneuerte Sozialagenda stelle einen Fortschritt dar und eröffne bessere Koordinierungsmöglichkeiten, was angesichts des Lohndumpings und des Wettbewerbsdrucks notwendig sei. Sie, Grossmann, hege die Hoffnung, dass durch die im Vertrag von Lissabon vertraglich verankerten Grundrechte die "gralsähnliche Verherrlichung" der vier Grundfreiheiten gegenüber sozialen Rechten zurückgedrängt werde.

Ihr Klubkollege Wilhelm Haberzettl (S) machte darauf aufmerksam, dass sich die Perspektive für Sozialthemen in den letzten Monaten verändert habe. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei vor allem unter dem Aspekt der Wirtschaftskrise zu sehen. Sozialminister Hundstorfer gab daraufhin zu bedenken, dass die gesamten Vorarbeiten für die erneuerte Sozialagenda vor der Wirtschaftskrise geleistet worden sind. Die weitere Behandlung der Agenda werde daher auf alle Fälle auf die geänderten Bedingungen Rücksicht nehmen. Jedenfalls werde Österreich die Übergangsfristen bei der Freizügigkeit voll ausschöpfen, bekräftigte er.

Abgeordnete Marianne Hagenhofer (S) unterstrich insbesondere die Notwendigkeit des Kampfs gegen Armut und soziale Ausgrenzung und machte auf die Problematik der Volksgruppe der Roma aufmerksam. Im Hinblick auf die hohe Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen regte sie an, das österreichische Modell "Ausbildungsgarantie für Jugendliche" als Best-Practice-Modell in die Diskussion auf EU-Ebene einzubringen. Hagenhofer sprach auch das Problem jener an, die über der Grenze arbeiten und dort lange Jahre ihren Hausarzt haben, sobald sie aber in Pension gehen, sich in Österreich einen neuen Arzt suchen müssten. Dieses Problem werde ab 1. Jänner 2010 gelöst, versicherte ihr gegenüber Bundesminister Hundstorfer.

Vorsichtig positiv zu den Vorlagen der EU äußerte sich Abgeordnete Beatrix Karl (V). In den Koordinierungsverordnungen sah sie einen richtigen Weg zur sozialen Absicherung in Hinblick auf die Arbeitskräftemobilität. Dennoch ortete sie einige Schwierigkeiten, die Verordnungen reibungslos umzusetzen. In diesem Zusammenhang machte sie auch auf unterschiedliche Regelungen zwischen nationalem Recht und dem EU-Recht aufmerksam. So bleibe bei einer Entsendung bis zu fünf Jahren die Sozialversicherung in Österreich. Die zur Diskussion stehenden Verordnungen setzten diese Fristen jedoch mit zwei Jahren an, und das sei verwirrend. Sie wies auch darauf hin, dass einer der wesentlichen Punkte der Entsende-Richtlinie die Verhinderung von Lohndumping darstelle.

Massive Kritik an der Sozialpolitik der EU kam von den Abgeordneten der FPÖ. Angesichts der prekären wirtschaftlichen Situation und der steigenden Arbeitslosenzahlen mache es keinen Sinn, auf Kosten Österreichs "herumzuharmonisieren", sagte Abgeordneter Herbert Kickl (F). Man müsse daher über besondere Maßnahmen nachdenken, etwa über die Rückführung ausländischer Arbeitskräfte. Bei der Harmonisierung sei damit zu rechnen, dass man sich auf ein niedriges soziales Niveau einige. Einen Widerspruch ortete er insbesondere zwischen den verbalen Bekräftigungen, das Sozialdumping verhindern zu wollen, und der tatsächlichen Forcierung der Flexibilisierung am Arbeitsmarkt. Den europäischen Gerichtshof kritisierte er in diesem Zusammenhang als einen "Reservegesetzgeber", dessen Macht man zurückdrängen müsse. Sowohl Herbert Kickl als auch sein Klubkollege Johannes Hübner (F) befürchteten eine Tendenz der EU, in sozialen Fragen Mindeststandards einzuführen. Hübner erteilte einer Harmonisierung eine klare Absage, da man mit der Delegierung von Kompetenzen nach Brüssel der Bevölkerung Österreichs Entscheidungen entziehe. Das betreffe die Frage des demokratischen Prinzips, sagte er. Sowohl Kickl als auch Hübner wandten sich gegen die Aufhebung von Beschränkungen bei Familienleistungen für Angehörige von Grenzgängern. Offensichtlich wolle man damit den Topf eines Landes mit höchsten Sozialstandards für alle öffnen, meinten sie.

Dem widersprach der Sozialminister heftig. Europa sei nicht teilbar, unterstrich er und auch keine Einbahnstraße. Er räumte große Probleme am Arbeitsmarkt ein, wandte sich aber dagegen, arbeitslose Ausländerinnen und Ausländer zurück zu schicken. Abgesehen davon, dass auch viele Österreicherinnen und Österreicher in der Schweiz und in Deutschland beschäftigt sind, handle es sich bei den Grenzgängern in Österreich um Menschen, die über einen ordentlichen Aufenthaltstitel verfügen und Steuern und Abgaben zahlen. Illegale seien nicht krankenversichert, das sei aber ein anderes schwieriges Problem, so Hundstorfer. Es gehe bei den Leistungen in den vorliegenden Verordnungsentwürfen um allgemeine Familienbeihilfen, die für alle gleich seien. Nicht inbegriffen seien Leistungen, die darüber hinaus gehen, weshalb Österreich die Unterhaltsvorschüsse auch ausgeklammert habe, informierte er.

Hundstorfer betonte, Flexibilität müsse mit Sicherheit verbunden werden. Deshalb habe man in Europa mit der Arbeitszeitrichtlinie noch sehr viel Arbeit vor sich. Ein Opting-out sei für ihn keine Alternative.

Auch Abgeordneter Karl Öllinger (G) wandte sich gegen die Aussagen der Freiheitlichen. Verbote lösten keine Probleme, sagte er. Bezogen auf den Arbeitsmarkt führten sie nur zu einer vermehrten illegalen Beschäftigung und heizten die Konkurrenz an.

Als ein richtiges Signal im Hinblick auf die demographische Entwicklung sowie auf die Armutsbekämpfung wertete Abgeordnete Ursula Haubner (B) die Sozialagenda. Sowohl Haubner als auch ihr Klubkollege Herbert Scheibner (B) urgierten jedoch eine Reaktion auf die geänderten Bedingungen und die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise. Das sei eine Chance für die EU zu zeigen, dass man nun die sozialen Anliegen der Menschen mehr in den Mittelpunkt rücken wolle, sagte Scheibner.

Wie die Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S) und Karl Öllinger (G) vorher, thematisierte Ursula Haubner die noch immer große Einkommensschere zwischen Männern und Frauen in Österreich. Haubner kritisierte vor allem auch die Steuerreform, von der ihrer Ansicht nach in erster Linie die Männer profitieren. Dieser Einschätzung der Auswirkungen der Steuerreform konnte sich Bundesminister Hundstorfer nicht anschließen. Das Problem der Einkommensunterschiede liege in erster Linie in der Tatsache, dass viele Branchen nur mehr Teilzeitverträge anbieten, bemerkte der Minister. Damit würden Frauen rechtlich zwar gleich viel verdienen, real aber weniger. Das Bemühen müsse daher dahin gehen, Teilzeitbeschäftigungen zu reduzieren und Karrierechancen transparenter zu machen. Notwendig sei es auch, Männer zu motivieren, Familienarbeit zu leisten. Auch Abgeordneter Franz Riepl (S) sah die Problematik weniger im Kollektivvertrag begründet, sondern vielmehr in der Realwirtschaft.

Die Frage der Abgeordneten Haubner nach dem Globalisierungsfonds beantwortete Hundstorfer mit der Information, dass dieser bis vor kurzem für die österreichische Industrie nicht anwendbar gewesen sei, da Ansprüche nur für Betriebe ab 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestanden. Diese Grenze sei nun auf 500 herabgesetzt worden.

Für gemeinsame Regelungen angesichts der Wirtschaftskrise sprachen sich die Abgeordneten Ulrike Lunacek und Karl Öllinger (beide G) aus. Es brauche Regeln und Sanktionen, um einer Nivellierung entgegen zu wirken. Lunacek forderte daher, wie auch im Antrag der Grünen festgehalten, einen europäischen Sozialpakt mit dem Recht auf ein bedarfsbezogenes Existenzminimum und einen europäischen Mindestlohn, der sich am Einkommensniveau des jeweiligen Landes orientiert. Weiters verlangen die Grünen einen verbindlichen Zeit- und Maßnahmenplan, um die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen zu bekämpfen. Die EU sollte auch dafür sorgen, dass die Ausweitung der Arbeitszeiten und damit eine Konkurrenz der Mitgliedstaaten verhindert wird. Die Steuer-, Geld- und Fiskalpolitik solle auf Ziele wie Vollbeschäftigung, Steuerharmonisierung und qualitatives, nachhaltiges Wirtschaften verpflichtet werden. Schließlich traten die Grünen für die Sicherung und den Ausbau öffentlicher Dienstleistungen ein. Es könne nicht sein, so Lunacek, dass dabei nur der Wettbewerb zählt, nicht aber der Dienst am Menschen.

Abgeordneter Öllinger ergänzte und verdeutlichte, man müsse in Richtung einer relativen Harmonisierung gehen, indem man bestimmte Quoten, bezogen auf das jeweilige Land, vorgibt. Wichtig seien Vorschriften, damit die Menschen in allen Ländern gegen Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter abgesichert werden. 

Dem konnte sich Abgeordneter Franz Riepl (S) nicht ganz anschließen. Allein aufgrund der innerösterreichischen Diskussion kenne man die Schwierigkeit, sich auf Mindestlöhne zu einigen. Wie soll es dann zu 27 verschiedenen Mindestlöhnen in Europa kommen, fragte er. Auch die Vorschläge der Grünen zur Arbeitszeitproblematik würden nicht mit dem österreichischen Arbeitszeitregime, das auf Mitspracherechte und Flexibilität abstellt, zusammenpassen. Dennoch stimmte er mit den Grünen überein, dass die Fragen des Existenzminimums, des Mindestlohns, der Einkommensschere und der Arbeitszeit zentral seien. Abgeordnete Beatrix Karl (V) bemerkte aus ihrer Sicht, im Antrag der Grünen komme es zu einer Vermischung zwischen Sozialkompetenzen der EU und jenen der Nationalstaaten. Abgeordneter Herbert Kickl (F) wiederum sprach sich gegen relative Standards aus, denn diese machten nur Sinn, wenn es keine Freizügigkeit am Arbeitsmarkt gibt. (Schluss)