Parlamentskorrespondenz Nr. 197 vom 11.03.2009

Nationalrat startet mit Bildungsdiskussion in die Plenarwoche

Aktuelle Stunde: Alle Fraktionen für Fortsetzung der Schulreform

Wien (PK) - Nationalratspräsidentin Barbara Prammer nahm eingangs der 16. Sitzung des Nationalrates die Angelobung des ÖVP-Abgeordneten Werner Amon vor, der seiner Fraktionskollegin Barbara Riener nachfolgt, die kürzlich auf ihr Mandat verzichtet hat. "Rot-Schwarzes Bildungschaos - 100 Tage Stillstandsregierung" lautete das Thema der Aktuellen Stunde, das vom BZÖ ausgewählt worden war.

Abgeordneter Mag. STADLER (B) machte auf US-Präsidenten Barack Obama aufmerksam, der angesichts schlechter PISA-Ergebnisse zum amerikanischen Schulsystem die Lehrer aufforderte, mehr Zeit in den Klassenzimmern zu arbeiten. Obama rechne mit Widerstand der Lehrergewerkschaft, werde seine Pläne aber durchziehen, zeigte sich Stadler überzeugt und verlangte, auch in Österreich die Standespolitik in Klassenzimmern zu beenden. Stadler hielt es für unerträglich, wenn SchülerInnen aufgehetzt würden und Vertreter der Lehrergewerkschaft in der Unterrichtszeit so genannte Informationsveranstaltungen abhalten, von denen sie heuchlerisch behaupteten, es ginge dabei um die Aufrechterhaltung der Qualität des Unterrichts.

Finanzminister Pröll warf der Abgeordnete vor, er wisse nicht, ob er sein Budget in Ordnung halten oder seine Lehrer verteidigen solle. Eigentlich sei es ungeheuerlich, meinte Stadler, dass eine Diskussion darüber geführt werden müsse, ob sich eine Berufsgruppe mit krisenfester Anstellung 22 Stunden pro Woche am Dienstort aufhalten müsse. Stadler kündigte ein 31 Punkte umfassendes Maßnahmenpaket seiner Fraktion noch in dieser Sitzung des Nationalrats an. "Wir verlangen eine Vereinfachung der Verwaltung und eine Konzentration des Einsatzes der Lehrer im Klassenzimmer." Letztlich gehe es darum, dass sich die Lehrer 40 Stunden pro Woche an ihrem Arbeitsplatz in der Schule aufhalten. Das würde den Titel Reform verdienen, nicht aber das "Reförmchen", das Bundesministerin Schmied angekündigt habe.

Bundesministerin Dr. SCHMIED betonte ihren schulpolitischen Gestaltungswillen und unterstrich die Notwendigkeit einer Bildungsreform, wenn Österreich den Anschluss an internationale Entwicklungen schaffen möchte. Schlechte PISA-Ergebnisse und die Klagen der Wirtschaft über Mängel von Schulabgängern in den Schlüsselqualifikationen Lesen, Schreiben und Rechnen machten es notwendig, die konzipierte Bildungsreform fortzuführen. Wegen der Budgetvorgaben sei dies aber nur dann möglich, wenn die Lehrverpflichtung der Lehrer um zwei Stunden angehoben werde. Diese Maßnahme diene dem Ziel, kleine Klassen und Gruppenunterricht zu ermöglichen und die Ausstattung der Schulen zu verbessern. Die Bundesministerin meinte, dies sei den Lehrern zumutbar und kündigte Gespräche mit der Lehrergewerkschaft an.

Das Thema sei ernst, weil es in der Bildungspolitik um die Zukunft des Landes gehe, sagte Schmied, und erinnerte an die großen Projekte, die in den ersten 100 Tagen der neuen Regierung in Angriff genommen wurden: 600 Mio. € mehr in die Infrastruktur, Verbesserung der Arbeitsplätze, Ausbau der Tagesbetreuung, bessere Ausbildung der Lehrer vom Kindergarten bis zu den Hochschulen, bessere Unterrichtsqualität und Lehre mit Matura, ein Modell, das bereits von 3000 Lehrlingen, wesentlich mehr als erwartet, angenommen wird.

Die Kapazität der Berufsbildenden Schulen soll noch in dieser Gesetzgebungsperiode um 8300 Neuausbildungsplätze erweitert werden. Die neue Mittelschule befinde sich auf gutem Weg - bis Ende der Gesetzgebungsperiode sollen 20.000 Schüler in 243 neuen Mittelschulen unterrichtet werden. "Für diese Reform stehe ich - dafür bin ich gerne Ministerin", schloss die Ressortleiterin.

Abgeordneter Dr. CAP (S) appellierte vehement an alle Beteiligten der Bildungsdiskussion, die Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Der SP-Klubobmann bedauerte das Lehrer-Bashing der letzten Tage, weil er viele Lehrer kenne, die bei der Reform der Bundesministerin mitmachen wollten. Diese Lehrer gelte es zu unterstützen, sie müssen als Bündnispartner gewonnen werden, stellte der Redner fest. Nicht alles, was aus dem 18. Jahrhundert stamme, sei schlecht, räumte Cap ein, forderte manche Lehrervertreter aber doch dazu auf, im 21. Jahrhundert anzukommen und die Notwendigkeit einzusehen, dass die Lehrer mehr in den Klassenzimmern arbeiten. Die Schulabsolventen müssen konkurrenzfähiger werden, daher soll die bildungspolitische Reform fortgesetzt werden, auch wenn manche dagegen Widerstand leisten.

Abgeordneter AMON (V) hielt das ambitionierte bildungspolitische Programm der Bundesregierung für richtig, weil es für die Zukunft des Landes entscheidend sei. Amon begrüßte die Möglichkeit der Bundesländer, das für sie passende Modell der neuen Mittelschule zu entwickeln. Amon machte auf die Ausweitung der Tagesbetreuung, das Projekt einer Reform der Reifeprüfung und die Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen aufmerksam und stellte fest, dass man motivierte Lehrer brauche, um die Bildungsoffensive vorantreiben zu können. Man müsse sich daher fragen, ob die jüngste Botschaft an die Lehrer: "Ihr arbeitet zu wenig und müsst zwei Stunden mehr unterrichten" die richtige Form der Mitarbeitermotivation und des sozialen Dialogs gewesen sei. Amon ersuchte die Unterrichtsministerin daher, das Gespräch mit den Lehrern zu suchen, statt ihnen alle paar Tage neue Vorschläge über die Medien auszurichten. Es gelte gemeinsam ein neues Dienstrecht zu entwickeln statt auf Konfrontation mit den Lehrern zu gehen.

Abgeordneter Dr. ROSENKRANZ (F) warf Bundesministerin Schmied vor, die Lehrer einer unvergleichlichen Diffamierungskampagne in den Medien ausgesetzt zu haben. Den Eindruck zu erwecken, Lehrer seien privilegiert und faul, sei falsch. Die Lehrer lehnten es ab, zu den Sündenböcken für eine jahrzehntelang verfehlte Schulpolitik gemacht zu werden, sagte Rosenkranz, kritisierte aber zugleich die Lehrergewerkschaft, die ihr Vokabular auf die Worte "Nein" und "Streik" reduziert habe. Abzulehnen sei es, von den Lehrern einen Solidarbeitrag zur Bewältigung einer Krise zu verlangen, für die Banker und Börsenspekulanten verantwortlich seien. "Wo bleibt der Solidarbeitrag von Leuten wie Ötsch, Huber oder verantwortlichen Politikern?", fragte Abgeordneter Rosenkranz. Der Redner lehnte es auch ab, den Lehrern im Rahmen der Bildungsreform eine befristete Vorleistung abzuverlangen. Die Reform müsse zur Gänze auf den Tisch, damit die Motivation stimme, sagte der Abgeordnete.

Abgeordnete HAUBNER (B) sah die Bundesregierung sich über Probleme hinweglächeln, während sie interne Differenzen auf dem Rücken von Lehrern und Schülern auszutragen versuche. Ob es sich bei der zusätzlichen Lehrverpflichtung um eine Solidaritätsmaßnahme, eine Budgetmaßnahme oder eine Maßnahme zur Verbesserung des Unterrichts handle, sei unklar, klagte die Abgeordnete und unterstrich das Eintreten ihrer Fraktion für eine Schule, die den Kindern beste Chancen für ihr Leben gibt. Daher verlange sie, dass die Lehrer mehr Zeit für den Unterricht aufwenden, die Vor- und Nachbereitung in der Schule erledigt werden sowie Unterricht und administrative Tätigkeiten klar getrennt werden. Die Schule sei zuwenig effizient, sie selektiere die Schüler zu früh und integriere zu wenig. Den Reformbemühungen der Ministerin sagte Abgeordnete Haubner ausdrücklich Unterstützung zu.

Abgeordneter Dr. WALSER (G) sagte, die ÖVP sei für die schlechte Situation des Bildungswesens in Österreich verantwortlich, weil sie 10 Jahre lang Reformverweigerung betrieben habe. Der Redner stimmte Abgeordnetem Cap zu, der auf die Notwendigkeit hinwies, die Lehrer als Reformpartner in den Schulen zu gewinnen, fragte aber, ob man Partner gewinnen könne, wenn man ihnen ausrichte, sie müssten 10 % mehr arbeiten, um einen Beitrag zur Bewältigung einer Krise zu leisten, die sie sicher nicht zu verantworten haben. "Müssen auch die Ärzte damit rechnen, auf 10 % ihres Gehalts zu verzichten, um einen Solidarbeitrag zu leisten?", fragte Dr. Walser pointiert. Das Hauptproblem des österreichischen Bildungssystems sah der Abgeordnete darin, dass es Bildung vererbe. Nur 10 % der Kinder von Pflichtschulabsolventen besuchten eine AHS, klagte Walser. Im internationalen Vergleich zeige das österreichische Schulsystem eine viel zu starke sozial selektive Wirkung - eine Reform sei notwendig, schloss der Abgeordnete.

Abgeordnete Mag. KUNTZL (S) zeigte sich erfreut über den Konsens in der Debatte, die zeige, dass alle beste Chancen für die Kinder wollen. Dabei gehe es nicht nur um die Schule, sondern auch um die frühkindliche Erziehung und das Lernen an den Hochschulen. Als einen Meilenstein bezeichnete die Rednerin die Entscheidung des Wiener Bürgermeisters für Gratiskindergärten in der Bundeshauptstadt. In die Schuldebatte habe Bundesministerin Schmied nach Jahren des Stillstandes wieder Bewegung gebracht, lobte die Rednerin, verwies auf das Ziel kleinerer Schulklassen, mehr Sprachförderung und bessere Nachmittagsbetreuung. Die Lehrer, die meinten, endlich gehe etwas weiter, hätten nun eine verständliche Schrecksekunde erlebt, als die Ministerin sagte: "Ich brauche die Lehrer zwei Stunden länger in der Klasse". Kuntzls Appell an die Spitze der Lehrergewerkschaft lautete, konstruktive Verhandlungen im Sinne der engagierten Lehrer mit der Ressortleiterin zu führen.

Für Abgeordnete Mag. CORTOLEZIS-SCHLAGER (V) wurde die Bildungsreform nicht erst im Jahr 2006 gestartet. Sie verteidigte die vielfach angegriffene Ministerin Gehrer, ihr Name stehe für viele schulreformatorische Schritte. Cortolezis-Schlager unterstrich die Notwendigkeit, das lebenslange Lernen auszubauen und machte auf die Spitzenposition Österreichs auf diesem Gebiet aufmerksam. Einen führenden Rang nehme Österreich auch bei der Gruppe der Schulabsolventen mit Sekundarabschluss ein, hielt die Abgeordnete fest. Klar sei, dass die Kinder mehr Betreuung brauchten, vielleicht könnte man die Schulstunden von 50 auf 55 Minuten verlängern, schlug die Rednerin vor und sprach sich für einen Dialog der Bundesministerin mit allen Schulpartnern aus.

Abgeordnete Mag. UNTERREINER (F) warf ein, die Erhöhung der Lehrerarbeitszeit sei bloß eine singuläre Maßnahme, über die man diskutieren könne, die aber nicht isoliert betrachtet und vor allem nicht als Vorwand für die Einführung der Gesamtschule durch die Hintertür herangezogen werden dürfe. Nach Meinung der Rednerin gebe es viele berechtigte Reformvorschläge, die von der Regierung umgesetzt werden sollten, etwa die Rücknahme der Stundenkürzungen, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Lehrer, eine Verstärkung der musischen Fächer oder die Forcierung der Deutschkenntnisse von Zuwandererkindern.

Abgeordneter WESTENTHALER (B) ging scharf mit der VP-Lehrergewerkschaft ins Gericht, die er als "Beton-Fraktion" bezeichnete, und forderte die Unterrichtsministerin auf, ihre Pläne durchzuziehen. Angesichts der langen Ferien der Lehrer und vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise, die zahlreiche Arbeitnehmer um ihre Arbeitsplätze zittern lässt, sei es geradezu eine Schande, um zwei Stunden mehr Lehrverpflichtung zu diskutieren, brachte der Redner seinen Unmut auf den Punkt.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) warf der ÖVP vor, jegliche Reform in der Bildungspolitik verhindert und zu wenig in die Bildung investiert zu haben. Sie lehnte mit Nachdruck Sparen in der Bildung als falsche Antwort auf die gegenwärtige Krise ab und forderte vielmehr massive Investitionen in den Bildungsbereich, um die Basis dafür zu schaffen, dass alle Kinder die gleichen Chancen habe.

(Schluss Aktuelle Stunde/Forts. NR)


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