Parlamentskorrespondenz Nr. 329 vom 21.04.2009

Gebietskrankenkassen und Gesundheitssystem im Fokus

Debatte über einen Bericht des Rechnungshofs

Wien (PK) – Ein Vergleich der Wiener GKK mit der oberösterreichischen GKK in einem Bericht des Rechnungshofs stand im Mittelpunkt der Debatte des Nationalrats, nachdem der Sicherheitsbericht angenommen worden war. Abgeordnete Mag. LAPP (S) erinnerte an den Vergleich der Gebietskrankenkassen von Wien und Oberösterreich durch den Rechnungshof. Dabei gelte es nicht nur die Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, sondern auch auf die hohe Qualität der medizinischen Leistungen und auf das Vertrauen der PatientInnen zu achten. Der Rechnungshofbericht habe das hohe Defizit in Wien auch mit der speziellen Situation der Großstadt, den Ärztehonoraren und der besonderen Qualität der medizinischen Leistungen in Wien erklärt, sagte die Rednerin und wies den Vorschlag der Opposition, Krankenversicherungsträger zusammenzulegen, zurück, weil regional und vor Ort tätige Krankenkassen wichtig seien, um weitere Verbesserungen im Gesundheitssystem zu erreichen.

Abgeordneter GAHR (V) besprach den Rechnungshofbericht über die Österreichwerbung positiv; die Strategie und Effizienz in der Arbeit der Österreich Werbung sei gut zu beurteilen. Empfehlungen des Rechnungshofes seien bereits von Minister Bartenstein ernst genommen und umgesetzt worden, lobte der Abgeordnete. Kritisch betrachtete der Redner die Nichtumsetzung von Rechnungshofempfehlungen im Bereich der Wiener Gebietskrankenkasse, wohingegen Oberösterreich zeige, dass Effizienzsteigerungen im Gesundheitssystem möglich seien. "Wir wollen den Gebietskrankenkassen finanziell helfen, aber nur wenn sie zu Effizienzsteigerungen bereit sind", bekräftigte der Redner.

Abgeordnete Dr. BELAKOWITSCH-JENEWEIN (F) zog aus dem vorliegenden Rechnungshofbericht den Schluss, dass eine Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen erforderlich wäre. Eine Zusammenlegung bedeute nicht, dass die Patientenversorgung vor Ort eingeschränkt werde, betonte sie, vielmehr gehe es um Einsparungen in der Verwaltung. Es sei nicht notwendig, so Belakowitsch-Jenewein, dass in jedem Bundesland "Krankenkassenpaläste" stünden. Die Wiener Gebietskrankenkasse wäre ihr zufolge bereits im Jahr 2006 nicht in der Lage gewesen, die Bevölkerung aus eigener Kraft zu versorgen.

Auch Abgeordneter GROSZ (B) forderte die konsequente Zusammenlegung von Sozialversicherungsanstalten. Er erwartet sich davon nicht nur eine Nutzung von Synergien, sondern mehr Leistungsgerechtigkeit für die Patientinnen und Patienten. Die Wiener Gebietskrankenkasse nannte Grosz eine der größten "Skandalkrankenkassen" in Österreich. Aber auch die Situation in der Steiermark sieht ihm zufolge nicht viel besser aus.

Abgeordneter Mag. KOGLER (G) machte geltend, das Finanzproblem der Krankenkassen könnte durch Einsparungen in der Verwaltung nicht annähernd gelöst werden, auch wenn Effizienzsteigerungen in Einzelbereichen immer möglich seien. FPÖ und BZÖ wollten das offenbar nicht verstehen, meinte er. Die negative Gebarung der Wiener Gebietskrankenkasse führt Kogler nicht zuletzt auf die ungleiche Verteilung von Verhandlungsmacht zurück. In diesem Zusammenhang kritisierte er etwa die Wiener Ärztekammer und die Pharmaindustrie.

Gesundheitsminister STÖGER lobte den Rechnungshof, der, wie er sagte, sehr penibel die Wiener mit der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse verglichen habe. Aus dem Bericht geht ihm zufolge deutlich hervor, dass verschiedene politische Maßnahmen zu Mindereinnahmen der Gebietskrankenkassen geführt haben. Es seien, so Stöger, nicht die Verwaltungskosten, die für die negative Gebarung der Gebietskrankenkassen verantwortlich sind.

Deutlich sprach sich Stöger gegen eine Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen bzw. gegen einheitliche Ärztehonorare aus. Die Existenz verschiedener Gebietskrankenkassen würde es ermöglichen, unterschiedliche Herangehensweisen an anstehende Probleme auszuprobieren und so im Sinne eines "Benchmarking" die Weiterentwicklung des Systems voranzutreiben.

Abgeordneter Mag. GASSNER (S) setzte sich kritisch mit der Bestellung eines Geschäftsführers der Österreich Werbung auseinander. Trotz Ausschreibung des Postens sei der alte Geschäftsführer wiederbestellt und die 12 KandidatInnen, die sich neben ihm beworben haben, nicht einmal zum Hearing eingeladen worden, kritisierte er.

Abgeordneter SINGER (V) hob hervor, der vorliegende Rechnungshofbericht lasse "kein gutes Haar" an der Wiener Gebietskrankenkasse und sei in Wahrheit "niederschmetternd". Selbst wenn man Wiener Besonderheiten berücksichtige, sehe der Rechnungshof ein Einsparungspotential von 80 Mio. €, konstatierte er. Der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse sei es hingegen 2006 durch die Umsetzung von Empfehlungen des Rechnungshofs gelungen, ein Plus von 15 Mio. € zu schreiben. Er bekenne sich grundsätzlich zu Ausgleichszahlungen und Solidarbeiträgen, sagte Singer, allerdings müsse die Wiener Gebietskrankenkasse zuvor ein Sanierungskonzept vorlegen.

Abgeordneter GRADAUER (F) brachte namens seiner Fraktion einen Entschließungsantrag ein, der sich gegen die Einführung von E-Voting bei den bevorstehenden ÖH-Wahlen wendet. Er sieht das gleiche und geheime Wahlrecht in Gefahr. In Zusammenhang mit dem Defizit der Wiener Gebietskrankenkasse sprach Gradauer von einem "wahren Trauerspiel", das nach wie vor nicht beendet sei. Es liege immer noch kein Sanierungskonzept vor.

Abgeordneter Dr. SPADIUT (B) bedankte sich beim Rechnungshof für den vorliegenden Bericht. Der Bericht zeige, wie notwendig eine Gesundheitsreform und eine Kassenreform seien, sagte er. Unter anderem kritisierte Spadiut unterschiedliche Behandlungsrichtlinien, unterschiedliche Leistungskataloge und unterschiedliche Ärztehonorare in einzelnen Bundesländern. Für die Kassendefizite machte er aber auch den seiner Ansicht nach verbreiteten Missbrauch der E-Card verantwortlich.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) führte aus, die Debatte verlaufe so wie befürchtet: die einen würden die Wiener Gebietskrankenkasse angreifen, die anderen verteidigen sie. So werde die Politik nie eine Gesundheitsreform zustande bringen, klagte er, und schilderte am Beispiel seiner Mutter konkrete Probleme im Gesundheitsbereich. Die "Klassenmedizin" sei, so Öllinger, Realität in Österreich, auch wenn er das österreichische Gesundheitssystem insgesamt als recht gut qualifizierte.

Staatssekretärin MAREK wies darauf hin, dass die Österreich Werbung sämtliche Empfehlungen des Rechnungshofes umgesetzt habe beziehungsweise diese gerade in Umsetzung begriffen seien. Die Kritik an der Wiederbestellung des früheren Geschäftsführers wies Marek zurück und stellte klar, dass keiner der von Abgeordnetem Gaßner angesprochenen Bewerbern die geforderten Qualifikationen erfüllt habe.

Abgeordnete Mag. BECHER (S) verteidigte die Wiener Gebietskrankenkasse und hob die Notwendigkeit hervor, den Krankenkassen "ressortfremde" Leistungen zu ersetzen. Ihrer Meinung nach gilt es zudem, im Falle der Wiener Kasse den Großstadt-Faktor zu berücksichtigen. Generell sprach sich Becher gegen weitere Selbstbehalte im Gesundheitsbereich aus.

Abgeordneter WÖGINGER (V) erklärte, der Rechnungshofbericht halte ausdrücklich fest, dass gesetzliche Maßnahmen nicht die alleinige Ursache für das hohe Defizit der Wiener Gebietskrankenkasse seien. Er sieht daher dringenden Handlungsbedarf. Ohne Strukturreform könne es keine zusätzlichen Steuergelder für die Krankenkassen geben, betonte Wöginger.

Abgeordneter Mag. HAIDER (F) erinnerte daran, dass der von Marek angesprochene Geschäftsführer der Österreich Werbung sechs Monate nach seiner Wiederbestellung aus der Österreich Werbung ausgeschieden sei und eine hohe Abfertigung bezogen habe. Das habe der Rechnungshof zu Recht beanstandet, skizzierte er. Bedauern äußerte Haider darüber, dass die Förderung für die Österreich Werbung nicht aufgestockt würde.

Abgeordneter KAIPEL (S) gab zu bedenken, dass die Krankenkassen nicht zuletzt deshalb in einer schwierigen finanziellen Lage seien, weil die zwischen den Jahren 2000 und 2006 amtierende Regierung die Kassen durch verschiedene Maßnahmen jährlich mit 2,6 Mrd. € belastet habe. Die Empfehlungen des Rechnungshofes an die Wiener Gebietskrankenkasse wertete er als durchaus vorbildhaft, wobei Kaipel vor allem bei den Vertragspartnern der Kassen Einsparungspotential ortet.

Abgeordneter OBERNOSTERER (V) befasste sich mit der Österreich Werbung und betonte, die Institution sei ein Herzeigeprojekt Österreichs. Zum Entschließungsantrag der FPÖ merkte er an, FPÖ-Abgeordneter Graf habe seinerzeit die Einführung von E-Voting unterstützt. Er selbst erwartet sich von der Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe bei den bevorstehenden ÖH-Wahlen eine höhere Wahlbeteiligung und damit "mehr Demokratie".

Abgeordneter Dr. KARLSBÖCK (F) wies darauf hin, dass das Gesundheitssystem stark von der Wirtschafts- und Beschäftigungslage abhängig sei. Daher sei es von der gegenwärtigen Krise besonders betroffen. Karlsböck zufolge muss dringend gehandelt werden, wobei er u.a. die Zusammenlegung von Krankenkassen, die Finanzierung des Gesundheitssystems aus einer Hand und die Umwidmung nicht benötigter Krankenhäuser forderte. Überdies erachtet er eine Mischfinanzierung des Gesundheitssystems aus Beiträgen und dem Steuertopf für erforderlich. Massive Leistungskürzungen müssten, so Karlsböck, verhindert werden.

Abgeordneter FAUL (S) bedauerte, dass niemand im Zusammenhang mit der Österreich Werbung davon geredet habe, wo sich der Tourismus hinentwickeln soll. Seiner Ansicht nach sollten neue Sparten wie etwa der Gesundheits-, der Erholungs- oder der Almentourismus forciert werden. Außerdem glaube er, dass das jetzige System, dass sehr kammernah und institutionell geführt wird und in dem viel Geld drinnen steckt, "in den freien Markt hinaus gehört".

Abgeordnete SCHÖNPASS (S) bezog sich in ihrer Wortmeldung auf den Vergleich zwischen der Wiener und der Oberösterreichischen Krankenkasse. Sie glaube, dass dabei einige Besonderheiten nicht berücksichtigt wurden, wie etwa die Versorgungsdichte mit praktischen Medizinern und Fachärzten, die in Wien viel höher sei. Klar herausgekommen sei jedoch, dass die Hauptursache für die Defizite in den von der ÖVP-FPÖ-Regierung beschlossenen gesetzlichen Maßnahmen ab dem Jahr 2000 liegt. Ohne diese Regelungen hätte etwa die Wiener Gebietskrankenkasse im Jahr 2002 kein Defizit, sondern einen Überschuss in der Höhe von 156 Millionen € aufgewiesen, zeigte Schönpass auf.

Abgeordneter SACHER (S) kam ebenfalls auf die vom Rechnungshof geprüfte Österreich Werbung zu sprechen. Man sollte nun sehr genau schauen, ob die Empfehlungen von der neuen Geschäftsführung auch tatsächlich umgesetzt werden.

Abgeordnete Mag. MUSIOL (G) befasste sich mit dem F-Antrag betreffend das E-Voting. Ihre Fraktion werde dieser Initiative zustimmen, kündigte sie an, auch wenn damit keine grundsätzliche Ablehnung des E-Votings verbunden sein soll. Man solle nämlich schon darüber nachdenken, ob moderne Mittel bei der Wahl eingesetzt werden können. Allerdings dürfe dies nie auf Kosten von Wahlgrundsätzen gehen, wie dies bei der aktuellen ÖH-Wahl der Fall sein könnte, befürchtete sie. Sie habe den Eindruck, dass Minister Hahn die Studenten und Studentinnen als Versuchskaninchen missbraucht, da ein technisch nicht ausgereiftes System zur Anwendung komme.

Rechnungshofpräsident Dr. MOSER zeigte sich erfreut darüber, dass die Empfehlungen des Rechnungshofs sehr ernst genommen werden. In seinen Ausführungen bezog er sich vor allem auf jenen Bericht, in dem die Gebarung der Wiener und der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse miteinander verglichen werden. Der Rechungshof habe im Jahr 2006 die unterschiedlichen Betriebsergebnisse der beiden Kassen zum Anlass genommen, um sich die Gebarung und die Struktur der beiden Institutionen näher anzuschauen. Was die angesprochenen gesetzlichen Maßnahmen betrifft, so habe es nicht nur Belastungen, sondern auch Entlastungen gegeben, erläuterte Moser.

Allerdings gebe es auch Gründe, die in der Kasse selbst zu finden sind, wie etwa die mangelnde Nutzung von Synergieeffekten und Einsparungspotentialen oder eine fehlende Kostenoptimierung. Der Mehraufwand der Wiener Krankenkasse habe im Zeitraum 1993-2006 260 Millionen € betragen. Davon abgezogen wurde der so genannte Großstadtfaktor (140 Millionen €) sowie ein Betrag für die spezielle Versichertenstruktur. Dennoch verbleibe ein Betrag in der Höhe von 80 Millionen €, der belege, dass die Wiener Gebietskrankenkasse nicht die erforderlichen Maßnahmen gesetzt habe. Der Anstieg der Kosten im ärztlichen Bereich sei zum Beispiel auf die höheren Tarife, die mangelnde Ausgabenbegrenzung, die Frequenzunterschiede, fehlende Pauschalierungen oder auf die unterschiedliche Ärztedichte zurückzuführen. Zum letzten Punkt merkte Moser noch an, dass in Wien z.B um 5 % weniger praktische Ärzte tätig sind, aber um 250 % mehr Radiologen als in Oberösterreich. Der Rechnungshof habe eine Reihe von Maßnahmen, aber nicht die Erhöhung von Selbstbehalten, vorgeschlagen, betonte Moser. Was die Pläne bezüglich der Heilmittel anbelangt, so reichen diese seiner Ansicht nach sicher nicht aus, um die Sanierung der Kassen und eine Absicherung der Versorgung sicherzustellen.

Der Rechnungshofbericht wurde einstimmig zur Kenntnis genommen. Bei der namentlichen Abstimmung über den FPÖ-Entschließungsantrag betreffend der Einführung des E-Votings bei der nächsten Hochschülerschaftswahl wurde folgendes Ergebnis erzielt: 67 Ja-Stimmen, 102 Nein-Stimmen (bei 169 abgegebenen Stimmen) – der Entschließungsantrag gilt somit als abgelehnt.

(Schluss RH-Bericht/Forts. NR)