Parlamentskorrespondenz Nr. 595 vom 30.06.2009

Die Patchwork-Familie zieht ins ABGB ein

Justizausschuss beschließt Änderungen im Familienrecht

Wien (PK) - Ein Bündel von Gesetzesänderungen in mehreren Rechtsmaterien sieht das Familienrechts-Änderungsgesetz vor, das heute mit den Stimmen der Regierungsparteien, der FPÖ und in Teilbereichen der Grünen vom Justizausschuss plenumsreif gemacht wurde. Ziel des Pakets ist es, moderne Familienformen – Stichwort "Patchwork-Familie" - stärker zu berücksichtigen, wobei vor allem auf die Lebensbedingungen von Stiefkindern und auf nichteheliche Lebensgemeinschaften Bedacht genommen wird.

Nunmehr wird im ABGB u.a. klar gestellt, dass Ehegatten nicht nur für gemeinsame Kinder Verantwortung haben, sondern dass sie auch den Partner in dessen Obsorgeaufgaben für in die neue Verbindung "mitgebrachte" Kinder übernehmen müssen; der Stiefvater bzw. die Stiefmutter gilt dem Stiefkind gegenüber familienrechtlich nicht mehr als "Fremder". Dem Globalziel der Stärkung des Kindeswohls entspricht die Erweiterung der Beistandspflicht auf alle volljährigen Personen, die mit einem Elternteil und dessen Kind in einem gemeinsamen Haushalt wohnen. Zur Modernisierung des Eherechts zählt die Streichung nicht mehr üblicher Begriffe und Sachverhalte wie Heiratsgut, Morgengabe und Widerlage bzw. deren moderne Fassung unter der Überschrift "Gütergemeinschaft".

Abgeordnete Gabriele Binder-Maier (S) begrüßte die Bestimmungen in dem Familienpaket vor allem als rechtliche Klarstellungen, die auf die unterschiedlichen Lebenssituationen der Menschen Bedacht nehmen. Nun gelte es, an diesem Gesetz weiter zu arbeiten, da sich die sozialen Realitäten permanent verändern, meinte sie und sah für die Zukunft Handlungsbedarf, insbesondere bei der Regelung des Unterhalts. Würden Mütter und Väter ihre Rolle als erwachsene Menschen wahrnehmen, dann bräuchte man viele dieser Bestimmungen gar nicht, merkte Binder-Maier grundsätzlich an.

Abgeordneter Johann Maier (S) wies auf die Folgen von Ehescheidungen hin und präsentierte den Vorschlag, dem sich auch die Abgeordnete Karin Hakl (V) anschloss, vor der Scheidung eine verpflichtende, unabhängige Beratung beider scheidungswilliger Teile durch die Gerichte einzuführen. Hakl machte überdies auch auf eine Schieflage zu Lasten von Lebensgefährten aufmerksam und gab zu bedenken, der nicht verheiratete Lebensgefährte und leibliche Vater sollte ex lege die gleichen Rechte und Pflichten hinsichtlich der Kinder haben wie der Stiefvater.

Abgeordnete Ridi Maria Steibl (V) hob die Ausdehnung der ehelichen Beistandspflicht auf die "Patchwork-Familien" sowie Verbesserungen der Unterhaltsregelung zu Gunsten von AlleinerzieherInnen als positiv hervor.

Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) kündigte die Zustimmung seiner Fraktion an und begrüßte vor allem die Streichung überkommener Bestimmungen aus dem Gesetz.

Abgeordnete Daniela Musiol (G) meinte zwar, das Gesetz gehe in die richtige Richtung, sah aber nach wie vor dringenden Reformbedarf im Scheidungsrecht, in der Regelung des Unterhalts und der Obsorge sowie bei den Lebensgemeinschaften. Sie kritisierte darüber hinaus, dass die Bestimmungen über die "Patchwork-Familien" mit den ehelichen Beistandspflichten verknüpft wurden, und vermisste Regelungen über die Pflegefreistellung oder die Elternkarenz in diesen Familienformen. Auch sei im Unterhaltsrecht keinerlei Systemänderung in Richtung einer generellen Grundsicherung für Kinder gelungen.

Abgeordneter Herbert Scheibner (B) warf der Regierung vor, wieder einmal die Chance auf eine grundlegende Neuordnung des Familienrechts verpasst zu haben. Seiner Meinung nach müsste klar zum Ausdruck gebracht werden, dass die Kinder hinsichtlich der sozialen und finanziellen Absicherung und der Obsorge bei jeder gesetzlichen Regelung des Familienrechts im Vordergrund stehen. Weiters sollten Kinder unabhängig davon, aus welcher Art von Lebensgemeinschaft sie stammen, gleich behandelt werden, stand für Scheibner fest.

Justizministerin Claudia Bandion-Ortner äußerte ihre Überzeugung, dass sich das Familienrecht ständig bewegen und den gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen müsse, und hoffte auf weitere Modernisierungen bis zum 200jährigen Jubiläum des ABGB im Jahr 2011. Was die Lebensgemeinschaften betrifft, wies die Ministerin auf ein nach wie vor bestehendes Ungleichgewicht etwa bei der Obsorge hin. Dieses Problem führte sie auf das grundsätzliche Fehlen einer gesetzlichen Regelung der Lebensgemeinschaften in der österreichischen Rechtsordnung zurück.

Gemeinsam mit dem Familienpaket wurde ein selbständiger Antrag der Regierungsparteien beschlossen, der eine Halbierung der Gebühren für Besuchsanträge vorsieht.

Einstimmigkeit über EU-Anpassungen im Aktienrecht

Mit dem Aktienrechts-Änderungsgesetz 2009, das im Anschluss an die Änderungen im Familienrecht einstimmig plenumsreif gemacht wurde, wird eine entsprechende Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rats umgesetzt. Ziel der Novelle ist es vor allem, die Rechte der Aktionäre börsenotierter Gesellschaften zu vereinheitlichen und zu stärken und die Präsenz in der Hauptversammlung zu erhöhen. Dem wird der "Record-Date"-Nachweis dienen. Außerdem werden Informationspflichten im Vorfeld der Hauptversammlung geregelt, Minderheitsrechte festgelegt und die Stimmabgabe durch Stellvertreter vereinheitlicht.

Die Behandlung der restlichen Tagesordnungspunkte fiel daraufhin der Terminkollision mit der Sitzung des Verfassungsausschusses zum Opfer. Einstimmig vertagt wurden deshalb ein Antrag der Grünen auf Änderung des Strafgesetzbuches, ein Entschließungsantrag der Grünen betreffend die Rehabilitierung von Justizopfern des Austrofaschismus, ein Antrag des BZÖ betreffend wirksame Maßnahmen zum Schutz gegen Kinderschänder und Sexualstraftäter, ein weiterer Entschließungsantrag des BZÖ hinsichtlich eines Maßnahmenpakets zum Schutz von Kindern und vor Jugendkriminalität sowie zwei F- Anträge, die Regelungen der Obsorge zum Inhalt haben. (Schluss)