Parlamentskorrespondenz Nr. 597 vom 30.06.2009

Asylrechtssachen belasten Verfassungsgerichtshof enorm

VfGH und VwGH weisen im Verfassungsausschuss auf Überlastung hin

Wien (PK) – Der Verfassungsgerichtshof ist durch Asylrechtssachen enorm belastet. Der Gerichtshof könne die exorbitante Zusatzarbeit derzeit zwar noch bewältigen, sagte VfGH-Präsident Gerhart Holzinger im Verfassungsausschuss des Nationalrats, auf Dauer werde das aber nicht möglich sein. Er mahnte in diesem Sinn eine "nachhaltige Lösung" in Form einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit unter Einbeziehung des Asylgerichtshofs ein. Der VfGH brauche, so Holzinger, "Licht am Ende des Tunnels".

Holzinger veranschaulichte die Problematik anhand von Zahlen. Demnach wurden in den vergangenen Jahren durchschnittlich zwischen 2.500 und 2.800 Rechtssachen jährlich an den VfGH herangetragen. Das sei im internationalen Vergleich nicht wenig, meinte Holzinger, dennoch sei der Verfassungsgerichtshof mit dem Arbeitsaufwand recht gut fertig geworden. Das zeigt sich ihm zufolge nicht zuletzt an der durchschnittlichen Verfahrensdauer von 8 Monaten, ein im internationalen Vergleich guter Wert.

Durch das neue Asylrecht hat sich laut Holzinger die Situation "dramatisch verändert". Asylwerber können Entscheidungen des Asylgerichtshofs nicht beim Verwaltungsgerichtshof anfechten, sondern nur beim VfGH Beschwerde einlegen. In der ersten Hälfte des Jahres 2009 wurden seiner Darstellung nach bereits mehr als 1.800 solcher Beschwerden an den VfGH herangetragen. Aufs Jahr hochgerechnet seien dies 3.500 bis 4.000 zusätzliche Fallzahlen. Er glaube nicht, meinte Holzinger, dass es ein anderes Höchstgericht gebe, das mit einer so hohen Fallzahl aus nur einem einzigen Verwaltungsbereich befasst sei.

Durch organisatorische Vorkehrungen, zusätzliche MitarbeiterInnen und einem noch größeren Engagement der RichterInnen sei es bisher zwar gelungen, die Fälle zu bewältigen, skizzierte Holzinger. So seien zwischen 75 % und 80 % der seit vergangenem Juni anhängig gewordenen Fälle erledigt worden, bei einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von 50 Tagen. Langfristig sei dies jedoch nicht bewältigbar.

Überdies hält Holzinger, wie er erklärte, die Übertragung einer solchen Vielzahl von Rechtssachen, die nur in Ausnahmefällen zentrale Verfassungsfragen betreffen, an den VfGH für "ein eminentes rechtsstaatliches Problem". Wenn der Zustand länger andauere, werde der Verfassungsgerichtshof mehr und mehr seiner Kerntätigkeit, der Prüfung essentieller staatsrechtlicher Fragen inklusive Normenprüfung, entfremdet, skizzierte er.

In der Sitzung berichtete VwGH-Präsident Clemens Jabloner den Abgeordneten, dass der Verwaltungsgerichtshof durch das neue Asylrecht zwar "eine gewisse Minderung der Belastung" verzeichne, von der notwendigen Entlastung sei er aber immer noch weit entfernt. Der bestehende Rückstand bei den Rechtssachen kann ihm zufolge nach wie vor nicht abgearbeitet werden.

Jabloner drängte daher zum wiederholten Mal auf die Einführung von Verwaltungsgerichten erster Instanz. Dabei müssen ihm zufolge bei einem solchen Schritt gewisse Kernpunkte gewährleistet sein. So muss der VwGH ihm zufolge im Sinne der Sicherstellung der Rechtseinheitlichkeit stets die Möglichkeit haben, sich mit einer Rechtssache zu befassen. Ebenso erachtete er es für notwendig, Landesverwaltungsgerichten erster Instanz die Möglichkeit einzuräumen, in der Sache selbst zu entscheiden und nicht nur Bescheide aufzuheben. Auch der juristischen Qualität maß er große Bedeutung bei. Landesverwaltungsgerichten wären laut Jabloner Baurechtsangelegenheiten zu übertragen, sie könnten seiner Meinung nach aber auch Aufgaben auf dem Gebiet des Sicherheitswesens übernehmen.

Sollte es nicht rasch zur Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten kommen, regte Jabloner als kurzfristige Maßnahme zur Entlastung des VwGH die Betrauung der Unabhängigen Verwaltungssenate mit bestimmten Fremdenrechtsangelegenheiten an. Außerdem wünschte er sich eine Erweiterung der Zuständigkeit der Unabhängigen Finanzsenate und ein Ablehnungsrecht des VwGH gegen Entscheidungen der UFS.

Was Asylrechtsangelegenheiten betrifft, gibt es im VwGH laut Jabloner noch mehr als 3.400 offene Altfälle, die von vier Senaten bearbeitet werden. Er rechnet damit, dass die letzten Verfahren erst in den ersten Monaten 2011 abgeschlossen sein werden.

Staatssekretär Josef Ostermayer bekräftigte die bereits im Rahmen der Aktuellen Aussprache geäußerte Absicht der Regierung, noch im Herbst einen Begutachtungsentwurf zur Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit vorzulegen. Vorgesehen ist die Umwandlung der Unabhängigen Verwaltungssenate in Landesverwaltungsgerichte und die Schaffung zumindest eines Bundesverwaltungsgerichts erster Instanz.

Seitens der Abgeordneten sprachen sich Harald Stefan (F) und Ewald Stadler (B) für die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichtshöfen aus. Der VwGH soll Stefan zufolge vorwiegend Grundsatzentscheidungen treffen. Er kann sich außerdem vorstellen, dem Asylgerichtshof auch andere Fremdenrechtsfälle als oberste Entscheidungsinstanz zu übertragen.

Abgeordneter Stadler erklärte, er sehe das Problem der Überlastung des Verwaltungsgerichtshofs aus Sicht der Bürger. Es sei ein positives Zeichen, dass die Bevölkerung den bestehenden Rechtsschutz in Anspruch nehme, meinte er, die Verfahrensdauer müsse aber angemessen sein. Stadler trat sowohl für die Einrichtung echter Landesverwaltungsgerichtshöfe anstelle der Unabhängigen Verwaltungssenate als auch für eine gleichzeitige Personalaufstockung beim VwGH ein.

Auch Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S) hob die Bedeutung einer angemessenen Verfahrensdauer hervor. Das Alarmsignal läute schon lange, meinte sie. Grossmann zeigte sich in diesem Sinn erfreut, dass die jetzige Bundesregierung das Problem "energisch anpackt" und eine Strukturreform bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit "auf Schiene" sei.

Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) sprach sich für mehr "reformatorische" Entscheidungen im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit aus. Es sei im Sinne der Verfahrensdauer zielführender, wenn Verwaltungsgerichte Bescheide nicht nur aufheben, sondern eine Entscheidung in der Sache selbst treffen, unterstrich er.

VwGH-Präsident Clemens Jabloner merkte dazu an, ohne "kassatorische Elemente" könne ein Höchstgericht nicht auskommen. Sonst bestehe die Gefahr, dass eine Behörde Entscheidungen einfach nach oben delegiere.

Von den Abgeordneten wurden auch die Verfassungskonformität der geltenden Topografieverordnung (Wolfgang Zinggl, G) und die Entscheidung des Deutschen Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf den Vertrag von Lissabon (Harald Stefan, F, und Ewald Stadler, B) angesprochen. VfGH-Präsident Gerhart Holzinger hielt dazu fest, der VfGH habe seine Meinung zur Ortstafelfrage bereits mehrfach klar zum Ausdruck gebracht. Derzeit sind ihm zufolge fünf Verfahren anhängig, davon betrifft eines die neue Topografieverordnung.

Was den Vertrag von Lissabon betrifft, kann der Verfassungsgerichtshof Holzinger zufolge – im Unterschied zum Deutschen Höchstgericht – die Verfassungskonformität eines Staatsvertrags erst prüfen, wenn der Vertrag in Kraft getreten ist.

Basis für die Diskussion im Ausschuss bildete ein von Bundeskanzler Werner Faymann vorgelegter Bericht über die Arbeit des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs im Jahr 2007, der einstimmig zur Kenntnis genommen wurde. Aus dem Bericht geht hervor, dass der Rückstau bei den Beschwerdefällen im VwGH immer größer wird und zum Ende des Berichtsjahrs erstmals die 10.000er-Marke überschritten hat. 7.483 Fälle konnten erledigt werden, in 1.513 Fällen entschied der Gerichtshof, den angefochtenen Bescheid aufzuheben. Die durchschnittliche Erledigungsdauer von Sachentscheidungen (Erkenntnissen) wird mit 19 Monaten angegeben. Inhaltlich gesehen betrafen die mit Abstand meisten Beschwerden das Sicherheitswesen.

An den Verfassungsgerichtshof wurden laut Bericht im Jahr 2007 2.835 neue Fälle herangetragen. Gleichzeitig konnten 2.565 Fälle erledigt werden. Dazu zählen etwa 233 Gesetzesprüfungsverfahren, 99 Verordnungsprüfungsverfahren, 2.205 Bescheidbeschwerden und 4 Wahlanfechtungen. In Summe hob der VfGH von 42 geprüften Bundes- und Landesgesetzen 25 teilweise auf. 17 hielten der Prüfung hingegen stand. Bereits 2007 sah der VfGH ein enormes Problem durch Asylbeschwerden auf sich zukommen. (Fortsetzung Verfassungsausschuss)