Parlamentskorrespondenz Nr. 642 vom 09.07.2009

Nationalrat: Fragestunde mit Bundesminister Hundstorfer

Themen: Arbeitslosigkeit, Behinderten- und Pflegeprobleme

Wien (PK) - Nationalratspräsidentin Barbara Prammer leitete die 31. Sitzung des Nationalrats mit einer Fragestunde ein, in der der Bundesminister für Arbeit und Soziales Rudolf Hundstorfer den Abgeordneten Antworten auf Fragen nach den Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit, zur Integration behinderter Menschen in die Arbeitswelt und zu aktuellen Pflegeproblemen erteilte.

Abgeordnete Renate CSÖRGITS (S): Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der OECD-Studie zu den Pensionssystemen?

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Bundesminister für Arbeit und Soziales Rudolf HUNDSTORFER bezeichnete die Aussage dieser Studie als äußerst problematisch, weil sie unterstelle, dass Österreich ein zu großzügiges Pensionssystem habe. Dabei werde mit Maximalpensionen argumentiert, die kaum noch vorkommen, und zugleich übersehen, dass die staatlichen Pensionen in Österreich nicht ohne weiteres mit Pensionen in Ländern verglichen werden können, in denen die zweite und dritte Säule stärker ausgebaut sei. An dieser Stelle fügte Hundstorfer hinzu, dass kapitalgedeckte Systeme im OECD-Durchschnitt Verluste von 23 % und in Österreich von 15 % hinnehmen mussten. In Summe betrage der Kapitalverlust privater Pensionssysteme in der OECD 5,4 Billionen Dollar. Es habe sich herausgestellt, dass das Umlageverfahren ein stabileres Alterssicherungssystem sei, sagte der Sozialminister. In Gesprächen mit der OECD werde er sich bemühen, Missverständnisse wie in der zitierten Studie künftig zu vermeiden.

Von Abgeordnetem Karl DONABAUER (V) auf die Weiterentwicklung des Pensionssystems vor dem Hintergrund höherer Lebenserwartung, steigender Arbeitslosigkeit und dem Migrationsprozess angesprochen, führte der Sozialminister aus, das öffentliche Pensionsversicherungssystem habe sich als krisenfest erwiesen. Die zu erwartenden Einnahmenausfälle seien in den Budgets 2009 und 2010 berücksichtigt. Langfristig werde der öffentliche Beitrag für die Alterssicherung von derzeit 5,3 % des BIP auf 6,2 % im Jahr 2050 steigen, dann aber auf 5,8 % zurückgehen. Das Pensionssystem sei langfristig sicher, daran ändern auch kurzfristige Krisen nichts, zeigte sich der Minister überzeugt.

Abgeordnetem Josef JURY (B), der auf die Skepsis vieler Jugendlicher gegenüber dem staatlichen Pensionssystem hinwies, antwortete der Minister durch Hinweis auf sein Bemühen um die Stabilität des Pensionssystems und kündigte an, Jugendliche verstärkt über die Stabilität solidarisch finanzierter Pensionen zu informieren.

Mit Abgeordnetem Karl ÖLLINGER (G) zeigte sich der Sozialminister darin einig, dass die Schwerarbeiterpension und die Invaliditätspension aktuelle sozialpolitische Hauptthemen darstellten, und kündigte dazu eine Vorlage im kommenden Herbst an.

Abgeordneter Werner NEUBAUER (F) zitierte Altbundeskanzler Gusenbauer mit dem Vorschlag einer Anhebung des Pensionsantrittsalters und erfuhr von Bundesminister Hundstorfer, er werde das gesetzliche Pensionsantrittsalter in seiner Amtsperiode nicht angreifen, sich aber darum bemühen, das faktische Pensionsantrittsalter zu verändern, unter anderem durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen älterer Arbeitnehmer.

Abgeordneter August WÖGINGER (V): Welche Auswirkungen erwarten Sie sich vom Arbeitsmarktpaket?

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Der BUNDESMINISTER informierte die Abgeordneten über die Zunahme der Arbeitslosigkeit im Juni auf 230.000 Personen, womit Österreich im internationalen Vergleich relativ gut, nämlich an zweiter Stelle hinter den Niederlanden, liege. Das vor seinem Beschluss im Nationalrat stehende Arbeitsmarktpaket II werde Arbeitnehmern neue Chancen auf Beschäftigung geben, Unternehmen unterstützen und 35.000 Arbeitsplätze absichern oder neu schaffen. Es werde gelingen, aus vielen Einpersonenunternehmen Zweipersonenunternehmen zu machen, die Kurzarbeitsvereinbarungen zu verlängern und Verbesserungen bei der Altersteilzeit sowie in der Bildungskarenz und die Einrichtung der Jugendstiftung herbeizuführen. Der Minister lobte ausdrücklich das AMS, dem es gelungen sei, im ersten Halbjahr 2009 340.000 Menschen auf neue Arbeitsplätze zu vermitteln.

Probleme ortete der Minister in seiner Antwort auf eine Zusatzfrage in der exportorientierten Industrie, die einerseits auf internationale Konjunkturprogramme, andererseits auf Qualifikationsmaßnahmen angewiesen sei.

Abgeordnetem Stefan MARKOWITZ (B), der über zu wenige Lehrstellen klagte, teilte der Minister mit, derzeit gebe es mehr offene Stellen als Lehrstellensuchende und versprach, die Ausbildungsgarantie umzusetzen. "Alle Jugendlichen, die eine Ausbildung machen wollen, werden eine Lehrstelle bekommen", sagte der Minister.

Zur Lösung der Probleme von LeiharbeiterInnen, auf die Abgeordnete Birgit SCHATZ (G) hinwies, nannte der Minister die Aktion "Zukunft Jugend" mit dem Ziel, die Verweildauer Jugendlicher in der Arbeitslosigkeit auf 40 Tage zu begrenzen und den Zugang von Leiharbeitern zur neuen "Jugendstiftung", die von den Unternehmen mitfinanziert werde.  

Abgeordneter Herbert KICKL (F) forderte eine Anhebung des Arbeitslosengeldes von derzeit 55 % des Arbeitslohns auf 70 %, um der Armutsgefahr infolge von Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken.

Der Sozialminister machte zunächst auf Budgetprobleme aufmerksam. In einer ehrlichen Diskussion sollte man auch nicht übersehen, dass die Nettoersatzrate derzeit im Durchschnitt bei 60 % liege und die meisten Bezüge darüber liegen. Die Diskussion über eine Erhöhung der Nettoersatzrate setze eine Beurteilung des Gesamtsystems voraus.

Die dem Nationalrat vorliegende Jugendstiftung, die Abgeordneter Walter SCHOPF (S) ansprach, werde ihre Arbeit rasch aufnehmen, weil bereits Vorarbeiten geleistet wurden und man die bestehende Stiftung "Aufleb" reaktiviere, teilte der Ressortleiter mit.

Abgeordneter Norbert HOFER (F): Mit welchen konkreten Maßnahmen werden Sie die Zahl der armutsgefährdeten und in Armut lebenden Menschen reduzieren, zumal 20 % der behinderten Menschen in Österreich, zigtausende AlleinerzieherInnen und viele Menschen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben, in Österreich, einem noch immer wohlhabenden Land, massiv von Armut bedroht sind?

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Bundesminister Rudolf HUNDSTORFER betonte, der Kampf gegen die Armut sei ein zentrales Thema der Bundesregierung. Es gebe kein Patentrezept, aber ein Bündel von Maßnahmen, das von der bedarfsorientierten Mindestsicherung über Programme für Alleinerzieherinnen, Arbeitslose und ältere Arbeitslose reiche. Dazu kommen Maßnahmen für Langzeitarbeitslose und Möglichkeiten im zweiten Arbeitsmarkt sowie die aktive Arbeitsmarktpolitik, das beitragsfreie Kindergartenjahr und die 13. Familienbeihilfe. In einer Zusatzfrage auf die Inflationsabgeltung beim Pflegegeld angesprochen, erinnerte der Minister an die Erhöhung des Pflegegeldes mit Anfang des Jahres, an Verbesserungen für Behinderte und Demenzkranke und unterstrich: "Die Weiterentwicklung des Pflegegeldes steht auf meiner Agenda".

Abgeordnete Sabine OBERHAUSER (S) erfuhr von Minister Hundstorfer, er bemühe sich im Gespräch mit dem Kärntner Landeshauptmann um eine Lösung im Streit um die Einführung der Mindestsicherung. Wenn Kärnten sage, es habe eine bessere Mindestsicherung, müsse man daran erinnern, dass dies nur für Familien mit drei Kindern gelte. Es gebe in Kärnten derzeit aber nur 170 "dritte" Kinder.

Abgeordneter Jochen PACK (V) drängte auf mehr Lehrstellen für behinderte Jugendliche und auf einen besseren Zugang behinderter Menschen zum Arbeitsmarkt. 

Sozialminister Hundstorfer bezifferte die Mittel, die zur Förderung der beruflichen Integration behinderter Menschen aufgewendet werden, mit 175 Mio. €, machte auf die Steigerung der Förderungsfälle um 11 % aufmerksam und informierte über Programme für Jobcoaching, Lohnbeihilfen und Qualifikationsprojekte.

Abgeordneter Gerhard HUBER (B) schilderte das Leid von Familien mit Kindern, die unter der Armutsgrenze leben müssen. Der Bundesminister bezifferte die Zahl armutsgefährdeter Kinder mit 44.000 und listete die Maßnahmen der Bundesregierung auf: Mindestsicherung, 13. Familienbeihilfe, höherer Kinderabsetzbetrag, Absetzbarkeit von Betreuungskosten, Gratiskindergartenjahr und Mindeststandards für die Kinder-Sozialhilfe.

Zu geringe Verbesserungen bei der Erhöhung des Arbeitslosengeldes kritisierte Abgeordneter Karl ÖLLINGER (G). Der Bundesminister wies darauf hin, dass 75 % der Arbeitslosen eine höhere Nettoersatzrate als 55 % haben. Hundstorfer ersuchte um eine Gesamtbetrachtung des Systems und warb um Verständnis für sein Bemühen um eine möglichst geringe Verweildauer in der Arbeitslosigkeit, für eine möglichst geringe Jugendarbeitslosigkeit sowie dafür, die Menschen in Beschäftigung zu halten.

Abgeordnete Ursula HAUBNER (B): Welche konkreten Maßnahmen zur sozial- und arbeitsrechtlichen Absicherung von freiwilligen Helferinnen und Helfern werden Sie umsetzen, damit die Freiwilligenarbeit jene Wertschätzung bekommt, die sie auch verdient?

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Bundesminister HUNDSTORFER stimmte der Fragestellerin zu: "Die Arbeit der Freiwilligen ist wichtig". Daher trete er für eine sozialrechtliche Absicherung der Freiwilligen ein und beabsichtige, ein "Freiwilligengesetz" auszuarbeiten. Auch über die Anerkennung des freiwilligen Sozialjahres für die Berufausbildung stehe er in Gesprächen, teilte der Minister der Anfragestellerin auf eine Zusatzfrage mit.

Mit Abgeordneter Birgit SCHATZ (G) wusste sich der Minister einig darin, dass man alles unternehmen müsse, um die Ausbeutung junger Menschen durch "freiwillige" Praktika zu vermeiden, wobei es Hundstorfer für wichtig hielt, zwischen freiwilligem Engagement und Praktika zu unterscheiden, denen sich junge Menschen in der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz unterziehen.

Abgeordneter Mario KUNASEK (F) trat für eine pensionsrechtliche Absicherung Freiwilliger Feuerwehren ein, stieß damit aber auf Skepsis beim Ressortleiter, der seinerseits die Frage stellte, wie man eine zufällige Arbeit im Umfang von sieben bis zehn Wochen sozialversicherungsrechtlich absichern solle. Was man machen könne, seien Maßnahmen gegen Einkommensschmälerungen infolge von freiwilligem Engagement.

Den Abgeordneten Franz RIEPL (S) und August WÖGINGER (V) stimmte der Minister hinsichtlich ihrer positiven Einschätzung des "Unabhängigen Freiwilligenzentrums", eines oberösterreichischen Modellprojekts zur Unterstützung freiwilligen Engagements, zu.

Abgeordnete Birgit SCHATZ (G): Welche Maßnahmen werden Sie als Arbeitsminister setzen, um die Kündigung von rund 700 Siemens-MitarbeiterInnen zu verhindern?

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Der BUNDESMINISTER informierte darüber, dass zur Stunde keine Kündigung von der Firma Siemens angemeldet und der Dialog zwischen den MitarbeiterInnen und dem Unternehmen eingeleitet wurde. In diesen Gesprächen werden alle Möglichkeiten für eine Lösung des Problems ausgelotet. Im Unterschied zu vielen anderen Industrieunternehmen seien die bei Siemens betroffenen IT-Fachkräfte leichter auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln, da in der IT-Branche Nachfrage nach Arbeitskräften und Probleme bei der Einhaltung der Arbeitszeitbestimmungen bestünden. (Dazu auch Zusatzfragen der Abgeordneten Gerhard DEIMEK, F, und Wolfgang KATZIAN, S).

Abgeordnete Gabriele TAMANDL (V) erfuhr vom Arbeitsminister, dass die Arbeitslosigkeit in Österreich und Belgien zwischen September 2008 und Mai 2009 die geringsten Steigerungsraten gegenüber allen anderen Ländern aufweisen, was zeige, dass die Maßnahmen der Bundesregierung greifen.

Abgeordnetem Wolfgang SPADIUT (B) sagte der Minister zu, seine Frage über die 300 gekündigten ATS-Mitarbeiter schriftlich zu beantworten.

Abgeordnete Ulrike KÖNIGSBERGER-LUDWIG (S): Welche Entwicklungen sind im Bereich der Behindertengleichstellung zu beobachten?

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Der SOZIALMINISTER erinnerte an den Paradigmenwechsel in der österreichischen Behindertenpolitik und bezeichnete das Antidiskriminierungsgesetz als besonderen Meilenstein. Es gehe um Chancengleichheit und Barrierefreiheit, unterstrich der Minister und hielt auch in seinen Antworten auf eine Zusatzfrage fest, dass er in seinen Bemühungen nicht nachlassen werde, Behinderte durch Jobcoaching und das Weiterführen bewährter Projekte zu unterstützen.

Abgeordnetem Johannes SCHMUCKENSCHLAGER (V) wollte wissen, ob der Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer deren Chancen auf dem Arbeitsplatz vermindere. Der Sozialminister sagte, er strebe beim Kündigungsschutz eine einvernehmliche Lösung mit allen Behindertenverbände an.

Die Kritik der Abgeordneten Christoph HAGEN (B), Karl ÖLLINGER (G) und Norbert HOFER (F), dass Behinderte Tag für Tag Arbeit leisteten, ohne dafür Pensionsansprüche zu erwerben, beantwortete der Minister mit dem Hinweis auf die geplante Evaluierung des Antidiskriminierungsgesetzes, die aufzeigen werde, welche zusätzlichen Maßnahmen für Behinderte notwendig seien. Er sei dafür, Menschen eine Altersabsicherung zu geben, die in Behinderteneinrichtungen arbeiten, merkte Hundstorfer an. Die Behindertenanwaltschaft habe sich bewährt, stellte der Minister zudem fest.

Abgeordnete Ridi Maria STEIBL (V): Welche Entlastungsauswirkungen im öffentlichen Bereich (z.B. durch geringere Inanspruchnahme von Pflegeeinrichtungen etc.) wird die Übernahme der Beiträge für die Weiter- oder Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Pflegende bei einer Pflege von Angehörigen ab der Pflegestufe 3 durch den Bund haben?

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Bundesminister HUNDSTORFER zeigte sich überzeugt, dass die genannten Maßnahmen Entlastungseffekte auf den öffentlichen Sektor haben, konnte diese aber nicht quantifizieren. Als weitere Maßnahmen zur Förderung der Pflege zu Hause nannte der Minister auf eine diesbezügliche Zusatzfrage Maßnahmen zu Unterstützung pflegender Angehöriger, unter anderem durch "Urlaubsbetten". Wichtig sei ihm auch die Qualitätssicherung. Über die Einrichtung eines "Pflegefonds" befinde er sich im Gespräch mit den Bundesländern, erfuhr Abgeordnete Martina SCHENK (B).

Auf eine Frage der Abgeordneten Daniela MUSIOL (G) nach Vorkehrungen gegen Pflegefehler wies der Minister darauf hin, dass die Zahl der Personen, die in Pflegeberufen geschult werden, kurzfristig von 2.500 auf 4.000 angehoben wurde.

In Übereinstimmung mit Abgeordnetem Werner NEUBAUER (F) würdigte der Minister den enormen Einsatz der Menschen, die sich der Pflege pflegebedürftiger Menschen widmen, sei es als Angehörige zu Hause, sei als angestellte Pflegerinnen. Neubauer erfuhr, dass der Minister plane, das Pflege-Kompetenzzentrum der bäuerlichen Sozialversicherung auszubauen und dabei insbesondere auf die Hilfe für betreuende Angehörige Bedacht zu nehmen.

Auch die Information für betreuende Angehörige soll gemeinsam mit den Ländern und Gemeinden intensiviert werden, erfuhr Abgeordneter Erwin SPINDELBERGER (S). (Schluss)


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