Parlamentskorrespondenz Nr. 828 vom 07.10.2009

Justizausschuss mit Mehrheit für Rehabilitierung von Deserteuren

Diskussion über Anerkennung als Widerstandskämpfer

Wien (PK) – Eine intensive Debatte hat sich heute in der Sitzung des Justizausschusses über die Frage der Anerkennung der Desertion aus der Hitler-Wehrmacht als Akt des Widerstands ergeben. Am Ende wurde ein zu Beginn der Debatte über diesen Punkt der Tagesordnung von Abgeordneter Anna Franz (V) eingebrachter Antrag gemäß § 27 der Geschäftsordnung des Nationalrats mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen angenommen. Es soll aber versucht werden, bis zur Behandlung dieses Antrags im Plenum – voraussichtlich am 21. oder 22. Oktober – eine Einigung aller fünf Fraktionen zu erreichen. Ein von Abgeordnetem Herbert Scheibner (B) eingebrachter Vertagungsantrag blieb ebenso wie der ursprüngliche Antrag der Grünen in der Minderheit und wurde damit abgelehnt

Grundlage des mehrheitlich angenommenen § 27-Antrags war Antrag 374/A der Grünen, in dem diese für die Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile eintreten. In der Begründung argumentieren die Grünen damit, dass das Anerkennungsgesetz aus dem Jahr 2005 durch die Gleichstellung mit Kriegsopfern nur eine unzureichende Ehrenerklärung für von NS-Urteilen Betroffene darstelle und dass auch der Geltungsumfang der genannten Norm unzureichend sei. Damit soll nach Auffassung der AntragstellerInnen Tendenzen entgegengetreten werden, Deserteure als "ehrlose Feiglinge" zu brandmarken, wodurch die NS-Ideologie weiter aufrechterhalten werde.

Abgeordneter Albert Steinhauser (G) sah in der Angelegenheit einen

"wichtigen Schritt für die Republik", mit dem die Moskauer Deklaration österreichisches Rechtsgut werde. Ziel sei die Rehabilitierung aller NS-Opfer gewesen, und dieses Ziel werde nun spät, aber doch erreicht.

Bundesministerin Claudia Bandion-Ortner erläuterte den § 27-Antrag, mit dem die Urteile von SS- und so genannten NS-Sondergerichten aufgehoben werden. Als nicht erfolgt gelten somit Strafurteile der Sonder- und Strafgerichte, Strafurteile des Volksgerichtshofs, Strafurteile der Oberlandesgerichte, Verurteilungen wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen, Anordnungen von Zwangssterilisierungen und Zwangsabtreibungen sowie gerichtliche Entscheidungen gegen Nicht-Österreicher auf dem heutigen Staatsgebiet. Damit werde eine Lücke geschlossen. In einer Generalklausel werden auch so genannte Kriegsverräter einbezogen. Genau betrachtet, betreffe die Vorlage gar nicht die Deserteure, weil diese bereits in den Jahren 1945 und 1946 rehabilitiert worden seien. Wie die Ministerin weiter ausführte, wird beim Bundesministerium für Justiz ein Versöhnungsbeirat eingerichtet werden. Nach den Vorstellungen einiger MandatarInnen soll sichergestellt werden, dass in diesem Beirat auch strafrechtliche Kompetenz vertreten sein soll.

Abgeordneter Herbert Scheibner (B) bezog sich auf die bereits 2005 erfolgte Rehabilitierung und sprach sich dafür aus, vom Einzelfall auszugehen. Mit dem Abgehen vom Einzelfall und damit von einer differenzierenden Vorgangsweise würden Franz Jägerstätter und "Anpassler" gleichgestellt, die bis kurz vor dem Ende des Krieges Mitläufer gewesen und erst zum Schluss desertiert seien, argumentierte Scheibner.

Für Differenzierung sprach sich auch Scheibners Fraktionskollege Ewald Stadler aus. Zudem gebe der Text Anlass zu Missdeutungen, weil nirgends klargestellt werde, dass Flucht nach Plünderung und Vergewaltigung anders zu beurteilen sei. Schließlich verwahrte sich Stadler gegen die insinuierte Umkehrung, dass nämlich mit dem NS-Regime einverstanden gewesen sei, wer nicht desertiert sei.

Abgeordneter Harald Walser (G) wertete den Tag als "historisch", zumal auch die anderen Fraktionen einer Lösung grundsätzlich zustimmten, an denen die Grünen zehn Jahre gearbeitet hätten. Die von Scheibner gewünschte Prüfung des einzelnen Falles sei in der Praxis unmöglich. Auch Ausschuss-Obmann Heribert Donnerbauer (V) beurteilte die Eröffnung möglicher Strafverfahren zu damals begangenen Delikten als nicht realistisch. Österreich stelle durch eine "symbolische Handlung" die Ehre der Deserteure wieder her, sagte Walser weiter. Damit werde gemacht, was längst überfällig und "keine Frage von rechts oder links" sei. Jeder Deserteur sei, objektiv gesehen, ein Widerstandskämpfer.

Abgeordneter Albert Steinhauser (G) erinnerte daran, dass sämtliche Entscheidungen von SS-Gerichten bereits 1946 aufgehoben worden seien. Er begrüßte die politische Wertung der Desertion als Handlung des Widerstands und sprach sich strikt gegen die Beurteilung im Einzelfall aus.

Abgeordneter Peter Michael Ikrath (V) hingegen wollte nicht jeden Deserteur als Widerstandskämpfer bewertet wissen und legte Wert darauf, dass die neue Regelung nicht über den Rechtszustand des Jahres 1946 hinaus gehen dürfe. Ikraths Fraktionskollegin Karin Hakl stellte klar, dass die Urteile seit 1946 aufgehoben seien und damit – einschließlich der Mischurteile – heutiger Disposition entzogen seien.

Auch die Abgeordneten der FPÖ zeigten sich mit der Vorlage grundsätzlich einverstanden. Abgeordneter Harald Stefan sprach sich allerdings gegen ein "undifferenziertes Signal für Deserteure ohne jede Einschränkung" aus. Abgeordneter Walter Rosenkranz regte an, bis zum Plenum an einer Modifizierung zu arbeiten, um so noch zu einer Einigung aller Fraktionen zu kommen. Dieses Ziel versprach Ausschuss-Obmann Heribert Donnerbauer (V) bis zum Plenum zu verfolgen.

Abgeordneter Johann Maier (S) erinnerte an einen im Jahr 2005 von Andreas Khol (V) und Helene Partik-Pable (F) vorgelegten Entschließungsantrag, der ein ähnliches Ziel verfolgt habe. Auch der deutsche Bundestag habe im August dieses Jahres eine vollständige Rehabilitierung von Deserteuren aus Hitlers Armeen beschlossen.  (Forts.)