Parlamentskorrespondenz Nr. 167 vom 11.03.2010

Quadriga03: Die Arbeit und ihr Preis

Buchpräsentation und Podiumsdiskussion im Hohen Haus

Wien (PK) – Im vergangenen Jahr startete die neue Buchpräsentationsreihe Quadriga im Parlament. Jeweils vier Bücher zu einem aktuellen Thema sollen im Hohen Haus vor Publikum präsentiert und gleichzeitig von vier ExpertInnen diskutiert werden. Beim heutigen dritten Teil der Reihe stand das Thema Arbeit im Mittelpunkt. Unter dem Titel "Exzellenz, Flexibilität, Prekariat: Die Arbeit und ihr Preis" diskutierten AMS-Chef Herbert Buchinger, Management-Trainerin Katharina Fischer-Ledenice, Trendforscher Holm Friebe sowie Verkäuferin und Buchautorin Ulrike Schramm-de Robertis unter der Moderation von Zita Bereuter (FM4) und Peter Zimmermann (Ö1) im Palais Epstein über vier Buchneuerscheinungen. Unter anderem ging es um die Auswirkungen der Globalisierung auf den Arbeitsmarkt, die neue Eigenverantwortung der ArbeitnehmerInnen und den zunehmenden Verlust von Sicherheiten. Lassen sich noch Lebens- und Karrierepläne erstellen und schafft Arbeit überhaupt noch Identität, lauteten zwei der Fragestellungen.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hob im Rahmen der Begrüßung hervor, dass das Thema Arbeit immer im Brennpunkt stehe. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise und der weltweit steigenden Arbeitslosenzahlen rücke es aber noch stärker ins Zentrum, betonte sie. Es gebe viele neue Phänomene in der Arbeitswelt, seien es die zunehmenden prekären Beschäftigungsverhältnisse oder die "working poor". Was Prammer in Österreich besonders irritiert, ist, wie sie sagte, das "unglaublich hohe Ausmaß" an Teilzeitarbeit mit oft sehr wenigen Wochenstunden.

Peter Zimmermann hielt eingangs der Diskussion fest, das Sein des Menschen definiere sich seit jeher am Tätigsein. Was Arbeit sei, lasse sich aber nicht so einfach sagen, meinte er. In den sechziger und siebziger Jahren sei klar gewesen, dass Arbeit Wohlstand, Sicherheit und Identität schaffe, ergänzte Zita Bereuter, ab den 80er Jahren war es damit aber langsam vorbei. Arbeit bedeute heute, so das Moderatorenduo, möglichst grenzenloser Einsatz, lebenslanges Lernen, Flexibilität, Mobilität und gleichzeitig den allmählichen Verlust von Sicherheiten. Jeder sei ersetzbar geworden, Menschen würden in erster Linie als Humankapital betrachtet.

Ulrike Schramm-de Robertis, Verkäuferin und Filialleiterin eines Lebensmitteldiscounters und Autorin des Buches "Ihr kriegt mich nicht klein!", schilderte ihre Erfahrungen in der Arbeitswelt. Als Filialleiterin einer Lidl-Filiale habe sie wegen konsequenten Personalmangels laufend unbezahlte Überstunden machen müssen und sei auch am Sonntag im Geschäft gestanden, um zu putzen, erzählte sie. Am schlimmsten sei aber der Umgang des Verkaufsleiters mit den MitarbeiterInnen gewesen, ständig sei man gedemütigt und fast "wie Dreck" behandelt worden.

Schramm-de Robertis hat sich das wegen ihrer Kinder lange gefallen lassen, schließlich aber aufbegehrt und sich daran gemacht, die Situation zu verbessern. Es ist ihr aufgrund des geschlossenen Auftretens der MitarbeiterInnen gelungen, einen Betriebsrat zu gründen, jetzt sei ihre Filiale ein "gallisches Dorf" im Konzern. Wobei mittlerweile auch andere Filialen nachgezogen hätten und es insgesamt bereits 6 Betriebsräte gebe. Reagiert hat Schramm-de Robertis zufolge auch das Unternehmen, das jetzt jede Überstunde bezahle, VerkaufsleiterInnen in Schulungen schicke und die Datenschutzbestimmungen einhalte. Sie ist überzeugt, dass auch der Konzern von ihrem Engagement profitiert hat, schließlich hebe er sich nun positiv von anderen Discountern ab.

Katharina Fischer-Ledenice, Leiterin des Hernstein-Instituts für Management und Leadership, machte geltend, dass die österreichische Wirtschaft stark von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt sei, wo grundsätzlich eine andere Unternehmenskultur herrsche als in großen Konzernen. Der Umgang mit den Beschäftigten sei in diesen Betrieben meist ein anderer. Beim Management-Training im Hernstein-Institut wird laut Fischer-Ledenice immer wieder über das Menschenbild diskutiert, das ein Manager von seinen Mitarbeitern hat, schließlich gehe es vorrangig darum, diese zu motivieren und nicht zu kontrollieren. Zum Thema prekäre Arbeitsverhältnisse merkte Fischer-Ledenice an, gerade bei Einpersonenunternehmen seien Selbstausbeutung, durchgearbeitete Wochenenden und Unsicherheiten durch Auftragslücken ein gängiges Phänomen.

Herbert Buchinger, Vorstand des Arbeitsmarktservice, wandte sich dagegen, das Problem der prekären Beschäftigungsverhältnisse zu dramatisieren. Es gebe zwar Probleme an der Schnittstelle zwischen der Beendigung der Ausbildung und dem Beginn des Berufslebens, wo vermehrt befristete Projektarbeit und Praktikantenverhältnisse zu beobachten seien, meinte er, generell widersprechen empirische Daten seiner Darstellung nach aber dem Befund, dass prekäre Arbeit zunimmt. So sind ihm zufolge voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in den letzten 30 Jahren stetig angestiegen. Leiharbeit, freie Dienstverhältnisse oder Teilzeitarbeit an sich als prekäre Arbeit zu definieren, lehnte Buchinger ab, wofür er sich deutlichen Protest von Seiten des Publikums einhandelte.

Eine große Herausforderung für den Staat und die Gesellschaft sieht Buchinger im Bereich der Aus- und Weiterbildung. Man brauche besser qualifizierte Arbeitskräfte, bekräftigte er und untermauerte dies mit dem Umstand, dass die Arbeitslosigkeit über die letzten 20 Jahre gerechnet ausschließlich im Bereich der ungelernten Arbeitskräfte gestiegen sei. Die wissensbasierte Produktion der Zukunft brauche, so Buchinger, hohe Problemlösungskompetenz. Die Menschen müssten befähigt werden, den gesellschaftlichen und technologischen Wandel mitzumachen.

Buchinger sieht aber auch die Betroffenen selbst gefordert. Das Motto der österreichischen Sozialpolitik laute "fördern und fordern", unterstrich er. Jeder, der Hilfe vom Staat bekomme, sei auch verpflichtet, alles zu tun, um aus seiner Notlage wieder herauszukommen. In diesem Sinn befürwortete Buchinger strenge Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose.

Holm Friebe, Trendforscher und Autor des Buches "Wir nennen es Arbeit", äußerte sich zu manchen Befunden Buchingers skeptisch. Nicht jeder sei in der Lage, "seines Glückes Schmied" zu sein, argumentierte er. Zudem zeigt sich ihm zufolge deutlich, dass das Phänomen der Prekarisierung heute nicht mehr nur die "Unterschicht" betrifft, sondern vielmehr, zumindest in Deutschland, in jeder Stufe rund 20 % der Existenzen "prekarisiert" seien.

Generell sprach sich Friebe dafür aus, jungen Menschen Mut zu machen und sie bei der Selbstverwirklichung zu unterstützen und nicht mit schlechten Zukunftsaussichten einzuschüchtern. Solo-Selbständige und Freiberufler hätten immerhin den Vorteil, Herr über die eigene Arbeit zu sein und keine fixen Arbeitszeiten zu haben, skizzierte er. Diese Art von Arbeit habe sich außerdem als krisenresistenter erwiesen als so manche Fixanstellung. AMS-Chef Buchinger gab allerdings zu bedenken, dass man in den meisten Branchen nur dann keinen Arbeitgeber brauche, wenn man selbst eine solide Kapitalausstattung habe.

Als Grundlage für die Podiumsdiskussion dienten folgende Buchneuerscheinungen:

Gunter Dueck, Aufbrechen! Warum wir eine Exzellenzgesellschaft werden müssen, Eichborn Verlag; David Pfeifer, Der Strand der Dinge, DuMont Buchverlag; Ulrike Schramm-de Robertis und Daniel Behruzi, Ihr kriegt mich nicht klein! Eine Discounter-Angestellte kämpft um ihre Rechte, KiWi Verlag; Felix Heidenreich, Jean C. Monod und Angela Osten (Hrsg.), Arbeit neu denken, LIT Verlag. (Schluss)

HINWEIS: Fotos von der Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at.


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