Parlamentskorrespondenz Nr. 321 vom 05.05.2010

Gedenken als Brücke zwischen den Generationen

Zeitzeugen und Jugend bei der Gedenkveranstaltung im Parlament

Wien (PK) – Das Grauen in den Konzentrationslagern sei unbeschreiblich gewesen, man könne darüber nur "in stiller Reflexion schweigen", sagte heute der frühere polnische Außenminister, Staatssekretär Wladyslaw Bartoszewski, bei der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus im historischen Sitzungssaal des Parlaments. An der Gedenkfeier nahmen zahlreiche Persönlichkeiten des politischen und öffentlichen Lebens teil, an ihrer Spitze Bundespräsident Heinz Fischer mit seiner Gattin.

Bartoszewski: Verantwortungsbewusster Umgang mit der Vergangenheit!

 "Aber dort, wo die Gerechtigkeit und die Vernunft schweigen, können Dämonen lautstark Massen in ihren Bann ziehen." Er habe als ein in einer durchschnittlichen bürgerlichen Familie erzogener Pole "die Erschütterung der damaligen europäischen Ordnung und die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs von Anfang an miterlebt", sagte Bartoszewski und erinnerte an die vielen ÖsterreicherInnen, die Widerstand geleistet haben und dankte allen, "die sich unermüdlich für das Gedenken an die Vergangenheit einsetzen".

Man sei mittlerweile gewöhnt, bei Gedenkzeremonien in Trauer Achtung gegenüber den Opfern auszudrücken, sagte Bartoszewski weiter. "Ich glaube aber", fuhr er fort, dass Anlässe wie dieser dazu da sind, den Ermordeten für einen Augenblick unsere Münder zu leihen, damit sich aus dem Jenseits Stimme erheben können." Der Redner schloss mit einem Plädoyer für verantwortungsbewussten Umgang mit der Vergangenheit. (Wortlaut der Rede Bartoszewskis siehe PK Nr. 325 /2010)

Bartoszewski hat schon bei der Gedenkfeier im Jahr 2000 gesprochen. Seit dem Jahr 1998 wird der 5. Mai – der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen – als Gedenktag begangen. Der Gedenktag geht auf eine Entschließung des Nationalrats und eine gleichlautende Entschließung des Bundesrats im Herbst 1997 zurück.

Die Gedenkfeier wurde mit einem Film eröffnet. Er zeigte Jugendliche, die sich im Februar dieses Jahres auf Spurensuche zur "Mühlviertler Hasenjagd" begeben haben. Am 2. Februar 1945 waren aus dem KZ Mauthausen rund 500 sowjetische Gefangene geflohen. Die meisten von ihnen wurden im Zuge einer beispiellosen Hetzjagd unter Beteiligung der Zivilbevölkerung ermordet. 65 Jahre später gingen vier Gruppen von Jugendlichen – SchülerInnen und Lehrlinge – im Rahmen des Projekts "Wegzeit" die Wege dieser Häftlinge nach. (Siehe dazu PK Nr. 63/2010!)

Mitterer: Die Arbeit der Zeitzeugen muss fortgesetzt werden

Im Anschluss an den Film begrüßte Bundesratspräsident Peter Mitterer die Gäste der Gedenkveranstaltung. Die Aufgaben, die heute noch von den Zeugen jener Zeit geleistet würden, würden bald ganz in den Händen späterer Generationen liegen, sagte Mitterer. Daher sei es wichtig, dass die Opferorganisationen und die Organisationen der Widerstandkämpfer, die vielen Initiativen in Schulen und in der Erwachsenenbildung etc. fortgesetzt werden. (Wortlaut der Begrüßungsansprache von Bundesratspräsident Mitterer siehe PK Nr. 322 /2010!)

Neugebauer: Respekt, Toleranz, Zivilcourage

Zweiter Präsident Fritz Neugebauer knüpfte in seiner Rede bei den Erfahrungen der Jugendlichen im Rahmen des Projekts "Wegzeit" an. Es gehe nicht bloß um die Sammlung von Wissen, sagte Neugebauer: "Es geht um den Versuch, Werte und Haltungen anzueignen, in denen wir leben wollen – Werte wie Respekt, Toleranz, Zivilcourage." Der Zweite Präsident kam dann auf den Nationalfonds zu sprechen, der seit 15 Jahren "Ausdruck eines neuen und verantwortungsbewussten Selbstverständnisses im Umgang der Republik Österreich mit ihrer Geschichte" sei.

Neugebauer dankte Wladyslaw Bartoszewski für die Mitgestaltung des Zusammentreffens von Jung und Alt bei der Gedenkveranstaltung, wodurch ein "Bogen über die Generationen" gespannt werde. Er erinnerte daran, dass Bartoszewski im Jahr 2008 in einer Rede in Dachau Gedenken als "Aufbegehren gegen die Gleichgültigkeit" bezeichnet habe. Neugebauer schloss mit einem Dank an alle, "die auch die dunklen Seiten unserer Geschichte mit unserer Jugend aufarbeiten und sie so zu einem Miteinander und nicht zu einem Gegeneinander führen". (Wortlaut der Rede von Fritz Neugebauer siehe PK Nr. 323 /2010!)

Prammer: S tolz auf Jugendbeitrag zu Gedenktag

Mahnung und Zuversicht waren zentrale Themen der Rede von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer beim heutigen Gedenktag. Prammer warnte vor Tendenzen, Feindbilder aufzubauen, Angst gegenüber Fremden und Hass zu schüren. Wohin das führe, habe sich im Nationalsozialismus gezeigt. Die Beteiligung von Jugendlichen am diesjährigen Gedenktag stimme freilich optimistisch, dass aus diesem dunklen Kapitel österreichischer Geschichte die richtigen Schlüsse gezogen werden.

Die Nationalratspräsidentin sah die Verantwortung dafür zweigeteilt: Zum einen mahnte sie individuelle Verantwortung ein, indem sie zu selbstkritischem Hinterfragen aufforderte: "Wie verhalte ich mich, wie verhalten wir uns im täglichen Leben angesichts von Gewalt, Rassismus und Ausgrenzung?" Die Entscheidung, beispielsweise in den "Kanon der Hetzer" einzustimmen oder nicht, liege bei jeder einzelnen und bei jedem einzelnen. Zum anderen ist laut Prammer die Gesellschaft – und mit ihr die Politik – gefordert. Schließlich gehe es darum, die Menschen zu lehren, was falsch und richtig, was menschenrechtlich verwerflich oder demokratiepolitisch erforderlich ist. Prammer: "Erst politische Bildung und die Vermittlung demokratischer Prinzipien befähigen Menschen, sich in einer komplexen Welt selbst eine differenzierte Meinung zu bilden. Und sie befähigen sie, sich an Hand dieser Meinung in einer Gesellschaft zu orientieren."

Als vollauf gelungen bewertete Präsidentin Prammer die Premiere, welche der Gedenktag heuer erlebt hat. Mehr als 80 Jugendliche – SchülerInnen und ÖBB-Lehrlinge – hatten sich Anfang Februar auf die Spuren der "Mühlviertler Hasenjagd" begeben, um in der Folge ihre Eindrücke und Gespräche mit Zeitzeugen zu verarbeiten. "Ich blicke mit großer Zuversicht in die Zukunft", lobte die Präsidentin die engagierte Auseinandersetzung der Jugendlichen mit der Geschichte. Das Damals werde niemals zu begreifen sein, so Prammer. Es gehe darum, das Heute zu begreifen. (Wortlaut der Rede von Präsidentin Prammer siehe PK Nr. 324 /2010!)

Die musikalische Umrahmung der Gedenkfeier besorgte die Kammermusikgruppe "Atout" mit dem 3. Satz (Cavatina) der Serenade für Streichorchester op. 64 von Hans Gal und mit dem 3. Satz (Presto) des Oktetts op. 67 von Egon Wellesz.

HINWEIS: Fotos von der Gedenkveranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at (Schluss)