Parlamentskorrespondenz Nr. 441 vom 02.06.2010

EU will eigenes Kulturerbe-Siegel schaffen

Koalition dafür, Opposition dagegen

Wien (PK) – Ein eigenes Europäisches Kulturerbe-Siegel soll Stätten und immaterielles Kulturerbe, die von besonderer Bedeutung für die europäische Kultur und Geschichte sind, auszeichnen. Das sieht ein Vorschlag der Europäischen Kommission vor, der heute im EU-Unterausschuss des Nationalrats in Anwesenheit von Bundesministerin Claudia Schmied diskutiert wurde. Dabei soll es laut Erläuterungen nicht um architektonische Qualität oder die Bewahrung des Kulturerbes gehen, sondern vielmehr um den symbolischen Wert für den europäischen Einigungsprozess. Ziel ist es, die BürgerInnen eingehender mit dem europäischen Aufbauwerk und dem vielfältigen Kulturerbe vertraut zu machen.

Die Abgeordneten der Opposition äußerten sich unisono ablehnend. Die Argumente reichten von Doppelgleisigkeiten, unnötiger Bürokratie bis hin zum Zweifel, dass durch derartige Schritte die Kluft zwischen den BürgerInnen und der EU verkleinert werden könnte (Abgeordneter Johannes Hübner, F). Man könne keine Identität konstruieren, diese müsse wachsen, sagten beispielsweise die Abgeordneten Wolfgang Zinggl (G) und Stefan Petzner (B). Der von Abgeordnetem Hübner (F) eingebrachte Antrag auf Ausschussfeststellung mit der Aufforderung, dem Vorschlag der Kommission nicht zuzustimmen, wurde nur von FPÖ, Grünen und BZÖ unterstützt und blieb somit in der Minderheit.

Im Gegensatz dazu begrüßten die Abgeordneten Christine Muttonen (S) und Sylvia Fuhrmann (V) die Vorlage grundsätzlich, wobei sie aber auch die Notwendigkeit einiger Konkretisierungen einräumten.

In ihrem Antrag auf Ausschussfeststellung sprechen sie sich für klare Definitionen und Kriterien für das geplante Siegel aus. Das Verhältnis der Maßnahmen zu bereits existierenden Initiativen sollte noch weiter präzisiert werden, heißt es darin weiter. Der Antrag unterstreicht darüber hinaus die Notwendigkeit, die Vermittlung der europäischen Geschichte und Werte gegenüber Jugendlichen weiter zu stärken, wozu auch das europäische Kulturerbe-Siegel einen bedeutenden Mehrwert liefern könne. Die pädagogische Komponente des geplanten Siegels solle daher weiter forciert werden. Dieser Antrag wurde schließlich mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP mehrheitlich angenommen.

Schmied: Kulturerbe-Siegel mit politischer Bildung verknüpfen

Bundesministerin Claudia Schmied erläuterte, die Kommission plane, den einzelnen Mitgliedstaaten die Möglichkeit einzuräumen, jährlich zwei Stätten einzureichen, die dann von einer 12-köpfigen Expertenjury bewertet werden, um schließlich eine Stätte pro Land für die Auszeichnung zu empfehlen. Die formale Zuerkennung erfolgt durch die Kommission.

Die Kommission will mit diesem Schritt der bereits bestehenden zwischenstaatlichen Initiative einen einheitlichen Rahmen geben. Seit 2006 wurden auf dieser Grundlage 64 Stätten in 17 Mitgliedstaaten und in der Schweiz prämiert. Österreich hat sich bislang nicht daran beteiligt, da es keine einheitlichen Auswahlkriterien gibt und keine klare Abgrenzung zu etablierten Auszeichnungen, wie dem UNESCO-Weltkulturerbe oder den Kulturrouten des Europarats, erfolgt ist. Das bestehende Konzept sei noch unausgereift, sagte Ministerin Schmied.

Dementsprechend fiel auch ihre Stellungnahme zur Vorlage der Kommission aus. Sie befürwortete zwar grundsätzlich die Schaffung eines derartigen Siegels, hielt aber fest, der Mehrwert des Siegels könne nur in einer klaren Abgrenzung zu bestehenden Initiativen der UNESCO, des Europarats und der EU selbst liegen. Wesentlich aus heimischer Sicht seien klare Kriterien sowie ein transparentes Auswahl- und Kontrollverfahren. Schmied tendierte dazu, die Stätten nicht in einem jährlichen Rhythmus, sondern in größeren Zeiträumen auszuwählen. Im Sinne einer einheitlichen Vorgangsweise lehnt Österreich auch die Forderung ab, den bereits ernannten Stätten den Titel ohne weitere Prüfung zu belassen.

Auch die Bezugnahme auf die EU ist für Schmied zu eng gegriffen. Besser wäre es ihrer Ansicht nach, auf die europäische Geschichte, auf Stätten mit symbolischem Wert und weniger auf ästhetische Kriterien abzustellen.

Schmied erklärte, sie plane diese europäische Initiative auch eng mit der politischen Bildung zu verknüpfen, indem bei einer etwaigen Umsetzung der Schwerpunkt auf Jugendarbeit und Vermittlungstätigkeit gelegt werden soll.

Wie den Unterlagen des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur zu entnehmen ist, liegen die Positionen der Mitgliedstaaten teilweise noch weit auseinander. Offene Fragen betreffen insbesondere die Kriterien, das Auswahlprozedere, die Neubewertung der bereits prämierten Stätten sowie die Teilnahme von Drittstaaten.

SPÖ: Das Siegel muss mehr sein als eine schöne Tafel

Es sei eine wichtige Aufgabe, die Grundidee des europäischen Einigungsprozesses stärker zu vermitteln, begründete Abgeordnete Christine Muttonen (S) zu Beginn der Diskussion ihre positive Haltung zum Europäischen Kulturerbe-Siegel. In diesem Punkt unterscheide es sich deutlich von anderen derartigen Siegeln, sagte sie. Dennoch müsse man bei der Umsetzung auf klare Auswahlkriterien achten und dafür Sorge tragen, dass den ausgewählten Stätten nicht unverhältnismäßig große bürokratische Lasten auferlegt werden. Die Stätten sollten auch nach der Zuerkennung des Siegels sowohl durch die EU als auch durch die Nationalstaaten unterstützt werden. Das Siegel müsse "mehr sein als eine schöne Tafel", betonte Muttonen.

Ihre Klubkollegin Sonja Ablinger (S) knüpfte an die Ausführungen von Bundesministerin Schmied an, indem sie die Notwendigkeit unterstrich, mit Hilfe dieser Initiative die Geschichte und das Werden Europas den Menschen näher zu bringen. Europa sei geprägt durch seine Vielfalt, stellte Ablinger fest, weshalb sie dafür eintrat, ein besonderes Augenmerk auch auf grenzüberschreitende Stätten zu legen und Drittländer miteinzubeziehen. Darin sah sie auch eine Möglichkeit, Schulen in die Auffindung von Stätten einzubinden und bildungspolitische Projekte durchzuführen.

ÖVP: Bundesländer mit einbeziehen

Es sei grundsätzlich alles zu unterstützen, womit der europäische Prozess und die Bewusstseinsbildung gestärkt werden, bekräftigte Abgeordneter Karl Donabauer (V). Die Fokussierung auf Geschichtsvermittlung wurde auch von Abgeordneter Silvia Fuhrmann (V) unterstützt. Wie ihr Klubkollege Karl Donabauer sprach sie sich für die Einbindung der Bundesländer bei der Auswahl von Stätten in Österreich aus. Fuhrmann und Donabauer pflichteten der Bundesministerin bei, dass es zu anderen ähnlichen internationalen Initiativen eine klare Abgrenzung geben müsse. Wenn das Siegel einen Wert haben soll, dann müsse es andere Kulturgüter ergänzen, meinte Fuhrmann. Auch der jährliche Rhythmus ist ihrer Meinung nach zu ehrgeizig.

FPÖ: Keine unnötige Bürokratie in Zeiten der Sparbudgets

Völlig anders fiel die Bewertung durch die Abgeordneten der Opposition aus. Mit einer derartigen Initiative werde man nicht die Distanz zwischen den BürgerInnen und der EU verringern können, äußerte etwa Abgeordneter Johannes Hübner (F) seine Zweifel. Warum eine derartige Maßnahme gerade jetzt erforderlich sei, werde nirgends begründet. Hübner befürchtete sowohl Doppelgleisigkeiten als auch zusätzliche unnötige Bürokratie, die Geld koste. Daher sei es geboten, gerade in Zeiten von Sparbudgets auf den Ausbau der "Kommissionitis" und der Bürokratie zu verzichten. Das Geld der Steuerzahler dürfe nicht für so etwas verwendet werden, hielt er fest. Ähnlich reagierte Abgeordneter Gerhard Kurzmann (F), der meinte, mit derartigen Initiativen könne man nicht den schlechten Geschichtsunterricht an den Schulen ersetzen.

Grüne: Europäische Identität wird dadurch nicht gestärkt

Mit diesem Befund stimmte auch der Abgeordnete der Grünen Wolfgang Zinggl überein, der auf die Fülle von Gedenkjahren, Gedenktagen und andere Initiativen hinwies. Zinggl vermutete hinter der Idee des Kulturerbe-Siegels eine "Fusion zwischen Tourismussektor und Erinnerungsindustrie" und bemerkte, der gefährlichste Feind der Denkmäler seien die Touristenströme. Die Sache werde nicht zu mehr europäischer Identität führen, sondern zu mehr Konkurrenz unter den einzelnen Staaten, befürchtete er. Man wolle hier eine Identität konstruieren, die nicht gewachsen ist, meinte Zinggl. Das Wesentliche an Europa sei seine Heterogenität und diese werde durch eine derartige Maßnahme sicherlich nicht gestärkt. Jede Art von Auswahlverfahren und Finanzierung widerspreche dieser Heterogenität. Zinggl kritisierte auch die genannten Kriterien zur Abgrenzung gegenüber anderen Initiativen als zu schwammig.

BZÖ: Es gibt im Inland ausreichend Initiativen

Abgeordneter Stefan Petzner (B) warf ein, dass es sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene sowie in den Bundesländern und in den Gemeinden ausreichend Initiativen mit der gleichen Zielsetzung gibt. Der Vorschlag der Kommission ist seiner Meinung nach nicht geeignet, eine europäische Identität zu erzeugen, sagte er. Hier werde versucht, eine Identität zu konstruieren, vielfach müsse diese aber wachsen. Auch für ihn sind die Kriterien nicht nachvollziehbar. Die Umsetzung des Vorschlags würde einen Wulst bürokratischer Maßnahmen und Kosten nach sich ziehen, argumentierte Petzner. Ihm zufolge sollte die Regierung eher innerösterreichische Initiativen unterstützen, zum Beispiel das Gedenken an die Volksabstimmung in Kärnten nach dem Ersten Weltkrieg.

In ihrer Replik auf die Diskussion betonte Bundesministerin Claudia Schmied, es liege an jedem Mitgliedsstaat selbst, was er aus den Möglichkeiten mache. Selbstverständlich sei die Umsetzung auch unter dem budgetären Aspekt zu sehen und selbstverständlich wolle sie die Bundesländer mit einbeziehen. Es sei notwendig, in Österreich selbst ein Auswahlverfahren zu etablieren.

Die Ministerin unterstrich die Ausführungen der Abgeordneten Ablinger, wonach dieses Projekt vor allem Jugendliche ansprechen sollte. Wichtig seien Vermarktung, Vernetzung, Kommunikation, Erfahrungsaustausch und Digitalisierung, stellte Schmied abschließend fest. (Schluss)