Parlamentskorrespondenz Nr. 448 vom 08.06.2010

Für die Erhaltung und Förderung einer vielfältigen Kultur in Europa

Kulturministerium legt Bericht über EU-Vorhaben vor

In der EU Strategie "EUROPA 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum" wird dem bildungs- und kulturpolitischen Aspekt ein hoher Stellenwert beigemessen. Das ist dem Bericht (III-151 d.B.) der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend die "Jahresvorschau 2010 auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Kommission sowie dem 18-Monatsprogramm der spanischen, belgischen und ungarischen Präsidentschaften" zu entnehmen. Von den sieben Leitinitiativen zur Umsetzung der Strategie sind drei für die Bereiche Bildung und Kultur relevant: "Jugend in Bewegung", "Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungsmöglichkeiten" und "Digitale Agenda".

Qualifikation und Mobilität fördern, Schulabbrecherquote senken

Mit dem Projekt "Jugend in Bewegung" will man bestehende EU-Programme in den Bereichen Bildung und Jugend bündeln. Die Systeme der allgemeinbildenden und der berufsbildenden Bildung sollen leistungsfähiger gemacht, das europäische Hochschulwesen soll attraktiver gestaltet werden. Ziel all dieser Bemühungen ist es, die Mobilität zu fördern und die Beschäftigungschancen zu erhöhen. Die Kommission hat eine Mitteilung für ein integriertes Programm "Jugend in Bewegung 2014-2020" angekündigt. Sie plant auch, einen Vorschlag zur Förderung der Lernmobiliät junger Menschen vorzulegen, wobei Österreich auf die Notwendigkeit hinweist, Mobilität und Qualifizierung auch von Erwachsenen nicht zu vernachlässigen und vor allem die Mobilität von Lehrkräften zu steigern.

Insbesondere beabsichtigt man seitens der EU, die Kooperation in der Berufsbildung bis 2020 zu verstärken. Das reicht von der Schaffung von Instrumenten der Zusammenarbeit über die Erhöhung der Attraktivität der Berufsbildungssysteme und den Ausbau der Verbindungen zwischen Berufsbildung und Arbeitsmarkt bis hin zum Ausbau der Modalitäten der europäischen Zusammenarbeit.

Mehr Beachtung will man der Senkung der Zahl von frühzeitigen SchulabbrecherInnen schenken. Die Kommission bereitet dazu eine Empfehlung des Rates vor. Das Unterrichtsministerium weist in diesem Zusammenhang auf innerösterreichische Reformschritte hin, wie beispielsweise den Schulversuch "Neue Mittelschule", die Individualisierung des Unterrichts, den Ausbau der Tagesbetreuung, die Initiative "Lehre mit Matura" und die Förderungen zum Nachholen des Hauptschulabschlusses. 

Auch die frühkindliche Bildung soll ins Zentrum europäischer Bildungspolitik gerückt werden. Die Kommission möchte dazu eine Mitteilung über den aktuellen Stand der Forschung präsentieren und darin auch Umsetzungsmaßnahmen vorschlagen.

Anknüpfend an die Empfehlungen zu Schlüsselkompetenzen aus dem Jahr 2006 regt die Kommission weiter an, einen "Pass der persönlichen Fähigkeiten" zu entwickeln. Damals wurden acht Schlüsselkompetenzen definiert: mutter- und fremdsprachliche Kompetenz, mathematische und naturwissenschaftlich-technische Kompetenz, digitale Kompetenz, Lernkompetenz, Sozial- und Bürgerkompetenz, Eigeninitiative und unternehmerische Kompetenz, Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit. Diese sollten in der Erstausbildung erworben und durch lebenslanges Lernen weiterentwickelt werden. Dazu kommen sollen nun neue Schlüsselkompetenzen für die Berufsausbildung, die Erwachsenenbildung und die Hochschulbildung.

Skeptisch wird von Österreich der Plan bewertet, neue mögliche Benchmarks zu den Sprachkompetenzen zu entwickeln. Eine neue Benchmark müsste outputorientiert sein und die durch Zuwanderung bedingte Mehrsprachigkeit der SchülerInnen berücksichtigen, argumentiert das Ministerium.

Mit der Leitinitiative "Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungsmöglichkeiten" sollen die Verfügbarkeit und die Qualität der Informationen über den gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitskräftebedarf sowie über Qualifikationsangebote verbessert werden. Zu erwarten ist auch ein Vorschlag zu möglichen Benchmarks zu Mobilität und Beschäftigungsfähigkeit.

Wie im gegenständlichen Bericht unterstrichen wird, hat Bildung keinen unwesentlichen Einfluss auf drei weitere Leitinitiativen der Strategie "EUROPA – 2020", nämlich auf den "Europäischen Plan für Forschung und Innovation", auf die Vorhaben zu einem "Ressourcenschonenden Europa" und auf die "Europäische Plattform zur Bekämpfung von Armut". Entsprechende Bildung ist nicht nur Voraussetzung für ein Umdenken im Klima- und Umweltbereich, sondern auch im Hinblick auf das Konsumverhalten, wird im Bericht ausgeführt. Eine gute Erstausbildung und lebenslanges Lernen, die Verringerung der Schulabbrecherquote sowie der Erwerb von Schlüsselkompetenzen erhöhen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und vermindern somit auch das Armutsrisiko.

Das Ziel, die europäische Bildungszusammenarbeit enger zu gestalten und die Qualität und Effizienz der Bildungssysteme zu steigern, steht auch im Mittelpunkt des 18-Monateprogramms der spanischen, belgischen und ungarischen Präsidentschaft. Themen sind Förderung der Chancengerechtigkeit im Bildungssystem und der Innovationsfähigkeit von Bildungsinstitutionen, Verbesserung der LehrerInnenaus- und Weiterbildung sowie Stärkung der Leadership von LehrerInnen und SchulleiterInnen, Stärkung der Schlüsselkompetenzen, Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Konkrete Maßnahmen betreffen die Implementierung des Leistungspunktesystems für die Berufsbildung (ECVET), wodurch die Anrechenbarkeit der Berufsbildung erleichtert werden soll, sowie die Schaffung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR), um die Bildungs- und Qualifikationssysteme europaweit vergleichbar zu machen. Das Unterrichtsministerium sowie das Wissenschaftsministerium erarbeiten demgemäß den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR). Der Europäische Bezugsrahmen für Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung sieht einen Qualitätssicherungszyklus in vier Phasen – Planung, Umsetzung, Evaluierung, Überprüfung – vor. Jeder Mitgliedstaat ist aufgefordert, eine nationale Referenzstelle einzurichten. Der Bericht hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass mit der heimischen Initiative "Qualität in der beruflichen Bildung – QIBB" ein sehr erfolgreiches Modell der Qualitätssicherung etabliert ist, das auch europaweit als Referenzmodell anerkannt wird.

Auf dem Hochschulsektor geht es um die Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses und der Internationalisierung der Universitäten.

Eine Digitale Agenda für Europa, Mobilität der Kulturschaffenden

Mobilität von Kulturschaffenden, Digitalisierung und die Schaffung eines Europäischen Kulturerbe-Siegels stehen im Mittelpunkt der kulturellen Agenda in der EU. Besondere Beachtung wird dabei der Bedeutung von Kultur zur regionalen und lokalen Entwicklung und der Kultur- und Kreativindustrien beigemessen.

Zur 2008 beschlossenen Europäischen Kulturagenda wird die Kommission eine Mitteilung über die erste Evaluierung der diesbezüglichen legislativen und nicht legislativen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten einerseits und der EU andererseits vorlegen. Die Kulturagenda hat drei strategische Ziele definiert: Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs, Förderung der Kulturwirtschaft und Förderung von Kultur im Rahmen der internationalen Beziehungen der EU. Von österreichischer Seite wird die Agende positiv beurteilt, bei allen Themenbereichen habe eine eindrucksvolle Dynamik festgestellt werden können, heißt es im Bericht. Im Interesse einer faktengestützten Politik sollte jedenfalls das Thema Kulturstatistik weiter verfolgt werden.

Die Kommission hat auch ein Grünbuch zum Thema "Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien (KKI) vorgelegt. Mit dem Grünbuch wurde eine Online-Konsultation (http://ec.europa.eu/culture/) eingeleitet, die bis 30. Juli 2010 läuft und an Organisationen der KKI, Behörden sowie interessierte BürgerInnen gerichtet ist. Mit dem Ziel, bessere Rahmenbedingungen für die KKI, vor allem für Kleinunternehmen in dieser Branche, zu schaffen, umfasst die Konsultation Fragen wie Zugang zum Kapital, Kompetenzaufbau, IKT als treibende Kraft für neuartige Ideen, Produkte und Geschäftsmodelle, Regionale Entwicklung, Mobilität und Internationalisierung sowie externe Effekte der KKI auf andere Industrien und die Gesellschaft.

Mit dem Europäische Kulturerbe-Siegel sollen Stätten und immaterielles Kulturerbe prämiert werden, die eine Schlüsselrolle in der Geschichte der EU gespielt haben. Dabei soll es weniger um architektonische Qualität oder die Bewahrung des Kulturerbes gehen, sondern vielmehr um den symbolischen Wert für den Europäischen Einigungsprozess. Österreich steht dem Vorhaben zwar nicht negativ gegenüber, besteht aber auf einer klaren Abgrenzung zu bestehenden Initiativen der UNESCO und des Europarats. Erforderlich sind laut Ministerium deutliche Kriterien sowie ein transparentes Auswahl- und Kontrollverfahren.

Die Bedeutung von Kultur zur regionalen und lokalen Entwicklung wird an Hand einer Studie zu dem Thema untermauert. Die Studie wurde von ERICarts, dem Europäischen Institut für vergleichende Kulturforschung, unter Mitarbeit der Österreichischen Kulturdokumentation durchgeführt. In den Schlussfolgerungen des Rats vom Mai 2010 heißt es dazu, die Kultur hat das Potenzial, den Tourismus nachhaltig zu fördern, neue Beschäftigungsmöglichkeiten, Produkte und Dienstleistungen zu schaffen und zum sozialen Zusammenhalt beizutragen. Kultur soll künftig als strategischer und bereichsübergreifender Faktor in die europäischen und nationalen Politiken zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der europäischen Regionen und Städte einbezogen werden.

Um die Mobilität der Kulturschaffenden zu erhöhen, wird angestrebt, in allen Mitgliedstaaten eine Mobilitätsinformationsstelle zu errichten. Sie soll die erste Anlaufstelle für KünstlerInnen im Zusammenhang mit rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Fragen sein. Ungelöst ist die Frage des Leistungsumfangs solcher Beratungsstellen und deren Finanzierung.

Die belgische Präsidentschaft beabsichtigt, die Rolle von Kultur unter dem Aspekt des Europäischen Jahrs zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung näher zu beleuchten. Kunstprojekte können helfen, die Anliegen und Probleme der von Armut Betroffenen sichtbar zu machen, heißt es dazu im Bericht, es geht aber auch um die Teilhabe sozial benachteiligter Personen am gesellschaftlichen Leben und Erleichterungen beim Zugang zu Kultur. Evaluiert werden sollen auch die Programme "Kultur" (www.ccp-austria.at), womit Kulturprojekte gefördert werden, "MEDIA" (www.mediadeskaustria.eu), Förderungen, die der Filmbranche zugutekommen, und "Europa für BürgerInnen" (www.europagestalten.at). 

Die "Digitale Agenda für Europa" sieht Maßnahmen vor, die dazu beitragen, das Hochgeschwindigkeits-Internet rascher zu verbreiten und die Möglichkeiten der Digitaltechnik in vollem Umfang zu nutzen. Dabei steht die Digitalisierung der europäischen Kinos im Zentrum des Blickwinkels, insbesondere hinsichtlich der technischen Fragen und der Finanzierungsmöglichkeiten. Sollten nur die großen Kinoketten die Umstellung schaffen, wird die Vielfalt des europäischen Filmschaffens in den Kinos nicht mehr abgebildet sein, wird befürchtet.

Ein zweites Digitalisierungsprojekt betrifft die digitale Bibliothek "Europeana", das zentrale, multilinguale und kostenlose Online-Portal mit digitalisiertem Material aus ganz Europa, die im November 2008 online ging. Man beabsichtigt damit, eine Alternative zu "Google Books" anzubieten, und damit auch die urheberrechtlichen Regelungen zu respektieren. Einer endgültigen Lösung bedarf noch die Frage der Finanzierung, da nur 11 Mitgliedstaaten, darunter Österreich, bisher freiwillig Beiträge geleistet haben. Österreich kritisiert die mangelnde Repräsentativität der Länder und Objekttypen in der "Europeana". Zur Erhöhung des österreichischen Anteils ist für dieses Jahr vorgesehen, das Online-Portal "Kulturpool" einzusetzen. (Schluss)