Parlamentskorrespondenz Nr. 514 vom 22.06.2010

Landwirtschaftsausschuss debattiert Zukunft der EU-Agrarpolitik

Verhandlungen über Fünfparteien-Antrag zur GAP-Reform in Aussicht

Wien (PK) – Mit dem Bemühen der EU-Kommission, für die Jahre ab 2014 eine neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) zu erarbeiten, befassten sich die Mitglieder des Landwirtschaftsausschusses und Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich zu Beginn der heutigen Sitzung in Form einer aktuellen Aussprache.

Bundesminister Nikolaus Berlakovich berichtete zunächst von der Arbeit der neuen EU-Kommission am diesbezüglichen Optionenpapier, in die sich Österreich gemeinsam mit den Ländern des Alpenbogens und Osteuropas bereits intensiv einbringe. Eine hochrangige Arbeitsgruppe arbeite im Ministerium an den österreichischen Positionen. Am kommenden 1. Juli werde er den EU-Agrarkommissar in Wien treffen, teilte Berlakovich mit und lud die Abgeordneten zur Teilnahme an diesem Treffen ein.

Die Kommission wolle die GAP kontinuierlich weiter entwickeln. Die Agrarpolitik soll nicht renationalisiert, sondern mit ihren beiden Säulen und den Marktinstrumenten fortgesetzt werden. Die Direktzahlungen für die Bauern sollen erhalten, keine Flat-rate eingeführt und auch in Zukunft die Wohlstandsunterschiede zwischen den einzelnen Ländern beachtet werden. Die EU wolle keine völlige Liberalisierung. Die für Österreich sehr wichtigen Programme für die ländliche Entwicklung sollen erhalten werden, für die Gebietskulisse sollen aber neue Kriterien gelten, was dazu führen könnte, dass manche Gebiete künftig nicht mehr zu den benachteiligten Gebieten zählen könnten.

Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) zeigte sich besorgt wegen der geplanten Einschränkung der Mittel für die Förderung der ländlichen Entwicklung und trat mit Nachdruck dafür ein, die GAP-Reform im EU-Parlament zu diskutieren. Pirklhubers Detailfragen richteten sich auf die Form der Diskussion und der Entscheidungsvorbereitung in Österreich und auf EU-Ebene, auf die Zukunft der zweiten Säule, den Eiweißfutterplan und die Gentechnikfreiheit als Qualitätsparameter der europäischen Landwirtschaft.

Abgeordneter Rupert Doppler (F) interessierte sich für die Aufteilung der Direktzahlungen auf Bergbauern und die Bauern in den Gunstlagen des Flachlandes.

Abgeordneter Kurt Gaßner (S) verlangte vom Minister bessere Informationen über die neue GAP und wollte wissen, wer Österreich bei den Verhandlungen für das Optionenpapier vertrete. Problematisch sah Gaßner, dass auch die Budgeteinsparungen in allen EU-Mitgliedsländern bis 2014 in die Überlegungen bei der neuen GAP berücksichtigt werden müssen.

Abgeordneter Hermann Schultes (V) bekannte sich zur Erhaltung einer flächendeckenden Landwirtschaft aufgrund hoher Qualitätsniveaus mit bäuerlichen Betrieben. Es gelte zu verhindern, dass die österreichische Landwirtschaft von Industriebetrieben und Aktiengesellschaften betrieben werde. Schultes verteidigte das alte Förderungssystem, das den Marktschutz ersetzt habe, und warnte davor, die Bauern dem Wettbewerb schutzlos auszuliefern. Schultes schlug vor, Mitglieder des EU-Parlaments zur Diskussion über die neue GAP in den Landwirtschaftsausschuss einzuladen.

Abgeordneter Gerhard Huber (B) hielt es für notwendig, die Förderungsmittel künftig umzuschichten, um bäuerliche Existenzen abzusichern; der Arbeitsaufwand der Bauern und ihre Leistungen für Landschaftserhaltung und Tourismus seien anzuerkennen.

Abgeordneter Josef Muchitsch (S) forderte, Agrarförderungsmittel zu Gunsten kleiner und mittelgroßer Betriebe umzuschichten, um die österreichische Agrarstruktur zu erhalten.

Abgeordneter Walter Schopf (S) erkundigte sich nach Verlusten der Bundesforste in Folge eines finanziellen Engagements in Russland.

Abgeordneter Franz Eßl (V) unterstrich das agrarpolitische Ziel einer flächendeckenden Bewirtschaftung und verlangte, die Finanzierung einer Agrarpolitik abzusichern, die allen Betrieben eine Chance gebe. Eßl warnte davor, die Förderungsmittel zu verzetteln und plädierte für die Erhaltung des Zwei-Säulen-Modells und produktionsbezogene Prämien. Hinsichtlich der zweiten Säule trat Eßl für den Ausgleich natürlicher Nachteile, für eine flexible Förderungspolitik und für eine Förderung der Viehzucht ein.

Abgeordnete Gabriele Binder-Maier (S) erinnerte an die zahlreichen Beiträge interessierter BürgerInnen zur Diskussion um die neue GAP und betonte die Bedeutung des Klimaschutzes in der Agrarpolitik.

Abgeordneter Harald Jannach (F) wollte wissen, wo der Minister 500 Mio. Euro im österreichischen Agrarbudget einsparen wolle und warnte vor Auswirkungen der Einsparungen auf kofinanzierte Programme. Besorgt zeigte sich Jannach wegen der geplanten Veränderungen bei der Berechnung der Einheitswerte bäuerlicher Grundstücke.

Abgeordneter Ewald Sacher (S) verlangte Maßnahmen gegen die Abwanderung aus ländlichen Regionen in die Ballungszentren. Abgeordnete Gabriela Moser (G) sprach sich dafür aus, die Förderungen in der EU gleichmäßiger zu verteilen und von hohen Direktzahlungen stärker in Richtung Förderung des ländlichen Raums zu gehen.

Abgeordnete Rosemarie Schönpass (S) wollte ebenfalls den ländlichen Raum fördern und dort für eine gendergerechte Verteilung der Mittel sorgen.

Abgeordneter Gerhard Huber (B) unterstrich die Notwendigkeit, die Agrarförderungen nach dem Kriterium des Arbeitseinsatzes der Bauern zu bemessen.

Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich teilte den Abgeordneten mit, die EU-Kommission schlage vor, die Mittel für die Förderung der ländlichen Entwicklung sowie für "sonstige benachteiligte Gebiete" zu kürzen und neue Kriterien einzuführen. Österreich will am Zwei-Säulen-Modell in der Agrarförderung festhalten, wendet sich gegen Flat-Rate-Förderungen und erwartet generell einen großen Kampf um das Agrarbudget, weil manche Nettozahler-Länder ihre Beiträge reduzieren wollen. Er wolle das Kriterium der Gentechnikfreiheit im österreichischen Programm für eine umweltgerechte Landwirtschaft weiterführen, sagte der Landwirtschaftsminister, der den Abgeordneten zusicherte, ihnen - wie schon in der Vergangenheit- alle Informationen zur GAP-Reform zukommen zu lassen.

Am 19./20.Juli werde auf EU-Ebene eine breite Diskussion unter Teilnahme von Parlamentariern stattfinden. Auch das neue GAP-Modell soll einheitlich gestaltet sein, von den Mitgliedsländern aber flexibel angewendet werden können. Dies sei für Österreich wichtig, um in sensiblen Bereichen etwa die Mutterkuhhaltung fortsetzen zu können.

Die GAP habe Österreich Vorteile gebracht, zeigte sich Berlakovich überzeugt, wies auf die führende Position Österreichs in der Biolandwirtschaft hin und warnte davor, die GAP als ein Sozialprogramm misszuverstehen. Die GAP sei ein Leistungsprogramm, kein Instrument der Umverteilung. Die Arbeitszeit der Bauern werde bei der Bemessung der Förderungen berücksichtigt, sagte der Landwirtschaftsminister und nannte dabei das Beispiel der Bergbauernförderung.

Da die Klimaschutzkonferenz von Kopenhagen keine ausreichenden Ergebnisse gebracht habe, bemühe sich die EU, in Cancun alle, auch China, Indien und die USA, "ins gemeinsame Boot zu holen".

Die Programme zur Förderung des ländlichen Raums seien ausdrücklich gegen die Abwanderung gerichtet und zielen auf Existenzsicherung durch Zusammenarbeit aller Wirtschaftssektoren.

Als Zeitplan für die neue GAP nannte der Minister die Abfassung des Optionenpapiers bis Ende 2010, das Führen der politischen Debatte im Jahr 2011 und den geplanten Beschluss Ende 2011/Anfang 2012.

Verluste der Bundesforste durch Russlandgeschäfte bezifferte der Minister mit 9 Mio. €. Die Geschäfte seien bereits beendet; er trage dafür keine Verantwortung.  

Eine zweite Verhandlungsrunde leitete Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) mit der Forderung ein, die Bauern in der Nahrungsmittel-Produktionskette gegenüber der Verarbeitung und dem Handel zu stärken. Die Deregulierungspolitik des Neoliberalismus sei in der Landwirtschaft ebenso gescheitert wie auf den Finanzmärkten, sagte Pirklhuber. Außerdem verlangte er, die Interessen der Bauern bei der GAP-Reform zu berücksichtigen. Die Bauern brauchten Steuerungsinstrumente und Qualitätskriterien, verlangte Pirklhuber, und wandte sich dagegen, das immer knapper werdende Steuergeld für die Förderung großer Betriebe zu vergeuden, statt Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu sichern.

Abgeordneter Kurt Gaßner (S) mahnte die Mitwirkung der Parlamentarier bei der Strategiediskussion zur GAP-Reform ein und unterstrich die Bedeutung des Klimaschutzes für die Agrarpolitik. Ausdrücklich wandte sich Gaßner gegen Vorschläge zur Ausgliederung der Lawinen- und Wildbachverbauung aus dem Ressort.

Abgeordnete Anna Höllerer (V) argumentierte nachdrücklich für die Erhaltung der Programme zur Förderung des ländlichen Raums, wobei sie insbesondere auf Bildungs- und Informationsangebote für Frauen einging.

Abgeordneter Walter Rosenkranz (F) drängte darauf, nationale Handlungs- und Entscheidungsspielräume auch in der künftigen GAP zu erhalten und warnte vor einer Überregulierung von Seiten der EU-Kommission.

Abgeordneter Gerhard Huber (B) wiederholte seine Forderung nach Berücksichtigung des Arbeitsaufwands der Bauern, verlangte einen Sockelbetrag für Vollerwerbsbauern und hielt es für zweckmäßig, die Kontrolltätigkeit der AMA zu den Landwirtschaftskammern zu verlagern.

Abgeordneter Kurt Gaßner (S) meinte, Flächenprogramme in der Agrarförderung würden nicht dem Leistungsprinzip entsprechen, weil sie dazu führten, dass wenige große, statt der vielen kleinen Bauern gefördert werden. Zudem unterstrich Gaßner die Bedeutung außerlandwirtschaftlicher Einkommen und verlangte, den ländlichen Raum ganzheitlich zu betrachten. Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) schloss sich Gaßner an und forderte wie dieser, beim LEADER-Programm ganzheitlichen Projekten vor Einzelprojekten wieder den Vorzug zu geben. Das bewährte Instrument ländliche Entwicklung sei unbedingt zu erhalten, sagte Pirklhuber.

Abgeordneter Wolfgang Spadiut (B) erinnerte, es gebe Berechnungen über den Einsatz der Bauern im Berggebiet und im Flachland.

Abgeordneter Hermann Schultes (V) betonte die Bedeutung einer vielfältigen Landwirtschaft für den ländlichen Raum, wandte sich gegen Vorurteile in der Agrarpolitik und meinte, was Abgeordneter Gaßner fordere, habe man durch die Regionalförderung bereits erreicht. Die LEADER-Programme förderten auch nicht agrarische Projekte. Wichtig für die österreichische Agrarpolitik sei es, die Selbstorganisationsfähigkeit der Bauern durch Fortsetzung der Bildungsinvestitionen zu erhalten, sagte Schultes.

Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich informierte die Abgeordneten über seine Absicht, Budgeteinsparungen in der Verwaltung zu erreichen. Der Minister hielt Marktsteuerungsinstrumente auch in der Zukunft für notwendig und wandte sich gegen die Ansicht, Flachlandbauern bekämen mehr Förderungen als Bergbauern; auch im ÖPUL gelte das Leistungsprinzip. Sockelbeträge bestünden bereits, teilte Berlakovich mit und wies darauf hin, dass für kleine Betriebe etwa die Modulation nicht gelte. Er denke nicht daran, die Wildbachverbauung auszugliedern, sagte der Minister und bekannte sich nachdrücklich dazu, die vielfach belasteten BäuerInnen zu unterstützen. Die "Milchfusion" österreichischer Verarbeitungsbetriebe begrüßte der Minister und wandte sich dagegen, der AMA Kontrollfunktionen zu entziehen, weil sie diese Aufgabe sehr erfolgreich wahrnehme.

Vertagung von Oppositionsanträgen

Nach der Aussprache mit dem Landwirtschaftsminister setzten sich die Ausschussmitglieder mit Anträgen der Oppositionsparteien auseinander, die auf Antrag der Koalitionsparteien jeweils vertagt wurden.

Zunächst teilte G-Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber seinen AbgeordnetenkollegInnen die Grundsätze der Grünen für die EU-Agrarpolitik nach 2013 (820/A[E]) mit: Ernährungssicherheit, Kreislaufwirtschaft, Klimaschutz, Wasserschutz, biologische Vielfalt, erneuerbare Energie und mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung der Direktzahlungen; Absicherung bäuerlicher Arbeitsplätze und Ausgleich von Erschwernissen in benachteiligten Gebieten; Förderung gesellschaftlich erwünschter Leistungen in Richtung Natur- und Umweltschutz, Tierschutz und Arbeitsplatzsicherung; Einstellung von Exportsubventionen und Lebensmitteldumping auf den Agrarmärkten zugunsten der Entwicklungsländer.

Die Grünen wollen auch das Milchquotensystem reformieren, die Versorgung mit gentechnikfreien Eiweißfuttermitteln aus europäischer Produktion verbessern und bei den WTO-Verhandlungen den Schutz des europäischen Lebensmittelmarktes durchsetzen - nur hochwertige Lebens- und Futtermittel sollen in die EU importiert werden dürfen, sagte Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber. Ernährungssicherheit statt Exportorientierung sei eine Überlebensfrage der europäischen Landwirtschaft, schloss Pirklhuber.

Im inhaltlichen Zusammenhang mit dem Entschließungsantrag der Grünen brachten die BZÖ-Abgeordneten Gerhard Huber und Wolfgang Spadiut einen Entschließungsantrag ihrer Fraktion ein, der darauf gerichtet ist, das System der Direktzahlungen zu erhalten, den österreichischen Förderbetrag nicht zu kürzen, einen Sockelbetrag für Vollerwerbslandwirte sicherzustellen und den Verzicht der Bauern auf Gentechnik-Futtermittel zu fördern.

Beide Anträge wurden auf Antrag des Abgeordneten Kurt Gaßner (S) mit S-V-Mehrheit vertagt, nachdem Gaßner mit Unterstützung des Abgeordneten Fritz Grillitsch (V) dafür plädiert hatte, zum Thema GAP-Reform Verhandlungen über einen Fünf-Parteien-Antrag aufzunehmen.

Grundsätzlich positiv aufgenommen wurde die Stoßrichtung eines Entschließungsantrags des BZÖ (488/A[E]), in dem Abgeordneter Gerhard Huber ein Fütterungsverbot für gentechnisch veränderte Futtermittel und die Schaffung einer "gentechnikfreien Modellregion Österreich" in der EU fordert. Abgeordneter Ewald Sacher (S) hob hervor, dass gentechnikfreie Lebensmittel in aller Interesse seien. Für das vom BZÖ verlangte Fütterungsverbot gebe es allerdings keine rechtliche Basis, gab er zu bedenken und brachte einen Vertagungsantrag ein, um eine weitere intensive Diskussion über das Anliegen zu ermöglichen. Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) warnte davor, sich auf europäischer Ebene vom Vorsorgeprinzip zu verabschieden und damit die Einrichtung gentechnikfreier Regionen zu konterkarieren.

Mit einem weiteren BZÖ-Entschließungsantrag (1064/A(E)) appellierte Abgeordneter Wolfgang Spadiut an den Landwirtschaftsminister, bei der bevorstehenden Neuberechnung der Einheitswerte Ungerechtigkeiten für die Bauern zu vermeiden und schlug ein Stufenkonzept vor, um zu verhindern, dass Bergbauern gegen Landbauern und Ackerbauern gegen Viehlandwirte oder Forstwirte ausgespielt werden.

Der Entschließungsantrag wurde auf Antrag von Abgeordnetem Hermann Schultes (V) vertagt. Schultes argumentierte, dass es nicht sinnvoll sei, jetzt Festlegungen zu treffen, wenn man nicht wisse, wohin sich die europäische Agrarpolitik bewege.

Mit der gleichen Argumentation wurde auch ein FPÖ-Antrag vertagt, der auf eine Beschränkung der Cross-Compliance-Bestimmungen (Verknüpfung von Prämienzahlungen mit der Einhaltung von Umweltstandards) und generell auf eine Reduzierung der Bürokratie in der Landwirtschaft abzielt (40/A[E]). Der hohe administrative Aufwand im Umweltprogramm, vor allem das "Hygiene-Paket", schrecke immer mehr Bauern davon ab, ihren Betrieb weiterzuführen, bemängelt Abgeordneter Harald Jannach (F). Die Intention des Antrags wurde auch von Abgeordnetem Wolfgang Pirklhuber (G) geteilt; er hofft, wie er sagte, auf ein einfacheres und klareres Fördermodell. (Schluss)