Parlamentskorrespondenz Nr. 556 vom 30.06.2010

Kann man soziale Sicherheit, Schuldenabbau und Förderungen vereinen?

Sozialausschuss: EU-Vorhaben im Sozialbereich und aktuelle Aussprache

Wien (PK) - Im Sozialausschuss standen heute zunächst die Vorhaben der EU im Bereich Arbeit und Soziales auf der insgesamt 23 Punkte umfassenden Tagesordnung . Im Zentrum der Arbeitsprogramme der Europäischen Kommission und des Rats stehen 2010 vor allem Maßnahmen zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise und zur Bewahrung der sozialen Marktwirtschaft, wie der Bericht des Sozialministeriums (III-139 d.B. ) darlegt. Die Europäische Kommission werde sich auf vier Aktionsbereiche konzentrieren, in deren Rahmen einige legislative und nicht-legislative Vorschläge umgesetzt würden, die für das BMASK von unmittelbarer Relevanz seien. So soll auf Basis des Stockholmer Programms etwa ein umfassendes Aktionsprogramm vorgelegt werden, das auch Vorschläge für Rechtsinstrumente zur legalen Einwanderung enthält, u. a. in Bezug auf den Arbeitsmarktzugang. Der Bericht wurde mit S-V-B-Mehrheit angenommen.

Einleitend erläuterte Sozialminister Rudolf Hundstorfer das generelle Ziel der Politik in seinem Zuständigkeitsbereich und der europäischen Sozialpolitik, nämlich die Gewährleistung der sozialen Sicherheit mit der Notwendigkeit der Reduktion der öffentlichen Verschuldung und der Förderung von Wachstum in Einklang zu bringen. Der Minister ging dann näher auf einige Bereiche ein: In der Jugendbeschäftigung liege Österreich vorn; bei den Maßnahmen im Kampf gegen Armut und für soziale Eingliederung werde Österreich seine Ziele bis zum September 2010 formulieren; bezüglich der Arbeitszeitrichtlinie wolle man sehen, was die belgische Präsidentschaft vorlege; im Konsumentenschutz solle das hohe nationale Schutzniveau beibehalten werden; das Thema Renten und Pensionsalter werde nächste Woche im informellen Rat der Sozialminister angesprochen.

Die Fragen der Abgeordneten bezogen sich u.a. auf das Grünbuch zur Zukunft der Renten (Abgeordnete Ursula Haubner, B), das Thema Mutterschutz (Abgeordnete Ridi Maria Steibl, V), die Bewertung der Lissabon-Strategie, die nach der Auffassung des Abgeordneten Karl Öllinger (G) gescheitert ist, wobei die Krise als Ausrede gebraucht werde und eine falsche Prioritätensetzung – Wachstum – auch für die Zukunft zu befürchten sei. Öllinger sah auch das Drei-Säulen-Modell der Altersvorsorge in den beiden Säulen betriebliche und private Vorsorge gescheitert. Eine weitere Frage bezog sich auf das im Grünbuch vorgesehene Pensions-Antrittsalter.

Abgeordneter Herbert Kickl (F) ortete einen fahrlässigen Umgang mit sozialen Themen und Widersprüche zwischen dem zur Debatte stehenden Programm und Aussagen des Ministers. Eine konkrete Frage bezog sich auf möglicherweise drohende Aufweichungen bei den differenzierten österreichischen Regelungen bei der Familienbeihilfe. Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (B) sprach das Stockholm-Programm und den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt an.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer trat zunächst Gerüchten entgegen, im Grünbuch wäre ein Pensionsalter von 70 Jahren festgeschrieben: Dies finde sich "auf keiner Seite" des Grünbuchs, auch wenn eine Bewertung des Dokuments mangels ausreichender Information derzeit noch nicht möglich sei. Österreich warte aber auch nicht passiv auf das Grünbuch; vielmehr werde intensiv und unter Einbeziehung internationaler ExpertInnen an den Themen Nachhaltigkeit und Anreizsysteme gearbeitet. "Wir brauchen eine Verschiebung des Pensionsalters", stellte Hundstorfer fest. Die österreichischen Ziele im Kampf gegen Armut würden im September vorliegen, weil allgemeine Entwicklungen einbezogen werden müssten, um ein realistisches Ziel für Österreich formulieren zu können. Aus 60 Projekten verschiedener NGO seien 16 zur Umsetzung ausgewählt worden.

In Punkto Arbeitszeitrichtlinie sei Österreichs Standpunkt unverändert, sagte der Sozialminister weiter, es werde in dieser Frage keinen Kompromiss geben, zumal Österreich hier nicht allein stehe. Derzeit laufe der Versuch, auf europäischer Sozialpartner-Ebene einen Kompromiss zu finden. Zum Thema Mutterschutz informierte der Minister die Abgeordneten, dass es auf EU-Ebene zwei Vorschläge gäbe: 18 Wochen und 20 Wochen. Der 20-Wochen-Vorschlag stamme von Ländern ohne Karenzurlaubs-Regelung. Österreich bleibe bei den geltenden 16 Wochen, weil diese ja im Zusammenhang mit dem Karenzurlaub zu sehen seien. Zu den Vorschlägen bei den Familienleistungen sage Österreich gemeinsam mit Deutschland nein.

Bezüglich Rumänien und Bulgarien sei Österreich das einzige Land, das die Übergangsfristen zur Gänze nütze. Die Öffnung des österreichischen Arbeitsmarkts im kommenden Jahr sei durch europäische und völkerrechtlich verbindliche Verträge gesichert. Auch im Einsatz für die Erhaltung hoher nationaler Standards im Konsumentenschutz sei Österreich nicht allein. In Kürze werde er dieses Thema mit dem zuständigen neuen EU-Kommissar besprechen, sagte Hundstorfer. Ziel sei, auch bei der Einführung von europäischen Mindestnormen die höheren nationalen Standards zu erhalten.

Aktuelle Aussprache: Pflege, Arbeitsmarkt, Armut

An die Diskussion über die Vorhaben der EU im Sozialbereich schloss sich eine Aktuelle Aussprache an, in deren Rahmen man vor allem die Themen Pflege, Arbeitsmarkt und Armut aufgriff.

Was den Sozialbereich insgesamt anbelangt, befürchtete Abgeordneter Karl Öllinger (G) umfangreiche budgetäre Einschränkungen. Er forderte Bundesminister Hundstorfer daher zur Stellungnahme zu den Gerüchten um etwaige Kürzungen beim Pflegegeld der Stufen 1 und 2 sowie beim Arbeitslosengeld auf.

Das Thema Pensionen wurde von V-Abgeordnetem Johann Singer und B-Abgeordneter Ursula Haubner aufgegriffen, die sich beide nach dem Stand einer Regelung für die Langzeitversicherten erkundigten. Für Haubner stand dabei fest, dass es kein Privileg sein dürfe, nach über 40 Jahren Erwerbstätigkeit in Pension zu gehen. Das BZÖ halte deshalb auch weiterhin an seiner Forderung nach einem Pensionskonto fest. Singer forderte die Harmonisierung der Pensionssysteme, da man sonst eine ungleiche und damit ungerechte Situation schaffe.

Beide Abgeordnete sprachen sich außerdem dafür aus, den Problemen im Bereich der Pflege ins Auge zu blicken. Für Haubner war es etwa nicht einsehbar, warum das Pflegegeld in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich hoch ausfällt. Abgeordneter Oswald Klikovits (V) machte außerdem auf das Problem des Bestehens von Betreuungslücken im Pflegesystem aufmerksam und bewertete die Einrichtung eines Pflegefonds als wichtigen und notwendigen Schritt.

Anlass für eine Diskussion über die Entwicklung des Arbeitsmarkts bot nicht zuletzt die von F-Abgeordnetem Mario Kunasek thematisierte Schließung des Triumph-Werks in Hartberg. Der Abgeordnete erkundigte sich dabei u. a. nach Schritten, die der Bundesminister in dieser Angelegenheit zu setzen gedenke. G-Abgeordnete Birgit Schatz kam im Zusammenhang mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt auf das Thema Ausbildungsplätze zu sprechen und bemängelte das ihrer Erfahrung nach bestehende zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen. Da der Anteil an Teilzeitstellen stetig zunehme, gleichzeitig aber auch die in Österreich geleisteten Überstunden ein beträchtliches Ausmaß erreichten, erkundigte sie sich überdies nach dem Umsetzungsstand einer Initiative zur gerechteren Verteilung der Arbeitszeit, die von Sozialminister Hundstorfer angekündigt worden war.

Auch Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (B) kam auf das Thema Lehrstellen zu sprechen und wollte außerdem wissen, wann etwas zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit unter älteren Menschen getan werde. Dolinschek beklagte darüber hinaus die Benachteiligung von Menschen mit Behinderung, die oftmals einer persönlichen Assistenz bedürften – ein Thema, das auch G-Abgeordnete Helene Jarmer aufgriff. Sie kritisierte, dass kein Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz oder die Bereitstellung eines Dolmetschers für Gebärdensprache bestehe, was behinderte Menschen einschränke. Jarmer wollte außerdem wissen, was der Bundesminister zur Senkung der hohen Arbeitslosenzahlen zu tun gedenke. Abgeordnete Ridi Maria Steibl (V) kam in ihrer Wortmeldung auf die Schulungsprogramme des AMS zu sprechen, die mehr sein müssten als Arbeitsbeschaffung für die Kursanbieter. Was ArbeitnehmerInnen im Alter zwischen 50 und 65 Jahren anbelange, so gelte es etwas zu unternehmen, um sie nicht in die frühzeitige Pension oder in die Mindestsicherung abgleiten zu lassen, hielt Steibl fest.

Abgeordneter Martin Bartenstein (V) kam schließlich auf das Problem des Nicht-Bestehens von Karenzregelungen für Personen in öffentlichen Ämtern zu sprechen. Er erkundigte sich daher, wie man mit solchen Fällen umzugehen gedenke.

Das Thema des ersten Tagesordnungspunkts – EU-Vorhaben im Bereich Soziales – wählten die F-Abgeordneten Herbert Kickl und Werner Neubauer auch zum Thema ihrer Wortmeldungen im Rahmen der Aktuellen Stunde. Kickl wollte in diesem Zusammenhang wissen, wie der Bundesminister zum geplanten Ausstieg aus den sozialen Unterstützungsmaßnahmen stehe, die man vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise beschlossen habe. Was die Öffnung des österreichischen Arbeitsmarkts für Personen aus den neuen Mitgliedstaaten anbelangt, wollte er "nichts in Stein gemeißelt" wissen. Er halte es im Gegenteil für sinnvoll, ein EU-Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, das Österreich zumindest weitere Zeit verschaffe. Kickl wollte außerdem erläutert wissen, wie es sein könne, dass Zuwanderer mehr in das österreichische Sozialsystem einbezahlten als erhielten.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer machte in Beantwortung der Fragen der Abgeordneten darauf aufmerksam, dass Kürzungen beim Pflegegeld nicht in Frage kämen und zudem verfassungswidrig seien. Bei gewissen Förderungen des AMS werden zwar Reduktionen erforderlich, doch taste man die Grundsubstanz nicht an.

Beim Thema Pflege galt es für Hundstorfer zwischen der "heutigen" und der "morgigen" Situation zu differenzieren. Was die von Abgeordnetem Johann Singer (V) angesprochene schwierige Situation der Gemeinden bei der Finanzierung von Pflegeleistungen anbelangt, gab Hundstorfer zu bedenken, dass der Bund im Rahmen des letzten Finanzausgleichs den Ländern mehr Geld für diesen Bereich zur Verfügung gestellt habe, diese die Mittel aber nicht an die Gemeinden weitergeleitet hätten. Die Arbeit am Pflegefonds erfolge unter Einbindung aller Bundesländer und unter Berücksichtigung der quantitativen Steigerung des Bedarfs an Pflegeleistungen.

In Zusammenhang mit der Diskussion um Pensionsregelungen für Langzeitversicherte machte der Sozialminister darauf aufmerksam, dass ein Antritt mit dem 62. Lebensjahr als Zielgröße anvisiert werde. Das durchschnittliche Antrittsalter bei Männern liege derzeit bei 61 Jahren.

Breiten Raum widmete Hundstorfer auch der Schließung des Triumph-Werks in Hartberg. Er halte es für sinnvoller, in Ruhe über Alternativen und ihre Umsetzbarkeit zu beraten, statt die Betroffenen mit unausgereiften Vorschlägen weiter zu verunsichern, stellte er fest. Über die Einrichtung einer Arbeitsstiftung müsse diskutiert werden, doch spreche er sich dafür aus, die Firma zur Finanzierung heranzuziehen und nur in zweiter Linie auf Gelder der öffentlichen Hand zurückzugreifen.

In Richtung Abgeordneter Birgit Schatz (G) hielt Hundstorfer fest, dass keine explosionsartigen Anstiege bei den überbetrieblichen Lehrstellen zu verzeichnen seien. Es gebe im Gegenteil Zuwächse bei den betrieblichen Lehrstellen, sodass 122.000 Lehrverträge in Betrieben vergeben werden konnten. Was die Öffnung des Arbeitsmarkts für Personen aus den neuen Mitgliedstaaten betreffe, könne man keine Verlängerung der Ausnahmeregelung mehr erzielen. Abgeordneten Herbert Kickl (F) ließ Hundstorfer aber wissen, dass man gut darauf vorbereitet sei. Dass MigrantInnen außerdem mehr in den "Sozialtopf" einbezahlten als sie daraus zurückbekämen, kann auf den größeren Anteil junger und damit erwerbstätiger Menschen unter den Zuwanderern zurückgeführt werden. Ältere ArbeitnehmerInnen versuche man so gut wie möglich – unter Einbeziehung finnischer Expertise – am Arbeitsmarkt zu halten. Hierzu liefen aktuell drei Projekte.

Er müsse auch zugeben, dass es für Personen in öffentlichen Funktionen keine Lösung der Karenzfrage gebe. Eine solche gelte es aber gemeinsam zu finden. (Fortsetzung)