Parlamentskorrespondenz Nr. 598 vom 09.07.2010

Nationalrat gibt grünes Licht für ärztliche Gruppenpraxen

Allgemeine Zustimmung, Uneinigkeit in Details

Wien (PK) – Der Nationalrat setzte seine Beratungen mit dem Bundesgesetz zur Stärkung der ambulanten öffentlichen Gesundheitsversorgung fort, womit die Grundlage für die Einrichtung ärztlicher Gruppenpraxen geschaffen wird. Mitverhandelt wurde ein F-Antrag betreffend flexiblere Arbeitszeitmodelle für ÄrztInnen und ein weiterer Antrag der FPÖ betreffend öffentliche Finanzierung der Lehrpraxen.

Abgeordneter Andreas KARLSBÖCK (F) erklärte, die Ärzte-GmbH sei nicht nur eine langjährige Forderung der ÄrztInnen und der FPÖ, sondern auch der PatientInnen. Er erwartet sich von den neuen Ärztegesellschaften eine bessere ambulante Versorgung der Bevölkerung und patientenfreundlichere Öffnungszeiten.

Unzufrieden zeigte sich Karlsböck allerdings über einzelne Punkte der vorliegenden Gesetzesnovelle. So ist es für ihn unverständlich, warum auch Ärztegesellschaften von WahlärztInnen einer Bedarfsprüfung bedürfen. Einem zweiten Kritikpunkt der FPÖ, den Bestimmungen über die verpflichtende Haftpflichtversicherung für ÄrztInnen, wird laut Karlsböck durch einen Fünf-Parteien-Abänderungsantrag Rechnung getragen.

Abgeordnete Sabine OBERHAUSER (S) brachte den von Abgeordnetem Karlsböck angekündigten Fünf-Parteien-Abänderungsantrag zur Ärztegesetz-Novelle ein. Er sieht für die verpflichtende ärztliche Haftpflichtversicherung eine Obergrenze vor, und zwar auf 3 Fälle zu je 2 Mio. € für ÄrztInnen und auf 5 Fälle zu je 2 Mio. € für Gruppenpraxen und Ambulatorien. Die Bestimmungen sollen Oberhauser zufolge in einem Jahr evaluiert und im Bedarfsfall geändert werden, sollte sich herausstellen, dass sie Nachteile für die PatientInnen bewirken.

Generell hielt Oberhauser fest, man habe sehr lange über die Ärztegesellschaften verhandelt und letztlich einen "gangbaren Kompromiss" gefunden. Sie hofft, dass ÄrztInnen durch die neue Form der Gruppenpraxen verstärkt motiviert würden, sich im ländlichen Raum niederzulassen. Die vorgesehene Bedarfsprüfung solle sicherstellen, dass das Angebot auch gebraucht werde. Oberhauser hob überdies die neuen Bestimmungen in der Ärztegesetz-Novelle zur Qualitätssicherung hervor.

Abgeordneter Kurt GRÜNEWALD (G) vermutete, das alte "Einzelkämpfertum" der ÄrztInnen werde verschwinden, und das sei auch gut so. Eine Entlastung der Spitäler sei aber kaum zu erwarten, zumal zahlreiche Hürden in Gestalt verschiedener Institutionen bei der Errichtung von Gruppenpraxen zu überwinden seien. Entscheidend sei aber, weitere Defizite im niedergelassenen Bereich aufzuspüren. Kritisch wandte er sich gegen die Haltung von Landeshauptleuten im Zusammenhang mit Krankenanstalten. Positiv wertete der Abgeordnete die Unfallversicherung von Kindern im letzten Kindergartenjahr.

Den Minister forderte er auf, "mit der Ärztekammer zu arbeiten – aber einiges sollte auch ohne sie gehen", betonte Grünewald.

Gesundheitspolitik sollte man auch einfach erklären können, damit sie auch jene verstehen, die "nicht im Expertenturm wohnen", stellte Abgeordneter Erwin RASINGER (V) fest. Österreich habe 70 % mehr Spitalsaufnahmen als der EU-Schnitt; das sei zum Teil Qualität, zum Teil aber eindeutig zu viel. Das vorliegende Gesetz sei ein Beitrag zur Verbesserung dieser "Schieflage". Fehler wie in Deutschland – Orientierung am Profit statt an optimaler Versorgung - im Zusammenhang mit der Finanzierung hätten in Österreich vermieden werden können. Außerdem gebe es eine einheitliche Bedarfsprüfung. Rasinger brachte einen Entschließungsantrag ein, mit der der Gesundheitsminister aufgefordert wird, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die Vorschläge für eine einheitliche betriebsanlagenrechtliche Regelungen bei ambulanten Dienstleistungen erarbeiten soll. In einem weiteren Entschließungsantrag wird eine Evaluierung der Kosten im genannten Kindergartenjahr aufgetragen. Rasinger zollte abschließend dem Gesundheitsminister Respekt für seine Geduld bei der Erarbeitung des Gesetzes.

Abgeordnete Ursula HAUBNER (B) sprach sich für die Entlastung der Spitäler und die Stärkung des extramuralen Bereichs aus. Mit der Vorlage werde dieses Ziel nicht erreicht, auch wenn sie ein kleiner Schritt in die richtige Richtung sei. Kritisch wandte sie sich gegen die Möglichkeit, dass ÄrztInnen nicht andere ÄrztInnen anstellen dürfen. Auch die starke Stellung der Landeshauptleute – die ja auch die "Chefs und Chefinnen" der Spitäler seien – hätten bei der Bewilligung von Gruppenpraxen zu viel Macht. Außerdem seien zu viele Gremien, z.B. Beiräte, involviert. Besser wäre eine schlanke Struktur, betonte Haubner. Auch die Abrechnung über Pauschale sei nachteilig. Die Haftpflichtversicherung für ÄrztInnen begrüßte Haubner ebenso wie die Unfallversicherung für Kindergartenkinder. In getrennter Abstimmung würde das BZÖ daher nur einzelnen Punkten, nicht aber dem gesamten Gesetz zustimmen.

Abgeordnete Renate CSÖRGITS (S) brachte einen Entschließungsantrag zur Sicherstellung der Patientenversorgung durch Verhinderung eines vertragslosen Zustands ein. Durch die Vorlage würde die Situation der PatientInnen verbessert, erläuterte sie. Weniger lange Wartezeiten, größere Nähe zu Praxen, Entlastung der Spitalsambulanzen würden sich in den nächsten Jahren einstellen.

Die Gesundheitsreform stelle drei Themen in den Vordergrund, sagte Gesundheitsminister Alois STÖGER: Die Rechte und Bedürfnisse der PatientInnen, das konsensuale Vorgehen aller PartnerInnen im Gesundheitssystem und die Stärkung der Qualität der realen Versorgung. Die ÄrztInnen stießen zunehmend an Grenzen, die Erwartungen der PatientInnen könnten oft nicht erfüllt werden. Der niedergelassene Bereich würde durch die Vorlage gestärkt, das Verhältnis zwischen ÄrztInnen und PatientInnen werde ebenfalls gestärkt. Erstmals gebe es ein Haftungsrecht, das die ÄrztInnen entlaste und die PatientInnen finanziell im Bedarfsfall unterstützt. Sichergestellt sei, dass in Ambulanzen und im niedergelassenen Bereich das gleiche Qualitätsregime herrsche. Das Gesetz sei ein Baustein für den Ausbau des "Hauses der Gesundheit" in jeder Region, wobei die Ärztegesellschaft zentral sei. An die ÄrztInnen appellierte der Minister, die Chancen zu nutzen, die das Gesetz – die größte Strukturreform im Gesundheitswesen seit Jahrzehnten - biete.

Abgeordnete Martina SCHENK (B) ging auf Probleme bei TurnusärztInnen im Zusammenhang mit nicht ausreichenden Kinderbetreuungseinrichtungen ein. Die vorgeschlagenen Teilzeitregelungen seien eine logistische Herausforderung. Angehende ÄrztInnen dürften nicht in Ambulanzen in einen "Kreislauf" geschickt werden. Die Politik habe die Aufgabe, das Leben der Menschen zu vereinfachen und nicht, es zu verkomplizieren.

Österreich habe eines der besten Gesundheitssysteme in Europa, sagte Abgeordneter Martin STRUTZ (o.F.), mit dem man sehr behutsam umgehen müsse. Entscheidende Fragen, wie die Finanzierung, seien aber in der Vorlage nicht angesprochen, kritisierte er. Der SPÖ warf er vor, kleine Spitäler schließen zu wollen. Zusperren von Spitälern, die in den ländlichen Bereichen Arbeitsplätze sichern, sei "an Einfallslosigkeit nicht zu überbieten", sagte Strutz. Man solle sich besser Gedanken machen, welche Aufgaben diese Anstalten übernehmen könnten. Strutz brachte einen Entschließungsantrag ein, der u.a. die Aufrechterhaltung der Spitäler sichert und Adaptionen in defizitären Anstalten vorsieht. Medizinische und pflegerische Dienste würden in Zukunft im Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung noch wichtiger, das benötigte Geld könnte durch Verwaltungseinsparungen – wie Zusammenlegung von Gebietskrankenkassen – hereingebracht werden.

Abgeordnete Sabine OBERHAUSER (S) ging in einer zweiten Wortmeldung auf diesen Entschließungsantrag ein. Darin seien vom Gesundheitsminister Dinge gefordert, die nicht in dessen Kompetenz fielen, argumentierte sie. Insgesamt qualifizierte sie den Antrag als "unsinnig".

Auch Abgeordneter Erwin RASINGER (V) wertete den Antrag als unsinnig und sah ihn als "Papier gewordene Versteinerungstheorie". Der Antrag sei populistisch und habe mit Gesundheitspolitik wenig zu tun, sagte er.

Das Bundesgesetz zur Stärkung der ambulanten öffentlichen Gesundheitsversorgung wurde unter Berücksichtigung eines einstimmig angenommenen 5-Parteien-Zusatz- und Abänderungsantrags mit Stimmenmehrheit in 2. und 3. Lesung angenommen. Auch die zu diesem Gesetz eingebrachten Entschließungsanträge von SPÖ und ÖVP wurden einstimmig angenommen.

Der Entschließungsantrag des Abgeordneten Martin Strutz betreffend angedrohte Spitalsschließungen fand in der namentlichen Abstimmung keine Mehrheit.

Die Berichte des Gesundheitsausschusses über die Anträge der FPÖ betreffend flexiblere Arbeitszeitmodelle für Ärzte und öffentliche Finanzierung der Lehrpraxen wurden mehrheitlich zur Kenntnis genommen. Diese blieben somit in der Minderheit. (Forts./ NR)