Parlamentskorrespondenz Nr. 676 vom 14.09.2010

Abschied vom Bild eines unbeschwerten Studentenlebens

Wissenschaftsausschuss diskutiert soziale Lage der Studierenden

Wien (PK) – Hitzig und durchaus kontrovers diskutierte der heutige Wissenschaftsausschuss über den aktuellen Bericht zur sozialen Lage der Studierenden (III-155 d.B.), zu dessen Besprechung die einzelnen Fraktionen auch ExpertInnen geladen hatten. Das vorliegende Konvolut an Zahlen, Daten und Fakten beruht laut Bundesministerin Beatrix Karl auf einer der umfangreichsten Studierendenerhebungen Europas und umreißt die gesamte Lebenssituation österreichischer HochschülerInnen. Die Ergebnisse des Berichts bildeten nicht zuletzt deshalb eine bedeutende Grundlage zur Weiterentwicklung des Studienangebots, schloss Karl.

In ihren Stellungnahmen kamen die geladenen ExpertInnen vor allem auf die steigende Zahl erwerbstätiger Studierender, Probleme im bestehenden Beihilfensystem und soziale Schieflagen im tertiären Sektor zu sprechen.

Katharina Aretin (RFS-Landesgruppenvorsitzende Wien) gab zu bedenken, dass jene Zeit, die Studierende für eine Erwerbstätigkeit aufwenden, häufig vom Zeitbudget, das sie für ihr Studium aufbringen müssten, abginge. Eine – mitunter auch niedrig qualifizierte –

Arbeit aufzunehmen, sei in vielen Fällen aber notwendig, um die Kosten für Lebensunterhalt und Studium abzudecken. Aretin verwies in diesem Zusammenhang auf ein Ergebnis der Studierendensozialerhebung, wonach 25 % der HochschülerInnen nicht oder nur schlecht mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen auskämen. Dass die Studienbeihilfe niedriger bemessen ist als die in diesem Jahr verabschiedete Mindestsicherung, konnte die Rednerin daher nicht nachvollziehen. Angesichts der sozialen Schieflage im tertiären Sektor und Schwierigkeiten, mit denen sich berufsbegleitend Studierende konfrontiert sehen, plädierte Aretin u. a. für eine Ausweitung des Lehrveranstaltungsangebots und die Anpassung der Studienförderzeiten an die durchschnittliche Studiendauer.

Den Ausführungen seiner Vorrednerin konnte sich auch Simon Hofbauer (Organisationsreferent ÖH Salzburg) anschließen, der ausführte, dass zahlreiche Studierende mit einem Tages- oder sogar Wochenbudget von 10 € auskommen müssten. Besonders Studierende aus Mittelschichtfamilien sehen sich dazu gezwungen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, was in vielen Fällen auf Kosten des Studiums gehe. Wer dieses aber vernachlässige, der falle schließlich auch aus dem Beihilfensystem und müsse wieder Studiengebühren bezahlen, wodurch sich die schwierige finanzielle Situation weiter zuspitze. Hofbauer plädierte aber auch dafür, die Arbeitsbedingungen von HochschülerInnen unter die Lupe zu nehmen. Ein Großteil der Studierenden befinde sich nämlich in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Dass für eine Erwerbstätigkeit durchschnittlich 19,8 Stunden pro Woche aufgewendet werden, sei angesichts der negativen Effekte auf Studienfortschritt und –erfolg nicht begrüßenswert. Was das österreichische Beihilfensystem anbelangt, so ortet Hofbauer dringenden Handlungsbedarf, zumal nur 25 % der Studierenden eine staatliche Unterstützung erhielten. Auch sei es an der Zeit, die Familienbeihilfe direkt an die Studierenden auszubezahlen. Für Hofbauer stand fest, dass eine Verbesserung der derzeitigen Situation nur durch ein Mehr an budgetären Mitteln in Form der Bildungsmilliarde zu erreichen ist.

Christian Rechberger (Referat für Sozialpolitik der ÖH) kam in seiner Wortmeldung zunächst auf die Frage der Zugangsbeschränkungen zu sprechen. Für ihn stand fest, dass Studienbeiträge Studierende aus niedriger Schicht an Aufnahme und Fortführung eines universitären Studiums hinderten und nicht, wie häufig postuliert, "Prüfungsinaktive". Die Gebühren würden schließlich zu einem Großteil von den Eltern beglichen. Vor finanziellen Problemen stehen laut Rechberger vor allem auch Studierende mit Kinderbetreuungspflichten, die mit noch höheren Ausgaben zu rechnen haben als HochschülerInnen ohne Kinder. Er forderte daher die Erhöhung des Kinderzuschusses im Rahmen der Studienbeihilfe. Dass eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Studierenden nicht krankenversichert ist, müsse Anlass dazu geben, über eine Ausweitung der studentischen Selbstversicherung zu diskutieren, schloss er.

Die von seinem Vorredner angesprochenen sozialen Härtefälle wären zwar bedauerlich, doch sei die breite Masse der Studierenden nicht von diesen Themen betroffen, zeigte sich Jan Phillipp Schifko (Bundesobmann Aktionsgemeinschaft) überzeugt. Dass 61 % der HochschülerInnen einer Erwerbstätigkeit nachgingen, dürfe man nicht per se schlecht reden, zumal 41 % der Befragten in der Erhebung angaben, einen anspruchsvollen Job zu haben, der wertvolle Berufserfahrung mit sich bringe. Beim Beihilfensystem sah Schifko aber einen "Hund begraben", da Bund, Länder und Gemeinden Förderungen vergeben, die stark voneinander abweichen. Dass 52 % der Studierenden keine Beihilfen oder Stipendien erhalten, weise außerdem darauf hin, dass es an Zielgenauigkeit mangle. Nicht nur hier gelte es aktiv zu werden, sondern auch beim Bau weiterer Studierendenwohnheime und bei der Angleichung der Sommertarife der öffentlichen Verkehrsmittel an normale Studierendentarife während des Semesters. Was das Zugangsmanagement betrifft, so sprach sich Schifko dafür aus, StudienanfängerInnen frühzeitig zur Reflexion über ihre Studienwahl anzuregen.

Martin Unger (Institut für Höhere Studien), der an der Erstellung des vorliegenden Berichts mitgewirkt hatte, kam ebenfalls auf die Frage der steigenden Erwerbstätigkeit unter Studierenden zu sprechen. Ihm zufolge wiesen andere westeuropäische Staaten einen ähnlich hohen Anteil an berufstätigen HochschülerInnen auf, die Gruppe der Erwerbstätigen sei aber in verschiedene Subgruppen zu unterteilen. Bereinige man die 60 % u. a. von jenen, die ihr Studium berufsbegleitend betrieben, so stieße man auf eine kleinere, aber immer noch beachtliche Personengruppe, die in einer prekären finanziellen Lage stecke und der es zu helfen gelte. Bemerkenswert sei außerdem, dass männliche und weibliche Studierende, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, bei gleicher Arbeitszeit unterschiedliche Einkommen erzielen. Dass Männer dabei mehr verdienen, könne, so Unger, vor allem auf die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Studienwahl zurückgeführt werden. Zu beachten gelte es aber auch die Disparitäten zwischen Ost- und Westösterreich, zumal das Gros der StudienanfängerInnen auf die östlichen Bundesländer entfällt. Bei Studierenden aus niedriger Schicht falle auf, dass sie durchschnittlich drei Jahre später ein Studium aufnehmen und damit bereits in einer anderen lebensweltlichen Phase steckten, so der Experte.

Anmerkungen zur Situation von Studierenden aus bildungsfernen Schichten machte auch Josef Wöss (Leiter der Abteilung für Sozialpolitik der AK). Ihm zufolge ist Österreich nach wie vor "meilenweit" von Chancengleichheit beim Bildungszugang entfernt. Dies habe aber negative Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft, zumal damit Humanressourcen ungenützt blieben. Angesichts der demografischen Situation und des Facharbeitermangels sei diese Entwicklung aber beklagenswert. Es gelte, Potenziale zu erkennen, nicht Lebenschancen zu verbauen, so das Resümee des Experten. Er forderte daher Veränderungen in der gesamten Bildungspolitik, eine Verbesserung des Beihilfensystems für Studierende und die Umsetzung von Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Studium und Beruf. Dass eine beträchtliche Zahl von HochschülerInnen aus einkommensschwachen Haushalten aufgrund verschiedener Faktoren wie Alter und Berufstätigkeit keine finanzielle Unterstützung erhalten, sei nicht einsehbar. Wöss plädierte daher für die Anhebung der Einkommens- und Altersgrenzen sowie eine regelmäßige Valorisierung dieser Leistungen.

Die Beiträge der ExpertInnen und das Datenmaterial des vorliegenden Berichts bildeten auch die Basis für kontroverse Diskussionen unter den Abgeordneten.

S-Mandatarin Andrea Kuntzl griff dabei das Thema Chancengleichheit auf und machte darauf aufmerksam, dass Fortschritte auf diesem Gebiet nur langsam erzielt würden. Es gelte aber nicht nur die Hochschulen in die Verantwortung zu nehmen, sondern das Bildungssystem insgesamt zu betrachten – eine Auffassung, der sich auch G-Abgeordneter Kurt Grünewald anschloss: Ihm zufolge ist es an der Zeit, etwas gegen den zu geringen Anteil von Studierenden aus bildungsfernen Schichten zu tun. Soziale Ungleichheit setze sich dabei von der Schule zur Universität fort. Abgeordneter Rainer Widmann (B) erkundigte sich daher nach konkreten Maßnahmen der Ministerin zur Beseitigung dieses Missstands. Für G-Mandatar Wolfgang Zinggl erschloss sich aus dem vorliegenden Bericht überhaupt nicht, warum ein Rückgang bei Studierenden aus bildungsfernen Schichten zu verzeichnen ist. Prozesse des sozialen Wandels und der Erosion von Berufsgruppen als Begründung aufzubieten, hielt er für verfehlt, zumal der Anteil bildungsferner Schichten konstant bleibe. Für Zinggl stand damit das Versagen des Bildungssystems fest. Er beklagte außerdem, dass im Bericht nicht auf die finanzielle Situation der Haushalte, aus denen die Studierenden kommen, eingegangen wurde – ein Mangel, der von Co-Autor Martin Unger mit der Schwierigkeit der Erhebung derartiger Daten im Rahmen einer Studierendenbefragung begründet wurde.

Abgeordnete Katharina Cortolezis-Schlager (V) sprach sich dafür aus, Erfolge, die im Bereich der Durchlässigkeit erzielt wurden, nicht klein zu reden. Über Verbesserungen gelte es aber in Hinblick auf die Themen Wohnen, Transport und lokale Disparitäten zu diskutieren, räumte sie ein. Was die Studiengebühren anbelangt, so bräuchten die Universitäten dieses Geld. Zugangsregelungen und Studienbeiträge hätten sich international als Erfolgsmodell herausgestellt, schloss sie. Auch B-Abgeordneter Rainer Widmann wollte über die Wiedereinführung eines solchen Beitrags sprechen, sofern dieser "intelligent gestaltet" würde und keine Zugangshürde darstellte. Die Abgeordneten Ruperta Lichtenecker (G) und Sabine Oberhauser (S) konnten einer solchen Diskussion aber nichts abgewinnen. Für beide stand fest, dass soziale Durchmischung nicht mit der Einhebung von Studiengebühren zusammenhängt, wie in den Wortmeldungen der V-Abgeordneten Katharina Cortolezis-Schlager und Karin Hakl für den FH-Sektor angeklungen war. Ausschussvorsitzender Martin Graf wollte in diesem Zusammenhang wissen, ob die Universitäten durch den Wegfall des Studienbeitrags tatsächlich budgetäre Einbußen erfahren haben.

Dass Erwerbstätigkeit ein Hemmnis für den Studienfortschritt bedeutet, stand sowohl für S-Abgeordnete Andrea Kuntzl als auch für F-Mandatar Norbert Hofer und G-Abgeordneten Kurt Grünewald fest. Das Bild vom "unbeschwerten Studentenleben", das in der Öffentlichkeit immer noch vorherrsche, müsse man revidieren, stelle Grünewald fest. F-Mandatar Norbert Hofer sah sich angesichts des Datenmaterials in seiner Auffassung bestätigt, die Belastungspolitik gegenüber dem Mittelstand habe auch Probleme in anderen Bereichen, wie dem Hochschulsektor, zur Folge.

Was die Verbesserung des Beihilfensystems anbelangt, so zeigten sich VertreterInnen aller Parteien einig, über Vorschläge, wie jenen der direkten Ausbezahlung der Familienbeihilfe an die Studierenden, diskutieren zu wollen. Auch zeigte man sich fraktionsübergreifend an der Verbesserung der Studiensituation für behinderte Menschen interessiert, nach der sich Abgeordneter Norbert Hofer (F) und Abgeordnete Ruperta Lichtenecker (G) erkundigt hatten.

In Beantwortung der Fragen der Abgeordneten betreffend soziale Ungleichheit an den Universitäten stellte Wissenschaftsministerin Beatrix Karl fest, dass Studiengebühren kein Mittel zur Förderung der sozialen Durchmischung seien. Sie stünden dieser aber auch nicht entgegen. Durch die Neuregelung der Beiträge und den Entfall dieser Summe für die Universitäten müsste das Wissenschaftsressort jährlich 157 Mio. € für diesen Bereich aufwenden, hielt Karl in Richtung des Ausschussvorsitzenden fest.

Was den geringen Anteil an Studierenden aus bildungsfernen Schichten betrifft, so gelte es, früh anzusetzen und sie im Rahmen von Initiativen wie der Kinderuniversität mit dem Hochschulsektor in Kontakt zu bringen. Auch setze man sich für die Verbesserung des berufsbegleitenden Studienangebots ein und optimiere vor diesem Hintergrund auch die Curricula. Was die Unterstützung von Studierenden mit Behinderung anbelange, liefen Pilotprojekte und Initiativen.

Der Bericht über die soziale Lage der Studierenden wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.

Desweiteren diskutierten die Ausschussmitglieder über den Bericht betreffend Jahresvorschau 2010 auf der Grundlage des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission sowie des Achtzehnmonatsprogramms des Rates (III-143 d.B.), zu dem S-Abgeordneter Kurt Gartlehner, G-Abgeordnete Ruperta Lichtenecker und V-Mandatarin Karin Hakl Detailfragen stellten.

Bundesministerin Beatrix Karl bezeichnete in diesem Zusammenhang die Förderung der Mobilität von Studierenden und Lehrenden, die leider zurückgegangen sei, als wichtiges Ziel. Außerdem setze sie sich dafür ein, die Freiheit des Wissens als Grundrecht zu verankern. Die Beteiligung österreichischer Forschungseinrichtungen an europäischen Projekten laufe planmäßig und werde, so Karl, auch in Zukunft vorangetrieben.

Der Bericht wurde mit den Stimmen aller Fraktionen zur Kenntnis genommen.

Einstimmig erfolgte auch die Zuweisung des Endberichts zum Dialog Hochschulpartnerschaft (III-163 d.B.) an den bereits bestehenden Unterausschuss. (Schluss)