Parlamentskorrespondenz Nr. 746 vom 07.10.2010

Von der Bildung über den Konsumentenschutz bis hin zur Gentechnik

Bundesrat diskutiert EU-Programm für die nächsten Monate

Wien (PK) – Die Bundesrätinnen und Bundesräte diskutierten in der heutigen Plenarsitzung auch über die Arbeitsprogramme der EU-Kommission und des Rats. Zur Debatte standen insbesondere die Vorhaben im Bereich Landesverteidigung, Wissenschaft und Forschung, Justiz, Land-und Forstwirtschaft und Umwelt, Wirtschaft, Bildung und Kultur sowie internationale Angelegenheiten.

Bundesrätin Monika MÜHLWERTH (F/W) befasste sich mit dem Kultur- und Bildungsprogramm der EU und bemängelte, dieses erschöpfe sich in Ankündigungen, während das Problem doch in der Praxis liege. Die SchülerInnen kämen mit großem Wissensdurst in die Schulen, doch würde dieses ihr Interesse rasch zum Erlahmen gebracht, weshalb man schon bei der LehrerInnenausbildung ansetzen müsse. Es brauche eine gewisse Selektion vor dem Eintritt in das Lehramtsstudium, denn nicht jeder sei wirklich für die Lehrberuf geeignet, stellte Mühlwerth fest. Es seien auch mehr HochschulabsolventInnen notwendig, wohingegen die Dropout-Raten gesenkt werden müssten. Solange sich also in der konkreten Schulpraxis nicht Wesentliches ändere, könne ihre Fraktion den entsprechenden Vorlagen die Zustimmung nicht erteilen, schloss die Rednerin.

Bundesrat Gottfried KNEIFEL (V/O) berichtete, dass es bei der diesjährigen Welser Messe nicht weniger als vier chinesische und zwei indische Stände gegeben habe, was zeige, wie sehr sich diese Staaten auf der Überholspur befinden. Darauf gelte es entsprechend zu reagieren. Im Kostenwettbewerb werde man gegen diese Länder nicht bestehen können, umso wichtiger sei es daher, unsere hohen Ausbildungs- und Sozialstandards zu halten, und das gehe nur, indem man weiter in Forschung und Bildung investiere.

Sodann kam der Redner auf die ökonomischen Aspekte der europäischen Politik zu sprechen, wobei er meinte, der Staat habe klare Kriterien und Standards zu setzen. Die Politik müsse klare Rahmenbedingungen schaffen, sonst müsse man sich den Vorwurf gefallen lassen, aus der Krise nichts gelernt zu haben. Konkret sprach sich Kneifel für eine europäischen Finanztransaktionssteuer und eine Bankenabgabe aus.

Er unterstrich weiters die Bedeutung des Kampfes für die Menschenrechte, wobei er insbesondere auf die Einhaltung der Religionsfreiheit einging. Weltweit gebe es beispielsweise Millionen von Christen, die in ihrer Heimat unterdrückt würden. Dies habe natürlich auch Auswirkungen auf Europa, da nicht wenige dieser Verfolgten in Europa Zuflucht suchten. Die Menschenrechte seien jedoch unteilbar und müssten weltweit ihre Geltung haben, sagte er. Darauf habe die EU zu drängen.

Bundesrätin Cornelia MICHALKE (F/V) befasste sich mit den Auswirkungen des Lissaboner Vertrags und meinte, ihrer Fraktion fehle beispielsweise im Hinblick auf einen allfälligen Beitritt der Türkei zur EU eine klare Absage. Auch wolle man von ihrer Seite keinen Anbiederungskurs an die USA goutieren. Anschließend beschäftigte sich die Rednerin mit den österreichischen Vertretungen innerhalb der EU. Hier fehle ein konzises Konzept, weshalb es zu Doppelgleisigkeiten und Leerläufen komme. Sie sah daher in diesem Bereich ein nennenswertes Einsparungspotential. Die Vertretungsarbeit müsse zusammengefasst und optimiert werden, meinte Michalke, wobei es gelte, mögliche Synergien zu nützen. Solange in diese Richtung allerdings keine konkreten Schritte gesetzt würden, müsse ihre Fraktion die diesbezüglichen Vorlagen ablehnen.

Bundesrat Albrecht KONECNY (S/W) zeigte sich davon überzeugt, dass die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung dafür eintrete, Probleme im europäischen Rahmen zu lösen. Gemeinschaften, die sich zusammenschließen, seien immer stärker als der Einzelne, meinte er, das gelte auch für die Staaten Europas. Die EU habe sich in der Vergangenheit als handlungsfähig erwiesen. Kritik übte Konecny an der Slowakei, die sich nicht an der Griechenland-Hilfe beteiligt, und betonte, Solidarität sei "keine Einbahnstraße".

Die neuen Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente an der EU-Gesetzgebung wertete Konecny als richtig und notwendig. Er bedauerte allerdings, dass die ebenfalls im Vertrag von Lissabon verankerte Europäische Bürgerinitiative "am Tauziehen über Quoren und Fristen" zu scheitern droht. Hinsichtlich der Pläne der EU zur Angleichung der Verbraucherrechte sprach er sich für eine "differenzierte Vollharmonisierung" aus, um das hohe Schutzniveau in Österreich im Bereich des Konsumentenschutzes nicht zu gefährden.

Bundesrat Elmar PODGORSCHEK (F/O) beklagte, dass Kritik an der EU immer wieder mit der Forderung nach einem Austritt aus der EU gleichgesetzt werde. Auch die FPÖ betrachte die EU als ein Friedensprojekt, an dem es mitzugestalten gelte, betonte er. Kritik müsse aber erlaubt sein.

Podgorschek bekräftigte, seine Partei sei gegen einen europäischen Bundesstaat, die EU solle ein Staatenbund bleiben. Er ortet allerdings gegenläufige Tendenzen. So würde etwa seiner Meinung nach eine einheitliche Wirtschaftsregierung zu einer Entmündigung der nationalen Parlamente führen. Auch einer Finanzierung der EU durch eigene EU-Steuern kann Podgorschek nichts abgewinnen – er fürchtet nicht nur, dass die Finanzierung der EU dadurch noch intransparenter würde, ihm zufolge droht auch die Gefahr, dass die EU dann Kredite aufnehmen und Schulden machen werde. Klar sprach sich der Bundesrat gegen einen EU-Beitritt der Türkei aus.

Bundesrätin Elisabeth KERSCHBAUM (G/N) kritisierte die gemeinsame Debatte über inhaltlich vollkommen verschiedene Berichte. Die vorliegenden Berichte wären eine gute Gelegenheit für den Bundesrat gewesen, um mit dem jeweils zuständigen Regierungsmitglied über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit aktueller EU-Vorhaben zu diskutieren, sagte sie, diese Chance sei aber vertan worden.

Inhaltlich befasste sich Kerschbaum unter anderem mit der Frage des "Carbon Capture and Storage" (CCS) und bemängelte den "schwammigen" österreichischen Standpunkt dazu. Man wisse nicht, wie sich die unterirdische Speicherung von CO2 auf die Umwelt auswirke und was bei geologischen Bewegungen passiere, mahnte sie. Mit CCS drohe man nachfolgenden Generationen große Probleme zu hinterlassen. Kein Verständnis zeigte Kerschbaum auch für die negative Haltung des Umweltministeriums zur geplanten Bodenschutzrichtlinie der EU.

Bundesrat Edgar MAYER (V/V) befasste sich mit dem EU-Vorhabensbericht im Justizbereich und begrüßte unter anderem das "Stockholmer Programm". Eine gegenseitige Anerkennung von Gerichtsentscheidungen und Urkunden sei wichtig, um die Rechte der BürgerInnen zu schützen und durchzusetzen, betonte er. Als ebenso positiv hob er die in Aussicht genommene Vorstrafenkartei für in der EU verurteilte Straftäter aus Drittstaaten hervor.

Bedauern äußerte Mayer darüber, dass E-Justice noch nicht in dem Ausmaß Anwendung findet, wie es wünschenswert sei. Österreich sei allerdings ein Vorreiter bei der Verfahrensautomation, unterstrich er.

Auch Bundesrätin Monika KEMPERLE (S/W) setzte sich mit aktuellen EU-Vorhaben im Justizbereich auseinander. Sie äußerte sich zum vorliegenden Bericht grundsätzlich zustimmend, bemängelte aber, dass das Justizministerium zu vielen konkreten Plänen der EU keine Beurteilung abgegeben habe. Zur geplanten Vorbestraftenkartei merkte sie an, Österreich solle Druck machen, damit der Kommissionsvorschlag wie beabsichtigt im Jahr 2011 umgesetzt werde.

Der vorgesehenen Vollharmonisierung der Verbraucherrechte steht Kemperle dem gegenüber eher skeptisch gegenüber. Sie fürchtet nicht nur ein enormes "Regelungsdickicht", sondern sieht auch die Gefahr, dass das hohe Schutzniveau in Österreich aufgeweicht werde. Man müsse sich überlegen, wo Harmonisierungen sinnvoll sind und wo nicht, argumentierte Kemperle. Wie Mayer hob auch sie die Vorreiterrolle Österreichs im Bereich von E-Justice hervor.

Bundesrat Efgani DÖNMEZ (G/O) griff zwei Themen aus den vorliegenden Berichten heraus: Gentechnik und Nukleartechnologie. Er wies darauf hin, dass die Europäische Kommission im Sommer zwei Dokumente vorgelegt hat, die zum einen darauf abzielen, den einzelnen EU-Ländern mehr Autonomie beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zuzugestehen. Im Gegenzug erwarte sich die Kommission von den Mitgliedsländern aber die Zustimmung zur Zulassung weiterer GVOs. Für Dönmez ist das "ein leicht durchschaubarer Kuhhandel", den die Grünen ablehnten. Die KonsumentInnen wünschten sich keine gentechnisch veränderten Lebensmittel, bekräftigte er.

Massive Kritik übte Dönmez auch an der beschlossenen Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken in Deutschland. Österreich dürfe diese Entscheidung nicht so einfach hinnehmen, mahnte er und forderte die Regierung auf, sofort aktiv zu werden und auf die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen zu drängen.

Bundesrat Georg KEUSCHNIGG (V/T) lobte die Politikplanung und Informationskultur der EU. Die verschiedenen Strategien und mittelfristigen Programme würden einen guten Überblick über aktuelle EU-Vorhaben geben und eine gute Orientierung bieten.

Der Bundesrat nütze seine neuen Mitwirkungsrechte in EU-Fragen intensiv, betonte Keuschnigg. Er wies in diesem Zusammenhang auf die vor kurzem gefasste erste offizielle Subsidiaritätsrüge der Länderkammer hin und bezeichnete die in Aussicht genommene Harmonisierung der Bestimmungen für Saisoniers nicht nur als praxisfern und bürokratisch, sie widerspricht seiner Ansicht nach auch dem Subsidiaritätsgedanken.

Die Gemeinsame Agrarpolitik hat für den ländlichen Raum Keuschnigg zufolge enorme Bedeutung. Österreich habe sich bei der Agrarförderung intensiv auf die ländliche Entwicklung konzentriert und werde durch ein vergleichsweises hohes Wachstum im ländlichen Raum bestätigt, erklärte er. Das von Gesundheitsminister Alois Stöger geplante Gütesiegel für gentechnikfreie Produkte lehnte der Bundesrat mit Hinweis auf das bereits bestehende AMA-Biogütesiegel ab und forderte stattdessen einen besseren Täuschungsschutz bei der Lebensmittelkennzeichnung ein.

Bundesrat Karl BODEN (S/N) sprach sich dafür aus, die österreichischen Grundsätze in der europäischen Verkehrspolitik in Richtung mehr Kostenwahrheit, eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur und die Entkoppelung des Verkehrswachstums vom Wirtschaftswachstum verstärkt zu vertreten. Mit Nachdruck wandte sich Bundesrat Boden gegen Pläne zur Zulassung von "Giga-Linern", übergroßen LKW also, die, würde man sie einführen, etwa den Umbau österreichischer Kreisverkehre notwendig machen würden. Außerdem unterstützte Boden Bemühungen auf dem Gebiet der Elektromobilität und kritisierte die Absicht, Nebenbahnen zu schließen, weil diese einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Straßen leisten.

Beim Thema EU-Wirtschaftspolitik ging Bundesrat Franz PERHAB (V/St) auf den "Small-Business-Act" und die Absicht der EU ein, kleine und mittlere Unternehmen verstärkt zu fördern. Österreich gelte auf diesem Gebiet zurecht als ein Vorbild, sagte Perhab mit Stolz. Weiter verbessern sollte man die Finanzierungsbedingungen für KMU, zudem mahnte Perhab Fortschritte bei der Verwaltungsreform ein. Schließlich plädierte Perhab für einen verstärkten Einsatz erneuerbarer Energieträger und für den Ausbau der Wasserkraft, um die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen.

Andreas SCHNIDER (V/St) trat einmal mehr für das Prinzip des lebenslangen Lernens ein, Lernen gehöre von Geburt an zum Leben. Bei der frühkindlichen Bildung sollte nicht nur auf formales Lernen in Institutionen, sondern auch auf informelles Lernen in der Familie und im Freundeskreis Wert gelegt werden. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, so der Redner, die Ausbildung für KindergärtnerInnen im Universitäts- und Hochschulbereich anzusiedeln, um eine höhere Qualifizierung zu gewährleisten. Da pädagogische Arbeit auf allen Altersstufen kritische Reflexion voraussetze, sollte die pädagogische Ausbildung auf höchstmöglichem Niveau erfolgen.

Bei der Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern will Bundesrat Schnider den Grundsatz der Subsidiarität beachtet wissen und mit Augenmaß prüfen, welche Kompetenzen auf welcher Ebene am besten wahrgenommen werden können.

Bundesrätin Elisabeth KERSCHBAUM (G/N) hielt den Jubel von Landwirtschaftsminister Berlakovich über Fortschritte in der EU beim Thema Gentechnikfreiheit für verfrüht, weil auch dann, wenn Österreich gentechnikfrei bleibe, weiterhin die Gefahr bestehe, dass gentechnisch veränderte Organismen durch Samenflug aus Nachbarländern unsere Anbauflächen kontaminieren. Daher sei es wichtig, das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen in der EU zu ändern. Skeptisch zeigte sich die Rednerin auch gegenüber der Förderung der Kernfusion in der EU, weil Kernfusion nicht ohne Kernspaltung und Strahlenbelastungen auskomme.

Bundesministerin Claudia BANDION-ORTNER appellierte, auch bei raschen Entscheidungen über EU-Rechtsakten auf eine möglichst hohe Qualität und auf die finanziellen Folgen der europäischen Gesetzgebung zu achten. Außerdem sah Bandion-Ortner die europäischen Minister gefordert, die Vorteile der EU für die Bürgerinnen und Bürger verständlicher darzustellen. Im Justizbereich etwa bringen der EU-Haftbefehl, die Erleichterung grenzüberschreitender Erbschaften, die Möglichkeit, Strafen im Heimatland zu verbüßen, und Verfahren über Staatsgrenzen hinweg zu beschleunigen, den Bürgerinnen und Bürgern konkrete Vorteile.

Die Ministerin kündigte an, sich dafür einzusetzen, dass eine europäische Harmonisierung von Verbraucherschutzbestimmungen nicht zu einem Verlust von Schutzstandards in Österreich führe. Außerdem setze sie sich dafür ein, Urteile grenzüberschreitend anzuerkennen, europäische Justizinstrumente zu schaffen und die Verfahren zu beschleunigen. Ein wesentliches Instrument sah die Ministerin im Einsatz von Videokonferenzen, die es erlauben würden, Zeugen zu befragen, ohne dass diese am Ort des Verfahrens anwesend sein müssen. 

Bundesrat Elmar PODGROSCHEK (F/O) wünschte den BundesrätInnen im Hinblick auf sein bevorstehendes Ausscheiden aus der Länderkammer alles Gute für die weitere Zukunft und viel Erfolg im Bemühen, dem Bundesrat jenen Stellenwert zu verschaffen, der ihm zusteht.

Bei der Abstimmung wurden die vorliegenden Berichte teils einstimmig, teils mehrheitlich zur Kenntnis genommen. (Schluss)


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