Parlamentskorrespondenz Nr. 760 vom 12.10.2010

EU plant Mindestnormen für Schutz von Verdächtigen

Rechtshilfe innerhalb der EU soll verbessert werden

Wien (PK) – Innerhalb der EU sollen gemeinsame Mindestnormen über das Recht von Verdächtigen und Beschuldigten auf Rechtsbelehrung sowie auf Belehrung über den gegen sie erhobenen Tatvorwurf im Rahmen von Strafverfahren eingeführt werden. Das sieht ein Richtlinienentwurf vor, der heute im EU-Unterausschuss des Nationalrats diskutiert wurde.

Auch die zweite Materie des Justizblocks fand allgemeine Zustimmung. Sie betraf den Vorschlag der Kommission zu einer Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, womit ein umfassendes Rechtshilferegime geschaffen werden soll. Die Initiative wurde sowohl von Bundesministerin Claudia Bandion-Ortner als auch von den Abgeordneten begrüßt. In einem einstimmig angenommenen S-V-Antrag auf Mitteilung an die Kommission drängen die Ausschussmitglieder jedoch auf Präzisierungen.

Abgeordnete begrüßen einheitliche Mindestrechte für Beschuldigte

Die JustizministerInnen der EU streben im Interesse einer gegenseitigen Anerkennung und auch im Lichte der grenzüberschreitenden Kriminalität gewisse Harmonisierungen an, erläuterte Justizministerin Claudia Bandion-Ortner. Der erste Schritt sei das Recht auf Verdolmetschung im Strafverfahren gewesen, nun folgten Mindestnormen hinsichtlich der Rechte auf Information und Belehrung in Strafverfahren.

Diese sollen von dem Zeitpunkt, zu dem eine Person von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass sie einer Straftat verdächtigt oder beschuldigt wird, bis zum Abschluss des Verfahrens gelten. Das betrifft zunächst die Information über das Recht auf Beiziehung eines Verteidigers, bzw. einer Verteidigerin, das Recht auf Belehrung über den Tatvorwurf und gegebenenfalls auch auf Akteneinsicht, das Recht auf Verdolmetschung und Übersetzungsleistungen und für den Fall einer Festnahme von Verdächtigen oder Beschuldigten das Recht, unverzüglich einem Richter, bzw. einer Richterin vorgeführt zu werden. Die Information über den Tatvorwurf ist so zu gestalten, dass ein faires Strafverfahren gewährleistet ist. So soll die Einsicht in jene Akten gewährt werden, die für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Festnahme oder der Inhaftierung maßgeblich sind. Im Fall einer Festnahme ist laut Kommissionsvorschlag eine schriftliche Information über die Verfahrensrechte zu erteilen. Darüber hinaus soll ein wirksamer Rechtsbehelf eingeführt werden, um feststellen zu können, ob die Betroffenen alle für sie maßgeblichen Informationen erhalten haben.

Justizministerin Bandion-Ortner unterstützte den Vorschlag grundsätzlich. Bedenken seitens des Justizressorts gibt es lediglich hinsichtlich des Ausmaßes der Akteneinsicht. Der Zweck des Verfahrens dürfe nicht gefährdet werden, argumentierte sie. Da in Österreich die Belehrung im Strafverfahren eine Selbstverständlichkeit darstellt, werde es kaum Umsetzungsbedarf geben, erläuterte sie. Angesichts der budgetären Situation müssten aber die finanziellen Auswirkungen noch genauer abgeschätzt werden.

Abgeordneter Heribert Donnerbauer (V) unterstrich die Bedeutung eines funktionierenden Schutzes der Beschuldigten und die Wahrung der Verteidigungsrechte. Auch Abgeordneter Albert Steinhauser (G) hielt die Richtlinie für sinnvoll, richtig und gut. Ebenso positiv äußerte sich Abgeordneter Ewald Stadler (B) und nannte beide Richtlinien für vernünftig. Einheitliche prozessuale Rechte im Vorverfahren liegen im Interesse Österreichs, sagte er. Im Gegensatz dazu stellte Abgeordneter Johannes Hübner (F) die Frage, ob man das wirklich zentral regeln muss und ob das nicht einen unnötigen Eingriff in nationale Kompetenzen darstellt.

In ihrer Reaktion auf die Wortmeldungen betonte die Justizministerin, es sei notwendig, in allen Staaten bestimmte Verfahrensstandards sicherzustellen und darauf würde auch der Rat achten.

Rechtshilfe innerhalb der EU – Abgeordnete verlangen Präzisierungen

Ziel der zweiten Justizvorlage der EU ist die Schaffung eines umfassenden Rechtshilferegimes. Derzeit gibt es dafür mehrere Rechtsgrundlagen, wie ein Europaratsübereinkommen samt Protokollen, ein EU-Übereinkommen samt Protokoll und ein Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung (RB-EBA). Die Richtlinie sieht vor, dass der ersuchende Mitgliedstaat unter Verwendung eines einheitlichen Formulars eine Europäische Ermittlungsanordnung (European Investigation Order, EIO) erlässt, die im ersuchten Staat nach dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung vollstreckt wird. Der Vorschlag schränkt auch die derzeitigen, einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit häufig im Weg stehenden Ablehnungsgründe deutlich ein.

Auch diese Initiative wird von Österreich prinzipiell positiv beurteilt, da sich die Vielzahl der innerhalb der EU geltenden Rechtshilfeinstrumente teilweise von nur geringem praktischen Wert erwiesen haben. Die Absicht, auch Verwaltungsstrafsachen in den Anwendungsbereich miteinzubeziehen, wird aber mit Skepsis betrachtet, zumal sich dies in der Vergangenheit nicht bewährt hat. Österreich drängt jedoch auf die Möglichkeit einer richterlichen Kontrolle im ersuchten Staat in jenen Fällen, in denen dies aufgrund der Schwere des Eingriffs geboten ist, etwa im Zusammenhang mit dem Schutz des Hausrechts, des Briefgeheimnisses und des Fernmeldegeheimnisses.

Die Justizministerin begrüßte die Vorlage als einen weiteren Schritt zur Erleichterung der internationalen Rechtshilfe und merkte an, dass die Initiative von Belgien und Österreich ausgegangen sei. In der EU gebe es noch Diskussionen über Ablehnungsgründe, und was die beiderseitige Strafbarkeit betrifft, so habe noch keine Einigung erzielt werden können. Unbestritten sei aber, dass die Strafmündigkeit gegeben sein muss, sagte Bandion-Ortner, die auch dafür eintrat, die Möglichkeit zu geben, gelindere Maßnahmen zu ergreifen. 

Die Abgeordneten befürworteten unisono die Initiative der Kommission. In einem Antrag auf Mitteilung an die Europäische Kommission verlangen sie jedoch weitere Präzisierungen. Vor allem sollten die Gründe für die Ablehnung einer Ermittlungsanordnung konkretisiert werden, um den Behörden ein für die Praxis taugliches Regulativ an die Hand zu geben. Auch halten sie es für dringend geboten, die Behörde des Anordnungsstaates zu einer Gesetzmäßigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung zu verpflichten. Der Ausschuss vertrat weiters die Ansicht, dass die Gründe einer Bewilligung einer Ermittlungsanordnung durch die Anordnungsbehörde klar dargestellt werden müsse, vor allem im Hinblick auf das Redaktionsgeheimnis, Berufsgeheimnisse und das Doppelbestrafungsverbot. Jedenfalls ist nach Auffassung des Ausschusses sicher zu stellen, dass eine Übermittlung von Beweismitteln verweigert werden kann, deren Verwertung in Österreich in einem vergleichbaren Verfahren nicht zulässig wäre.

Auf die sensible Frage der Wahrung des Redaktionsgeheimnisses ging auch Abgeordneter Johannes Jarolim (S) ein, indem er kritisch an die Einvernahme von Journalisten des Profils durch die Staatsanwaltschaft erinnerte, obwohl die betreffenden Journalisten nach österreichischem Recht nicht zu belangen sind. Jarolim sah in der gegenständlichen Vorlage der Kommission keine Garantie dafür, dass derartige Fälle in Zukunft vermieden werden. Er appellierte daher an die Justizministerin, hier mit Sorgfalt vorzugehen. Jarolim regte in diesem Zusammenhang die Erstellung eines Klauselkatalogs an, in dem aufgelistet ist, welche Delikte in einem Land strafbar sind und welche nicht. Auch Abgeordneter Heribert Donnerbauer (V) hielt es für unabdingbar, Vorkehrungen zu treffen, damit nicht in geschützte Rechte eingegriffen werden kann. Dem schloss sich die Justizministerin an und hielt fest, das Redaktionsgeheimnis sei auf jeden Fall zu schützen. Wesentlich bei der Ermittlungsanordnung sei die gegenseitige Strafbarkeit, man werde auch darauf bestehen, dass österreichische Verfahrensgrundsätze greifen.

Abgeordneter Albert Steinhauser (G) befürwortete in seiner Stellungnahme ebenfalls das Ziel der Richtlinie, die Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Mindeststandards seien Voraussetzung für eine gegenseitige Anerkennung, sagte er, gleichzeitig kritisierte er jedoch die Abkehr vom Gegenseitigkeitsprinzip. Dazu meinte die Justizministerin, die Abkehr vom Gegenseitigkeitsprinzip werde derzeit intensiv diskutiert, ihrer Meinung nach müsse man dies davon abhängig machen,  ob es sich etwa um Eingriffe in Grundrechte handelt oder um geringere Delikte.

Abgeordnetem Ewald Stadler (B) gegenüber, der sich Sorgen um das Bankgeheimnis gemacht hatte, bekräftigte sie, dass in nationale Rechte nicht eingegriffen werde.  

Im Gegensatz zu den anderen Fraktionen äußerte Abgeordneter Johannes Hübner aus der Sicht der FPÖ Bedenken, da in einigen EU-Staaten die Rechtsdurchsetzungssysteme keineswegs hohen Standards entsprechen. Er befürchtete daher Probleme, weil man sich mit der geplanten Ermittlungsanordnung indirekt auch nicht funktionierenden Rechtssystemen unterwirft. (Fortsetzung EU-Unterausschuss)