Parlamentskorrespondenz Nr. 774 vom 14.10.2010

Pflegegeld: Rechnungshof kritisiert zersplitterten Vollzug

Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit am Prüfstand

Wien (PK) – Mit zwei Prüfberichten des Rechnungshofs aus dem Kompetenzbereich von Sozialminister Rudolf Hundstorfer startete der Rechnungshofausschuss des Nationalrats heute seine Beratungen. Zum einen ging es um die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, zum anderen um die Zuerkennung von Pflegegeld.

Laut Rechnungshof konnten in der Steiermark, Oberösterreich und Salzburg rund die Hälfte der Jugendlichen, die einen Berufsvorbereitungskurs oder einen Lehrgang gemäß Jugendausbildungs-Sicherungsgesetz besucht hatten, innerhalb eines Jahres in ein reguläres Lehrverhältnis oder in ein anderes Beschäftigungsverhältnis vermittelt werden, wobei der Vermittlungserfolg in der Steiermark etwas höher als in den anderen beiden Bundesländern lag. Allerdings waren die Schulungskosten in der Steiermark überproportional hoch.

In Bezug auf das Pflegegeld kritisiert der Rechnungshof die strukturelle Zersplitterung hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, der vollziehenden Stellen, der ärztlichen Gutachten sowie der administrativen Umsetzung und empfiehlt deshalb eine Novellierung der Pflegegeldgesetze.

Jugend-Auffangnetz: Politik hat auf Kritik des Rechnungshofs reagiert

Der Rechnungshof hat über einen Zeitraum von drei Jahren (2005 bis 2007) das Auffangnetz für Jugendliche, die keine Lehrstelle finden, genauer unter die Lupe genommen und zu Vergleichszwecken die Maßnahmen der AMS-Landesgeschäftsstellen Steiermark, Oberösterreich und Salzburg geprüft (III-64 d.B. ). Im Vordergrund stand dabei das Ausbildungsjahr 2005/2006, in dem bundesweit 9.113 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu verzeichnen waren. Angeboten wurden unter anderem Berufsorientierungs- bzw. Berufsvorbereitungskurse sowie Lehrgänge für das erste, zweite, dritte und vierte Lehrjahr.

Im Rahmen der Prüfung stellte der Rechnungshof verhältnismäßig hohe Kosten für die Ausbildungsmaßnahmen in der Steiermark fest. Er führt dies nicht zuletzt darauf zurück, dass in der Steiermark, anders als etwa in Oberösterreich, die Ausschreibung für die Kurse und Lehrgänge nicht regionenspezifisch, sondern landesweit erfolgte und dadurch der Wettbewerb eingeschränkt war. Zum Zug kam ein aus vier Unternehmen bestehendes Bieterkonsortium, das dem AMS Steiermark, wie der Rechnungshof festhält, de facto Bedingungen und Preise vorgeben konnte.

Der Rechnungshof ermittelte darüber hinaus ein Einsparungspotenzial bei den Personalkosten in Salzburg und sprach sich für einen intensiveren Informationsaustausch der einzelnen AMS-Landesgeschäftsstellen untereinander aus. Zu seinen Empfehlungen gehören außerdem eine bessere Information der Jugendlichen über die verschiedenen Lehrberufe, eine Adaptierung der in Oberösterreich angebotenen "Anlehrgänge", eine höhere finanzielle Beteiligung der Länder Salzburg und Steiermark an JASG-Maßnahmen sowie eine Vereinheitlichung jener Ausbildungsentschädigungen, die die Kurs- und LehrgangsteilnehmerInnen erhalten.

Wie Abgeordnete Angela Lueger (S) im Ausschuss betonte, wurden viele Empfehlungen des Rechnungshofs mittlerweile umgesetzt. Sie verwies insbesondere auf eine im Jahr 2008 beschlossene Gesetzesnovelle, mit der das Auffangnetz für Jugendliche auf neue Beine gestellt worden ist. So könne man jetzt etwa seine Lehre auch in der örtlichen Lehrwerkstätte beenden, skizzierte sie. Weiters gebe es eine einheitliche Entschädigung für Kurs- und LehrgangsteilnehmerInnen, standardisierte TeilnehmerInnen-Berichte der Ausbildungsanbieter und eine zielgerichtete Information der weiblichen Jugendlichen über atypische Frauenberufe.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) sprach die hohen Ausbildungskosten in der Steiermark an und meinte, eigentlich müsste ein Bieterkonsortium billiger sein als kleine regionale Anbieter. Gleichzeitig machte er auf das Problem des Lohndumpings im Bereich der TrainerInnen aufmerksam und mahnte strengere Kontrollen der Anbieter ein. Einzelne Beispiele wie "Venetia" hätten, so Öllinger, gezeigt, wie leicht man als Kursanbieter "schummeln" könne.

Generell gab Öllinger zu bedenken, dass die bestehenden Defizite im österreichischen Schulsystem hohe Folgekosten verursachten, weil Jugendliche ohne ausreichende Kenntnisse in die Berufsschule oder zum AMS kämen.

Abgeordnete Martina Schenk (B) verwies auf die beim AMS geplanten Einsparungen und wollte wissen, ob davon auch Kurse von Jugendlichen betroffen seien. Abgeordneter Roman Haider (F) mahnte mehr Anreize für Unternehmen ein, um Jugendliche, die ein Praktikum bei ihnen gemacht haben, als Lehrlinge zu übernehmen. Außerdem verwies er auf die Notwendigkeit, auch männliche Jugendliche für atypische Berufe zu begeistern.

Abgeordneter Gabriel Obernosterer (V) erkundigte sich danach, ob das AMS Steiermark auf die Kritik des Rechnungshofs reagiert habe.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer hielt fest, man habe viel aus der Kritik des Rechnungshofs gelernt und die entsprechenden Konsequenzen gezogen. So habe das AMS Steiermark durch Nachverhandlungen mit dem Bieterkonsortium eine sofortige Preisreduktion um 10% erreichen können und sei inzwischen in Folge eines offenen Vergabeverfahrens das Bundesland mit den niedrigsten Gemeinkosten geworden.

Auch bei der Ausbildung sei man, so Hundstorfer "massiv in die Breite gegangen". In den überbetrieblichen Ausbildungsstätten würden insgesamt rund 100 Lehrberufe angeboten. Allerdings sei es immer noch ein Problem, dass 75% der weiblichen Jugendlichen und 50% der männlichen Jugendlichen einen von nur 10 Lehrberufen auswählten.

Um die Jugendlichen bei ihrer Berufswahl zu unterstützen, arbeitet das AMS Hundstorfer zufolge auch direkt mit den Schulen zusammen. Die Kooperation funktioniere mit den Hauptschulen sehr gut, erklärte er, von den AHS gebe es vielfach aber mangelndes Interesse. Für Jugendliche, die nach der Schule nicht wissen, was sie lernen wollen, würden zudem Produktionsschulen, etwa unter dem Namen "Job-Factory", angeboten. Die Anwesenheitspflicht bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten wird laut Hundstorfer täglich überprüft.

Generell zeigte sich Hundstorfer darüber erfreut, dass heuer wieder ein Plus bei den Lehrverträgen zu verzeichnen sei. Mit Stand 30. September 2010 gab es demnach insgesamt 129.228 abgeschlossene Lehrverträge. Österreich habe auch die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in der EU, hob der Minister hervor.

Als großes Problem wertete Hundstorfer, dass 10% der PflichtschulabsolventInnen keinen Schulabschluss haben. Diese Personengruppe habe später auch die größten Probleme am Arbeitsmarkt. In Zeiten der Krise seien nicht nur zwei Hände gefordert, sondern der Kopf und die Hände, konstatierte der Minister, das führe dazu, dass Leute ohne Schulabschluss als erste ihren Arbeitsplatz verlieren.

Zur Kritik von Abgeordnetem Öllinger (G) an monatelangen Praktika, merkte der Minister an, die betriebliche Ausbildung von Jugendlichen müsse im Vordergrund stehen. In Einzelfällen könne es daher auch zu längeren Praktika kommen. Um Lohndumping bei TrainerInnen zu verhindern, wurden laut Hundstorfer Maßnahmen von Seiten des AMS getroffen. Abgeordneter Schenk (B) versicherte er, dass das "AMS-Reduktionsprogramm" Jugendliche nicht betreffe, insbesondere nicht die 15- bis 19-Jährigen.

Rechnungshofpräsident Josef Moser machte geltend, dass die vom Rechnungshof durchgeführte Querschnittsprüfung großes Einsparungspotential aufgezeigt habe. Das AMS Steiermark habe gut reagiert, sagte er. Was die Qualität der Kursmaßnahmen betrifft, wies Moser darauf hin, dass der Rechnungshof derzeit gerade die Vergabepraxis des AMS prüfe und dabei auch die Frage der Qualität des Angebots eine Rolle spiele. Insgesamt urgierte er mehr Transparenz bei der Kostendarstellung.

Die Beratungen über den Bericht des Rechnungshofs wurden vertagt.

RH-Bericht kritisiert die Praxis des Vollzugs des Pflegegeldes

Der Rechnungshof überprüfte den Vollzug des Pflegegeldes (III-114 d.B. ) bei insgesamt 21 Rechtsträgern für das Jahr 2007. Der Pflegegeldaufwand für rund 412.000 PflegegeldbezieherInnen in diesem Jahr betrug zirka 2 Mrd. €. 

In ihrer Wortmeldung thematisierte Abgeordnete Christine Lapp (S) die Treffsicherheit des Pflegegeldes und die laufende Diskussion um die direkte Auszahlung des Pflegegeldes versus Sachleistungen. Sie meinte, Wahlfreiheit für die Anspruchsberechtigten sei nur durch eine Direktauszahlung gegeben.

Abgeordneter Norbert Hofer (F) sprach sich ebenfalls im Sinne der Selbstverantwortung für die direkte Auszahlung des Pflegegeldes aus. Allerdings müsse das soziale Umfeld der zu Pflegenden mehr berücksichtigt werden. Hofer wollte vom Minister wissen, an welche Maßnahmen zur Strukturreform gedacht sei und wie man in Zukunft den steigenden Bedarf an Pflegekräften sicherstellen wolle, insbesondere bei der 24-Stunden-Pflege. Er erkundigte sich außerdem, ob tatsächlich an eine Abschaffung der beiden niedrigsten Pflegestufen gedacht sei, wie Medienberichten zu entnehmen war. 

Abgeordneter Ewald Sacher (S) sprach ebenfalls das Thema Sach- versus Geldleistungen beim Pflegegeld an. Er stellte die Frage, wie in Zukunft die Kosten der Pflege abgedeckt und die Qualität der Begutachtung von Pflegegeldanträgen gesichert werden könne, wenn in Zukunft diese auch von Pflegekräften vorgenommen werde. Er bezog sich dabei auf einen Pilotversuch in dieser Richtung.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) kritisierte das, wie er es nannte, jahrelange "Herumdoktern" am Pflegegeld, obwohl die Lösungen auf der Hand lägen. Bereits jetzt entscheide eine einzige Stelle 80 % aller Anträge, es sei nicht einzusehen, warum sie nicht auch die restlichen 20 % übernehmen könnte. Es gebe außerdem Berufsgruppen, die bisher nicht über die staatliche Krankenversicherung ihren Beitrag zum Pflegegeld geleistet haben, aber trotzdem davon profitieren. Der Abgeordnete ortete auch ein soziales Ungleichgewicht bei den BezieherInnen von Pflegegeld: BezieherInnen niedriger Pensionen würden auch überdurchschnittlich oft nur ein niedriges Pflegegeld beziehen. Er vermutete, dass es schichtspezifische Hürden für die Durchsetzung des Anspruchs gebe. 

Abgeordnete Martina Schenk (B) erkundigte sich ebenfalls nach den kolportierten Plänen, den Zugang zu Pflegestufe 1 und 2 zu verschärfen, und wollte wissen, ob bereits Resultate der Gespräche mit den Landeshauptleuten über eine Vereinheitlichung der Einstufungskriterien für den Pflegegeldanspruch vorliegen.

Der stellvertretende Ausschussvorsitzende Hermann Gahr (V) fragte nach den Kosten einer geplanten Valorisierung des Pflegegeldes und nach der Form der Finanzierung eines geplanten Pflegefonds. Er interessierte sich ebenfalls dafür, welche Pläne es für die Pflegestufe 1 und 2 gibt.

Abgeordneter Konrad Steindl (V) thematisierte auch die Dotierung eines zukünftigen Pflegefonds, in dem alle Berufsgruppen einzahlen würden. Eine Vermögenssteuer sei in diesem Zusammenhang aber sicher nicht zielführend, stellte er in Richtung des G-Mandatars Öllinger fest. 

In seiner Antwort auf die Fragen der Abgeordneten wies Sozialminister Rudolf Hundstorfer darauf hin, dass der gesamte finanzielle Aufwand für Pflege in Österreich 7 Mrd. € betrage. 3 Mrd. € davon entfallen auf die mobile und stationäre Betreuung. Hier gehe man von einer zu erwartenden jährlichen Kostensteigerung von rund 3 % aus. Die Einrichtung eines Pflegefonds, in den alle Berufsgruppen einzahlen, werde vor diesem Hintergrund diskutiert. Der entstehende Mehraufwand für die Länder müsse bis zum nächsten Finanzausgleich überbrückt werden. Auch die angesprochene Frage der Sachleistungen betreffe diesen zu erwartenden Mehraufwand der Länder. Man werde nichts am System der Direktauszahlungen an die Anspruchsberechtigten ändern, bekräftigte der Sozialminister. Zur Diskussion stehe eine Übernahme des Pflegegeldsystems der Länder durch den Bund. Er betonte, dass das System von sieben Pflegestufen bestehen bleibe, man überlege aber für künftige Anträge die Einführung neuer Kriterien.

Das Problem im Pflegebereich sei nicht so sehr die 24-Stundenbetreuung, sondern der zu erwartende Bedarf von zusätzlich 12.000 Arbeitskräften im Pflegebereich über die nächsten zehn Jahre, betonte Hundstorfer. Die Schaffung eines Lehrberufs Pflegekraft sei aber dazu, wie Erfahrungen der Schweiz zeigten, kaum geeignet. Jugendliche seien meist den damit verbundenen Anforderungen nicht gewachsen. Man müsse sich daher eher darauf konzentrieren, über Dreißigjährige zu finden, die bereit sind, sich umschulen zu lassen. Auf eine diesbezügliche Zusatzfrage von Abgeordnetem Alois Gradauer (F) betonte Hundstorfer, er nehme die Anliegen der Menschen mit Pflegebedarf sehr ernst. Die Verwaltungsreform sei in diesem Bereich im Gang, wenn man auch nicht immer rasch zu den gewünschten Ergebnissen komme.

RH-Präsident Josef Moser listete eine Reihe von Kritikpunkten auf, die sich für den Rechungshof aus der Überprüfung des Vollzugs der Pflegegeldes ergeben haben. Moser merkte an, der Bezug des Pflegegeldes stelle derzeit nicht sicher, dass die notwendigen Pflegeleistungen tatsächlich erbracht werden, dass sie leistbar und auch qualitativ hochwertig sind. Verbessert habe sich die Verfahrensdauer.

Grundsätzliche Probleme sieht der Rechnungshof im Vollzug des Pflegegeldes aufgrund der strukturellen Zersplitterung der Rechtsgrundlagen, der vollziehenden Stellen, der ärztlichen Gutachten sowie der administrativen Umsetzung des Pflegegeldes.

Aus diesem Befund leitete RH-Präsident Moser eine Reihe von Empfehlungen ab. Er sprach sich für eine Novellierung der Pflegegeldgesetze aus. In Anbetracht der sich abzeichnenden demographischen Entwicklung seien weitere Maßnahmen zur Vereinfachung der Struktur der Entscheidungsträger und strategische Entscheidungen im Bereich der Pflegeinfrastruktur notwendig, um eine umfassende Pflegevorsorge und deren nachhaltige Finanzierbarkeit sicherzustellen, stellte er fest.

Der Bericht des Rechnungshofs zum Vollzug des Pflegegeldes wurde vom Ausschuss einstimmig zur Kenntnis genommen.

(Schluss Rechnungshofausschuss)