Parlamentskorrespondenz Nr. 823 vom 27.10.2010

EU-Hauptausschuss: Budgetrecht muss nationale Kompetenz bleiben

Antrag auf Einführung einer Finanztransaktionssteuer beschlossen

Wien (PK) – Mit großer Mehrheit sprachen sich heute die Mitglieder des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union mittels eines Antrags auf Mitteilung für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf EU-Ebene aus. Sie unterstützten darüber hinaus in Form eines die Regierung bindenden Antrags auf Stellungnahme die geplante Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, wobei sie die Bundesregierung beauftragten, dafür Sorge zu tragen, dass die Rechte des Nationalrats zur Entscheidung über den Bundeshaushalt und die Kontrolle des Budgetvollzugs im Zusammenhang mit den notwendigen Bemühungen um die Reform des Pakts nicht eingeschränkt werden. Beide Anträge der Koalitionsparteien fanden auch Unterstützung von Oppositionsparteien.

Anlass für die Sitzung des EU-Hauptausschusses war der kommende Europäische Rat am 28. und 29. Oktober in Brüssel. Im Mittelpunkt dabei wird der Bericht der Task-Force stehen, die vom EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy eingesetzt wurde, um strengere Regeln im Kampf gegen steigende Defizite und Schulden der EU-Mitgliedsländer in Zukunft festzulegen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird es einen neuen Sanktionsmechanismus für Defizitsünder geben, aber auch einen stärkeren Überwachungsmechanismus der nationalstaatlichen Budgets durch die EU-Kommission.

Automatischer Sanktionsmechanismus versus poltischer Spielraum

Vizekanzler und Finanzminister Josef Pröll erläuterte dazu, die im Zuge der Krisenbewältigung gestiegenen Defizite und Schulden der Euro-Länder würden eine Gefahr bedeuten, die es einzudämmen gelte. Die Task-Force, der auch Finanzminister Pröll angehört hatte, habe einen Schlussbericht vorgelegt, der nun im Rat zu diskutieren sei. Demnach schlage die Task-Force strengere Regeln in der budgetären Überwachung vor, wobei das Maastricht-Kriterium der Schuldenquote von nicht mehr als 60 % stärker in die Bewertung einfließen soll. Auch ist geplant, die Sanktionen härter zu gestalten, wobei die Task-Force ein Drei-Stufen-Modell vorschlägt. Zunächst sollen die Einlagen verzinst werden, dann gehe es um unverzinste Einlagen bis hin zu Strafzahlungen. Für die Einleitung des Defizitverfahrens werde es einen neuen Abstimmungsmechanismus geben mit umgekehrter Mehrheitsentscheidung. Das heißt, wenn die Kommission ein Defizitverfahren anstrebt, dann werde dies mit qualifizierter Mehrheit möglich sein.

Dies stelle eine qualitative Verbesserung dar, stellte Pröll fest, er räumte aber gleichzeitig ein, dass dieser Mechanismus nicht so weit geht, wie es der Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, möchte. Trichet plädiere für einen automatischen Sanktionsmechanismus ohne politischen Entscheidungsspielraum.

Sowohl Finanzminister Josef Pröll als auch Bundeskanzler Werner Faymann hielten in dieser Frage einen politischen Spielraum für notwendig. Faymann zeigte zwar Verständnis für die Haltung Trichets, zumal die EZB bei der Krisenbewältigung eine bedeutende Rolle gespielt habe und bis an die Grenzen ihrer Möglichkeit gegangen sei. Es könne aber nicht sein, dass die Kommission eine sich verselbständigende Rolle bei der Haushaltsüberwachung erhält, sagte der Bundeskanzler.

Skepsis gegenüber Stimmrechtsentzug für Defizitsünder

Ebenfalls Skepsis äußerten Faymann und Pröll zur Frage des Stimmrechtsentzugs für Defizitsünder. Dies sei aber neben der Frage einer etwaigen Vertragsänderung noch ein wesentlicher Diskussionspunkt beim kommenden Gipfel, erläuterte der Bundeskanzler. Ein Stimmrechtsentzug würde die politische Diskussion verschärfen ohne die Probleme zu lösen, sagte er. Notwendig sei vielmehr eine verbesserte Kontrolle und Überwachung sowie ein gemeinsamer Schutz. Die von Deutschland und Frankreich vorgelegte Linie stelle einen grundsätzlichen Vorschlag dar und sei der Beginn eines Diskussionsprozesses, merkte Faymann weiters an. Detailvorschläge lägen jedoch nicht auf dem Tisch.

Faymann stimmte mit Abgeordnetem Alexander Van der Bellen (G) überein, dass man, sollte die Forderung nach dem Stimmrechtsentzug entfallen, keine Vertragsänderung werde brauchen, wobei dies Deutschland in Hinblick auf die Spruchpraxis des Verfassungsgerichts Karlsruhe anders sehe.

Im Gegensatz zu mehrheitlich geäußerten Zweifeln über die Sinnhaftigkeit eines Stimmrechtsentzugs für Defizitsünder, brachte Abgeordneter Christoph Hagen (B) einen Antrag auf Ausschussfeststellung ein, in dem sich das BZÖ mit Nachdruck für die Möglichkeit eines Stimmrechtsentzugs ausspricht.

Überwachung der Budgetdisziplin der EU-Länder durch Kommission

Mehr Gefahrenprävention soll es im Interesse der Budgetdisziplin aller EU-Mitgliedstaaten geben. Dabei will man die makroökonomischen Ungleichgewichte und die unterschiedlichen Wettbewerbsfaktoren stärker in die Beobachtung einfließen lassen, erklärte Finanzminister Pröll. Insbesondere gehe es dabei um Auslandsverschuldung, um das Erkennen von Spekulationsblasen, um den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit sowie um die Lohnentwicklung - Faktoren, die für die Währungsentwicklung entscheidend sind.

Zudem beginne ab 1. Jänner das sogenannte "Europäische Semester". Das bedeutet, dass die EU-Kommission früher über die nationalen Budgetpläne der Mitgliedstaaten informiert werden muss, damit diese gegebenenfalls steuernd eingreifen kann. Sowohl Faymann als auch Pröll bekräftigten, dass dies in keiner Weise das Budgetrecht der nationalen Parlamente schmälere. Österreich selbst gelte mit seiner Haushaltsreform und dem Budgetrahmen als ein Best Practice-Modell, betonte der Finanzminister. Auf die Kritik des Abgeordneten Peter Fichtenbauer (F) an den InspektorInnen der EU reagierte der Bundeskanzler, für ihn sei es eher beruhigend, wenn ExpertInnen prüfen, ob die Unterlagen, die an die EU geschickt werden, auch tatsächlich stimmen. Wäre das in der Vergangenheit bereits der Fall gewesen, hätte das vielleicht vieles erspart. Faymann gab jedoch zu bedenken, dass es dann der politischen Verantwortung obliegt, die Empfehlungen der ExpertInnen auch zu beachten.

Mehrheit der Abgeordneten unterstützt Position der Regierung

Die Position der Bundesregierung wurde seitens der Abgeordneten grundsätzlich unterstützt. So wies etwa Abgeordneter Josef Cap (S) auf die Notwendigkeit hin, die Souveränität der nationalen Parlamente zu achten. Auch Abgeordnete Christine Muttonen (S) bestand trotz aller Notwendigkeit, die Budgets in Ordnung zu bringen, darauf, dass die Letztentscheidung über die Budgets bei den nationalen Parlamenten bleibt. Die EU dürfe nicht den Fehler machen, Entscheidungen darüber einem nur teilweise demokratisch legitimierten Gremium zu überlassen. Muttonen begrüßte eine bessere Prävention und die stärkere Beachtung der Gesamtverschuldung, dabei müsse aber in schlechten Zeiten Spielraum für eine aktive Politik bleiben, forderte sie. Sparen sei kein Selbstzweck. 

Cap und Muttonen sprachen sich gegen den von Deutschland und Frankreich forcierten Stimmrechtsentzug bei Defizitsündern und damit gegen eine Vertragsänderung aus. Deutschland und Frankreich ließen bei ihren Vorschlägen völlig außer Acht, welche Möglichkeiten den einzelnen Ländern auf den internationalen Finanzmärkten außerhalb der eigenen Budgets zur Verfügung stehen. Daher sei es notwendig, internationale Regelungen, wie etwa die Finanztransaktionssteuer, einzuführen.

Dieser Analyse stimmte Abgeordneter Günter Stummvoll (V) zu. Es seien Fortschritte gemacht worden, sagte er, im Hinblick auf neue Finanzmarktregeln und die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Auch auf dem Weg zu einer Finanztransaktionssteuer sei man schon sehr weit gekommen. Da Frankreich im Rahmen des G-20-Gipfels den Vorsitz übernehmen wird, habe man dabei auch in diesem Gremium einen Verbündeten im Hinblick auf die Finanztransaktionssteuer, merkte Bundeskanzler Faymann an.  

Kritischer äußerte sich Abgeordneter Johannes Hübner (F). Was die Task-Force vorschlage, bedeute eine massive Einengung der staatlichen Souveränität, sagte er, da man die Budgetgrundsätze mit der EU absprechen müsse. Wenn man schon Eingriffe vorhabe, dann müsse man dafür klare Rechtsvorschriften schaffen und sie nicht von politischen Entscheidungen abhängig machen. Er unterstützte daher einen automatischen Mechanismus und bewertete es als einen massiven Misserfolg, dass nun wieder Platz für politische Entscheidungen gemacht werde.

Mittels eines weiteren Antrags des BZÖ sprach sich dessen Abgeordneter Christoph Hagen gegen die mögliche Abschaffung der sogenannten Bail-Out-Klausel aus. Diese Klausel stellt sicher, dass ein Euro-Teilnehmerland nicht für die Verbindlichkeiten und Schulden anderer Teilnehmerländer haften oder aufkommen muss. Der Antrag fand ebenfalls nicht die erforderliche Mehrheit.

Sind die Maastricht-Kriterien entscheidend für die Stabilität?

Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) stellte in seiner Wortmeldung die Maastricht-Kriterien – maximal 3 % Neuverschuldung und 60 % Gesamtverschuldung – grundsätzlich in Frage. Für diese Obergrenzen gebe es keine Begründung, sagte er, sie bewirkten nur prozyklische Budgets. Irland und Spanien seien nicht wegen der Verletzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Schwierigkeiten geraten, begründete er seine Zweifel an den genannten Kriterien. Für ihn liegt der entscheidende Punkt in einer geordneten Insolvenzordnung für Staaten, und dazu brauche man keine Vertragsänderung. Dem konnte der Finanzminister einiges abgewinnen, es bleibe aber die Frage, inwieweit man den Privatsektor miteinbeziehen kann, gab Pröll zu bedenken.

Auch Bundeskanzler Werner Faymann bestätigte, dass es neben den Maastricht-Kriterien auch andere Faktoren gibt, die auf die Stabilität der Staaten Einfluss haben. Im Umkehrschluss sei es aber auch noch niemandem gelungen, die Maastricht-Kriterien als unrichtig zu erklären. Als wesentliche Faktoren nannte Faymann beispielsweise die Struktur der Budgets und Ausgliederungen, Spekulationen, Immobilienblasen, aber auch die Schattenwirtschaft. Daher müsse man durch zusätzliche Regelungen auch in derartige Fehlentwicklungen regulierend eingreifen. Dazu gehöre z.B. auch eine europäische Ratingagentur, bemerkte er gegenüber Abgeordnetem Peter Fichtenbauer (F), der sich danach erkundigt hatte.

Finanzminister Josef Pröll ergänzte auf eine Frage von Abgeordnetem Wilhelm Molterer (V), die neue Finanzmarktaufsicht, bestehend aus drei neuen Behörden, eine für Banken in London, eine für Versicherungen in Frankfurt und eine für Wertpapiere in Paris, sei abgeschlossen und könne mit ihrer Arbeit, aufbauend auf dem bestehenden Komitee, ab 1. Jänner 2011 beginnen. Anfang nächsten Jahres werde auch der sogenannte Risk-Board, ein Frühwarnsystem, das wirtschaftliche Empfehlungen abgeben kann, seine Tätigkeit aufnehmen. 

Diskussion um Auswirkungen neuer Abgaben und Regeln für Banken

Abgeordneter Johannes Hübner (F) bestand im Namen seiner Fraktion auf einer Trennung zwischen Investmentbanken und Geschäftsbanken, denn die Krise sei in erster Linie durch Investmentgeschäfte entstanden. Er brachte dazu auch einen Antrag auf Stellungnahme ein, der jedoch nicht die erforderliche Mehrheit fand. Abgeordneter Wilhelm Molterer (V) meinte dazu, der entscheidende Punkt sei nicht die Trennung der Banken, sondern die Erlassung klarer Spielregeln.

Eine Diskussion entstand auch über die geplanten zusätzlichen Abgaben und Regelungen für Banken. Abgeordneter Günter Stummvoll (V) befürchtete, dass die kumulative Wirkung von Basel III, der Bankensteuer, der Einlagensicherung und der Anlegerentschädigung zu einer Belastung der Banken und damit zu einer restriktiven Kreditvergabe führen könnte. Seine Sorge seien negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung.

Es wäre durchaus vernünftig zu untersuchen, wie sich die Belastungen auf die Banken auswirken, warf Abgeordneter Kai Jan Krainer (S) ein, gleichzeitig müsse man sich aber auch anschauen, was die Bewältigung der Krise den SteuerzahlerInnen gekostet hat und welche Gewinne und Gewinnausschüttung die Banken heute wieder zu verzeichnen haben. Ähnlich reagierte der Bundeskanzler, der auf die internationalen Verzweigungen und Gewinne österreichischer Banken hinwies, ohne dass sich dies auf das Steueraufkommen in Österreich positiv ausgewirkt hat.

Wie geht es mit dem Klimaschutz weiter?

Abgeordnete Christiane Brunner (G) thematisierte die Vorbereitungen für den Klimaschutzgipfel in Cancun. Die Verantwortung für den Klimawandel liege eindeutig bei den Industriestaaten, sagte sie. Auch wenn in Kopenhagen kein Ergebnis erzielt worden sei, könne jeder Staat, unabhängig von internationalen Übereinkommen etwas zur CO2-Reduktion beitragen. Sie kritisierte in diesem Zusammenhang auch scharf die innerösterreichische Umweltpolitik in Bezug auf CO2-Reduktion und Waldabholzung.

Er sei skeptisch, ob der Rahmen der UNO für diese Fragen der richtige sei, antwortete Bundeskanzler Faymann. Seiner Einschätzung nach wäre mehr zu erreichen, in kleineren und mittleren Einheiten Schritte zu setzen, als die Zustimmung aller Regierungschefs und –chefinnen abzuwarten. Österreich sei aber bereit, die CO2-Emissionen um 30 % zu reduzieren. Dennoch müsse man beachten, dass Österreich etwa durch den Transit spezielle Probleme hat und der Spielraum der Industrie weitgehend ausgeschöpft ist.

Er wies auch darauf hin, dass es trotz der geplanten Erhöhung der Mineralölsteuer noch immer günstiger ist, bei uns aufzutanken als in den Nachbarländern. Die wenig konkreten Formulierungen in den Schlussfolgerungen für den Rat erklärte der Bundeskanzler mit dem Hinweis, dass die EU derzeit Vorgespräche mit den USA führe, um zu Rechtsverbindlichkeiten zu gelangen.

Der Bundeskanzler bekannte sich auch zu einer nachhaltigen Waldwirtschaft, aber auch hier müssten Vorleistungen mitberücksichtigt werden, stellte er fest. (Schluss)