Parlamentskorrespondenz Nr. 887 vom 17.11.2010

Bundesstaatsreform: Prammer mahnt Sinn für das Staatsganze ein

Vor 90 Jahren trat der Nationalrat zu seiner ersten Sitzung zusammen

Wien (PK) – Nationalratspräsidentin Barbara Prammer mahnte heute in einer kurzen Ansprache anlässlich des 90. Geburtstags des Bundes-Verfassungsgesetzes und des ersten Zusammentretens des Nationalrats am 10. November 1920 Sensibilität und Sinn für das Staatsganze bei einer Bundesstaatsreform ein.

"Das Bundes-Verfassungsgesetz ist von sehr hoher Qualität", sagte Prammer. "Gerade diese hohe Qualität erfordert eine Neuorientierung und eine Weiterentwicklung, um diesen Standard auch für die Zukunft zu erhalten." Notwendige Änderungen der Bundesverfassung müssen Prammer zufolge immer wohl überlegt werden, tagespolitische Zwischenrufe oder simple Bequemlichkeit seien hier fehl am Platz. Eine Bundesstaatsreform, die sich zum Ziel setzt, Effizienz und Effektivität zu steigern und die Qualität und Transparenz zu fördern, würde allen Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen, stellte die Nationalratspräsidentin fest.

Die Grundprinzipien, die durch das Bundes-Verfassungsgesetz festgelegt wurden, seien heute noch immer gültig, unterstrich Prammer. Das seien das demokratische, das republikanische, das bundesstaatliche, das rechtsstaatliche und das gewaltenteilende Prinzip. Mit den vorbildhaften Gesetzesprüfungskompetenzen für den Verfassungsgerichtshof habe die österreichische Bundesverfassung internationale Maßstäbe gesetzt.

Prammer erinnerte auch an die schwierigen Debatten, die im Vorfeld der Beschlussfassung des Bundes-Verfassungsgesetzes am 1. Oktober 1920 stattgefunden haben. Die umstrittenen Themen von damals, wie Föderalismus, Neuverteilung der Aufgaben und Kompetenzen sowie die Grundrechte, stünden auch heute im Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Debatte. Schon damals sei es nicht gelungen, eine Einigung im Bereich der Grundrechte zu erzielen, weshalb man auf das Staatsgrundgesetz aus dem Jahr 1867 zurückgreifen musste. Bis heute habe sich daran nichts geändert, obwohl einige Versuche, beispielsweise im Rahmen des Österreich-Konvents, unternommen worden seien. Große Meinungsverschiedenheiten habe es auch in Bezug auf die Kompetenzverteilung in den Bereichen Finanzen und Schule gegeben. Regelungen dazu seien erst Jahre bzw. Jahrzehnte später verabschiedet worden.

Näher ging die Nationalratspräsidentin auf zwei wesentliche Novellen des Bundes-Verfassungsgesetzes ein. Einen großen Einschnitt bedeutete der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, 75 Jahre nach dem Inkrafttreten der Bundesverfassung. Sie wies aber auch darauf hin, dass im Rahmen der Novelle von 1929 die Frist für die Vorlage des Budgetentwurfs durch die Bundesregierung von ursprünglich acht auf zehn Wochen ausgedehnt wurde. (Schluss)